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Russland verbietet NICHT wirklich Gentechnik

Datum:

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Ein Kommentar von Alexander Benesch

In den vergangenen Wochen sangen es die „alternativen Medien“ von den Dächern: Der Messias Putin „verbietet Gentechnik“ in Russland, der heilige Weltenretter von (orthodoxen) Gottes Gnaden hält sein Großreich rein und unbefleckt. Wie Terroristen gar sollen zukünftig diejenigen bestraft werden, die illegal Monsanto-Saat oder landwirtschaftliche Erzeugnisse importieren. Dies gilt nun in der Leichtgläubigen-Bewegung (auch bekannt als „Wahrheitsbewegung“) als unwiderlegbarer Fakt und als weiteres Zeugnis für Putins Heiligenschein.

Warum ich als Gentechnik-Gegner jetzt nicht ausnahmsweise Putin lobe, hat einen einfachen Grund: Es handelt sich bei dem „Gentechnik-Verbot“ um eine Dreiviertel-Lüge.

Liest man die Meldungen anstatt nur die Überschriften, erfährt man, dass es sich eigentlich nur um einen Gesetzesvorschlag handelt von irgendeinem Abgeordneten mit ungewisser Zukunft. Die Quelle des Ganzen ist die Kreml-Klitsche RT. Noch nicht wirklich eine Sensation.

Russlands Regierung hatte vor wenigen Jahren dem Import von gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln und der Aussaat veränderter Sorten selbst zugestimmt, was eine Bedingung war für den Beitritt zur Welthandelsorganisation. Premierminister Medwedew ließ kürzlich lediglich verlautbaren, den Zertifizierungsprozess hinauszuzögern. Blöd ist die russische Führung nicht, dafür unmoralisch.

Es sind rein strategische Motive hinter dem Zögern: Man will eine Abhängigkeit vermeiden von westlichen Konzernen, außerdem sind die Produkte nach Meinung vieler nicht ausgereift und gefährlich. Eine Kontaminierung der russischen Sphäre mit amerikanischen Gen-Pflanzen, die die einheimischen Gewächse verdrängen, wäre wahrlich ein Desaster. Allerdings ist das korrupte Russland ein denkbar schlechter Ort, um illegalen Schmuggel von diesem Zeugs zu unterbinden. Ein wenig Schmiergeld, und schon ist eine große Lieferung Gen-Nahrung illegal umdeklariert.

4000 Quadratkilometer Gentech

Es erschienen offizielle Meldungen mit Überschriften wie „Kreml will Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen erlauben“ auf Russia Beyond The Headlines, „offizieller Medienpartner des Jahres der russischen Sprache und Literatur 2014/2015 in Deutschland“.

Russia Beyond The Headlines ist ein Medium, das von dem Rossijskaja Gaseta Verlag unterstützt wird. Die Rossijskaja Gaseta ist das offizielle Amtsblatt der russischen Regierung, in dem alle Gesetze und Erlasse publiziert werden.

Was ist denn hier plötzlich los?

„Russland wird bald gentechnisch veränderte Organismen produzieren dürfen. Am 1. Juni tritt ein Erlass in Kraft, der die Registrierung von genetisch veränderten Getreidekulturen erlaubt.“

Es kommt noch dicker:

„Nach Angaben des Präsidenten der Russischen Getreideunion (RZS) Arkadij Slotschewskogo werden gentechnisch veränderte Soja- und Maispflanzen in Russland auf 400 000 Hektar angepflanzt.“

Das sind 4000 Quadratkilometer! Sowas ist kein Versehen, sondern ein heimlicher Test.

Russia Beyond The Headlines spekulierte, dass die neuen Erlasse der Regierung zu der Produktion eigener genmanipulierter Samen in Russland führen werden. Viele wissenschaftliche Organisationen in Russland werkeln bereits fleißig an eigenen genmanipulierten Sorten. Es ist also nur eine Frage der Zeit.

Die amerikanische Kongressbibliothek erklärt zu Russland unmissverständlich und hochoffiziell (Stand vom 1. Mai 2014):

„Mehrere Typen von genetisch veränderten Nahrungsmitteln und Futtermitteln, die den Prozess der staatlichen Registrierung und Kontrolle durchlaufen haben, dürfen importiert, verarbeitet und für die Produktion von Nahrung und Tierfutter verwendet werden. […] Derzeit sind 18 genetisch veränderte Nahrungsmittel-Produktlinien und 14 Futtermittel in Russland zugelassen und registriert.“

[…]

„Im Juni 2012 äußerte Rospotrebnadzor, die wichtigste russische Behörde für die staatliche Kontrolle über genetisch veränderte Lebensmittel, die Absicht, ein positives Bild von Genprodukten in der russischen Gesellschaft zu verbreiten.“

Es ist schon bemerkenswert, wie in russischen Propaganda-Publikationen, die für das AUSLAND gedacht sind, die russische Regierung als strikter Gentech-Gegner porträtiert wird. Laut Umfragen mögen die Russen zwar Gentech nicht besonders, sie kaufen es aber trotzdem. Der Grund: Gentech-Produkte sind billiger. Russland zimmert jetzt gerade in diesem Augenblick an der Bürokratie für den offiziellen, großflächigen Gentech-Anbau. Erinnern sie sich noch an die 4000 Quadratkilometer inoffiziellen Genanbau, die es bereits gibt?

Medwedews großer Bluff

Im Juni folgte dann die theatralische Ankündigung von Premierminister Medwedew bei einem Treffen von Partei-Apparatschniks aus ländlichen Bereichen: Moskau hätte keinen Grund, genetisch veränderte Produkte zu fördern. Er hätte eine stärkere Beobachtung des Marktes anberaumt. Die Meldungen aus den russischen Medien enthalten nur Hinweise auf politische Forderungen, die aus diversen Richtungen geäußert wurden. Nichts wirklich Konkretes. Einige Abgeordnete der herrschenden Partei Einiges Russland wollten zum Beispiel eine Gesetzesänderung über Höchstgrenzen für Genanbau. Russia Today berichtete sogar, dass es „gegenwärtig keine Grenzen gäbe“ im Bezug auf den Handel mit und der Produktion von Nahrungsmitteln mit Gentech-Anteil. Lediglich eine Kennzeichnung sei vorgeschrieben. Die Regierung hätte im vergangenen Herbst sogar eine Resolution verabschiedet, mit der gentechnisch veränderte Pflanzen in das Unified State Register aufgenommen werden können.

Wo ist also das Gentech-Verbot in Russland? Das Einzige das sich bestätigen lässt, sind Absichten über Benachteiligungen gegen US-Konzerne. Ansonsten findet man nichts als schöne Worte verlogener Politiker und politische Forderungen aus verschiedenen Richtungen. Das russische Gentech-Verbot ist ein Mythos wie die Existenz von Feen und Elfen. Anfang Juni veröffentlichte der Russland-Korrespondent Wladislaw Worotnikow, ein absoluter Experte, im Landwirtschaftsmagazin AllAboutFeed einen Artikel, laut dem ab Juli Farmer in Russland Gensaat kaufen und anbauen dürfen. Richtig losgehen soll es erst ab 2016.

Um die Verwirrung perfekt zu machen, verkündete Medwedew im April das Hinauszögern des Anbaustarts „um drei Jahre“. Nicht weil das Gesetz vom letzten Herbst falsch sei, sondern weil man mehr Zeit brauche für die Bürokratie und Tests. Ich kann mir vorstellen, wie in Russland Gentech an Menschen ausprobiert wird! Mehr Zeit braucht man wohl eher für die lahmende, von Korruption zerfressene russische Wirtschaft, um selbst Genprodukte marktreif zu machen. Bis sich die Mafia-Oligarchen einigen, wer wieviel vom Business abbekommt, dauert schließlich auch seine Zeit. Die Verzögerungstaktik soll verhindern, dass ausländische Firmen wie Monsanto und Syngenta in Russland früh einen Vorsprung bekommen.

Das war’s dann wohl mit den vollmundigen Behauptungen der „Wahrheitsbewegung“, dass Russland Gentechnik verbieten werde. Würde Russland das tatsächlich versuchen, moniert die Welthandelsorganisation sofort eine „ungerechte Handelsbarriere“. Vergrätzt Russland zu schnell die WTO, kann man die eigene schwache Wirtschaft gleich vergessen. Auch China beugte sich bereits und nahm leider die Kennzeichungspflicht für Genprodukte wieder zurück.

Gentech ist also noch lange nicht verbannt aus dem russischen Imperium. Ganz im Gegenteil. Die russische Führung ist lediglich sehr gekonnt darin, Dreiviertel-Lügen zu benutzen um Stimmung zu machen. Wenn ihnen das nächste Mal jemand aus den alternativen Medien eine „Sensationsmeldung“ andrehen will oder jemand auf Facebook im Brustton der Überzeugung Unwahrheit verbreitet, kommen sie lieber gleich zu Recentr.

Die meisten „alternativen“ Medien verkaufen ihnen einfach Mainstream-Meldungen aus dem Osten. Und dann nicht einmal die Richtigen.

AlexBenesch
AlexBenesch
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