Kommentar
Die Union hat die Gespräche mit der Bundesregierung über ein gemeinsames Vorgehen in der Migrationspolitik abgebrochen. Die Koalition will an dem kaputten Dublin-System nur ein klein wenig herumdoktern und auf den St. Nimmerleinstag warten, an dem die EU ihre Außengrenzen sichern kann.
Unionsfraktionschef Friedrich Merz sagte, der Kernpunkt seien umfassende Zurückweisungen an den deutschen Staatsgrenzen. Wären die SPD und Grünen eingeknickt, hätte dies der CDU erheblichen Auftrieb gebracht. Die AfD hätte ihr einziges Zugpferd-Thema verloren. Die SPD und Grünen müssen so oder so mit bleibenden Schäden an ihrer Popularität rechnen. Das Thema ist so emotional besetzt und verankert, dass die beiden Parteien sich jeweils innerhalb der eigenen Reihen und mit ihren verbleibenden Anhängern zerstreiten würden.
Innenministerin Faeser brachte eine zahnlose Idee vor: Eine Art Grenzverfahren, um Leute von der Einreise nach Deutschland abzuhalten und schnell wieder in das zuständige EU-Land zurückzuschicken. Die vorherrschenden Dublin-Regeln funktionieren aber nicht.
Die Bundespolizei müsste, wenn jemand ein Asylgesuch äußert, prüfen, ob womöglich ein anderer EU-Mitgliedsstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Personen bereits in der Identifizierungsdatenbank Eurodac stehen. So etwas sollte eigentlich längst selbstverständlich sein. Bei einem Treffer könnte man die Personen verhaften und dann (theoretisch) zurückschicken. Es gibt aber zu wenige Haftkapazitäten, andere Länder wollen die Menschen nicht mehr zurückhaben und es gibt eine Menge weiterer Schlupflöcher.
Deutschland konnte 2022 nur 458 von 70.000 „Dublin-Flüchtlingen“ in andere Mitgliedstaaten zurücküberstellen. Die Sache ist also ein kompletter Rohrkrepierer. Man wird praktisch niemanden wieder los.
Es gab in einem Jahr 217.774 Erstanträge auf Asyl in Deutschland. Zu 49.834 dieser Anträge konnten Treffer im sogenannten Eurodac-System gefunden werden. Also mehr als drei Viertel sind gar nicht erfasst. Meistens, weil andere Länder die Registrierung gar nicht wollen, damit diese Migranten schön weiter nach Deutschland reisen können.
Etwa 50 % der Übernahmeersuche wurde von den Mitgliedsstaaten zugestimmt. Heißt, dass man knapp 10% der Leute mit Erstanträgen in Deutschland wieder los wird. In der Theorie. Wenn ein Migrant sechs Monate nach Zustimmung noch nicht überstellt wurde, geht die Zuständigkeit an Deutschland über. In der Dublin-Abteilung des BAMF sind derzeit nur 376,5 Vollzeitkräfte beschäftigt.
2017 beklagten österreichische Behörden, dass die Dauer eines solchen Verfahrens bei mehreren Wochen liege. Die aufgegriffenen Personen dürften aber nur 72 Stunden festgehalten werden. Der überwiegende Teil der Menschen setze sich nach der Freilassung ab, bevor das Dublin-Verfahren abgeschlossen sei.
Die Generalanwältin des Europäischen Gerichtshofes, Eleanor Sharpston, erklärte im Zusammenhang mit den Folgen der Flüchtlingskrise in Europa 2015, dass die Verordnung die „außergewöhnlichen Umstände eines Massenzustroms“ nicht vorsehe.
So könnten nach dem Europarechtler Daniel Thym die Personen, die 2015 und 2016 während der Flüchtlingskrise nach Nordeuropa wanderten, nicht in andere europäische Staaten zurückgeschickt werden, weil das innerhalb von drei Monaten nach ihrer Ankunft hätte geschehen müssen.
Andere Staaten halten sich nur begrenzt an die Dublin-III-Verordnung. Österreich hat angekündigt, dass es gar keine Asylsuchenden von der deutschen Grenze zurücknehmen würde.
Die Reform des GEAS, des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, will eine Neuordnung. An den Außengrenzen der EU sollen Verfahren durchgeführt werden. Irgendwann.