Sogenannte „Verschwörungstheoretiker“ vermarkten sich als mutige Experten über organisiertes Verbrechen und illegale Geheimdienstoperationen, ohne wirklich denken zu können oder zu wollen wie professionelle Ermittler oder Geheimdienstler. In aller Regel kennen sie nicht einmal die weitreichende Sachliteratur über die Geheimdienste des 20. Jahrhunderts und die Geschichtsforschung zu den bedeutenden Imperien.
Es reicht in der Szene, ein paar Versatzstücke zu kennen und die altbekannte Denkschablone zu verwenden. Jeder aktuelle Vorfall, jede verhasste Politik, lasse sich zurückführen auf die Illuminaten und eine mehrhundertjährige (manche sagen mehrtausendjährige) Verschwörung von Juden. So könne jeder Aktivist vor dem Bildschirm quasi jeden Fall innerhalb von fünf Minuten lösen.
In der Geheimdienstwelt hingegen sammeln Profis mühsam Informationen und die Auswerter erstellen Berichte für die gewählten Politiker. Es wird offen in alle möglichen Richtungen ermittelt, was auch Jahre dauern kann. Man möchte herausfinden, wie Dinge wirklich sind.
Fragt man Historiker, auch solche die auf Geheimdienste spezialisiert sind, werden diese sagen, dass es vor dem 20. Jahrhundert keine großen staatlichen Geheimdienste gegeben hätte. Denn es seien schlicht keine Akten vorhanden, die man auswerten könnte. Inzwischen haben Forscher wie Professor Claus Oberhauser aus Österreich realisiert, dass die damaligen (Groß-)Reiche wie Britannien durchaus über ernstzunehmende Strukturen verfügten. Oberhauser folgte der Spur des britischen Agenten Alexander Horn und dessen Verbindungen zu den ersten großen Bestseller-Verschwörungsbüchen. In Archiven des Foreign Office fanden sich auch dahingehend Akten.
Die Verschwörungsautoren aus mehr als 200 Jahren wollten schlichtweg das Feld beackern, um das die Historiker lange Zeit einen Bogen gemacht hatten; das Vakuum füllen mit völlig irrsinnigen Ideen, die jedem Grundsatz geheimdienstlicher Realität zuwiderlaufen.
Die üblichen Verdächtigen
In einem düsteren Witz aus den frühen 1930er-Jahren stöbert ein jüdischer Mann vergnügt im Nazi-Propagandablatt „Der Stürmer“. Seine verblüfften Freunde protestieren:
„Warum guckst du dir diesen Müll an? Und wie kommt es, dass es dir so viel Spaß macht?“
„Weil“, antwortet er, „wenn ich die jüdischen Zeitungen lese, dann steht da immer drin, dass es uns furchtbar geht. Aber hier sind die Nachrichten alle gut. Wir kontrollieren die Banken, wir kontrollieren das Land – wir regieren die ganze Welt!“
Der französische König Philip IV (1268 – 1314) aus der Linie der Kapetinger wähnte bereits überall Verschwörungen gegen sich: Britische Agenten. Juden. Sogar hohe katholische Kirchenfunktionäre, die die massiven neuen Steuern nicht an die Krone entrichten wollten. Dann sogar die Tempelritter. Die französischen Kapetinger zofften sich, auch propagandistisch, mit dem zeitweise sehr mächtigen Haus Anjou-Plantagenet. Später mit Welfen, Wettinern und Reginaren. Die Habsburger beschuldigten die Hohenzollern und umgekehrt. Der katholische Vatikan, der lange Zeit von den Kapetingern kontrolliert wurde, bezeichnete abweichende christliche Strömungen und später die größeren Konkurrenzkirchen als Verschwörung. Genauso die Aufklärungsbewegung. Die Aufklärer wiederum wähnten überall düstere Agenten der Jesuiten, die eifersüchtig die katholische Herrschaft verteidigten und sich beteiligt hatten an dem Plot, das britische House of Lords in die Luft zu jagen. Da alle bedeutenden Kreise Geheimoperationen verwendeten und strenge Gesetze unliebsame Handlungen unter Strafe stellte, gab es natürlich genügend Ausgangsmaterial, das man benutzen konnte für Propagandaoperationen. Man hatte es also nicht ständig nur mit platten Fälschungen zu tun. Bestimmte Arten von Fakes richteten sich zu unterschiedlichen Zeiten gegen unterschiedliche Ziele. Unterstellungen satanischer Rituale trafen sowohl vermeintliche Hexen, als auch Juden. Letztere hätten immer wieder kleine Kinder entführt, gefoltert und im Stile von Jesus hingerichtet, um deren Blut zu konsumieren und ritualmagische Kräfte nutzbar zu machen. Die katholische Kirche hatte im Zuge der Hexenverfolgung tatsächlich Menschen entführt und nach einem Handbuch gefoltert und hingerichtet, aber Juden galten als zuverlässige Quelle von Steuergeldern und deshalb verbot der Vatikan ganz offiziell per Deklarationen diese antijüdischen Verfolgungsjagden, was aber leider nicht immer befolgt wurde in den unterschiedlichen Städten Europas. Martin Luther, der im Zusammenspiel mit bestimmten Adelslinien eine Konkurrenzkirche zu den Katholiken etablierte, veröffentlichte eine antisemitisch gefärbte Bibelübersetzung und neben einer Reihe an Texten 1543 das Werk „Von den Juden und ihren Lügen“, obwohl nördlich der Alpen im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation weniger als 40.000 Juden lebten. Legenden über Brunnenvergiftungen und Ritualmorde wurden aufgewärmt, obwohl er diesen Krempel zuvor eigentlich verworfen hatte.
„Jawohl, sie halten uns in unserem eigenen Land gefangen, sie lassen uns arbeiten in Nasenschweiß, Geld und Gut gewinnen, sitzen dieweil hinter dem Ofen, faulenzen, pompen und braten Birnen, fressen, sauffen, leben sanft und wohl von unserm erarbeiteten Gut, haben uns und unsere Güter gefangen durch ihren verfluchten Wucher, spotten dazu und speien uns an, das wir arbeiten und sie faule Juncker lassen sein […] sind also unsere Herren, wir ihre Knechte.“
Zu der Zeit galt noch die Bauern-Leibeigenschaft und das Gottesgnadentum des herrschenden Adels. De facto waren Adel und Kirche zweifelsfrei die Ausbeuter in den verschiedenen Ländern Europas. Eine jüdische Person auch nur zu Gesicht zu bekommen, war ein äußerst seltenes Ereignis. Auch die Geldverleiher waren, entgegen der Mythen über damaligen Zinsverbote, zumeist christlich. Jüdische Geldverleiher hatten ein gewaltiges Ausfall-Risko zu tragen bei größeren Transaktionen und konnten dieses nicht einfach beliebig durch Wucherzinsen ausgleichen. In den allermeisten Fällen ging es sowieso nur um kleine, kurzfristige Kredite für gewöhnliche Bürger. Adelige benutzten auch immer wieder Juden als Eintreiber von Steuergeldern aus der generellen Bevölkerung. Diejenigen Adeligen, die Martin Luther unterstützten und gegen den Willen des Vatikans Konkurrenzkirchen kultivierten, nutzten selbst manche Juden als sogenannte „Hoffaktoren“; damit sind Beschaffer und Händler gemeint. Im Jahr 1600 landete William Shakespeare, Mitglied der sogenannten „King’s Men“, einer Künstlertruppe unter Schirmherrschaft des britischen Königs, einen Erfolg mit dem Theaterstück „Der Kaufmann von Venedig“. Die Handlung dreht sich zu einem großen Teil um den venezianischen Kaufmann Antonio, der sich bei dem jüdischen Geldverleiher Shylock einen Kredit holt und dem bizarren Vertrag zustimmt, bei Nichtbegleichung der Schulden ein Pfund seines Muskelfleisches herzugeben. Als es soweit kommt, hat Shylock tatsächlich ein Messer und eine Waage bereit, aber Antonio wird gerettet durch die Gesetzeslage, laut der kein Blut vergossen werden darf. Zudem gilt der Jude als Fremder, und hat mit seinen Absichten ein schweres Verbrechen begangen, das mit der Todesstrafe und dem Verlust aller Güter bestraft wird. Ein damaliges Verzeichnis von Druckschriften listet als Alternativtitel des Stücks „Der Jude von Venedig“. Der englische Dichter Christopher Marlowe veröffentlichte 1589 „Der Jude von Malta“ in der der gierige Kaufmann Barnabas eine hinterhältige Aktion nach der anderen vollbringt und über viele Leichen geht, um letztendlich den Osmanen bei der Eroberung von Malta zu helfen. Als neuer Gouverneur von Malta hintergeht er sofort die Osmanen, aber verheddert sich in seinen Machtspielchen und stürzt in einen Kessel kochendes Wasser. Englische Juden waren bereits 1290 unter Edward I. vertrieben worden und durften erst 1656 unter der Herrschaft von Oliver Cromwell zurückkehren. Die berühmte Geschichtensammlung „The Canterbury Tales“ aus den späten 1300er Jahren von Geoffrey Chaucer, dem „Vater der englischen Literatur“ der immerzu für den Adel gearbeitet hatte, enthält unter anderem „The Prioress’s Tale“. Darin geht es um ein paar Juden, die sich von dem Teufel dazu anstacheln lassen, einen siebenjährigen christlichen Jungen zu töten. Die Leiche singt, wie durch ein Wunder, eine Hymne an Maria, die Mutter Gottes. Die Behörde ließ die verantwortlichen Juden an Pferde binden, zu dem Galgen schleifen und hängen. Die Geschichte endet mit einer Erwähnung der Legende um „Hugh of Lincoln“ über einen englischen Jungen, der einem jüdischen Ritualmord zum Opfer gefallen sei. König Henry III höchstpersönlich reiste zu dem Ort und ordnete ganz offiziell die Anklage und Verurteilung an wegen Ritualmord. Henrys Bruder war ausgerechnet der Staatsfunktionär Sir John of Lexington. Der Tatverdächtige sagte unter massivem Druck aus, dass Juden aus ganz England beteiligt gewesen seien und man den Jungen wie Jesus gegeißelt und mit einer Dornenkrone gekreuzigt hätte aus schwarzmagischen Zwecken und als Anspielung auf den Tod von Jesus. Die Leiche des Jungen wurde in der Kathedrale von Lincoln bestattet und mit einem Schrein und dem Status als Märtyrer geehrt. Allerdings weigerte sich die katholische Kirche, ihn später heiligzusprechen. Es gab noch viele weitere solche Vorfälle wie William of Norwich in England, Simon von Trento in Italien, Werner von Oberwesel in Deutschland, Andreas Oxner in Österreich und diverse in Frankreich. Die Erzählung vom Ritualmord an Andreas Oxner wurde bekannt unter dem Titel „Der Judenstein“ und wurde von den Brüdern Grimm in „Deutsche Sagen“ (1816/1818) aufgezeichnet.
Im Jahr 1462 überredeten einige Juden im Dorf Rinn in Tirol einen armen Bauern, ihnen sein kleines Kind gegen eine große Geldsumme auszuliefern. Sie brachten das Kind hinaus in den Wald, wo sie es auf einem großen Stein auf die unsagbarste Weise zu Tode martyrierten. Seit dieser Zeit wird der Stein Judenstein genannt. Anschließend hängten sie die verstümmelte Leiche an einer Birke unweit einer Brücke auf.
Es ist vergleichbar mit Fake-Berichten und Memes im heutigen Internetzeitalter. Es verbreitet sich viral und findet viele Nachahmer. Je mehr Verbreitung es erfährt in mehr Varianten, umso größer wirkt die Überzeugungskraft. Das übergreifende Narrativ war das eines organisierten, satanischen Netzwerkes, das nach vorgegebenen Mustern an wechselnden Orten Ritualmorde beging, die Tötung von Jesus dadurch nachahmte, Hostien schändete, und schwarzmagische Vorteile daraus zog, in der Erwartung, sich schrittweise einem ganz großen Ziel damit anzunähern, nämlich der Neu-Etablierung eines jüdischen (Welt-)Reiches. Aus Versatzstücken wie den Ritualmord-Geschichten und literarischen Figuren wie Barnabas aus „Der Jude von Malta“ ließen sich später ohne große Mühe die Legenden spinnen, laut denen die Rothschilds und andere jüdische Clans die christlichen Reiche Europas gegeneinander aufhetzten und in Kriege verwickelten. Erinnern wir uns an Barnabas: Er hilft den Osmanen, hintergeht dabei Malta und macht dadurch einen Karrieresprung. Sogleich hintergeht er die Osmanen und möchte deren Gegnern helfen. In den 1800er Jahren wurden manche jüdischen Bankhäuser wie Rothschild bedeutender in verschiedenen, miteinander verfeindeten Reichen. Die fünf Söhne des Mayer Amschel Rothschild führten fünf Zweige des Familiengeschäfts in Deutschland, Österreich, Frankreich, England und Italien. Mayer Amschel hatte Zahlungen bearbeitet von der britischen Krone für die Truppen, die gegen Frankreich kämpften in den Napoleonischen Kriegen. Den preußischen Hohenzollern halfen die Rothschilds, Investorengeld zu beschaffen für einen Krieg gegen die Franzosen. Wenn wir gedanklich außer Acht lassen, dass der Rothschild-Clan vom Landgraf von Hessen-Kassel und der britischen Krone rekrutiert worden war und höchstwahrscheinlich völlig unter Kontrolle der Krone stand, haben wir es mit gewöhnlichen Vorgängen zu tun. Und genau das führt uns direkt zu dem zentralen Schwachpunkt der antijüdischen Verschwörungsnarrative: Jede bedeutende Gruppe des Mittelalters arbeitete mit den gleichen Werkzeugen. Juden hatten nicht einmal einen Heimatstaat und somit die schlechtest-möglichen Voraussetzungen für geheimdienstliches Handeln. Gängige Verschwörungsideologen behaupten nicht weniger, als dass Juden geheimdienstliche Wunder in Serie vollbracht hätten, während die etabliertesten Imperien agierten wie Amateure.
Die antijüdischen Verschwörungsmythen, die durch Ritualmord-Geschichten, Shakespeare-Stücken oder Luthers Schriften heranreiften, spielten lange Zeit eine untergeordnete Rolle im Vergleich zu den Büchern und Pamphleten gegen Jesuiten, Freimaurer und Illuminaten. Alle grundlegenden Techniken, die den verschiedenen Gruppierungen angelastet wurden, waren in etwa gleich: Okkulte Rituale in geheimen Logentreffen, das Stiften von Chaos und Streit, Gegner gegeneinander ausspielen. Jedes Imperium der Antike hatte so gearbeitet. Jede Organisation von Bedeutung konnte so arbeiten. Der französische König hatte den Tempelritterorden zerschlagen, weil jenem vorgeworfen wurde, einen eigenen Imperialismus zu verfolgen. Die Templer waren eine Mischung geworden aus multinationalem Misch-Konzern, Armee und Geheimbund. Damit antijüdische Verschwörungs-Ideen überhaupt zünden konnten, brauchte es zuerst jüdische Banker von einer gewissen Statur. Erst dann konnte man Juden attestieren, sie würden heimlich die Staaten unterwandern und christliche Reiche gegeneinander in Kriege verwickeln. Unzählige kleinere Gruppen versuchten überall auf der Welt ihr Glück. Juden waren nach imperialistischen Maßstäben gemessen noch nicht einmal in der Kreisliga angekommen. Da sie kein eigenes Land kontrollierten, fehlte ihnen ein Rückzugsort, eine Kommandobasis. So etwas lässt sich nicht ersetzen durch ein loses Netzwerk aus Ghettos und gewisse übergreifende Gremien. Für geheimdienstliche Arbeit auf höherem Niveau muss man staatliche Strukturen besitzen und in der Lage sein, falsche Identifikationspapiere oder andere wichtige Papiere auszustellen, oder eine Legende für einen Agenten zusammenbasteln, die einer Hintergrundprüfung standhielt. Juden in Europa waren streckenweise in europäischen Ländern völlig unerwünscht, ansonsten auf Ghettos beschränkt, überwacht und rechtlich in der schlechtest-möglichen Situation. Kam der Verdacht auf, Juden hätten sich im Auftrag einer ausländischen Macht als Agenten rekrutieren lassen, waren problemlos Durchsuchungen, Verhaftungen, Enteignungen und Hinrichtungen möglich. Der Hochadel hingegen konnte aus den Vollen schöpfen. Tarnstrukturen? Kein Problem. Falsche Papiere? Kein Problem. Ausbildungseinrichtungen für Agenten? Kein Problem. Dennoch gelang es der Verschwörungsliteratur ab den 1840er Jahren, die Idee einer jüdischen Mega-Geheimstruktur zu etablieren. Der Hochadel sei dumm und naiv gewesen und unfähig zur Spionageabwehr. Familien wie die Rothschilds hätten mit gewöhnlichen Krediten, Teile-und-Herrsche-Taktiken und einem Nachrichten-Kuriersystem die mächtigsten Imperien ausgehebelt.
Hoffaktoren
Bereits Karl der Große soll den Juden Isaak aus Aachen rekrutiert haben, um zu dolmetschen bei den Kontakten zu muslimischen Kalifen. In den folgenden Jahrhunderten sah man mehr dieser sogenannten Hoffaktoren oder „Hofjuden“, die gezielt rekrutiert wurden und Privilegien genossen, aber dem Adel völlig ausgeliefert waren. Es gab bestimmte Gesetze, die den Juden jederzeit den Boden unter den Füßen wegziehen konnte und darüber hinaus war immer das Druckmittel der Sippenhaft gegeben. Ein Verräter musste damit rechnen, dass seine Familie zuhause samt Verwandtschaft oder gleich der ganzen lokalen jüdischen Community bestraft wurde. Umgekehrt war es möglich, Loyalität zu belohnen mit Geld und mit neuen Freiheiten für die Juden. Manche Familien, die sich über mehrere Generationen als treue Diener des Adels bewiesen hatten, heirateten untereinander oder gar ihre eigenen Cousinen, was dem Muster der Aristokratie entsprach. Die Masche war für den Hochadel nichts Neues. Die stetig anwachsenden Gesellschaften und ihr Konsum von gedruckten Erzeugnissen brauchten immer mehr Verwalter und deshalb rekrutierte man verlässliche, loyale Personen aus den bürgerlichen Schichten, die sich über Generationen hinweg beweisen mussten und teils sogar mit niederen Adelstiteln bedacht wurden. Der Nazi-Propagandafilm „Jud Süß“ von Veit Harlan aus dem Jahr 1940 drehte sich um den Hoffaktor Joseph Süß Oppenheimer, der mit diabolischer Energie Geheimer Finanzrat unter Herzog Karl Alexander von Württemberg wird und jenem immer mehr Luxus ermöglicht, was zu Unruhen führt. Im Auftrag der jüdischen Megaverschwörung sollte so Chaos gestiftet werden. Die reale Person Oppenheimer belegt allerdings nicht das Geschichtsbild der Nazis, sondern widerlegt es. Er verfügte nicht einmal über die ohnehin schon sehr dünnen Bürgerrechte der damaligen Zeit und musste auf Befehl unpopuläre Reformen umsetzen. Auf den Tag genau an dem Ableben des Herzogs wurde Oppenheimer samt Personal verhaftet, Akten beschlagnahmt und sein gesamtes Vermögen eingezogen. Die Anklagepunkte waren vielfältig und ihm blieb in Einzelhaft und unter den damaligen Verhörmethoden keine Möglichkeit, seine Rechte zu wahren. Es gab keinen jüdischen Staat, der sich über diplomatische Kanäle für ihn hätte einsetzen können. Das Schreiben seines Anwaltes wurde vom Gericht ignoriert und aus den Prozessakten herausgehalten, das Gericht tagte unter Ausschluss der Öffentlichkeit und das Todesurteil stand von vorneherein fest. Die Hinrichtung war ein groteskes Spektakel unter Sonderbewachung mit geschätzten 20.000 Zuschauern und einem Spezialkäfig für die Leiche. Bis 1918 waren die 7,5 Regalmeter Prozessakten geheim und bis zum heutigen Tage wurden sie nicht vollständig ausgewertet.
Im selben Jahr als die Nazi-Verfilmung in die Kinos kam (1940) startete auch der Streifen „Die Rothschilds. Aktien auf Waterloo“ in dem das Narrativ der verräterischen Hofjuden weitergesponnen wurde. Der Kurfürst Wilhelm von Hessen-Kassel beauftragte Mayer Amschel Rothschild, 600.000 englische Pfund nach London in Sicherheit zu bringen vor den Eroberungs-Feldzügen Napoleons. Diese Summe sei von den Rothschilds zweckentfremdet worden, um den eigene Familien-Reichtum zu vergrößern. Noch Jahrzehnte später stand diese Legende in einigen der populärsten Verschwörungsbücher weltweit. Als Quelle wird immerzu die „Jüdische Enzyklopädie“ angegeben, was sich besonders glaubwürdig anhören soll. „The Jewish Encyclopedia“ erschien nur zwischen 1901 und 1906. Erst in den 1960er Jahren gab es eine Neuveröffentlichung. Sogar der französische Zweig der Rothschilds wollte das Projekt mitfinanzieren. Heutzutage findet sich die komplette, unveränderte Enzyklopädie im Netz, sowohl die Scans der Originale als auch eine Abschrift des Textes. Nirgends ist die Rede von unterschlagenem Geld. Rothschild habe für den Landgraf den wesentlichen Teil des gräflichen Besitzes nach Dänemark gebracht. Rothschild saß in Frankfurt noch auf verbleibenden Wertgegenständen des Grafen im geschätzten Wert von 600.000 Pfund, die in Kisten versteckt wurden, damit Napoleons Soldaten sie nicht finden konnten. Laut der jüdischen Enzyklopädie hätte Mayer Rothschild Geld des Landgrafen an seinen Sohn Nathan Rothschild in England geschickt, damit jener Gold im Wert von 800.000 Pfund kaufen konnte von der British East India Company, das benötigt wurde für Englands Krieg gegen Napoleon. Nirgendwo belegt die Jüdische Enzyklopädie auch nur ansatzweise, dass die Rothschilds ein Vermögen gestohlen hätten vom Landgrafen und der Krone, ohne erwischt zu werden. Die Legende ist eine der Achilles-Fersen des Nazi-Narrativs. Der Hochadel sei so dumm und unorganisiert gewesen, dass man den Verlust oder die Zweckentfremdung von 600.000 Pfund nicht bemerkt hätte. Selbst wenn nur der Verlust eines Bruchteils dieser Summe ungeklärt gewesen wäre, hätte es der gesamten Rothschild-Familie ergehen können wie einst Joseph Süß Oppenheimer: Verhaftung inklusive Personal, Anklagen, Enteignung, Todesurteil. Hätten lediglich Zweifel bestanden an der Loyalität, wären die Rothschilds zumindest von künftigen wichtigen Geschäften ausgeschlossen worden. Die Wahrscheinlichkeit ist enorm hoch, dass der Landgraf und die britische Krone die nahezu vollständige Kontrolle besessen hatten über die Rothschilds, denn dies entspräche der damaligen Logik eines Imperiums und dem völlig grundsätzlichen Vorgehen von Geheimdiensten. Uns liegen natürlich keine bequemen Akten vor, die eine solche Agententätigkeit beweisen, aber angesichts des Dunkelfelds und des historischen Kontexts macht es schlichtweg keinen Sinn, davon auszugehen, dass das mächtige britische Imperium signifikante Risiken eingehen würde mit einer jüdischen Kleinstfamilie, die eine Generation zuvor noch im Frankfurter Ghetto gelebt hatte. Die Krone war bekannt dafür, ausgewählten nicht-adeligen Personen Privilegien und Aufgaben anzuvertrauen, und sich dabei nach allen Regeln der Kunst abzusichern. Kein Historiker kann ausschließen, dass irgendwo in den Tresoren des Hochadels geheime Eigentümer-Verträge lagen. Ein Geheimdienstler heute denkt anders als ein Historiker. Der Geheimdienstler ist es gewohnt, mit einem Dunkelfeld zu arbeiten, in Wahrscheinlichkeiten bei verschiedenen Szenarien zu denken und sich schrittweise der Realität anzunähern. In dem Nazi-Film über die Rothschilds wird dann die nächste Achillesferse des Verschwörungsnarrativs präsentiert; nämlich der Mythos, laut dem Nathan Rothschild den Londoner Aktienmarkt mit dem Gerücht manipuliert hätte, Napoleon hätte die Schlacht bei Waterloo gewonnen. Erstens basierte dies nur auf der unwahren Erzählung eines anonymen französischen Autors aus den 1840er Jahren und ließ sich nie erhärten. Zweitens widerspricht es jeglicher Logik, dass privilegierte jüdische Banker derartig die britische Krone hintergehen und darüber hinaus nicht einmal bestraft werden. Dem Nazi-Film zufolge sei auf der ursprünglichen Basis des geklauten/zweckentfremdeten Geld des Fürsten von Hessen-Kassel ein Vermögen von elf Millionen britischer Pfund ergaunert worden. Der Historiker Niall Ferguson schätzt, dass die Rothschilds nach Waterloo mit völlig gewöhnlichem und legalem Handel nur einen bescheidenen Gewinn erwirtschafteten, der heutzutage nur etwa 600 Millionen Pfund entspricht. Sobald die Narrative über jüdische Hoffaktoren kollabieren, bricht auch der ganze Rest der Argumentationskette zusammen. Jüdische Kleinstfamilien konnten nicht das britische Empire nach Strich und Faden betrügen und nicht auf eigene Rechnung über Krieg und Frieden entscheiden und irgendwelche europäischen Staaten nach Belieben in Kriege verwickeln. Um Antisemitismus wirklich effektiv und dauerhaft zurückzudrängen, müsste man die geheimdienstlichen Ebenen der damaligen Zeit bis heute rekonstruieren, aber dies ist in westlichen Ländern unerwünscht, weil es von einem Thema geradewegs zum nächsten führen könnte. Die Naziführung begriff die Vernichtung von Juden als Spionageabwehr und „Endlösung“ für den angeblichen Kreislauf der Zerstörung von römisch beeinflussten Imperien durch jüdische Subversion. Nach dem Ersten Weltkrieg waren die deutschen Kriegsverlierer wütend auf die Briten und Amerikaner. Offiziell endeten 1919 die Standesvorrechte des deutschen Adels und gleichzeitig endete in Russland die Herrschaft der Zaren. Sogleich verbreitete sich die Fälschung „Protokolle der gelehrten Weisen von Zion“ nebst begleitender Literatur im Westen und unterstellte, nicht etwa angloamerikanische Eliten hätten Deutschland als Empire zerstören wollen, sondern eine geheime Juden-Loge. Die Argumentation ist zirkulär: Die Protokolle von Zion würden die Weltverschwörung beweisen. Die Echtheit sei abzulesen an dem Verlauf des 20. Jahrhunderts, der den Vorhersagen der Protokolle entspräche. Wie wird aber das 20. Jahrhundert interpretiert? Entsprechend der Protokolle. Außerdem würde ja der Waterloo-Reibach der Rothschilds und deren Diebstahl von Geldern des Hauses Hessen-Kassel belegen, dass Juden die Macht über Britannien und später die USA übernommen hätten. Demzufolge seien von dem Zeitpunkt an alle Sünden des angloamerikanischen Imperiums in Wirklichkeit jüdische Sünden. Und diese Sünden würden die Echtheit der Protokolle beweisen. Was sind wiederum die Quellen der Behauptungen über die Rothschilds? Gängige Verschwörungsbücher. Was sind die Quellen der Verschwörungsbücher? Ältere Verschwörungsbücher. Was sind deren Quellen? Neben nichtssagenden Angaben in der Jüdischen Enzyklopädie und unbestätigten Geschichten anonymer französischer Autoren würden die Protokolle von Zion natürlich den Wahrheitsgehalt der Verschwörungsbücher belegen. Das dreht sich endlos im Kreis. Gängige Verschwörungsmedien funktionieren wie eine Art riesiger Trichter, der zunächst einen breiten Durchmesser hat, um mit möglichst vielen Themen möglichst viele Leute einzufangen. Je mehr man darauf einsteigt, umso mehr wird man an das angloamerikanische Imperium herangeführt. Und dahinter stünden letztendlich die „Weisen von Zion“.
The Search for the „Manchurian Candidate“: The CIA and Mind Control: The Secret History of the Behavioral Sciences. Von John Marks
America’s Secret Establishment: An Introduction to the Order of Skull & Bones. Von Antony C. Sutton
Rainmaking Is Used As Weapon by U.S. von Seymour Hersh. NY Times, 3. Juli 1972
Eine Tarnorganisation platzt
Die Verwandten des britischen Königshauses kontrollierten auf deutschem Boden eine Reihe an kleineren Fürstentümern, Grafschaften und Mini-Königreichen, was die ideale Voraussetzung war, um Operationen durchzuführen, die sich gegen Frankreich richteten. Der berüchtigte bayerische Illuminatenorden vermarktete sich als aufklärerische Gruppe, war aber wohl letztendlich nur eine Tarnorganisation der britisch-adeligen Geheimdienste. Es ist völlig paradox, von Aufklärung zu reden, also der Überwindung der altmodischen Adelsherrschaft, wenn die wichtigsten Mitglieder der Illuminaten zum Hochadel zählten. Die bayerische Polizei erbeutete Mitgliederlisten und interne Dokumente der Illuminaten und zu allem Übel landeten die Informationen international in Zeitungen und Pamphleten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der Verdacht auf den britischen Geheimdienst fallen würde, was erhebliche Konsequenzen gehabt hätte. Es wären eventuell weitere pseudo-aufklärerische Tarnorganisationen und Agenten-Ringe auf deutschem Boden geplatzt, und zudem hätten selbst Hochadelige aus dem Spektrum der Welfen, Wettiner und Reginare mächtig Ärger bekommen können auf deutschem Boden. Die Reise des bedeutenden Illuminaten Johann Bode nach Paris im Jahre 1787 erregte besondere Aufmerksamkeit im Nachhinein. Auf dieser Reise tauschte sich Bode in langen Gesprächen mit Mitgliedern der Pariser Loge Les Amis Reuni aus und warb für die Ideen der Illuminaten. Es wäre verkehrt, die Schlussfolgerung zu ziehen, die Illuminaten hätten den entscheidenden Einfluss ausgeübt auf die französischen Logen. Die überlieferten Schriften des Ordens sind eine Art Eintopf aus Versatzstücken des Freimaurertums über „Sittlichkeit“ und „Perfektion des Menschen“, die erreicht werden sollten durch ein gewisses Maß an Subversion, aber nicht zuviel davon. Es brauchte ein Ablenkungsmanöver, das zugleich die allermeisten Mitglieder der Illuminaten in Schutz nimmt, und die Radikalisierung der französischen Logen als ein hauptsächlich französisches Phänomen beschreibt. Innerhalb kürzester Zeit erschien eine Reihe an Verschwörungsbüchern in unterschiedlichen Sprachen und für unterschiedliche Zielgruppen maßgeschneidert. Die drei bedeutendsten Verschwörungsautoren in den Jahren nach der Französischen Revolution (Starck, Robison, Barruel) hatten allesamt eine Verbindung zu der britischen Wissenschaftsvereinigung „Royal Society“ des Hochadels. Diese drei Autoren, genau wie eine Reihe weiterer Autoren aus Illuminaten-Kreisen unter Pseudonymen, vermieden jedwede Untersuchung von Spuren, die zum britisch-adeligen Geheimdienst führten. Der Herzog von Braunschweig ließ 1794 ein Manifest an alle Freimaurer-Logen verteilen, in welchem er die Geschichte erzählte, dass Verschwörer aus Frankreich das Freimaurertum infiltriert hätten und dass genau diese nebulösen Verschwörer verantwortlich seien für die Französische Revolution.
Ernst August von Göchhausen und Karl von Eckartshausen
Ernst August von Göchhausen (herzoglich Sachsen-Weimarischer geheimer Kammerrat zu Eisenach) publizierte bereits 1786 anonym seine „Enthüllung des Systems der Weltbürgerrepublik“ in der er eine jesuitische Verschwörung hinter dem Illuminaten-Skandal behauptet. Er spielte also den Schwarzen Peter einfach wieder zurück. Für die Jesuiten waren die Illuminaten der klare Beweis dafür, dass radikale Netzwerke die Kirchen und die Throne stürzen wollten. Göchhausen jedoch sagte, die Jesuiten hätten die Fäden bei den Illuminaten und anderen Aufklärer-Gruppen gesponnen, mit der Absicht, Throne und Konkurrenzkirchen zu stürzen, um letztendlich eine Weltherrschaft des Papstes zu errichten. Wir können nicht rekonstruieren, ob Göchhausen dies wirklich glaubte, oder nur clever die Tatsache ausnutzte, dass der Vatikan eigene Ambitionen hatte, sich gerne von der Kontrolle Frankreichs gelöst hätte und dass sogar das französische Königshaus immer wieder misstrauisch wurde. Der Jesuitenorden, der durchaus vom Vatikan als Vehikel für heikle Geheimoperationen benutzt wurde, musste streckenweise Frankreich verlassen in der Vergangenheit. Karl von Eckartshausen, der Mitglied in Adam Weishaupts Illuminaten-Orden war und später als mystizistischer Theosoph galt, veröffentlichte 1791 anonym das Pamphlet „Ueber die Gefahr, die den Thronen, den Staaten und dem Christenthume den gänzlichen Verfall drohet: durch das falsche Sistem der heutigen Aufklärung, und die kecken Anmassungen sogenannter Philosophen, geheimer Gesellschaften und Sekten“. Seine Werke wurden in zahlreiche europäische Sprachen übersetzt, insbesondere ins Französische und Russische und Englische. Sein wohl prominentester Leser war der russische Zar Alexander I. Es ist äußerst dreist für jemanden, der nicht nur Illuminaten-Mitglied war, sondern auf viele Weisen auch Okkultist, anonym ein Pamphlet herauszugeben, in dem er den Leser belehren will über Verschwörungen. Was genau sollte ihn als Experten ausweisen? Für ihn mag vielleicht das esoterische Brimborium als eine legitime Art der religiösen Bildung gegolten haben, er mag aufgenommen worden sein in die Bayerische Akademie der Wissenschaften und er mag sich im Nachhinein distanziert haben von den Illuminaten. Vielleicht schrieb er das Pamphlet, um seine Karriere nicht zu beschädigen oder er war als Illuminatenmitglied sehr naiv, oder er war durchaus ein Anhänger radikaler aufklärerischer Ideen, aber der Orden war leider verbrannt und er wollte zumindest die wichtigsten Mitglieder in Schutz nehmen.
Johann August von Starck und Leopold Alois Hoffmann
Johann August von Starck war ein deutscher Schriftsteller, einflussreicher Freimaurer und zeitweise Generalsuperintendent zu Königsberg in Preußen. Im Jahre 1811 wurde er vom Großherzog von Hessen in den Adelsstand erhoben. Man kann sich vorstellen, dass das Haus Hessen äußerst unglücklich gewesen wären, falls er es gewagt hätte, die Rolle von Geheimdiensten der Welfen, Wettiner und Reginare im Hinblick auf die Französische Revolution kritisch zu untersuchen. Er studierte Theologie und Orientalistik an der Welfen-Universität Göttingen unter Johann David Michaelis, ein Fellow der adeligen, britischen Wissenschaftsvereinigung Royal Society, aus deren Umfeld zunehmend die wichtigsten Bestseller-Bücher des Verschwörungs-Genres veröffentlicht wurden. Ab 1763 war von Starck Lehrer im russischen St. Petersburg und tauchte dort tiefer in Geheimgesellschaften ein. Das Zarenhaus Schleswig-Holstein-Gottorf wurde immer enger verwandt mit dem britischen Thron. Der heutige britische Prinz William, Duke of Cambridge, gehört über seinen Vater und Großvater auch dem Haus Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg an. Zunächst veröffentlichte Starck in der Zeitschrift „Eudämonia“ irreführende Artikel über Aufklärungs-Philosophen, Freimaurer und Illuminaten hinter der Französischen Revolution. Die Eudämonia war zeitweise die wichtigste Publikation im deutschsprachigen Raum für die Verbreitung dieser Sichtweisen. Schließlich folgte die Veröffentlichung von Starcks Buch „Triumph der Philosophie im achtzehnten Jahrhunderte“ (1803). Es orientierte sich im Wesentlichen an den kurz zuvor erschienenen Büchern von John Robison und Abbé Barruel und stellte somit keine Gefahr dar für die adeligen Geheimdienstnetzwerke der Welfen, Wettiner und Reginare, die für das britische Imperium dabei geholfen hatten, französische Revolutionäre zu ermutigen. Starcks Partner bei der Eudämonia war ein gewisser Leopold Alois Hoffmann. Dieser hatte wenige Jahre vor der Französischen Revolution seinen Weg hineingefunden in Wiener Freimaurer- und Illuminatenzirkel. Später lehrte er in Budapest, also eine Stadt unter Kontrolle der österreichischen Habsburger, und arbeitete nebenher für Polizeikommissar Franz Gotthardi von der politischen Geheimpolizei als Spion. Schwerpunktmäßig sollte er die Umtriebe der Freimaurer, Illuminaten und Jesuiten überwachen. In Wien setzte er seine Spionagetätigkeit fort und genoss dabei hohes Ansehen bei dem Erzherzog Leopold II. von Österreich. Er wandelte sich öffentlich zu einem radikalen Kritiker der Französischen Revolution, beschuldigte die Logen und Strömungen der Aufklärung, die Revolution bewirkt zu haben und denunzierte seine ehemaligen freimaurerischen und aufklärerischen Freunde und Brüder. Vielleicht sollte Hoffmanns Kehrtwende einfach nur seiner eigenen Karriere förderlich sein. Der österreichische Kaiser soll über ihn gesagt haben:
„Der Kerl ist ein Esel, ich weiß es; aber er leistet mir als Spion sehr gute Dienste.“
Johann Joachim Christoph Bode
1775 machte der Freimaurer Bode die Bekanntschaft der reichen Gräfin Charitas Emilie von Bernstorff, Witwe des berühmten dänischen Ministers Johann Hartwig Ernst Graf von Bernstorff. In Meiningen erhielt er von der dort regierenden Herzogin den Titel eines Herzoglich Sachsen-Meiningischen Hofrates. Er kam auch in Kontakt mit Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel, der sein Ordensbruder bei den Illuminaten werden sollte. Später bekam Bode die Position eines sachsen-gothaischen Legationsrats sowie hessen-darmstädtischen Geheimrats. All das suggeriert natürlich, dass Bode das Vertrauen genoss von diesen einschlägigen Adelslinien. Als Besitzer einer Hamburger Druckerei konnte er mit prominenten gleichgesinnten Künstlern haufenweise Projekte realisieren, die mehr oder minder subtil aufklärerische Ideen miteingewoben hatten. So kannte er als eine Art Propaganda-Fabrikant des Illuminatenordens auch Goethe und Schiller. Sein bekanntester Ausflug war der nach Frankreich im Jahre 1787. Schiller berichtete in einem Brief an Christian Gottfried Körner, wie Bode ihm mitgeteilt habe, „daß er in Betreff der Maurerei aus Paris etwas Erhebliches mitgebracht habe“. Auf dem großen Freimaurer-Konvent von Wilhelmsbad von 1782 trat Bode bereits mit seiner Lieblingsidee auf, der Behauptung geheimer jesuitischer Einflussnahme auf die Freimaurerei. Als in den Tagen der französischen Revolution ein publizistischer Generalangriff auf Illuminaten und Freimaurer einsetzte, wurde Bode als „unbekannter Oberer“, als „Beförderer des Umsturzes“ und als Verbindungsoffizier zwischen den Illuminaten und den französischen Jakobinern attackiert. 1790 konterte Bode mit einer Übersetzung von Marquis de Luchets reißerischem Bestseller „Essai sur les Illuminés“ aus dem Vorjahr und veröffentlichte die Übersetzung mit seinen Anmerkungen anonym mit dem Titel „Ist Cagliostro Chef der Illuminaten?“. Der Marquis war alles andere als neutral. Mit einem Empfehlungsschreiben Voltaires versehen hatte sich der weltmännisch auftretende Marquis de Luchet im Jahr 1775 erfolgreich bei Hofe des Landgrafen Friedrich II. (1720–1785) von Hessen-Kassel beworben. Schnell erwarb sich Luchet die Zuneigung des Fürsten und wurde innerhalb kurzer Zeit zum Direktor des französischen Theaters, zum Superintendanten der Hofkapellmusik und schließlich zum ständigen Sekretär der Fürstlich-Hessischen Gesellschaft der Altertümer. Alessandro Graf von Cagliostro, der als möglicher Chef der Illuminaten bezeichnet wurde, war nur ein Hochstapler namens Giuseppe Balsamo und diente im Nachhinein als Ablenkungsmanöver. Viele Jahre später ergänzte die Verschwörungsautorin Nesta Webster das Ablenkungsmanöver mit Cagliostro um einen vermeintlichen jüdischen Hintermann.
Bild: Grabstein von Bode. Hajotthu. CC BY-SA 3.0
John Robison und der britische Geheimdienst
Der anerkannte britische Mathematiker und Physiker John Robison (1739 – 1805), Professor an der University of Edinburgh, landete mit „Proofs of a Conspiracy“ einen Bestseller, der international Gehör fand. Wegen seiner Mitgliedschaft bei der adeligen Wissenschaftsvereinigung „Royal Society of Edinburgh“ und dem Freimaurer-Orden galt er für folgende Generationen von Verschwörungsautoren als eine Art früher Whistleblower, Insider und besonderer Kenner der Materie. Sein Enthüllungswerk war aber ein Ablenkungsmanöver und er präsentierte keine Informationen, die nicht ohnehin schon in Europa zirkulierten. Sowohl die Royal Society, als auch die Freimaurer waren für die britische Krone Vehikel, um schrittweise das Imperium zu transformieren im Zuge einer Fake-Aufklärung. Den Franzosen wirft Robison vor, sich in „Britanniens Kolonialangelegenheiten eingemischt“ zu haben, womit gemeint ist, dass Frankreich ein Vermögen versenkt hatte in den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. George Washington und seine Vertrauten hatten sich mit hochtrabenden, aufklärerischen Reden und Schriften offiziell vom britischen König George III. und dem Konzept einer Monarchie verabschiedet. Niemand bezweifelt die gut dokumentierten Nachschublieferungen der Franzosen an Washington. Robison führt diesen Gedanken aber nicht explizit aus. Warum nicht? Wäre er hier ins Detail gegangen, hätte es dem Leser wohl gedämmert, dass sich Britannien hinterher vielleicht an Frankreich gerächt haben könnte mit der Finanzierung oder sonstigen Förderung französischer Revolutionäre. Es wäre die naheliegende Retourkutsche gewesen, aber Robison vermeidet jeden noch so kleinen Hinweis in diese Richtung. Noch verheerender für Robisons Glaubwürdigkeit ist die Tatsache, dass er Kontakte hatte zu dem britischen Geheimagenten und Diplomaten Alexander Horn, der eng mit der Familie Thurn und Taxis in Deutschland arbeitete, die wiederum der britischen Krone nahestand. Karl Alexander von Thurn und Taxis (1770-1827) heiratete die Tochter von Erbprinz Herzog Karls zu Mecklenburg und Friederike von Hessen-Darmstadt. Der Erbprinz hatte niemand anderen als den englischen König George III. zum Schwager und diente in der hannoverschen Armee. Friederike war eine Tochter des Prinzen Georg Wilhelm von Hessen-Darmstadt. Es wird sogar noch peinlicher: Hessen-Kassel förderte die Karriere von Baron Knigge, dem zweitwichtigsten Mitglied des Illuminatenordens. Karl Alexander von Thurn und Taxis war der zweite Großmeister der Freimaurer-Mutterloge „Die Wachsende zu den drei Schlüsseln“ und 1806 machte ihn der englische Großmeister zum Provinzial-Großmeister von Bayern.
Robisons Treuebekundungen gegenüber dem britischen König und sein gesellschaftlicher Status, der von ebenjenem König abhängig war, zeigen ganz offensichtlich einen direkten Interessenkonflikt. Es ging ihm nicht um eine wissenschaftliche Aufarbeitung des Themas, die den König und seine Verwandten auf deutschem Boden in Verlegenheit bringen könnte. Sein Name erscheint 1776 im „Minute Book of The Poker Club“, einer wichtigen Vereinigung der schottischen Aufklärung, die früher noch „The Select Society“ hieß. Mit im Boot war der schwerreiche Sir William Pulteney. Der alte William Pulteney wurde von König George II. zum 1st Earl of Bath erkoren. Robison wurde zum Generalsekretär der Royal Society of Edinburgh und veröffentlichte 1797, also wenige Jahre vor seinem Tod, das Verschwörungsbuch „Proofs of a Conspiracy“. Für uns heute liegt der Verdacht auf der Hand, dass es ihm nur darum ging, die Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die französischen Freimaurer zu lenken und so zu tun, als gäbe es keine signifikanten Verbindungen zwischen dem Illuminatenorden und Britannien. Warum wurde das Buch nicht unter Pseudonym veröffentlicht oder von einem anderen Autor? Vielleicht kalkulierte man damals, dass Robisons Position ihn eher glaubwürdig als befangen aussehen lässt. Er galt als aufgeklärter Wissenschaftler, Fan des britischen Freimaurertums und gleichzeitig treuer Diener seines Königs. Damit stellte er einen Kontrast dar zu Illuminaten und französischen Maurern, die nach geltendem Recht in Deutschland und Frankreich Extremisten oder sogar Hochverräter waren. Die riesigen Schiffslieferungen mit Gewehren, Schießpulver und anderen Gütern, die George Washington aus Frankreich erhalten hatte, ließen sich in der Gesamtheit nicht geheim halten. Die möglichen Unterstützungen Britanniens hingegen für französische Revolutionäre wären besser zu verstecken gewesen. Robison musste einfach nur alles weglassen, was den Verdacht auf Britannien lenkte, und ansonsten konnte er sich weitestgehend an der Wahrheit orientieren, dass in Frankreich der Widerstand gegen den König im Verborgenen in schrägen Freimaurerlogen organisiert wurde. Alexander Horn, der das Material für Robison zusammengetragen haben soll, diente in Regensburg, wo die Familie Thurn und Taxis seit 1748 residierte, als ein Verbindungsmann für den britischen Botschafter in München. Einige Mitglieder der Familie Thurn und Taxis waren Mitglieder des römisch-katholischen Malteser-Ritterordens. Horn war kein Fan der französischen Monarchie und reiste zwei Jahre nach Erscheinen von Robisons Buch nach England und traf dort Mitglieder von William Pitts Regierung wie Earl Spencer aus dem Kronrat und der Royal Society, der mit den höchsten Orden des Empires behangen und dessen Pate König George II. war. Als Napoleon Frankreich beherrschte, setzte Spencer den „Geheimagenten“ Horn darauf an, seltene Bücher und Texte aus Süddeutschland in Sicherheit zu bringen.
„Man könnte Horn oder Mister Bergström, so sein Deckname, als einen Vorgänger von James Bond bezeichnen“,
sagt Claus Oberhauser von der Universität Innsbruck, der den Fall genauer untersucht hat. Der sogenannte „Immerwährende Reichstag des Heiligen Römischen Reichs in Regensburg“ war ein Treffpunkt der gesamten Machtelite Europas. 15 Jahre lang soll Horn dort und auch in einem größeren Umkreis geheime Informationen beschafft und an das britische Außenministerium übermittelt haben. Hunderte Texte würden noch existieren. Lange Zeit blieb dieses Archivmaterial unentdeckt, weil man nach Horn in der deutschen Schreibweise suchte und nicht nach der englischen Variante Horne. Horn ging mit seiner konservativen Tarnung auch nach Linz, infiltrierte dort den habsburgischen Hof und schickte über Kuriere regelmäßig an das Foreign Office in London die verschlüsselten Berichte. Zu seinem Tradecraft gehörte auch seine Tarnidentität „Jonas Bergstrom“. Den Tiroler Aufständischen soll er Geld geliefert haben. Man kann sich vorstellen, dass der britische Geheimdienst wohl auch französische Revolutionäre bezahlt hatte. Zu den Aufgaben Horns gehörte auch Desinformation gegen Frankreich, was mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch die Materialsammlung betraf, die er John Robison zur Verfügung stellte für dessen Verschwörungsbuch. Oberhauser veröffentlichte das Buch „Diplomatie aus dem Untergrund: Die merkwürdige Karriere des Alexander Horn“ und ist als Mitglied gelistet bei der Organisation Comparative Analysis of Conspiracy Theories zur Erforschung des Phänomens der Verschwörungstheorien. Es ist ausgesprochen selten, dass ein Forscher dabei tatsächlich in die geheimdienstliche Ebene einsteigt. Oberhausers Studie zu Horn ist vielmehr eine Studie zu einem ganzen britischen Geheimdienst-Netzwerk, das alle möglichen Operationen durchführte; unter anderem auch die Desinformationskampagne mit den Verschwörungsbüchern von Robison, Barruel und Starck. Der junge Adam Weishaupt, lange vor seinen wilden Illuminaten-Tagen, besuchte das Jesuitenkolleg Ingolstadt bis ins Alter von 15 Jahren und erlebte dort den muffigen strengen Fanatismus. Gleichzeitig war der verwaiste Junge früh adoptiert worden von Johann Adam von Ickstatt und im Geiste einer „aufgeklärten“ Philosophie erzogen worden, die auf einen gewissen Christian Wolff zurückgeht. Wolff war Mitglied der britisch-königlichen Wissenschaftlervereinigung Royal Society, lebte zeitweise in der Adels-Hochburg Hessen und lehrte an der adeligen Universität Marburg. Adam Weishaupts Vater Johann Georg hatte bereits Rechtswissenschaften in Würzburg studiert bei Johann Adam von Ickstatt, dem Mann der Aufklärer-Szene. Später lehrte Johann Georg an der Universität Ingolstadt, wo auch später Adam Professor wurde. Sowohl Adam als auch sein Vater lebten anscheinend ein Doppelleben: Nach außen waren sie kreuzbrave Diener der katholischen Lehre und Rechtsordnung. Abseits der Öffentlichkeit waren sie überzeugte Aufklärer. Fürstbischof Friedrich Karl von Schönborn-Buchheim ernannte Adam Weishaupts Vater zum öffentlichen Corepitor der Rechte und zum außerordentlichen Lehrer für Rechtsgeschichte. Die von Schönborns stiegen in den Hochadel auf und hatten Verbindungen zu den wichtigen Häusern Schaumburg, Diez und Nassau-Weilburg. 1777 wurde Adam Freimaurer in der Loge „Zur Behutsamkeit“ in München und trug hier den Ordensnamen ‚Sanchoniaton‘. Über den Marchese di Constantin Costanzo bekam man die Erlaubnis der Berliner Großloge Royal York für die Münchner Loge Theodor zum guten Rat, erklärte diese daraufhin für unabhängig und überführte sie in den neuen Illuminatenorden. Die Illuminaten-Mitglieder patzten bei ihrem konspirativen Vorgehen und so wurden geheime Mitgliederlisten und andere interne Schriften von der bayerischen Polizei beschlagnahmt und veröffentlicht. Adam floh. Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg (seit 1783 Mitglied der Illuminaten unter dem Ordensnamen Quintus Severus bzw. Timoleon) gewährte ihm in Gotha Asyl. Die Ironie ging an vielen Beobachtern nicht vorbei: Der angebliche Aufklärer, der die Welt von dem Joch des Absolutismus befreien wollte, flüchtete sich zu einem mächtigen Adeligen und wurde von diesem finanziert. Es wäre höchst gefährlich gewesen, wenn Weishaupt in Gefangenschaft geraten wäre und weitere Informationen preisgegeben hätte über seine Kontakte zu hohen Adeligen, die mit dem britischen Thron verwandt waren. Stattdessen durfte Weishaupt in Gotha leben mit dem Titel und der Pension eines Hofrates. Er veröffentlichte fortan eine Reihe von Texten, die den Illuminatenorden verharmlosten. Die Prinzen Karl von Hessen und Ferdinand von Braunschweig sowie die Herzöge Ernst von Sachsen-Gotha und Carl August von Sachsen-Weimar waren Mitglieder des Illuminatenordens. Ernst nutzte die Gothaer Illuminatenloge sogar als geheimes Schattenkabinett. Papst Pius VI. war über die Angelegenheit nicht gerade amüsiert und erklärte in zwei Briefen an den Bischof von Freising die Mitgliedschaft im Illuminaten-Orden als unvereinbar mit dem katholischen Glauben. Im Vorwort seines großen Verschwörungs-Buchs erklärt Robison, dass er in seiner englischen Heimat in jungen Jahren so manche harmlosen (und eher langweiligen) Erfahrungen gesammelt hätte in Freimaurerlogen, dagegen aber in Logen auf dem europäischen Festland Dinge erlebte, die seiner Ansicht nach überhaupt nicht in das System der Freimaurerei gehören. Er lobt also das gute und brave britische Freimaurertum auf der einen Seite, und verdammt die düsteren, subversiven Logen in Deutschland und Frankreich auf der anderen Seite. Robison besuchte nach eigenen Angaben u.a. Logen in der französischen Stadt Liege, in Berlin und Königsberg, wo ihm große Fortschritte bei seiner freimaurerischen Erleuchtung versprochen wurden. Ihm wären aber die angebotenen Inhalte und versprochenen neuen Grade jedoch zu irrational, zu frivol, zu fanatisch, zu teuer und zu zeitintensiv gewesen. Sehr viele angesehene und einflussreiche Männer hingegen stürzten sich auf jeden neuen, noch so obskuren Trend, der in den vielen neuen Logen präsentiert wurde. Europaweit, so Robison, frönten die Freimaurer zunehmend schrägen und heiklen Ideen, die außerhalb der Logen zu öffentlicher Häme und zu staatlicher sowie kirchlicher Zensur geführt hätten. Für die gewöhnlichen britischen Freimaurer galt es als eiserne Regel, in der Loge keine kritischen Diskussionen über die Regierung und die Kirche zu führen. Vergessen wir nicht, dass nach britischen Gesetzen bis weit in die 1800er Jahre selbst die Äußerung von Absichten, dem König zu schaden, als Hochverrat galt. Eine Verurteilung hätte zur Folge gehabt, dass die betreffende Person aufgehängt, lebendig kastriert und ausgeweidet wird. Wieviel Einfluss Weishaupt auf die Französische Revolution hatte, schätzte Robison nicht einmal konkret ein. Er zeigte lieber mit dem Finger auf die französischen Offiziere und Funktionäre, die zeitweise in Amerika tätig gewesen waren und dort den Duft der Unabhängigkeit geschnuppert hätten. Abermals lästert Robison, die französische Monarchie sei hinweggefegt worden mit den gleichen aufklärerischen Ideen, die sie zuvor in den 13 britischen Kolonien in Amerika fördern ließ. Außerdem erwähnt Robison die Anhäufung von Schuldenbergen und die neuen Steuern in Frankreich, die erhoben wurden von dem Königshaus. Nur ein Funke sei nötig gewesen, um die Revolution in Gang zu bringen. Aus geheimdienstlicher Sicht brauchte es aber weit mehr als einen Funken und günstige Umstände für einen Umsturz, sondern lange vorbereitete subversive Operationen und Unterstützung aus dem Ausland. Anstatt nüchtern und geheimdienstlich zu analysieren, was vorgefallen war, tischt uns Robison eine selektiv aufbereitete Geschichte auf. Er stichelt gegen „korrupte“ französische Logen, die zwecks des Umsturzes einfache Wachleute des Palastes und ähnliche unqualifizierte Figuren umschmeichelten und zu Freimaurern machten. Auf Seite 296 warnt Robison explizit vor einer französischen Weltverschwörung. Robisons zweifelhaftes Buch wurde in alle Windrichtungen verbreitet und stieß auch in Amerika auf Gehör bei George Washington oder dem Senator Seth Payson, der 1802 den an Robison angelehnten Text „Proof of the Illuminati“ veröffentlichte. Washington erklärte in einem Brief an Reverend G. W. Snyder, der ihm Robisons Buch zugesandt hatte, sich darüber zu freuen, dass die gefährlichen Lehren der Illuminaten und der Jakobiner sich nicht in Amerika verbreitet hätten. Schon gar nicht in Kreisen amerikanischer Freimaurer. Washington hatte sich noch vom französischen König mit Schießpulver und Waffen beliefern lassen. Nach der Hinrichtung des Königs führte Britannien 1793 einen Krieg gegen Frankreich und Washington beließ es dabei, die neue französische Regierung anzuerkennen und gab sich ansonsten neutral. Bereits 1794 schlossen die USA den weitreichenden Vertrag „Jay’s Treaty“ mit Britannien. Der neue französische Diktator Napoleon verkaufte bald riesige Gebiete in Amerika billig an die USA. John Robison fügte seinem Verschwörungsbuch „Proofs of a Conspiracy“ eine besondere Widmung hinzu; einen Brief William Windhams (1750 – 1810), der als Secretary at War diente und ein Bekannter von Robison aus gemeinsamen Glasgower Zeiten war. Eine Erlaubnis von Windham holte er sich nicht dafür ein. Nicht nur saß Windham im britischen Kronrat, dessen Mitglieder uns immer wieder begegnen inmitten wichtigster Spionageoperationen, sondern er nahm zunächst eine positive, dann eine extrem negative Haltung ein gegenüber der Französischen Revolution. Dies würde zusammenpassen mit der Strategie, zunächst die französische Monarchie zu zerstören und anschließend die neue, in sich zerstrittene französische Regierung auch noch zu bekämpfen. 1793 erklärte Britannien Frankreich den Krieg und Windham wurde zum Kriegsminister. Er unterstützte den royalistischen Aufstand in La Vendée und forderte die britische Regierung auf, den Royalisten mit dem Ziel zu helfen, das Haus Bourbon wieder auf den Thron zu bringen:
„Ich hätte dies von Anfang an zum Hauptziel des Krieges gemacht.“
Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit war sich Robison durchaus darüber bewusst, dass britische Geheimdienste involviert waren im Illuminatenorden und in Kreisen französischer Revolutionäre. Aber Robison war nicht hoch genug in der britischen Hierarchie gestanden, um genau erfahren zu dürfen, welchen Umfang und welche Auswirkungen diese Geheimoperationen hatten. Seine deutlich mächtigeren Freunde aus dem Kronrat hätten ihm gegenüber lügen können, es hätte sich um keine allzu große Kampagne gehandelt, diese sei ein Fehlschlag gewesen und sei dann eingestellt worden. Im nächsten Schritt brauchte man Robison nur noch davon überzeugen, dass es nun absolute Priorität hätte, zu verhindern, dass der Funke des revolutionären Radikalismus aus Frankreich überspringt auf Britannien. Ein Buch wie „Proofs of a Conspiracy“ diente genau diesem Zweck:
- Es ist generell eine Warnung vor subversiven, unregulierten Organisationen
- Es kritisierte speziell die Französischen Logen und den Illuminatenorden, ohne auch nur mit einem Wort Verbindungen zu britischen Geheimoperationen zu erwähnen
- Es bewarb die brave Untertänigkeit gegenüber dem britischen König
- Es ist eine indirekte Drohung an britische Aufklärer, die das britische Königshaus loswerden wollten
Robison durfte ja auch gar kein besseres Buch schreiben, heikle Geheimoperationen ansprechen und den König samt seinen Verwandten im Illuminatenorden bloßstellen. Britannien ist bis zum heutigen Tage berüchtigt dafür, mit Gesetzen wie dem „Official Secrets Act“ rücksichtslos die geheimdienstliche Sphäre abzuschirmen. Als in den 1790er Jahren die britischen aufklärerischen Strömungen etwas außer Kontrolle gerieten, gab es prompt eine Reihe von Gerichtsprozessen wegen „Hochverrats“. Es bestand die Möglichkeit, hunderte von Individuen zu verhaften und dauerhaft aus dem Verkehr zu ziehen. Bis weit in die 1800er Jahre hinein galt es bereits als Hochverrat, auch nur Dinge zu denken und zu äußern, die eine Drohung darstellen gegen das britische Königshaus und dessen Machtfülle. Zu bestrafen mit Aufhängen, Kastration und Ausweiden bei lebendigem Leibe. Man könnte an dieser Stelle versuchen, im Nachhinein die ganze Sache kleinzureden, sich mit den naheliegendsten Ausreden zufriedenzugeben und dazu anzuraten, sich lieber anderen Themen zuzuwenden. Aber wie man es auch dreht und wendet; der britische Geheimdienst destabilisierte Frankreich und schuf als Ablenkungsmanöver das moderne Genre der Verschwörungsmedien. Britanniens Aufklärung war von oben herab gesteuert. Die Französische Revolution drehte sich nicht um Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, sondern sollte nach der Ansicht der Revolutionäre einen modernisierten Imperialismus ermöglichen. Die Amerikanische Revolution war an der Spitze auch fake und die US-Oberschicht schanzte sich alle wichtigen Posten untereinander zu, verheizte Unmengen an Afrikaner-Sklaven und vernichtete die Ureinwohner; falls nötig auch mit den Pocken. Somit kollabieren alle drei illusorischen, historischen Säulen der Aufklärung. Die proklamierten Werte bleiben davon unberührt. Freiheit, Gleichheit vor dem Gesetz, Menschenwürde usw. müssen gelten. Wir sollten allerdings die rosafarbene Brille abnehmen und die historischen Ereignisse nüchtern betrachten als die Handlungen von brutalen Imperien. Da es für die Briten so gut funktioniert hatte, Verschwörungsbücher zu zirkulieren, setzten sie diesen Trend fort. Am einfachsten ist dies abzulesen an antijüdischen Werken, die in der zweiten Hälfte der 1800er Jahre von einschlägigen adeligen Kreisen propagiert wurden mit deutschen und österreichischen völkischen Zirkeln als Zielpublikum. Dann die Verbreitung der aus Russland stammenden Protokolle von Zion im Westen. Hierbei wird es immer verstörender und ungemütlicher.
Oberhausers Studie
Man mag nicht so ganz an den Zufall glauben, dass Claus Oberhausers Studie über den britischen Agenten Alexander Horn in mehrfacher Hinsicht gefördert wurde durch österreichische Universitäten und diverse Förderprogramme. Es scheint, dass die Österreicher, die gegen Ende des Ersten Weltkriegs ihren Status als Habsburger-Imperium verloren hatten, heute immer noch sehr misstrauisch sind gegenüber den Briten. Horns geheimdienstliche Aktivitäten waren professionell und beschränkten sich nicht nur auf harmlose Korrespondenten-Netze. Er wird auch bezeichnet als einer der wichtigsten Informanten für den sogenannten „Alpenbund“, eine Tiroler Widerstandsbewegung gegen Napoleon, die von Großbritannien aus koordiniert werden sollte. Ein Verräter hatte aber die Gruppe auffliegen lassen, worauf hin eine Reihe an Verhaftungen und Ausweisungen folgte. Man kann sich vorstellen, das Britannien viele Agenten beschäftigte neben Horn. Nichtsdestotrotz waren seine Führungsoffiziere bzw. Vorgesetzten sehr weit oben in der Hierarchie angesiedelt.
Verlässt man nun das British Museum und geht in die National Portrait Gallery, findet man neue, heutzutage verschüttete Spuren Alexander Horns. Ob es nun George Hamilton, Earl of Aberdeen (1784 – 1860), Sir Charles Stewart (1778 – 1854) oder Robert Stewart, besser bekannt als Viscount Castlereagh (1769 – 1822), betrifft, sie alle standen mit Horn in Beziehung.
Horn soll damals Frustrationen darüber empfunden und geäußert haben, dass seine Spionagetätigkeit vom Hochadel nicht ausreichend gewürdigt wurde. 1813/14 ließ Lord Aberdeen ihn fallen. Zu dem Zeitpunkt hatte Horn auf dem europäischen Festland ohnehin schon einen verheerenden Ruf und war damit für wichtige Einsatzgebiete verbrannt. Die Realität des Spionagelebens war damals schon wenig vergleichbar mit der Roman-/Filmfigur James Bond, sondern eher mit der Figur Harry Palmer, ein unterbezahlter britischer Spion aus der Arbeiterklasse (gespielt in mehreren Filmen von Michael Caine), der rücksichtslos benutzt wird von seinem reichen Vorgesetzten Colonel Ross. Anhand der verbesserten Quellenlage kann Claus Oberhauser inzwischen besser rekonstruieren, wie das Buchprojekt „Proofs of a Conspiracy“ innerhalb kurzer Zeit realisiert wurde:
Nur einige Monate vor der Publikation des Werks schrieb Robison an Windham, dass ihn ein Freund, der sich schon länger mit den Illuminaten beschäftigt habe, auf diese gestoßen habe. Eher durch Zufall habe er 1795 in dessen Haus verschiedene Schriften gefunden, die allesamt auf die Illuminaten als eine mächtige Verschwörergruppe wiesen. Darunter befand sich zwar nur ein einziger Band der Zeitschrift Die neuesten Religionsbegebenheiten, aber dessen Inhalt steigerte Robisons Neugier beim Lesen von Seite zu Seite und bewog ihn, sich eingehender mit den deutschen Freimaurern und Illuminaten auseinanderzusetzen. Nachdem er einige Passagen exzerpiert hatte, fand ein anderer Bekannter in Edinburgh diese Notizen und ermutigte ihn dazu, ein Buch zu schreiben. Es handelte sich bei diesem um George Gleig (1753 – 1840).
Dieser Gleig hatte unter dem Duke of Wellington als Soldat gekämpft gegen die Franzosen, studierte später an Oxford und kultivierte eine Art Freundschaft mit dem Duke. Der Vater Gleig war Mitglied der Royal Society of Edinburgh. Es ist sogar Robisons Notizbuch im Nachhinein aufgetaucht, in dem er fein säuberlich die Ideen aus verschiedenen Quellen auflistete und sortierte. Wohlgemerkt handelte es sich ausschließlich um Texte, die keine konkreten Geheimnisse verrieten und deren Besitz auch keine Gefahr bedeutete, wie etwa Ernst August Anton von Göchhausens „Enthüllung des Systems der Weltbürgerrepublik“. Üblicherweise wurden einfach nur bekannte Informationen wie etwa aus dem geplatzten Illuminatenorden oder über französische Jakobiner ergänzt mit schwammigen Spekulationen darüber, welche ominösen Gruppierungen sich wohl darüber befunden hätten und die Fäden zogen. Mal nannte man die Jesuiten, mal die aus der Luft gegriffenen „Kosmopoliten“. Die Zeitschrift „Neueste Religionsbegebenheiten“, die von Robison ausgewertet wurde, geht zurück auf den Gießener Historiker Heinrich Martin Gottfried Köster, der sich auch als Übersetzer betätigt hatte für Augustin Barruels Bestseller-Verschwörungs-Buchreihe „Denkwürdigkeiten“ ins Deutsche. Auch Barruel hielt sich strikt daran, die Rolle britischer Geheimdienste komplett zu verschleiern und möglichst viel Streitigkeiten innerhalb Frankreichs zu mehren. Oberhauser freut sich anscheinend darüber, dass die moderne Forschung den paranoiden Mief der alten Verschwörungsautoren hinter sich gelassen hat und der Illuminatenorden heute nicht mehr als Hort der teuflischen Subversion gilt, sondern als „Netzwerken“, wie es der Historiker Niall Ferguson nennt in seinen Untersuchungen wie „The Square and the Tower“. Die Illuminati, so Ferguson, seien einfach nur ein Netzwerk gewesen wie die Jesuiten oder der Adel. Das hört sich modern und nüchtern an, aber Ferguson ist ein privilegierter, schamloser Verteidiger des britischen Imperiums. Nach der Invasion des Irak 2003 nannte er sich sarkastisch „ein voll eingezahltes Mitglied der neoimperialistischen Bande“. Ferguson wählte den bequemen Weg des größtmöglichen Pragmatismus, ohne die geheimdienstliche Ebene, und die wissenschaftlichen Erkenntnisse über Psychopathie und malignen Narzissmus im Hinblick auf Imperien ausreichend zu würdigen. Der gut bezahlte Ferguson, der genauso privilegiert ist, wie es John Robison war, kann punkten mit Slogans, laut denen „imperiale Schuldgefühle“ heute nicht „zur Selbstgeißelung“ führen sollten. Irgendwer musste ja herrschen, meint er. In Afrika gab es auch primitive Königreiche und Sklavenhandel. Wenigstens war in die britische Version des Imperialismus eine gehörige Dosis Fortschritt gemischt. Akademiker wie Shashi Tharoor haben in ihren Untersuchungen gezeigt, wie das britische Kolonialreich, ohne mit der Wimper zu zucken, Indiens Wirtschaft ruiniert hatte und innerhalb eines überschaubaren Zeitraums den Tod von 30 Millionen Indern herbeiführte und tolerierte und sich darüber lustig machte. Historische Vergleiche hinken immer. Vor allem, wenn man eine deutsche Staatsbürgerschaft hat so wie ich selbst. Aber stellen wir uns das kranke Szenario vor, Adolf Hitler hätte im Zweiten Weltkrieg irgendwie den Kollaps vermieden, hätte signifikante Gebietsgewinne halten können, und wäre friedlich auf seinem Obersalzberg gestorben. Seine Fans würden uns heute erzählen, dass er wenigstens tolle Autobahnen hatte bauen lassen, moderne Raketen und vieles mehr. Nein, der gezielte, auf industriellem Niveau betriebene Holocaust mit sechs Millionen Toten ist nicht exakt vergleichbar mit den britischen Methoden, die in Indien zu 30 Millionen Toten führten. Die Briten hatten bessere Ausreden. Cambridge-Professorin Priyamvada Gopal sagte, Ferguson hausiere mit abgedroschenen, selbstverherrlichenden Mythen des Imperiums. In einem Artikel für The Guardian schrieb sie, dass Fergusons „Geschichte“ ein Märchen für unsere Zeit ist und den weißen Mann und seine „Bürde“ wieder in den Mittelpunkt heroischen Handelns rückt. Ferguson empfahl dem US-Präsidenten Trump, sich nicht auf einen Handelskrieg mit China einzulassen und mit Präsident Xi Jinping zusammenzuarbeiten, um eine amerikanisch-chinesische Partnerschaft aufzubauen. Ferguson argumentierte zudem, dass Trump und Putin profitieren würden von dem Sieg von Marine Le Pen und der Front National bei den französischen Wahlen 2017. Laut Ferguson würde ein Quintumvirat aus Trump, Putin, Xi, May und Le Pen dann zu einer stabilen „Weltordnung“ führen, die die Wahrscheinlichkeit internationaler Konflikte verringern würde. Sollen wir wirklich Fergusons Interpretationen zu dem Illuminatenorden und ähnlichen konspirativen Organisationen vertrauen? Er dachte anscheinend, er könne auch in der aktuellen Weltpolitik einfach den oberkonservativen Pragmatiker mimen, aber dann kam der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und er verhedderte sich in widersprüchlichen Talking Points. Er heiratete ausgerechnet die in Somali geborene anti-islamische Aktivistin Ayaan Hirsi Ali und hatte mit ihr einen Sohn. 2018 wurde der Fanboy des britischen Kolonialreichs ein amerikanischer Staatsbürger. Diverse heutige Forscher zu den Illuminaten, die Oberhauser erwähnt, sind beileibe nicht so kontrovers wie Ferguson, sondern arbeiteten sich stur durch die Texte des Ordens durch, die natürlich nicht die ganze Wahrheit erzählen können. Es ist nicht zu erwarten gewesen, dass die Prinzen Karl von Hessen und Ferdinand von Braunschweig sowie die Herzöge Ernst von Sachsen-Gotha und Carl August von Sachsen-Weimar sich unverblümt mit Adam Weishaupt und anderen Mitgliedern schriftlich austauschen über Kontakte mit französischen Revolutionären und britischen Geheimdiensten. Heutige Forscher können stur die alten Texte auswerten, die in einem typisch freimaurerischen Duktus gehalten sind und die Perfektionierung oder die Befreiung des Menschen versprechen. Man bekommt quasi die Stimmen von Leuten wie Weishaupt aus dem Grab aufgetischt. Robison warnte Robert Dundas, den Lord Advocate von Edinburgh, Mitglied des britischen Kronrats und der Royal Society, vor dem fortwährenden Einfluss der Freimaurer in Schottland, die von Illuminaten unterwandert sein könnten. Wie bereits erwähnt, war Robison schlau genug, um zu erraten, dass britische Geheimdienste involviert gewesen sein müssen bei den Illuminaten und französischen Freimaurern und Jakobinern. Aber seine Befürchtung kann durchaus real gewesen sein, dass Jesuiten oder andere Organisationen versuchten, die Illuminaten und Freimaurer zu infiltrieren, um letztendlich im britischen Raum damit Chaos zu stiften.
Robertson und Horn waren befreundet und arbeiteten 1803 zusammen. Einige Jahre darauf gewährte Horn Robertson bereitwillig Unterschlupf in Linz, als dieser sich auf einer geheimen Mission befand. Neben dieser eher indirekten Beziehung deutet auch einiges im schottischen Umfeld darauf hin, dass Horn und Robison gleiche Bezugspersonen hatten oder zumindest ähnliche Ansichten vertraten.
Es galt also als Selbstverständlichkeit, dass der eine dem anderen bei geheimen Missionen hilft. Und in diesem Netzwerk finden wir auch einen anderen Verschwörungs-Autor, der eine extrem hohe Verbreitung erfuhr:
Barruel wurde auf Initiative eines Vermittlers in Großbritannien, des Schweizer Wissenschaftlers Jean-André Deluc, von Johann August Starck und seinem Netzwerk gleichgesinnter Männer unterstützt.
Deluc ging 1774 nach London, wo er Vorleser der Königin von England Sophie Charlotte von Mecklenburg-Strelitz wurde. 1798 wurde er zum Honorarprofessor der Philosophie und Geologie in Göttingen ernannt, lebte aber niemals dort, sondern abwechselnd in Berlin, Hannover, Braunschweig und London. Barruel, der Autor der „Denkwürdigkeiten“-Reihe über Illuminaten und andere Verschwörer, bekam in London Hilfe von dem adeligen Parlamentsabgeordneten und Freimaurer Edmund Burke, der als großer Kritiker der Französischen Revolution galt. Wir haben also neben Robison mit Barruel einen weiteren Bestseller-Autor des Verschwörungs-Genres, der im Sinne der britischen Krone schrieb und mit Leuten aus hohen Kreisen verkehrte, die mit Geheimdiensten zu tun hatten. Warum wird dieser Aspekt nicht seit langer Zeit schon von Akademikern, die zu „Verschwörungstheorien“ forschen, in den Mittelpunkt gestellt? Warum wird immer wieder in Studien und Presse-Artikeln und Kommentaren der zentrale Gedanke geäußert, dass frustrierte, rückwärtsgewandte Bürgerliche die Aufklärung rückgängig machen wollen und sich dafür Verschwörungen ausdenken wie bei einer mittelalterlichen Hexenjagd? Es wäre naiv, zu denken, dass die erfolgreichsten Verschwörungsautoren nach der Französischen Revolution einfach nur zufällig dieselben hohen britischen Kontakte hatten, voneinander abschrieben und sich oft auf die gleichen Quellen bezogen. Es war für den britischen Geheimdienst zu verlockend, zu naheliegend, eine Medien-Kampagne loszutreten um das Narrativ zu dominieren, weiteres Chaos in Frankreich auszulösen und das britische Empire zu schützen. Zu klären ist noch, wie stark sich Horn, Robison, oder Barruel darüber bewusst waren, dass sie ihre Leser täuschten. Der Illuminatenorden war geplatzt und musste schlechtgeredet werden, ohne dabei die wichtigsten adeligen Mitglieder zu attackieren, die verwandt waren mit dem britischen Thron. Horns langjähriger Aufenthaltsort Regensburg war auf Grund einer rechtlichen Sonderstellung auch ein beliebter Tummelplatz für Illuminaten gewesen. Einer davon gehörte zu der mit Horn und seinem Bruder persönlich bekannten wichtigen Regensburger Familie Thurn und Taxis, nämlich Maximilian Carl Heinrich Joseph Graf von Thurn und Taxis (1745 – 1825). Man war auch im Freimaurertum involviert.
Ferner war Regensburg aufgrund des Reichstags für viele Geheimgesellschaften ein attraktiver Ort, da man erstens internationale Mitglieder werben, ein (politisches) Netzwerk aufbauen und auch zu diplomatischen Informationen kommen konnte: Die Mitgliedschaft Thomas Walpoles bei den Illuminaten ist zum Beispiel zu erwähnen.
Gemeint ist wohl der britische Parlamentarier Thomas Walpole, Sohn eines Barons aus dem Kronrat, der zeitweise als Direktor der berüchtigten British East India Company gedient hatte und geschäftlich auch mit Benjamin Franklin tätig war. Horn soll ab 1789 unbezahlter Korrespondent von Walpole gewesen sein. Nachdem der Illuminatenorden wegen einer Mischung aus Pech und Pannen entlarvt war, mussten die mächtigsten Mitglieder vor Kritik abgeschirmt werden, indem man sie als etwas naiv darstellte und getrieben von besten Absichten. Irgendwem aus dem Orden musste man aber die Rolle von Bösewichtern zuteilen, wie etwa Johann Joachim Christoph Bode (1731 – 1793), der bekanntermaßen im Sommer 1787 eine Reise nach Paris unternommen hatte und dadurch den Eindruck erweckte, mit den französischen Revolutionären koordiniert zu haben. Der britische Geheimdienst hätte, sofern man grundlegendes Verhalten eines Geheimdienstes voraussetzt, bestimmte Teile des Illuminatenordens deaktiviert, aber nicht samt und sonders die ganze Operation. Der Forscher Oberhauser erwähnt, dass vielleicht unter anderem Namen Illuminatenstrukturen fortgesetzt wurden mit Leuten wie dem britisch-amerikanischen Baron Benjamin Thompson von der Royal Society, zum Ritter geschlagen vom britischen König George III. Thompson kämpfte im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und wurde anschließend in Bayern der Berater von Carl Theodor, um die bayerische Armee zu reorganisieren. Ein weiterer Neu-Illuminat war wohl Maximilian Clemens Joseph Franz Maria Graf von Seinsheim, der 1747 Oberhofmeister der bayerischen Kurfürstin Maria Anna von Sachsen (1728–1797) wurde und 1750 Kriegsminister. Die Kurfürstin stammte aus einer mächtigen Wettiner Linie, die auch Personen von Hessen-Darmstadt und Braunschweig-Calenberg beinhaltete, was eine wichtige Verbindung ist zum britischen Thron ab der Herrschaft von George I. im Jahr 1714. Vater von George war Ernst August von Braunschweig-Calenberg. Die bayerische Regierung wollte auch auf bestätigte Mitglieder der Illuminaten nicht dauerhaft verzichten. In Regensburg und München musste man ab 1791 einen „Illuminateneid“ leisten und seine Mitgliedschaften offenlegen. Verschiedene ehemalige Illuminaten wurden daraufhin wieder zum Staatsdienst zugelassen.
Drake-Affäre
Oberhauser widmet sich im Zusammenhang mit Horn auch noch der Drake-Affäre. Der britische Diplomat Francis Drake (nicht zu verwechseln mit dem berühmten Freibeuter) war in München tätig und benutzte Horn auch für Geheimaufträge. Viele heikle Papiere wurden damals vorsorglich vernichtet und es finden sich Hinweise auf verschlüsselte Botschaften und Geheimtinte. Es ging nicht nur um harmloses Spionieren, das Umhören in diplomatischen Kreisen und das Senden von Berichten nach London, sondern (sofern es sich rekonstruieren lässt) um Attentatspläne gegen den französischen Herrscher Napoleon.
Das Attentat mithilfe einer »Höllenmaschine« war zwar 1800 noch gescheitert, die Pläne aber weitergesponnen worden. Dies hat zuletzt Tim Clayton dargelegt : Er schildert detailliert den Attentatsplan durch Pichegru, Moreau sowie Cadoudal und die Verbindung von englischen Politikern, Diplomaten und Geheimagenten mit französischen Vertrauten. Neben dieser großen in Frankreich stattfindenden Verschwörung spielte sich der zweite Teil unter starker britischer Mithilfe in München ab, der auf das Engste mit der Person Jean-Claude Hippolyte Méhée de la Touche (1762 – 1826) verbunden ist.
Dieser de la Touche war Geheimdienstler und hatte die gemäßigteren Phasen der Französischen Revolution befürwortet. Auf der Insel Guernsey schlug er britischen Vertretern einen Plan vor, um in Frankreich Aufstände anzuzetteln. Diese Idee stieß auf Interesse und er durfte persönlich nach London reisen, um mit dem Unterstaatssekretär des Außenministeriums, George Hammond, zu verhandeln. Man stimmte zu, de la Touche nach München zu schicken, um dort zusammen mit Francis Drake den Aufstand vorzubereiten. Handelte es sich bei dem Franzosen um einen Doppelagenten? Konnte er überhaupt solche Pläne erfolgreich umsetzen? Drake empfahl seinen Vorgesetzten, dass eine größere Zahl Agenten in alle Länder unter französischer Kontrolle geschickt werden sollen, um an Umstürzen mitzuhelfen, die nach außen hin den Eindruck erwecken, spontan entstanden zu sein. Es gibt also eine breite Reihe an Original-Quelldokumenten, die zeigen, dass damals die britischen Geheimdienste eine erhebliche Größe und Professionalität besaßen und sehr aggressive Operationen durchführten. Es gab zwar noch nicht die bürokratischen Geheimdienst-Ämter wie im 20. Jahrhundert, mit offiziellen Namen und Gebäuden. Aber das war auch nicht nötig. Die Strategie der Briten damals scheint uns heute, angesichts der Quellen und des historischen Kontexts und dem üblichen Vorgehen von Geheimdiensten, recht offensichtlich: Aufklärerische Tarnorganisationen erschaffen in Britannien, Amerika und Deutschland. Besonders im Zusammenhang mit dem Freimaurertum und Wissenschaftskreisen wie der Royal Society. Über diese Tarnorganisationen Kontakte knüpfen zu Franzosen, die bereit sind, einen Aufstand anzuzetteln gegen den französischen König. Geld liefern, Sicherheitsgarantien und andere bedeutende Leistungen an diese französischen Revolutionäre. Nach der Revolution alle Möglichkeiten nutzen, um Aufstände anzuzetteln gegen die neue Regierung Frankreichs. Attentate durchführen gegen Napoleon und andere wichtige Funktionäre. Verschwörungsbücher in Umlauf bringen, die die Revolution und somit die neue Regierung schlechtreden.
Es ist nicht mehr zu leugnen, dass die wichtigsten Bestsellerbücher des Verschwörungs-Genres Teil waren der britischen geheimdienstlichen Strategie. Dieser Aspekt muss unbedingt in den Mittelpunkt der Forschung gerückt werden, und nicht nur für die Ära nach der Französischen Revolution. Ende Februar 1804 flog die Drake-Operation auf:
Die Verschwörung rund um Pichegru wurde entdeckt, der Herzog von Enghien als einer der Mitverschwörer identifiziert und wenig später hingerichtet. Zu einem letzten Treffen zwischen einem Verbindungsmann Méhée de la Touches und Drakes war es im März gekommen. Bereits am 22. März berichtete Drake an Hawkesbury, dass er davon ausgehe, sehr bald München verlassen zu müssen.
Der Skandal war so groß, dass die diplomatischen Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und Bayern beendet wurden. Franz von Reden (1754 – 1831), der Vertreter des Kurfürstentums Hannover am Reichstag (siehe auch die Hannoveraner Könige Britanniens), war ab 1803 also ein Jahr vor dem Auffliegen der Drake-Operation, zu einem wichtigen Korrespondenzpartner Horns geworden. Er und Horn hatten dann wohl den Auftrag, belastende Unterlagen zu vernichten oder in Sicherheit zu bringen. Oberhauser beklagt, dass die gängige Forschung zur Geschichte sich lieber auf Geheimdiplomatie beschränkt, aber den knallharten Bereich von Geheimoperationen „im Untergrund“ eher ausklammert. Dabei ist zu erkennen, dass wichtige Personen damals, genau wie bei den modernen Geheimdiensten des 20. Jahrhunderts, oft eine Doppelfunktion hatten. Offiziell tätig als Diplomat, aber gleichzeitig ein Agentenführer, der im Untergrund Operationen anleitet. Horns Aufgabenfeld war vielfältig.
Er hatte den Auftrag, Informationen in Regenburg mittels Pamphleten und Zeitungsartikeln zu streuen, um für Verwirrung und Diskussionen unter den Diplomaten zu sorgen. Es handelt sich hierbei um bewusste Desinformationskampagnen, die darauf abzielten, Personen schlecht darzustellen. Ferner sollten Entscheidungsträger dadurch beeinflusst werden.
Oberhauser begreift, dass der Brite William Wickham (1761 – 1840) eine zentrale Rolle spielte bei Desinformationskampagnen in Verbindung mit Operationen, um Aufstände in Frankreich anzuzetteln. Er bekam den Spezialauftrag ab Dezember 1794, unter dem Vorwand einer offiziellen diplomatischen Mission ein Netzwerk zu schaffen, welches wichtige Gegner der Französischen Revolution umfassen sollte. Es heißt: „Wickham erweiterte das Korrespondentennetzwerk stetig und konnte somit immer mehr hochrangige französische Politiker und Militärs für die Ziele der Konterrevolution gewinnen.“
Quellen:
Diplomatie aus dem Untergrund: die merkwürdige Karriere des Alexander (Maurus) Horn(e) (1762-1820) Buch von Claus Oberhauser
Augustin Barruels „Denkwürdigkeiten“
Während Robison das protestantische und freimaurerische Publikum bediente, kümmerte sich Augustin Barruel um die Katholiken und schuf fast zur gleichen Zeit eine Bestseller-Buchreihe, die in ganz Europa und in den USA für mächtig Wirbel sorgte und bis weit in das 20. Jahrhundert fleißig (und unkritisch) zitiert wurde von Verschwörungsautoren. Es gibt sehr viele Querverbindungen zwischen Robison und Barruel. Die beiden waren eingebunden in das Netzwerk des britischen Geheimdienstes, das von dem Forscher Claus Oberhauser mit vielen Originalquellen dokumentiert wurde. Barruel stammte aus einer alten französischen Adelsfamilie, trat in jungen Jahren den katholischen Jesuiten bei und wurde vor der Revolution erfolgreich als Journalist und Schriftsteller. Dann musste er als fanatischer Anhänger der alten Ordnung nach Britannien flüchten. Der Wissenschaftler Jean-André Deluc schlug vor, dass Barruel mit wichtigen Persönlichkeiten, allen voran mit Edmund Burke, in Kontakt treten solle. Burke war ein einflussreicher Politiker, der dem Kronrat angehörte, und zunächst die Französische Revolution gelobt hatte, als es opportun war für das britische Empire. Sobald das verhasste französische Königshaus entmachtet war, änderte Burke seine Haltung und forderte öffentlich eine Umkehr der Revolution, womit er zu mehr Chaos und Bürgerkrieg in Frankreich aufrief. Burke unterstützte den britischen Krieg ab 1793 gegen Frankreich und wollte, dass Großbritannien in einem Bürgerkrieg auf der Seite der Royalisten und Emigranten kämpfte. Burke unterstützte auch den royalistischen Aufstand in La Vendée. Neben den direkten kriegerischen Handlungen und der Förderung von Aufständen durch geheimdienstliche Methoden brauchte es noch eine Propagandakampagne. Psychologische Kriegsführung, die die französischen Revolutionäre als satanische Anarchisten brandmarkte. Edmund Burke lobte Barruels ersten Band der Verschwörungs-Buchreihe „Denkwürdigkeiten“, freute sich schon auf den nächsten Band und erklärte seinen ausdrücklichen Wunsch, dass die Bücher eine hohe Verbreitung finden würden in Frankreich. Es ist schwer zu rekonstruieren, inwiefern Burke oder andere Leute aus britischen Geheimdienstkreisen veranlasst hatten, haufenweise Exemplare zu drucken, in Umlauf zu bringen, und möglichst viel Werbung dafür zu machen. Was wir definitiv wissen, ist dass die Denkwürdigkeiten schließlich zu den erfolgreichsten Büchern der ersten Hälfte der 1800er Jahre zählten. Burke heiratete die Tochter von Dr. Christopher Nugent, ein Mediziner und Fellow der Wissenschaftsvereinigung Royal Society, deren Ableger in Edinburgh einst John Robison zum Präsidenten hatte, den Autor von „Proofs of a Conspiracy“. 1800–1804 erschien Barruels Buchreihe unter dem Titel „Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Jakobinismus“ auch auf Deutsch. Es kursiert das Gerücht, dass Barruel 1806 von einem italienischen Soldaten namens Giovanni-Battista Simonin dazu angestiftet worden sei, einen fünften Band über eine jüdische Weltverschwörung oberhalb von allen Verschwörungen zu schreiben, der aber nicht veröffentlicht wurde. Erst in den 1840er Jahren popularisierten französische Frühsozialisten juden-fixierte Verschwörungsnarrative, während der französische Arm der Rothschild-Bankerfamilie und ein paar andere jüdische Merchant Banks an Bedeutung gewonnen hatten. Wäre um das Jahr 1910 oder davor tatsächlich ein fünfter Band von Barruel erschienen, hätte dieser wegen der starken Verbreitung der vier vorhergehenden Bände durchaus Anklang finden können, auch wenn die Rothschilds noch eine eher kleine Nummer waren und es noch lange nicht das berüchtigte Märchen gab, laut dem diese Kleinstfamilie den britischen Aktienmarkt abgezockt hätte.
Band I
Es fällt in den ersten Absätzen bereits auf, wie Barruel die Französische Revolution als furchtbares Zerstörungswerk der „Sekte“ der Jakobiner und Illuminaten abtut, ohne auch nur ansatzweise eine nüchterne Einordnung vorzunehmen. Die Französische Monarchie war rückständig und ausbeuterisch wie jede andere Monarchie in Europa, die das untergegangene Römische Reich beerben wollte. Es ist geradezu lächerlich, dass rechtskonservative amerikanische Kreise diese extrem negative Sichtweise über die Französische Revolution begierig von Barruel übernahmen, aber gleichzeitig die Amerikanische Revolution als Fetisch und Gründermythos der US-Republik betrachteten. George Washington und seine Mitstreiter verwendeten ebenso wie die Jakobiner aufklärerische und republikanische Propaganda. In Frankreich gab es nach dem Sturz der Monarchie immer noch viele Befürworter der alten Ordnung sowie den Katholizismus und Barruel goss einfach immer mehr Benzin ins Feuer, was sicherlich im Interesse Britanniens lag. Barruel war in keinster Weise ein sachlicher Wissenschaftler bzw. Geheimdienst-Experte, sondern ein fanatischer Geistlicher, der wohlwollende Texte schrieb über den Papst, sich an mächtige Strukturen klettete und geistig im Mittelalter stehengeblieben war. Als einen zentralen Chef der teuflischen Verschwörung betrachtete er den Schreiber Voltaire, der aus den niedrigsten Rängen des französischen Adels stammte und frühzeitig schon Ärger mit der Obrigkeit hatte. So beleidigte er desöfteren einen höheren Adeligen und landete im Knast. Schließlich setzte er sich nach Britannien ins Exil ab und verkehrte dort auffälligerweise mit hohen Kreisen wie Sarah Churchill, die Duchess of Marlborough. Es ist denkbar, dass die britischen Geheimdienste ihn in dem Zeitraum bearbeiteten, ermunterten und über „aufklärerische“ Tarnorganisationen rekrutierten, um irgendwann bei einem Wandel in Frankreich mitzuarbeiten. Diesem naheliegenden Verdacht geht Barruel nicht nach. Nach seiner Rückkehr veröffentlichte Voltaire in Frankreich ohne Vorabprüfung der Zensurbehörden Texte, die die britische konstitutionelle Monarchie als das bessere System bezeichneten im Vergleich zu der französischen klassischen Monarchie. Und so musste Voltaire aus Paris fliehen, tauchte bei betuchten Leuten unter und widmete sich verstärkt der Wissenschaft, die oft einherging mit aufklärerischen Gedanken und gleichgesinnten Kollegen. Barruel wähnt Voltaire im Bunde mit Friedrich dem Großen (damals Kronprinz von Preußen). Der 42-jährige Schreiber und der knapp 22 Jahre junge Kronprinz begannen einen Briefwechsel, der sich über vier Jahrzehnte hinziehen sollte und eine gewisse Berühmtheit erlangte. Den beiden gingen die Themen nie aus. So hatte beispielsweise der bedeutende deutsche Wissenschaftler und Philosoph Christian Wolff seine „Metaphysik“ veröffentlicht und Friedrich wollte sie übersetzen lassen, um sie dann Voltaire zu schicken und sich mit ihm darüber auszutauschen. Wolff war 1710 Mitglied der britischen Royal Society geworden und lehrte in Hessen an der Universität Marburg.
Die Herrscher Hessens (Reginare) waren verbündet und verwandt mit den Welfen auf dem britischen Thron, und hatten zudem noch Bindungen zu den preußischen Herrschern von den Hohenzollern. Bevor Wolff nach Hessen ging, war er in Preußen tätig gewesen, aber wegen dem Druck von religiösen Kreisen musste der alte Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. ihn verbannen. Einer von Wolffs Schülern war ausgerechnet Johann Adam von Ickstatt, der zum Direktor der Universität Ingolstadt wurde, dort die Jesuiten zurückdrängte und schließlich den zum Waisen gewordenen Adam Weishaupt adoptierte, also den späteren Gründer des Illuminatenordens. Niemand kann ernsthaft Figuren wie Voltaire oder Weishaupt als Drahtzieher von Mega-Verschwörungen „gegen alle Religionen und Throne“ betrachten. Sie waren viel zu niedrig in der Hierarchie angesiedelt und uns liegen keine Belege dafür vor, dass sie entscheidende Rollen gespielt hätten bei der Destabilisierung Frankreichs. Sie durften durch die entsprechende Förderung durch adelige Kreise gewisse Aufgaben übernehmen und es ist nicht einmal klar, inwiefern sie sich darüber bewusst waren, dass letztendlich der britische Geheimdienst von all dem aufklärerischen Getue profitieren würde. Die Fäden laufen über bestimmte Adelslinien und Organisationen wie die Royal Society immer wieder nach Britannien, aber entweder war Barruel zu amateurhaft, um den Braten zu riechen, oder er durfte schlichtweg nichts schreiben, was seinen britischen Freunden missfallen hätte. Es ist auch denkbar, dass er sich dazu überreden ließ, dass Britanniens Hilfe die beste Chance sei für den Kampf der Royalisten in Frankreich, die Revolution rückgängig zu machen. Dass Barruel Figuren wie Voltaire oder Weishaupt schlechtredet, konnte den Briten herzlich egal sein, denn die beiden waren austauschbare Figuren gewesen, die man verheizen konnte. Die französische Spionage drängte Voltaire 1743 dazu, den inzwischen zum preußischen König gewordenen Friedrich auf dessen Schloss zu besuchen und ihn auszuhorchen über etwaige Einmischungen in den österreichischen Erbfolgekrieg. Später lebte Voltaire sogar in Sanssouci und Charlottenburg, aber es kam zu Streitigkeiten und er tingelte fortan durch verschiedene Länder und wurde mit seinen aufklärerischen Schriften immer bekannter. Etwas mehr als einen Monat vor seinem Tod wurde er in die Freimaurerei eingeweiht. Am 4. April 1778 besuchte er die berüchtigte Loge Les Neuf Sœurs in Paris und wurde ein eingetragener Freimaurerlehrling. Laut einigen Quellen „drängte Benjamin Franklin … Voltaire, Freimaurer zu werden, und Voltaire stimmte zu, vielleicht nur, um Franklin zu gefallen.“ Franklin hatte zu tun mit der britischen Royal Society und war aller Wahrscheinlichkeit ein britischer Agent. Zu der Zeit der französischen Revolution gab es rund 1250 Freimaurer-Logen in Frankreich. Die Loge Les Neuf Sœurs war eine bedeutende Loge im Grand Orient de France, die einen besonderen Einfluss auf die Französische Revolution (1789) hatte. Einige bemerkenswerte französische Revolutionäre waren Freimaurer, darunter Marquis de Lafayette, Marquis de Condorcet, Mirabeau, Georges Danton, der Herzog von Orléans, und Hébert. Louis Philippe II., Herzog von Orléans, ein Führer der liberalen Aristokratie, war zur Zeit der Französischen Revolution der Großmeister des Grand Orient. In einigen Teilen Frankreichs waren die jakobinischen Clubs Fortsetzungen von Freimaurerlogen aus dem Ancien Régime, und laut dem Historiker Alan Forrest „übernahmen einige frühe Clubs tatsächlich sowohl die Räumlichkeiten als auch einen Großteil der Mitglieder von Freimaurerlogen, bevor sie sich einen neuen Anstrich gaben.
Preußen hatte allen Grund dazu, sich an der Destabilisierung Frankreichs zu beteiligen, musste sich aber abschirmen vor einem Blowback allzu radikaler aufklärerischer Gedanken. Barruel war also definitiv schlau genug, geheime Operationen von Preußen gegen Frankreich zu vermuten. Sollen wir dann wirklich annehmen, er sei nicht schlau genug gewesen, auch britische Operationen zu vermuten? Für Barruel ist Philosophie bereits eine antichristliche Aberration, eine Hybris des Menschen, quasi die Ursünde, sich anzumaßen so schlau wie die Götter zu sein. Kurzum: Des Teufels. Als er diesen Dummfug geschrieben hatte, existierte die britische Wissenschaftsvereinigung „Royal Society“ als Schwesterorganisation des von antiken Mysterienkulten beeinflussten britischen Freimaurertums bereits seit 100 Jahren. Die Wissenschaftler hatten bewiesen, dass traditionelle Vorstellungen über das Universum und die katholische Kirche sehr oft komplett daneben lagen. Auch in Frankreich gab es immer mehr begnadete Wissenschaftler und Barruel hätte damals die Frage nicht wirklich beantworten können, wie der König und die Jesuiten das Empire konkurrenzfähig hätten halten können gegenüber Britannien und den USA. Egal mit wieviel Fanatismus und verdeckten Operationen die Jesuiten es versucht hätten; es hätte nicht gereicht. In Britannien und den USA war die Aufklärung zwar künstlich von oben herab gesteuert gewesen, aber man konnte innerhalb von gewissen Grenzen die Wissenschaftler und andere Bürger einfach mal drauflos agieren lassen, und die besten Früchte davon ernten. Aus diesen freien Kräften heraus entstand auch der Eindruck, die Ideen der Aufklärung seien schlicht unaufhaltsam gewesen und hätten genügend Eigendynamik entwickelt, um die absolutistische Herrschaft in den Imperien des Mittelalters zu beenden. In seinen „Denkwürdigkeiten“ attackiert Barruel sogar die protestantische Kirche. Aber er lässt nicht den geringsten Verdacht auf die Briten kommen. Sogar die Tatsache, dass Voltaire große Vorteile auf der Insel genoss, wird beiseite gewischt, da er auch in jedem anderen Land „das geworden wäre, was er geworden ist“. Als in Britannien um das Jahr 1700 herum die Ära der katholischen Stewarts beendet war und die neue Ära der Hannoveraner Welfen begann, war man den Franzosen noch weit unterlegen in Bereichen wie Bevölkerungsgröße, Landfläche und Finanzen. Je näher das Jahr 1800 rückte, umso mehr fielen die Franzosen zurück. In der Folgezeit wurde Britannien zum größten und mächtigsten Empire, „beherrschte die Meere“ und unterhielt eine enge, geheime Beziehung zu dem anderen großen Empire, das auf Republikanismus und Wissenschaft setzte: Die USA. Die vielen einflussreichen Franzosen, die sich an der Französischen Revolution und den Vorbereitungshandlungen beteiligt hatten, waren nicht einfach getrieben von aufklärerischen Werten oder satanischen Absichten, sondern wollten eher das Ruder herumreißen, die Königsfamilie endlich loswerden und Frankeich wieder auf Erfolgskurs bringen. Barruels Buchreihe war im Prinzip so konstruiert, dass sie die Bevölkerung im Nachhinein spalten sollte anhand von politischen Überzeugungen, Religion und gesellschaftlichen Klassen. Britanniens Geheimdienste hatten sich zwar an dem Sturz der französischen Monarchie beteiligt, aber sie saßen nicht im Fahrersitz bei der Sache und die subversive Arbeit war nach der Revolution nicht vollendet. Es musste verhindert werden, dass sich in Frankreich eine neue starke Ordnung etabliert. Dies ging gewaltig schief, denn Napoleon fegte wenige Jahrzehnte später über Europa hinweg. Französische Freimaurer waren genauso wie die amerikanischen oder die britischen inspiriert von der Antike und den antiken Mysterienkulten. Dies als Satanismus abzutun, ist gängige Praxis in den Verschwörungsmedien bis zum heutigen Tag. Selbst als im Römischen Reich das Christentum nicht länger als störende Sekte verfolgt, sondern gründlich infiltriert war und zur Staatsreligion erkoren wurde, behielten römische Eliten die Mysterienkulte bei. Der anti-römische Jude Jesus wurde im Nachhinein zu einer Kunstfigur verbastelt nach Vorbild antiker Gottheiten, inklusive Jungfrauengeburt. Es überrascht nicht, dass in der britischen und amerikanischen Sphäre lange Zeit Literatur wie „Foxes and Firebrands“ zirkulierte, die die katholische Kirche als Hort antiker Kulte bezeichnete und die Jesuiten als eiskalte Agenten, die jeden noch so niederträchtigen Auftrag erfüllen. Gute Fälschungen enthalten ein gewisses Maß an Wahrheit. Der von Barruel immer wieder genannte Friedrich von Preußen entstammte den Hohenzollern und galt als Reformer. Er schaffte die Folter ab und erneuerte das Bildungssystem, blieb aber der absolutistische Monarch für seine bis zu 5,5 Millionen Untertanen. Viele lebten in Erbuntertänigkeit und Leibeigenschaft. Seine Mutter war Sophie Dorothea von Hannover, deren Vater der britische König George I. von den Welfen war. Das Verhältnis zwischen den Hohenzollern auf der einen Seite, und den Welfen, Wettinern und Reginaren auf der anderen Seite, war trotz gewisser, erheblicher Verwandtschaftsverhältnisse kompliziert.
Friedrich verliebte sich in die uneheliche Tochter Kurfürst Friedrich Augusts, Anna Karolina Orzelska, die später durch Heirat Prinzessin von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Beck wurde. Nicht nur haben wir es mit einer Verbindung zum britischen Thron zu tun, sondern auch mit einer Verbindung zu Schleswig-Holstein-Romanow-Gottorf, also der modernen Linie der russischen Zaren. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass Friedrich in einer gewissen Kapazität mit den Welfen heimlich paktierte, um Frankreich zu schwächen. Aber Barruel will keine negative Aufmerksamkeit lenken auf Britannien. Friedrich verband eine enge Freundschaft mit dem acht Jahre älteren Leutnant Hans Hermann von Katte, dessen Vorfahre Hans Katte war, herzoglich sachsen-coburgischer Hofmarschall. Die Linie Sachsen-Coburg und Gotha führte nach den Hannoveraner Welfen zusammen mit dem Haus Hessen und Schleswig-Holstein den britischen Thron bis heute. Es gibt sehr plausible Vermutungen, dass Friedrich mit von Katte eine homosexuelle Beziehung hatte und schließlich wurde Katte von Friedrichs Vater zum Tode verurteilt. Eine standesgemäße Ehe wurde arrangiert mit Elisabeth Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel-Bevern von den Welfen. Die Ehe blieb kinderlos. Der sogenannte Siebenjährige Krieg war ein gewaltiger Konflikt, der auf der ganzen Welt zwischen den Großmächten ausgetragen wurde. Russland und Österreich hatten einen Vertrag unterzeichnet und sich gegen Preußen verbündet. Die Franzosen rückten in Deutschland ein, bewegten sich in Richtung Preußen und wollten Hannover, den Stammsitz der Welfen-Könige Britanniens, in Geiselhaft nehmen. Großbritannien und Preußen hatten Truppen verbündeter bzw. verwandter Fürstentümer wie Hessen-Kassel und Sachsen-Gotha zu der sogenannten „Observationsarmee“ zusammengeschlossen. Am 26. Juli 1757 schlugen die französischen Truppen unter Führung des Marschalls d’Estrées die Observationsarmee unter dem Herzog von Cumberland (Mitglied des britischen Königshauses) in der Schlacht bei Hastenbeck. Großbritannien sagte Preußen in einer Vereinbarung vom 11. April 1758 finanzielle Mittel von 4,5 Millionen Talern sowie die Aufstellung eines neuen Heeres in Kurhannover zu. Herzog Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel konnte die Franzosen in der Schlacht von Rheinberg am 12. Juni 1758 und in der Schlacht bei Krefeld am 23. Juni 1758 schlagen und kontrollierte zum Jahresende das gesamte rechtsrheinische Gebiet. In der Schlacht bei Mehr (heute Mehrhoog) am 5. August 1758 schlugen 3.000 Preußen unter General Philipp von Imhoff fast 10.000 Franzosen. Frankreich hatte bei den Friedensverhandlungen am Kriegsende keine Verhandlungsmasse. Nach dem Tod der Zarin Elisabeth folgte ihr Neffe, ein Bewunderer Friedrichs, als Peter III. auf den Thron. Nachdem er den preußischen Schwarzer Adlerorden und weitere Ehrungen erhalten hatte, schloss er mit Preußen den Frieden von Sankt Petersburg. Die Briten schlugen Frankreich auf amerikanischem und indischem Gebiet. Der Siebenjährige Krieg hatte die Staatsverschuldung Frankreichs in atemberaubende Höhen getrieben. Aus strategischen Gründen inszenierten die Briten mit George Washington den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, was Frankreich dazu verlockte, Washington großzügig zu unterstützen in der Hoffnung, es damit den Briten heimzuzahlen. Die Finanzen der Französischen Monarchie waren dann erst recht eine Katastrophe, was es den britischen Geheimdiensten einfacher machte, die Lage in Frankreich weiter zu destabilisieren durch aufklärerische Propaganda. Es sollte offensichtlich sein, dass nicht nur auf den Meeren und Schlachtfeldern gekämpft wurde mit Kanonen und Gewehren, sondern auch auf der geheimdienstlichen Ebene mit Tarnorganisationen und Propaganda.
Barruel erzählt, wie bei Voltaire die Idee gereift sei, eine Geheimgesellschaft für seine Zwecke zu gründen, und wie der Landgraf von Hessen-Kassel seine Unterstützung angeboten hätte. Derselbe Landgraf hatte interessanterweise bis zu 20.000 Söldner an Großbritannien vermietet für den Kampf gegen George Washington in den US-Kolonien und wurde dafür mit Unsummen bezahlt. Er galt als einer der reichsten Männer auf dem Festland, seine Familie stand dem britischen Königshaus nahe und finanzierte höchstwahrscheinlich geheimdienstliche Strukturen und Operationen. Nach den Hannoveraner Welfen auf dem britischen Thron folgten Sachsen-Coburg und Gotha sowie das Haus Hessen. Der Vater des aktuellen König Charles, Philipp Mountbatten, ist Hessen-Darmstadt. Die Mutter, Queen Elizabeth, ist zu einem großen Teil Sachsen Coburg und Gotha. Der Prinz Karl von Hessen-Kassel (1744 bis 1836) hatte eine Tochter des britischen Königs George II. (von den Hannoveraner Welfen) zur Mutter und schuf ein Netz von Freimaurer-Logen auf deutschem Boden. Die vom Grand Orient de France gegründeten und hauptsächlich aus jüdischen Mitgliedern bestehenden Freimaurerlogen Zur aufgehenden Morgenröte in Frankfurt am Main und Zu den vereinigten Freunden in Mainz stellte er nach den Napoleonischen Kriegen unter seinen Schutz, erteilte ihnen eine neue Konstitution und erwirkte für die Loge Zur aufgehenden Morgenröte sogar ein Patent für die christlichen schottischen Hochgrade. Er wurde neben dem Herzog Ferdinand von Braunschweig eines der wichtigsten Mitglieder des Illuminatenordens, dessen Dokumente schließlich von der bayerischen Polizei erbeutet wurden. Einige Dokumente davon zirkulierten in der Öffentlichkeit und bildeten das Fundament für eine Reihe an Bestseller-Büchern wie von Barruel aus dem Verschwörungs-Genre. Wie schaffte es Barruel, all diese offensichtlichen Spuren nach Großbritannien zu ignorieren? Die überchristliche Hysterie, gemischt mit den öffentlich bekannt gewordenen Informationen zu dem Illuminatenorden schindete Eindruck. Barruel nennt immerhin den König von Dänemark-Norwegen als Mitverschwörer, Christian VII. aus dem Haus Oldenburg. Seine Mutter war die Tochter des britischen Königs George II. Die Stiefmutter war Juliana Maria von Braunschweig-Wolfenbüttel-Bevern. Er heiratete seine Cousine aus dem britischen Königshaus. Die Verbindungen zu Britannien sind also offensichtlich. Dennoch, so hält Barruel fest, trotz der Involvierung verschiedener „Könige des Nordens“ an der Verschwörung gegen Frankreich und das (katholische) Christentum, findet man in den Korrespondenzen der Verschwörer „den Namen seiner britischen Majestät nicht einmal erwähnt“. König George III. sei „zu weise“ gewesen, als dass er sich auf die miesen Verschwörer eingelassen hätte und demzufolge sei das Schweigen der Verschwörer über ihn ein schlagender Beweis dafür, dass er nicht beteiligt gewesen sei. Diese Argumentation ist gelinde gesagt Schwachsinn. Barruel war nicht spezialisiert auf Geheimdienste, ihm lagen nur Fragmente vor von Korrespondenzen, bestimmte Dinge oder Personen werden aus Prinzip nicht auf Papier geäußert und King George III. kämpfte weltweit an allen Fronten gegen den Erzfeind Frankreich. Die Franzosen gaben ein Vermögen aus, um George Washington zu finanzieren und auszustatten im Unabhängigkeitskrieg gegen George III. Washington und seine Leute benutzten eine Reihe an aufklärerischen Gedanken und Slogans. Wer ist blöde genug um zu denken, dass der britische König es aus ehrbaren Motiven abgelehnt hätte, sich an Geheimoperationen zu beteiligen, um den Erzfeind Frankreich zu destabilisieren? Zu den Verschwörern zählten angeblich Ludwig Eugen und Prinz Ludwig von Württemberg, die sich austauschten mit Jean-Jacques Rousseau. Das Haus Württemberg ist ebenfalls verbunden mit dem britischen Königshaus und Barruel schafft es wieder nicht, diese Verbindung aufzuzeigen. Als nächstes wird in Band I dem französischen König Louis dem 15. auch noch Inkompetenz, romantische Affären und mangelnde religiöse Strenge vorgeworfen. Er sei also selber schuld an dem Fall seines Hauses.
Band II
Genau wie John Robison unterscheidet Barruel zwischen wundervollen, ehrbaren britischen Freimaurern auf der einen Seite und den bösen, okkulten Logen in Frankreich und Deutschland. In Kapitel neun heißt es:
England ist insbesondere voller hochanständiger Männer, ausgezeichnete Bürger, die Freimaurer sind […] und vereint sind im Bunde von Gemeinwohl und brüderlicher Sympathie.
Da Barruel ins britische Exil gegangen war, muss er seinen potenziellen Interessenkonflikt ansprechen und beteuern, dass er die britischen Freimaurer nicht einfach nur deshalb in ein positives Licht rückt, weil er sich vor negativen Konsequenzen fürchtet, falls er diese Brüder ebenfalls als gefährlich und okkult abtut. Barruel ist ein erzkatholischer Jesuit gewesen und müsste eigentlich alleine deshalb schon die britischen Maurer samt und sonders ablehnen, egal ob das reguläre Drei-Grade-System oder die weiterführenden Systeme, die sich alle auf Mysterienkulte der Antike beziehen. Er benutzt das simple Argument, dass die britischen Logen nicht gefährlich sein können, weil sie sehr zahlreich sind und dennoch keine Revolution wie in Frankreich angezettelt haben. Die britische Freimaurerei wurde konzipiert unter König George I. im Jahre 1717 und diente verschiedenen Zwecken; darunter auch ein neues Günstlings-System unterhalb des Adels und manchmal parallel zum Adel. Die britische Gesellschaft wurde komplexer und über Logen ließen sich Loyalität, Privilegien und Verpflichtungen managen. Man kann jede Art von Vehikel nutzen für Geheimoperationen, ganz egal wie langweilig es erscheinen mag von außen; also längst nicht nur theatralische Logen mit Brimborium, sondern auch dröge Import-Export-Firmen. Wir wissen nicht, ob Barruel sich im Klaren darüber war, dass die Schwesterorganisation des britischen Freimaurertums die Wissenschaftsvereinigung „Royal Society“ war und man fokussierte auf Fortschritt zugunsten des Empires. Für diesen Fortschritt waren ebenjene Logik und Bildungsangebote notwendig, die Barruel in Frankreich als antichristliche Verschwörung abtat.
Der bayerische Illuminatenorden war nur eine zwischengeschaltete Tarnorganisation. Der Sinn und Zweck ist, ein Sicherheitsnetz zu haben, falls die Tarnorganisation auffliegt und verbrannt ist. Genau dieser Zweck wurde erfüllt, als die bayerische Polizei Dokumente des Ordens beschlagnahmte und veröffentlichte. Man konnte Adam Weishaupt als überambitionierten Aktivisten darstellen und die wichtigsten Mitglieder als gutgläubige Mitläufer, die gar nicht so recht wussten, worauf sie sich eingelassen hatten. Barruel erzählt eine seltsame Geschichte, laut der er von französischen Freimaurern zum Abendessen eingeladen worden sei, die die Türen verschlossen und ihn dazu drängten, von ihnen in den Orden aufgenommen zu werden. Normalerweise muss jemand nach bestandener Vorauswahl langwierige Ritual-Texte auswendig lernen und möglichst akkurat Wort für Wort wiedergeben, um den ersten Grad verliehen zu bekommen. Die schrägen Franzosen hätten ihm in einer Blitz-Zeremonie drei volle Grade aufgezwungen, während er eigentlich höflich die Biege machen wollte. Nach lächerlichem Theater sei er dann gefragt worden, ob er dem Großmeister dieser Freimaurer die Treue schwört, so als kämen die Befehle von einem König oder Kaiser. Es ist wahrscheinlich, dass diese Geschichte teilweise oder ganz erfunden ist. Eine fast identische Geschichte finden wir bei dem Verschwörungsautor John Robison. Jener berichtet von einer Europa-Reise, bei der abgedrehte Logen ihn angeblich anwerben wollten, er das alles aber viel zu bizarr fand; wie eine groteske Karikatur des wundervollen britischen Freimaurertums. Barruel spricht über Schilderungen von Mitgliedern okkulter, mystischer Logen, wie sie seltsame berauschende Getränke konsumieren und orientierungslos in Kerkern in Apparaturen verharren mussten, die sie langsam nach oben zogen und überraschend absacken ließen. Es war bereits in der Antike üblich, psychoaktive Substanzen aus bestimmten Pilzen und anderen Pflanzen für Rituale zu benutzen. Wenn man einer heiklen Gruppierung beitritt, die sich möglicherweise an illegalen Aktivitäten beteiligt, bis hin zum Hochverrat am herrschenden König, dann sind die Drohungen ernst gemeint, die an Mitglieder ausgestoßen werden. Gerät man in Verdacht, oder wird man des Verrats an der Gruppe eindeutig überführt, kann man leicht vergiftet oder anderweitig beseitigt werden. Wie bei einem modernen Geheimdienst oder einer Mafia-Organisation. Okkulte Freimaurer, so Barruel, bezögen sich auf die Vernichtung des Tempelritterordens vor mehreren Jahrhunderten und die Hinrichtung von Jaques DeMolay. Diejenigen Templer, die flüchten konnten, schworen Rache an dem französischen König und dem Papst. Diese Inspiration sei eingeflossen in die Verschwörung hinter der Französischen Revolution. Es ist ein geschickter Mischmasch aus Fakten und Fehldeutungen, den Barruel präsentiert. Der Leser wird überhäuft mit vielen Details über Rosenkreuzer, Kabbalisten usw. und deren Ritualsysteme und Ursprüngen. Und da all dieses schräge Zeug eben nicht zu finden ist in den gewöhnlichen drei Graden der britischen Freimaurerei, soll man zu der Schlussfolgerung gelangen, dass all das okkulte Zeug in Frankreich und anderswo die wesentliche Motivation war hinter der Französischen Revolution. Keine Spur würde hinweisen auf britische Einflussnahme oder gar großangelegte britische Geheimoperationen.
Band III
Es geht um Adam Weishaupt, der angeblich aus eigener Motivation heraus gewaltige Umstürze herbeiführen wollte. Im Prinzip war es damals keine Schwierigkeit für jemanden mit einem gewissen Status, sich über Kontakte einzuarbeiten in okkulte Systeme, die grundlegenden Organisations-Strukturen einer Freimaurerloge zu lernen, und dann anzufangen, Mitglieder zu rekrutieren. Allerdings war es ja sinnlos, irgendwelche gewöhnlichen tumben Bürger für die Gruppe zu gewinnen und zu riskieren, dass jemand von den immer skurrileren Ritualen und Lehren entsetzt ist und die Sache an die Behörden verrät. Man musste schon höher zielen und Personen mit höherem Status gewinnen, was wiederum die Gefahr erhöhte, von Spionen infiltriert zu werden. Umgekehrt hatten höhere Adelige keinen Anreiz, irgendeiner rebellischen Loge beizutreten, die von einem Niemand angeführt wird. Wie bereits erwähnt, hatte der einflussreiche aufklärerische Wissenschaftler und Philosoph Christian Wolff großen Einfluss ausgeübt auf Johann Adam von Ickstatt, der zum Direktor der Universität Ingolstadt wurde, dort die Jesuiten zurückdrängte und schließlich den zum Waisen gewordenen Adam Weishaupt adoptierte, also den späteren Gründer des Illuminatenordens. Der junge Weishaupt verließ das Jesuitenkolleg Ingolstadt im Alter von 15 Jahren. Das heißt, die jesuitisch-katholische Erziehung war bei Weishaupt nur oberflächlich und hatte wohl eher eine abschreckende Wirkung auf ihn. Adam lebte, wie sein Vater vor ihm, ein Doppelleben: Nach außen hin machte er einen gemäßigten Eindruck, aber abseits der Öffentlichkeit wurde der aufklärerische Eifer immer ambitionierter, so als sei alles möglich; vor allem unter dem Eindruck des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs und der modernen konstitutionellen Monarchie in Britannien. Weishaupt machte eine akademische Karriere in Ingolstadt, wurde Freimaurer und baute nach und nach den Illuminatenorden auf. Für Barruel ist Weishaupt vom selben satanischen Geiste wie die französischen okkulten Freimaurer, versessen darauf, ehrwürdige Königshäuser und Religion zu zerstören. Es fällt auf, dass Barruel es genauso wie John Robison vermeidet, gegen die Amerikanische Revolution zu hetzen, die ja auch begleitet war von aufklärerischen Ideen und Slogans. Meinen Forschungen zufolge waren George Washington und mehrere seiner Mitstreiter britische Agenten und die Unabhängigkeit nur eine Inszenierung. Indem man die 13 Amerikanischen Kolonien offiziell vom britischen Kolonialreich abspaltete, versenkten die Franzosen ein Vermögen in Washington und mussten riesige Gebiete billig an die neuen USA verkaufen. Die Welt sollte denken, die USA und Britannien seien fortan Konkurrenten. Insgesamt und vor allem für das amerikanische Publikum vermied es die Verschwörungsliteratur weitestgehend, die Amerikanische Revolution als das Werk okkulter Verschwörer zu porträtieren, obwohl praktisch jede andere bedeutende Revolution derart negativ gewertet wird. Die Illuminaten-Mitglieder patzten bei ihrem konspirativen Vorgehen und so wurden geheime Mitgliederlisten und andere interne Schriften von der bayerischen Polizei beschlagnahmt und veröffentlicht. Das ist das Quellmaterial, das Barruel benutzt und im Detail zitiert, wie Decknamen verwendet wurden, geheime Codes und viele weitere Elemente, die typisch sind für jeden Geheimdienst. In den Schriften des Ordens wird klar ersichtlich, dass große Sorgfalt angewandt wurde bei der Rekrutierung und der kontinuierlichen Prüfung neuer Mitglieder. Aus dem 20. Jahrhundert sind viele konkrete Details überliefert, wie etwa bei der Special Operations Executive (SOE) Britanniens oder bei verschiedenen Geheimdiensten die Neulinge getestet wurden. Eine simple Methode war, die jeweilige Person in einer Bar nach zunehmenden Alkoholkonsum subtil dazu zu animieren, über Geheimes zu plaudern oder regelrecht zu prahlen. Ist noch eine attraktive Lady zugegen und ein Komplize spielt den überheblichen Angeber, dann werden manche eben weich und enthüllen mehr als sie dürfen. Dann gibt es noch die Fake-Verhaftung. Mit Hilfe von kostümierten Agenten oder echten Polizisten nimmt man die Neulinge unter einem Vorwand in die Mangel und wartet darauf, dass sie vielleicht ihren Status und ihre wahre Identität enthüllen. Der ehemalige Mossad-Agent Victor Ostrovsky berichtet, dass vor seinen Augen mal jemand erschossen wurde, er aber seine Nerven behielt. Hinterher wurde ihm gratuliert und mitgeteilt, dass der Erschossene ein Verräter war und ohnehin eliminiert werden sollte. Deswegen bot sich die Gelegenheit für einen Loyalitätstest. Bei den Geheimgesellschaften soll es gerüchteweise vorgekommen sein, dass Mitglieder mit verbunden Augen ein rasiertes Tier erstechen mussten, im Glauben, es handle sich um einen Verräter am Orden. Vielleicht ist dies komplett erfunden oder es wurden, ohne Augenbinde, vereinzelt Tiere benutzt für rituelle Tötungen. Bei den Illuminaten mussten Neulinge diverse Geheimnisse preisgeben, auch peinliche. Mangels Videokameras und Tonbandaufnahmen konnte man jemanden handschriftlich heikle Bekenntnisse machen lassen, um Erpressungsmaterial in der Hinterhand zu haben. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt und im Laufe von zehntausend Jahren des Imperialismus und der Geheimorden haben findige Agentenführer die Methoden perfektioniert. Der Illuminatenorden musste sich nicht nur abschirmen gegen Spione, sondern musste in irgendeiner Form versuchen, die Behörden zu infiltrieren um vorgewarnt zu sein, ob die eigenen Aktivitäten, Mitglieder und Methoden kompromittiert sind. Weishaupt war für sich genommen ein Niemand. Aber mit einflussreichen Adeligen im Hintergrund, die nicht nur Mitglieder, sondern eher die tatsächlichen Anführer waren, ergaben sich weitaus mehr Möglichkeiten. Barruel zitiert dermaßen viel aus den Illuminaten-Texten, und garniert es mit flauer erzkatholischer Kritik, dass einige heutige Leser der Buchreihe eher die aufklärerischen Ideen interessant fanden. Weishaupt hätte sich wohl nicht erträumt, dass der Orden so schnell platzen wird und dass dann Leute in ganz Europa und Amerika in Bestseller-Büchern seine Ideen lesen.
Band IV
Die bayerischen Behörden stoppten letztendlich den Illuminatenorden nach den peinlichen Enthüllungen, hielten sich aber mit harten Strafen zurück. Das bayerische Zensurkollegium bestand bis zum Einschreiten des Kurfürsten 1784 überwiegend aus Illuminaten. Aufklärerische Schriften wurden oft durchgewunken, während aufklärungsfeindliche Texte immer wieder einkassiert wurden. Auch andere Teile der bayerischen Regierung wurden von den Illuminaten infiltriert. Franz Xaver von Zwackh (Deckname Cato) war eigentlich königlich-bayerischer Staatsrat gewesen, wurde nach Landshut strafversetzt und floh später nach Paris und kehrte später nach Bayern zurück. Weishaupt könnte tatsächlich geglaubt haben, dass er die zentrale Rolle spielen würde und er soll misstrauisch gewesen sein, dass die Mitglieder Bode und Knigge hohe Adelige ins Boot holten wie die Prinzen Karl von Hessen und Ferdinand von Braunschweig sowie die Herzöge Ernst von Sachsen-Gotha und Carl August von Sachsen-Weimar. Ernst II. nutzte die Gothaer Illuminatenloge als geheimes Schattenkabinett. Diverse Illuminaten versuchten, in klassischer Spionagemanier, relevante geheime Regierungspapiere zu stehlen und Einfluss auszuüben auf die bayerische Politik gegenüber Österreich. Kurfürst Karl Theodor hatte genug und verbot den Orden. Manche verloren ihre Posten, manche mussten Bayern verlassen, es gab Hausdurchsuchungen, aber niemand landete in Haft. In der Öffentlichkeit versuchten einige, die Zerschlagung des Ordens als das Werk jesuitischer Netzwerke zu interpretieren. Ehemalige Illuminaten veröffentlichten Texte, dass alles nur ein großes Missverständnis gewesen sei. Adam Weishaupt floh. Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg (seit 1783 Mitglied der Illuminaten unter dem Ordensnamen Quintus Severus bzw. Timoleon) gewährte ihm in Gotha Asyl. Die Ironie ging an vielen Beobachtern nicht vorbei: Der angebliche Aufklärer, der die Welt von dem Joch des Absolutismus befreien wollte, flüchtete sich zu einem mächtigen Adeligen und wurde von diesem finanziert. Es wäre höchst gefährlich gewesen, wenn Weishaupt in Gefangenschaft geraten wäre und weitere Informationen preisgegeben hätte. Stattdessen durfte Weishaupt in Gotha leben mit dem Titel und der Pension eines Hofrates. Er veröffentlichte fortan eine Reihe von Texten, die den Illuminatenorden verharmlosten. Außerhalb Bayerns gab es kaum irgendwelche nennenswerten Verfolgungen von Illuminaten. Wer noch irgendwelche Zweifel daran hat, dass Barruel eine Auftragsarbeit für Britannien geschrieben hat, der lese seine schmierige Darstellung, dass die mächtigen Prinzen wie Ernst II. Ludwig von Sachsen-Gotha-Altenburg nur von Weishaupt getäuscht worden seien. Allen Briefen zufolge aus Deutschland, die Barruel aus deutschen Quellen erhalten habe würden zeigen, dass der Prinz sich seines Fehlers bewusst sei und sich „mit viel größerer Aufmerksamkeit um das Wohlergehen seiner Untertanen kümmere als um die Mysterien der Sekte“. Weishaupt sei es nicht einmal gestattet, in der Gegenwart des Prinzen öffentlich zu erscheinen. Auch die anderen Prinzen hätten keine Absichten gehabt, sich an einer Verschwörung zu beteiligen. Wie etwa einer Verschwörung gegen Frankreich? Den Erzfeind des britischen Reichs, mit deren Thron die deutschen Prinzen verwandt waren? Jeder gewöhnliche Historiker für neuere und neueste Geschichte wird zugeben müssen, dass für große Staatsstreiche große Geheimoperationen nötig sind und sich Revoluzzer gerne Hilfe holen von ausländischen Geheimdiensten, falls sich gemeinsame Interessen ergeben. Es ist natürlich Unsinn, ein plattes Statement zu machen, dass der britische Geheimdienst samt und sonders hinter der Französischen Revolution steckte. Es gab genügend einflussreiche Kreise in Frankreich, mit oder ohne Mitgliedschaft bei Freimaurerlogen, die das Königshaus stürzen wollten. Bekanntermaßen ist es für subversive Kreise aber sinnvoll, außerhalb der eigenen Landesgrenzen und somit weit entfernt von den heimischen Sicherheitsbehörden Standorte zu errichten und Unterstützung zu suchen. Die Jakobiner, die die Schlüsselrolle spielten bei der Französischen Revolution, stellten sicher dass von ihren wichtigsten Treffen so gut wie keine Aufzeichnungen existieren. Ein Einfluss sei die Londoner „Revolution Society“ gewesen, die sich überschnitt mit der Society for Constitutional Information (CSI). Zu den Mitgliedern der britischen Clubs zählten
- Richard Price: Mitglied der Royal Society und im regen Austausch mit den amerikanischen Revoluzzern wie George Washington und Thomas Jefferson. Als Lord Shelburne 1782 britischer Premierminister wurde, wurde Price der Posten seines Privatsekretärs angeboten.
- Joseph Priestley: Mitglied der Royal Society. Er war Wissenschaftler und darüber hinaus verband er den Rationalismus der Aufklärung mit der christlichen Lehre. Auch er war verbunden mit Lord Shelburne. Einigen Briten gingen seine Ideen zu weit und man befürchtete, dass der Funke der Französischen Revolution auf Britannien überspringen könnte. Schließlich zog er nach Pennsylvania in den USA.
- Andrew Kippis: Mitglied der Royal Society.
- Abraham Rees: Mitglied der Royal Society.
- Theophilius Lindsey: Er war Hausgeistlicher von Algernon Seymour, dem 7. Herzog von Somerset
- Thomas Brand Hollis: Mitglied der Royal Society. Er korrespondierte mit Benjamin Franklin und Thomas Jefferson
- Peter Finch Martineau: Entstammte einer Dynastie. Später diente er als stellvertretender Leutnant von Hertfordshire; womit ein Verwaltungsrang gemeint ist, der von der Krone verliehen wird.
Die Royal Society hatte für das britische Imperium eine essentielle Bedeutung und war eine Schwesterorganisation des britischen Freimaurertums. Alle Mitglieder waren letztendlich der Krone verpflichtet und nicht etwa schönen Werten von Aufklärung und Gleichheit. Als in den 1790er Jahren die „radikalen“ Strömungen etwas außer Kontrolle gerieten, gab es eine Reihe von Gerichtsprozessen wegen „Hochverrats“. Der Parlamentarier Edmund Burke verurteilte in einem vielgelesenen Text die Französische Revolution und förderte Augustin Barruel mit dessen vierbändiger Verschwörungsbuch-Reihe. Burke heiratete die Tochter von Dr. Christopher Nugent, ein Mediziner und Fellow der Wissenschaftsvereinigung Royal Society, deren Ableger in Edinburgh einst John Robison zum Präsidenten hatte, den Autor des Verschwörungsbuchs „Proofs of a Conspiracy“. Später wurde Burke Privatsekretär des britischen Premierministers Charles Watson-Wentworth. Später wurde Burke selbst Mitglied im Kronrat. Wenn es also um die Interessen des britischen Königshauses ging, war Schluss mit lustig und dem aufklärerischen Getue. Zunächst wurden die Männer im Tower of London eingesperrt, aber sie wurden in das Newgate-Gefängnis verlegt. Die des Verrats Angeklagten erwarte bei einer Verurteilung die brutale Strafe des Erhängens, Ausweidens und Vierteilens. Jeder wäre „am Hals aufgehängt, lebendig aufgeschnitten, und ausgeweidet worden (und seine Eingeweide sollten vor seinem Gesicht verbrannt werden) und dann enthauptet und gevierteilt worden“. Die gesamte radikale Bewegung stand vor Gericht. Es gab angeblich 800 Haftbefehle, die bereit standen. Die ganze Szene hätte in einem großen Schlag enthauptet werden können. Letztendlich ließ man Milde walten und verabschiedete neue Gesetze zur rigorosen Überwachung von Migranten, sowie das Seditious Meeting-Gesetz, den Treasonable Practices Act und den Treason Act. Das Gesetz über aufrührerische Versammlungen besagte, dass jeder Ort, wie ein Raum oder Gebäude, an dem politische Versammlungen stattfanden, um die Ungerechtigkeit von Gesetzen, Verfassungen, Regierungen und Richtlinien des Königreichs zu diskutieren, zu einem Haus der Unordnung erklärt und bestraft werden muss. Wer auch nur den Gedanken äußerte, dem König oder seinen Nachkommen physischen Schaden zuzufügen, beging Hochverrat. Man kann sich vorstellen, wie einfach somit radikale Zirkel unter Kontrolle gehalten werden konnten. Spione und Informanten waren allgegenwärtig und falls jemand erwischt wurde, konnte man denjenigen entweder öffentlich bestialisch umbringen, oder ihn zum Informanten umdrehen.
Die Frühsozialisten
Nach der sozialistischen Logik sind eine konstitutionelle Monarchie und auch eine Republik abzulehnen, weil in solchen Systemen immer noch Klassenunterschiede vorherrschen und der Wohlstand ungleich verteilt ist. In den Jahrhunderten zuvor waren die Bauern im Status der Leibeigenschaft unterworfen und versuchten immer wieder, durch Aufstände ihre Lage zu verbessern, aber die Anführer solcher Rebellionen, wie beispielsweise die „Rebellion der Croquants“ waren eher Adelige oder höher gestellte Bürgerliche. Eine einheitliche sozialistische Vorstellung gab es dabei nicht; sondern einzelne theoretische Konzepte, „Räte“ zu formen mit demokratischen Elementen und irgendwann eine Gesellschaft zu haben, in der es keine Klassenunterschiede mehr gibt. Man muss also festhalten, dass die Ursprünge des Sozialismus in den unterdrückerischen Leibeigenschafts-Systemen der europäischen Großmächte Europas liegen. Industriekapitalismus war noch kein wesentliches Thema wie in späteren Phasen mit Autoren wie Karl Marx. Napoleon wurde 1804 zum Kaiser, ohne den klassischen Segen des Papstes dafür zu erhalten, und wehrte ein Bündnis aus Briten, Russen und Österreicher militärisch ab. Danach erfolgte der berüchtigte Eroberungsfeldzug, der bis nach Russland hineinreichte, aber wirtschaftlich einige Ressourcen verbrannte und abseits der Rüstungsindustrie die Industrialisierung bremste.
Es ist typisch für Länder mit schleppender oder einfach schwacher Industrie, dass sie versuchen, eine florierende Bankenindustrie hochzuziehen, weil dafür im Wesentlichen nur Büros mit Aktenschränken und Tresoren gebraucht werden und keine komplizierten Produktions-Ketten. Sobald man Kapital anlockte, ließen sich auch Infrastrukturprojekte wie Eisenbahnen realisieren. Es überrascht nicht, dass in dieser Phase eine ganze Reihe an radikalen sozialistischen Büchern erschien, die oft auch noch eine satanische Verschwörung beklagten von besser gestellten Kreisen, Freimaurern und insbesondere jüdischen Bankern. Die Rothschild-Familie spielte dabei eine Doppelrolle als Spionage-Operation und als propagandistisches Feindbild für die sozialistische Verschwörungspropaganda. 1812 kam James Mayer Rothschild von Frankfurt nach Paris und startete das Bankhaus „De Rothschild Frères“, welches in der Folgezeit wichtiges Kapital beschaffte für Frankreichs Kriege und koloniale Expansionen. Der Vater von James Mayer war noch von dem Landgrafen von Hessen-Kassel rekrutiert und dann durchgereicht worden als Dienstleister für die britische Krone. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass Adelslinien und geheimdienstliche Strukturen im Zusammenhang mit Britannien die Rothschilds kontrollierten. Die stereotypischen Vorurteile der damaligen Zeit besagten, dass Juden sich hauptsächlich um Profite und ihre kleinen Communitys kümmern und ansonsten keine eiserne Loyalität verspüren für irgendeine der europäischen Großmächte. Die Rothschilds hatten neben den Standorten in Frankreich und Deutschland auch welche in Österreich, Italien und Britannien. Damit ließen sich Geldströme der britischen Krone tarnen und wertvolle, auch geheime Informationen beschaffen. Es gab in Frankreich auch noch die jüdischen Pereire-Brüder mit ihrer Bank Crédit Mobilier, die Société Générale und die Crédit Lyonnais. Der Bankensektor wurde immer dominanter, während selbst noch im Jahr 1851 gerade einmal 1,5 Millionen Menschen in Betrieben mit mehr als zehn Mitarbeitern arbeiteten. Drei Millionen waren beschäftigt in kleineren Werkstätten. 1815 gab es fast nur Landwirtschaft. In Paris florierte das Geschäft mit Luxusgütern für betuchte Kunden. Aus der Sicht der britischen Geheimdienste war es naheliegend, folgende Taktik zu wählen, um in Frankreich Unruhe zu stiften: Sozialistische Propaganda gemischt mit Verschwörungspropaganda gegen jüdische Banker und „satanische“ Freimaurerlogen. Napoleon ordnete 1806, ganz nach Vorbild des antiken Römischen Reichs, die Einberufung des „Grand Sanhedrin“ in Paris an, eine Art Aufsichtsrat für Juden, und organisierte 1808 das „Consistoire central des Israélites de France“, die entsprechende Verwaltungsbehörde. Das Konsistorialsystem machte das Judentum zu einer anerkannten Religion und stellte es unter staatliche Kontrolle. Bei der älteren Welle von Verschwörungs-Bestseller-Büchern sind die Verbindungen der Autoren zu britischen, adeligen Eliten im Zusammenhang mit Geheimdiensten sehr deutlich und es können, wie der österreichische Forscher Oberhauser 2021 gezeigt hat, immer mehr Details anhand von Originalquellen rekonstruiert werden. Bei der nächsten großen Welle an sozialistischen Verschwörungsbüchern ist das Bild schwammiger, da wir es nicht mehr mit Vorsitzenden der Royal Society oder Jesuiten mit mächtigen britischen Gastgebern zu tun haben, sondern mit einer bunten Mischung aus Autoren. Nicht jeder, der mit seinen Ausführungen den Briten in die Hände spielt, arbeitete zwingend und bewusst für den britischen Geheimdienst. Welche Pamphlete und Bücher in welchen (geheimen) Druckereien vervielfältigt wurden, um sie künstlich zu subventionieren und erfolgreich zu machen, werden wir wohl nie in Erfahrung bringen können mangels schriftlicher Dokumente.
Quellen:
Niall Ferguson, The Ascent of Money: A Financial History of the World.
The Campaigns of Napoleon, David Chandler
Alphonse Toussenels „Die Juden, Könige der Epoche“
Der sozialistische französische Journalist Alphonse Toussenel veröffentlichte das Buch „Die Juden, Könige der Epoche: Eine Geschichte des Finanzfeudalismus“ im Jahr 1846. Als großer Aufhänger wird James de Rothschild benutzt, der die Bahnlinie von Paris nach Belgien erwerben konnte. Toussenel warnte eindringlich davor, dass Juden die Weltherrschaft anstreben würden. Das Buch wirkt im Vergleich zu anderen Werken aus Frankreich eher zurückhaltend. Es wird pauschalisiert darüber gejammert, dass im neuen Kapitalismus überall ein individuelles Preisschild hängt:
Bevor das Gesetz den Juden die Eisenbahnen zugestand, konnte jeder Reisende auf der Landstraße, auf dem Bürgersteig des Königs, frei reisen. Da nun alle Transportmöglichkeiten, also Eisenbahnen, Kanäle, Flüsse den Juden gehören, kann niemand sie durchqueren, ohne ihnen Tribut zu zahlen.
Hätte es gar keine Juden in Frankreich gegeben, wäre wohl der gleiche Unmut entstanden in der Bevölkerung. Viele arbeiteten immer noch als Bauern oder in Kleinbetrieben und konnten keinen Wohlstand aufbauen, während wohlhabende Kreise sich die verschiedenen Märkte aufteilten. Da nur wenige zehntausend Juden zu der Zeit in Frankreich lebten, kannte der Durchschnittsbürger keine davon und traf nie auf einen. Aber jeder reiste ab und zu oder war auf den Transport von Gütern angewiesen, und musste entsprechend dafür bezahlen.
Wer hält das Monopol der Bank und des Transportwesens, der beiden Handelszweige? Der Jude. Wer hat das Monopol auf Gold und Quecksilber? Ein Jude. Wer wird bald das Monopol auf Kohle, Salze und Tabak halten? Derselbe Jude. Wer hat das Werbemonopol? Die Saint-Simonianer, Lakaien der Juden. Wer hat das Monopol auf den Zeitungsdruck? Ein Jude, dem die Staatsanwaltschaft Stempelbetrug vorwirft. Wenn die Luft monopolisiert und verkauft werden könnte, gäbe es morgen einen Juden, der sie monopolisiert.
Toussenel hätte genauso gut statt „Jude“ auch „Kapitalist“ schreiben können, um seinem Ärger Luft zu machen. Dann hätte er nicht groß anders geklungen als Karl Marx aus derselben Ära. In der kommunistischen Vorstellung einer funktionierenden Gesellschaft sind die Verkehrsmittel, Schwerindustrie, Großhandel und das Bank-/Geldwesen in staatlicher Hand, also unter Verwaltung von Räten oder einer Einheitspartei, und nicht in der Hand eines Königs oder eines kapitalistischen Unternehmers. Toussenel mag sich vorgestellt haben, dass dies in der wirklichen Welt funktioniert, aber die Realität in sozialistischen Staaten des 20. Jahrhunderts war gekennzeichnet von Ineffizienz und Mangelsituationen. Die Verkehrsmittel (insbesondere der Individualverkehr mit PKWs) der UdSSR waren dem kapitalistischen Westen unterlegen und basierten zu wesentlichen Teilen auf zugekaufter westlicher Technologie. Viele Güter waren selten zu bekommen für den Normalbürger. Die Presse war in der Hand der Partei. Und politischen Einfluss durfte man keinen ausüben abseits der vorgestanzten Bahnen. Im Kapitalismus hängt an allem ein Preisschild, aber die Menschen hatten oft das Geld, um sich Waren und Dienstleistungen zu kaufen. Toussenel meint sarkastisch, dass im (jüdischen) Kapitalismus sogar die Luft zum Atmen verschachert und monopolisiert werden würde, falls dies technisch machbar sei. In kapitalistischen Ländern lachte man, dass es in der Wüste bald einen Mangel an Sand geben würde, falls sich dort der Kommunismus verbreitet. Hatte Toussenel gedacht, die Probleme wären kontrollierbar, wenn es gelänge, jüdische Banker aus Frankreich loszuwerden, da einheimische Banker patriotischer seien oder deren Institute leichter zu verstaatlichen wären? Glaubte er wirklich, Gier wäre eine speziell jüdische oder bei Juden stärker ausgeprägte Eigenschaft? Dass jüdische Unternehmer unmoralische Dinge täten wegen ihrer jüdischen Religion oder ethnischen Wurzeln? Oder war Toussenels Antisemitismus eher Mittel zum Zweck, Stimmung zu machen gegen Banker? War es ein juristisches Schlupfloch, weil er es nicht wagte, direkt die französische Regierung samt Rechtsordnung zu attackieren? Es war nämlich nicht erlaubt, zu einem gewaltsamen Sturz der bestehenden Ordnung, zu einer neuen Revolution aufzurufen mit dem Ziel, ein sozialistisches System zu etablieren. Seine Fixierung auf die Rothschilds und Juden generell war ein Weg, um Unzufriedenheit in der Bevölkerung zu verstärken. Je mehr Menschen sich beteiligen würden an dem entsprechenden Aktivismus, umso eher hätten Leute wie Toussenel versucht, dieses Wutpotenzial gegen alle großen Unternehmer und den Staat zu lenken. 1849 veröffentlichte er einen Aufruf an die Pariser Arbeiter, sich von der „jüdischen Despotie“ zu befreien. Den Juden wird in dem Text vorgeworfen, einen düsteren Gott anzubeten. Für Toussenel war es ein Weg, an der Zensur vorbei zu agitieren. Für die Regierung war sein Aktivismus nicht sonderlich bedrohlich, sondern diente vielleicht noch als Druckablass-Ventil für die frustrierten Arbeiterkreise. Die Firma „Compagnie des chemins de fer du Nord“ (NORD) gehörte dem französischen und dem britischen Arm der Rothschild-Bankerfamilie und wurde in der Folgezeit immer weiter ausgebaut. Aber 1938 erfolgte die Verstaatlichung der NORD und anderer Privatbahnen. Sicherlich war es für einige Beobachter suspekt, wenn eine einzelne Bank solch ein Übergewicht hatte und dann auch noch ein britischer Zweig beteiligt war. Aber die Eisenbahn war wohl kaum ein Beleg für eine jüdische Weltverschwörung. Jeder wusste, dass die politische Situation in Frankreich wackelig war und dass theoretisch jederzeit eine neue Regierung privatwirtschaftliche Projekte verstaatlichen könnte. Der deutsche Dichter Heinrich Heine, der einen jüdischen Familienhintergrund hatte, besuchte 1841 die Pariser Bank seines Freundes Baron James de Rothschild und schrieb hinterher:
Geld ist der Gott unserer Zeit, und Rothschild ist sein Prophet.
Juden hatten über viele Jahrhunderte in Europa hinweg gelitten unter der Diskriminierung, die primär vom Adel und der Kirche gesteuert war. Deshalb wirkte das Freimaurertum, dem Heine angehörte, so attraktiv, denn hier wurde die alttestamentarische Tradition der Antike gewürdigt und Mitglieder, die den dritten Grad erreicht hatten, galten zumindest in der Loge als ebenbürtig. Sozialistische Ideen wirkten für Heine teils spannend, teils gefährlich. In Paris half James de Rothschild ganz offen bei der Finanzierung der „Französischen Invasion in Spanien“, weil in Spanien eine Revolte die Herrschaft von König Ferdinand VII. bedrohte. Ferdinands Mutter war aus dem Haus der Bourbonen, das im Zuge der Französischen Revolution gestürzt war. Ferdinand war von Karl IV. als sein Sohn anerkannt worden und Karls Mutter war Maria Amalia von Sachsen aus dem Kreis der Welfen, Wettiner und Reginare. In der Nähe von Paris ließ James de Rothschild ab 1855 das berüchtigte Schloss Ferrières bauen, welches zum ständigen Sitz der Familie wurde. Bei seinem Tod verfügte Rothschild laut der gewöhnlichen Geschichtsschreibung über das größte private Geldvermögen der damaligen Zeit. Viel eher handelte es sich dabei um das Geld der britischen Krone.
Proudhon
Pierre-Joseph Proudhon (1809 bis 1865) war ein linker französischer Ökonom und Soziologe, der als einer der bedeutendsten Frühsozialisten gilt. Er geriet mit seinen Ideen und Projekten in Schwierigkeiten unter Napoleon III. Mit Karl Marx war er in einen Streit verwickelt um theoretische Details, was die sozialistische Bewegung weiter spaltete. Juden hielt er für eine minderwertige Menschenrasse, die zu wirtschaftlicher Produktivität, zu metaphysischer Begriffsbildung und zu eigener Staatlichkeit nicht fähig sei. Juden seien immer Parasiten, ein „Feind der menschlichen Art“. Daher blieben nur zwei Möglichkeiten: „Man muß diese Rasse nach Asien verweisen oder vernichten. Durch das Eisen oder durch das Feuer oder durch die Ausweisung ist es notwendig, dass der Jude verschwindet.“ Proudhon war als Kind nicht in der Lage gewesen, sich grundlegende Dinge wie Bücher oder Schuhe für den Schulbesuch zu leisten, was ihm große Schwierigkeiten bereitete und ihn oft zum Objekt des Spotts seiner wohlhabenderen Klassenkameraden machte. Bei seiner Arbeit in einer Druckerei traf er auf den Sozialisten Charles Fourier, der dort sein neues Werk „Le Nouveau Monde Industriel et Sociétaire“ vervielfältigt haben wollte. Die beiden wurden Freunde und diskutierten die großen Autoren der Revolution wie Rousseau, Voltaire und Diderot. Proudhon tingelte ohne großen Erfolg durch das ganze Land auf der Suche nach Anstellung. 1840 veröffentlichte er sein erstes Werk „Was ist Eigentum?“ Noch heute hat er Anhänger, die im links-anarchistischen Spektrum anzusiedeln sind und die seine Slogans zitieren wie „Eigentum ist Diebstahl“. Dies hatte zuvor längst schon Rousseau erklärt:
„Der erste Mann, der, nachdem er ein Stück Land eingezäunt hatte, sich daran dachte, zu sagen: ‚Das ist mein‘, und Menschen fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der wahre Gründer der bürgerlichen Gesellschaft. Von wie vielen Verbrechen, Kriegen und Morden, Vor wie vielen Schrecken und Unglücksfällen hätte jemand die Menschheit retten können, indem er die Pfähle hochgerissen oder den Graben zugeschüttet und zu seinen Mitmenschen geschrien hätte: Hört nicht auf diesen Betrüger, ihr seid verloren, wenn ihr einmal vergesst, dass die Früchte der Erde uns allen gehören und die Erde selbst niemandem.“
In der damaligen Zeit befreiten sich Menschen auch aus den geistigen Ketten der klassischen Monarchie und der katholischen Kirche. Es war natürlich ein organisierter Betrug, dass Adelslinien und besser gestellte Bürgerliche sich etwas nehmen konnten und mit rituellem und bürokratischem Brimborium ihren Anspruch zementierten. Es war natürlich für den durchschnittlichen Franzosen auch nach der Revolution irritierend, wenn wenige reiche und superreiche Kreise die Eisenbahnen besaßen, die besten Ländereien und die Banken. Wenn man die Kette der einzelnen Handelsschritte zurückverfolgt, so der Gedanke, findet man keine letztendliche Rechtfertigung für die willkürliche Aneignung von Besitz. Frankreich musste aber ein Imperium bleiben, um nicht von anderen Imperien erobert bzw. gewaltsam in Besitz genommen zu werden. Auch das französische Konzept von Besitz ging auf das alte Römische Reich zurück. Gäbe man es auf, zugunsten von sozialistischen Experimenten, könnte man den Boden im Gemeinschaftsbesitz oder in Gemeinschaftsverwaltung nicht verteidigen gegen äußere Feinde, die ein klassisches Imperium sind. Das Experiment wäre schnell beendet. Die sozialistischen Staaten des Ostblocks im 20. Jahrhundert waren allesamt klassische Imperien und Vasallen. Man könnte sagen, die Rolle des Adels und Klerus wurde einfach durch die sozialistische Partei übernommen. Andere verglichen diese Staaten mit Megakonzernen, die auch Polizei und Justiz kontrollierten. Proudhon konnte mit seinen Schriften bestenfalls Bauernfängerei betreiben; also die frustrierten ärmeren Franzosen aufhetzen. Aber er konnte keine verteidigungsfähige, neue Ordnung entwerfen. Später in seinem Leben wurde er sogar erfolgreich als höherer Angestellter einer Firma in Lyon und wurde Freimaurer. Die Idee eines gewaltsamen Umsturzes proklamierte er nicht (die Behörden hätten ihn dafür auch einkassiert) und er beklagte Nationalismus und Militarismus; also genau das, was Frankreich vor den konkurrierenden Mächten gerettet hatte. Sein Freiheitsbegriff war lange Zeit naiv:
Regiert zu werden bedeutet, von Kreaturen beobachtet, kontrolliert, ausspioniert, geleitet, gesetzlich gesteuert, nummeriert, reguliert, eingeschrieben, indoktriniert, gepredigt, kontrolliert, geschätzt, zensiert, und herumkommandiert zu werden von Kreaturen, die weder das Recht, die Weisheit noch die Tugend dazu haben. Regiert zu werden bedeutet, bei jeder Operation, bei jeder Transaktion notiert, registriert, gezählt, besteuert, gestempelt, gemessen, nummeriert, bewertet, lizenziert, autorisiert, ermahnt, verhindert, verboten, reformiert, korrigiert, bestraft zu werden. Es bedeutet, unter dem Vorwand des öffentlichen Nutzens und im Namen des Allgemeininteresses unter Abgabe gestellt, gedrillt, geschröpft, ausgebeutet, monopolisiert, erpresst, ausgequetscht, betrogen, beraubt zu werden;
Später in seinem Leben wurde er deutlich konservativer und gemäßigter in seinen Ansichten.
Drumonts „verjudetes Frankreich“
Edouard Drumont, ein französischer Journalist aus dem rechten Spektrum, der teils anarchistische Ideen vertrat, veröffentlichte 1886 das Werk „La France Juive“, von dem hunderttausende Exemplare verkauft wurden. Es gab auch eine deutsche Ausgabe unter dem Titel „Das verjudete Frankreich“. Drumont meinte schwammig, Juden und Freimaurer würden heimlich Frankreich kontrollieren. Da sich das Freimaurertum schon weit verbreitet hatte, rituell Bezug nahm auf ein paar alttestamentarische Elemente aus der Antike, und James de Rothschild ein mächtiger Banker in Frankreich war, schien diese Verschwörungshypothese für Leser plausibel. Wie bereits erwähnt, erhielten Juden in Freimaurerlogen das Gefühl, mit nicht-jüdischen Logenbrüdern auf einer Stufe zu stehen und an einer neuen Welt zu arbeiten. Drumont predigte eine Rassentheorie, laut der sich Juden vom Rest der Menschheit gravierend unterscheiden würden durch ihre parasitären Eigenschaften. Drumont bezeichnete sogar den Illuminatengründer Weishaupt als Juden, um zu unterstellen, dass diese Verschwörung bereits hinter der Französischen Revolution steckte. 1889 gründete Drumont eine französische „Antisemitenliga“ und eine entsprechende Zeitung. Vorbild war die deutsche Antisemitenliga des linken Anarchisten Wilhelm Marr. Jener hatte in den Adels-Hochburgen Hannover und Braunschweig Schulen besucht und dann im Norden Ausbildungen durchlaufen. Im Februar 1879 erschien in Berlin Marrs Propagandaschrift „Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum“. Er meinte, Frankreich und das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Irland würden von Juden beherrscht. Sein Schüler war ausgerechnet Theodor Fritsch, der im rechten Spektrum sehr erfolgreich wurde und bis in die Nazi-Ära hinein das Publikum belieferte mit Büchern und Pamphleten, darunter deutsche Übersetzungen der Protokolle der Weisen von Zion und der von Henry Ford unter dem Titel „Der internationale Jude“ herausgegebenen Zeitschriftenaufsätze. Für die französischen Parlamentswahlen im Mai 1898 wurde Édouard Drumont gewählt. Drumont vertrat Algier in der Abgeordnetenkammer von 1898 bis 1902. Er wurde verklagt, weil er einen Parlamentsabgeordneten beschuldigt hatte, ein Bestechungsgeld des wohlhabenden jüdischen Bankiers Édouard Alphonse de Rothschild angenommen zu haben, um ein Gesetz zu verabschieden, das der Bankier wollte. Drumont hatte viele Anhänger. Er erreichte den Höhepunkt seiner Bekanntheit während der Dreyfus-Affäre, in der er der schärfste Ankläger von Alfred Dreyfus war.
Henri Roger Gougenot des Mousseaux
Henri Roger Gougenot des Mousseaux stammte aus einer hochadeligen Familie und war Kammerherr des französischen Bourbonenkönigs Karl X. 1869 veröffentlichte Gougenot des Mousseaux das Werk, für das er noch heute bekannt ist: Die Kampfschrift „Le Juif, le judaïsme et la judaïsation des peuples chrétiens.“ In dieser Schrift stützte er sich auf den traditionellen, christlich begründeten Antijudaismus von Autoren wie Théodore Ratisbonne. Er glaubte, das Freimaurertum sei eine Falle der Judenverschwörer, um Christen zu rekrutieren und zu manipulieren. 1921 übersetzte der prominente Nationalsozialist Alfred Rosenberg die Schrift von Gougenot des Mousseaux unter dem Titel „Der Jude, das Judentum und die Verjudung der christlichen Völker“ ins Deutsche. Es sei nochmals betont: Gougenot des Mousseaux stammte aus dem ausbeuterischen Adel und diente direkt einem König aus dem Haus der Bourbonen. Die Leibeigenschaft der Bauern wurde erst 1779 bei der Französischen Revolution beendet. Der Adel mit der katholischen Kirche zusammen war der größte, dreisteste Ausbeuter in Frankreich gewesen, den man sich nur vorstellen kann. Trotzdem präsentierte Gougenot des Mousseaux die Juden per se als die Ausbeuter schlechthin. Andere Großmächte wie Britannien, Österreich oder Russland wurden nach wie vor von ausbeuterischem Adel beherrscht, wobei die Briten zunehmend die Weltherrschaft anstrebten mit Hilfe von Wissenschaft, Militär, Handel und Spionage. Für Gougenot des Mousseaux aber griff ein Grüppchen Juden nach der Weltherrschaft mit ein paar Krediten und Kostümen in Logen. Wenn der gewöhnliche französische Bürger hörte, dass die politischen Verwerfungen vom Freimaurertum begleitet waren und dass einzelne Figuren wie James De Rothschild zu großem Reichtum gekommen waren, dann schien die Verschwörungshypothese plausibel. Britannien schuf 1717 offiziell das moderne Freimaurertum, auch wenn es vorher schon in Schottland entwickelt worden war. Die alttestamentarischen Elemente in den Logenritualen sind mehr oder minder ein Einstiegstor in die geistige Welt der Antike. Dieses Einstiegstor wirkt auf Christen meistens unverdächtig und unverfänglich. Das winzige jüdische Reich der Antike verblasst gegenüber dem alten Ägypten, dessen Symbolik eine wesentliche Rolle im Freimaurertum spielt. Auch altgriechische und römische Elemente sind im Freimaurertum repräsentiert. Selbst wenn jemand nur oberflächliche Kenntnisse der Antike besitzt, so müsste demjenigen eigentlich klar sein, dass es damals eine breite Landschaft an recht ähnlichen Religionen, Kulten und auch exklusiven Geheimgesellschaften gab, die sich scheinbaren „Mysterien“ widmeten. Das Judentum in der Antike hatte ursprünglich viele Götter und machte dann den Schritt hin zum Monotheismus. Auch solche Elemente wie die Kabbala waren nichts Ungewöhnliches. Nachdem das Römische Reich das Christentum geheimdienstlich infiltriert und übernommen hatte, wurde es angeglichen an die Traditionen der Antike, während die wichtigen Mysterienkulte beibehalten wurden. Nach dem Untergang des weströmischen Reichs etablierten sich die europäischen großen Adelshäuser und führten Mysterienkulte weiter. Zusätzlich verpasste das britische Kolonialreich 1717 unter dem Hannoveraner König George I. dem Freimaurertum eine starke wissenschaftsfreundliche Komponente und entwickelte die Geheimgesellschaft parallel zur elitären Wissenschaftsgemeinschaft „Royal Society“. Nichtsdestrotrotz erklärten Gougenot Des Mousseaux und Rosenberg das Freimaurertum zu einer jüdisch-kabbalistischen Verschwörung:
Die aus den geheimnisvollen Doktrinen der Kabbala entsprossene Freimaurerei ist nichts anderes als die moderne Form des Okkultismus, dessen Fürst der Jude ist, der jahrhundertelange Herr der Kabbala.
Der Jude ist also aus seiner Natur heraus, und wir sagen, notwendigerweise, die Seele, der eigentliche Gebieter der Maurerei, von der die bekannten Würdenträger meist nichts weiter sind als die betrügerischen und betrogenen Chefs des Ordens.
Selbstverständlich beklagt der adelige Gougenot Des Mousseaux in seinem Buch nicht den Tod und das Verderben, das die Bourbonen und die katholische Kirche über die Jahrhunderte hinweg über die Menschen gebracht hatten. Krieg, Inquisition, die Ausbeutung der Bauern und die antiken Mysterienkulte beim Adel bleiben unerwähnt. Stattdessen erzählt er eine Fantasiegeschichte, wie ein paar Juden für ein gelungenes Osterfest ein Menschenopfer gebraucht hätten:
„Tobias ging vor dem Abend auf die Straße und traf einen Jungen von über zwei Jahren, der Simon hieß. Das Kind wurde verlockt, entführt und sorgsam versteckt, denn die Eltern und die Bevölkerung waren sofort auf die Suche gegangen. Was ist aus dem Kinde geworden? Wer hat den Raub vollführt? Man muß es bei den Juden suchen! So Hieß es. Aber die Nacht brach an. Die Juden führten das Kind in ein Vorzimmer, und einer von ihnen, Moses, welcher als ein Wissender über die Zeit der Ankunft des Messias galt, setzte es auf seine Knie. Hier wurde es gefoltert. Samuel schnürte ihm den Hals mit einem Tuche zu, um das Schreien zu unterdrücken, andere hielten Hände und Beine, während Moses die Beschneidung vollführte. Gleich darauf machte er sich daran, das Kind zu peinigen und ihm Fleischstücke auszureißen. Dann machte jeder, was Moses getan hatte; das fließende Blut wurde in Näpfen gesammelt. Aber das um den Hals des Kindes gewickelte Tuch hatte sich gelöst, und ein aus der etwas freigewordenen Kehle ertönender Schrei beunruhigte die Juden. Sie drückten die Hände auf den Mund des Kindes und es schien beinahe tot. Moses ließ Samuel zu seiner Linken niedersitzen. Die beiden Männer breiteten die Arme des Opfers kreuzförmig aus und die mit Nägeln bewaffneten Juden ergötzten sich nun an der Lust, es kreuzigen zu können. So haben wir Jesus, den Gott der Christen, getötet! So sollen auf immer unsere Feinde gestürzt werden. Und das Kind tat nach mehr als einstündiger Qual seinen letzten Seufzer. Die Juden wuschen sofort das Blut von seinem Körper und besprengten mit diesem Wasser ihre Häuser, froh, sich auch die Hände und das Gesicht damit waschen zu können . . .“
Nicht nur seien Juden gierig auf solche individuellen satanischen Rituale, sondern sie würden generell beabsichtigen, den Tod von Christen herbeizuführen. Gougenot des Mousseaux muss zugeben, keinerlei verwertbare Belege für satanische Ritualmorde vorweisen zu können, aber ihm reicht es, dass sich solche mythischen Erzählungen viral verbreitet haben:
Jedoch, wenn diese Worte klar, wenn die Tatsachen zahllos sind, wenn sie von allen Zeiten und aus allen Ländern stammen, und wenn die Geschichte durch ihre Genauigkeit und verschwenderische Fülle der Einzelheiten uns Photographien zu geben scheint; der Jude leugnet.
Als nächstes bezieht sich Gougenot des Mousseaux in seinem Werk von 1869 auf diejenigen Narrative, die bereits ab den 1790er Jahren in manipulativen Verschwörungsbüchern zirkulierten.
Einige unter aufmerksam gewordenen Augen vorgefallene Ungeschicklichkeiten; mehrfache im Zustande der Trunkenheit des nahen Triumphes entschlüpfte Vertrauensbrüche; klare Eingeständnisse, Untersuchungen; das alles erlaubt uns, neben unseren persönlichen Unterlagen, uns ein ganz bestimmtes Urteil über die Art und die Macht der Tätigkeit der hohen geheimen Gesellschaften zu bilden, in denen die Christen sich unter der Hand des Juden als die Herde einstigen lassen. In diesem Deutschland, wo die Juden und die ihnen helfenden Gesellschaften sich schon längst an die Spitze der Bestrebungen zur Vereinigung der Völker und zur Konstituierung in einem Imperium gestellt haben, mit dem Zwecke, später leicht die andere Regierungsform unterschieben zu können, die Form der kosmopolitischen Republik; in diesem Deutschland veröffentlichten die „Münchner historischen und politischen Blätter“ im Jahre 1862, anläßlich der Broschüre von Alban Stolz über die Freimaurerei, die Klagen eines Maurers. Die Schriftstücke, sagt man, sollen König Wilhelm vorgelegt worden sein . . . und der Verfasser, ganz dem protestantischen Kultus ergeben, nennt in ihnen als größte Gefahr für Thron und Altar „die Macht, welche die Juden mit Hilfe der Freimaurerei sich zu verschaffen verstanden haben, eine Macht, welche heute ihren Höhepunkt erreicht hat“. Es besteht in Deutschland, sagt er uns — und wir überlassen ihm die ganze Verantwortung für seine Worte — „es besteht eine geheime Gesellschaft mit Maurerformen, welche unbekannten Chefs unterstellt ist. Die Glieder dieser Vereinigung sind zumeist Juden, ihre Grade und ihre Systeme haben christliche Symbole nur als äußere Form und dienen umso besser dazu, ihre wahre Tätigkeit zu verdecken. Die Juden benutzen das Christentum nur aus Spottsucht und um die Dunkelheit ihrer Machenschaften zu vergrößern.“
Neben Satanismus und der Unterwanderung von Institutionen der Gesellschaft würden Juden wohl auch noch (metaphysisch) eine biologische Kriegsführung betreiben:
Seit dem Jahre 1832 sind die Juden fast vollständig [von Seuchen] verschont geblieben, selbst wenn sie die schmutzigsten Stadtteile bewohnten. Das ganze Mittelalter bezeugt die Immunität der Juden während der Pestepidemien, die oft einen Vorwand zur Verfolgung abgab. Über die Pest von 1346 berichtet der Historiker Tschudi, daß diese Krankheit die Juden in keinem Lande ergriffen hätte. Die Juden, sagt Die Internationale in London, leben in einer ungesunden Umgebung, und zur Zeit der Cholera, wo alle Einwohner desselben Stadtteiles dieser Krankheit verfielen, entgingen die Juden wunderbarerweise dieser Geißel. Frascator zeigt uns, daß die Juden von der Typhusepidemie von 1505 vollständig verschont worden waren; Rau bestätigt dasselbe über das Jahr 1824; Ramazzini sagt es über die Fieberepidemie in Rom 1691; Deguer zeigt uns die Juden 1736 von der Dysenterie in Nimegue verschont; Eisenmann behauptet die Seltenheit der Bräune bei den jüdischen Kindern; nach Wawruch findet man bei den deutschen Juden keine Bandwurmerkrankungen.“
Als Erklärung diente über Jahrhunderte hinweg, dass Juden die Brunnen vergiftet hätten. Welcher Prozentsatz an Juden an Seuchen verstarb, ist nicht mehr zu rekonstruieren. Die Päpste erklärten während dem „Schwarzen Tod“ mehrfach öffentlich, dass Juden nicht verantwortlich seien. Nichtsdestotrotz veranstalteten Christen Pogrome in der Erwartung, damit das Seuchenproblem zu lösen. 1349 hatte König Karl IV. erklärt, dass nicht nur der Besitz von jüdischen Pestopfern an die Verwaltung der Stadt Frankfurt fallen sollte, sondern auch der Besitz von Juden, die erschlagen wurden. Sehr bald darauf wurden alle Frankfurter Juden (etwa 60) erschlagen oder in ihren Häusern verbrannt. Im Mittelalter galt prinzipiell die Dominanz des Adels und der Kirche über die gewöhnliche Bevölkerung. Für Juden gab es besondere Gesetze wie das „Judenregal“ oder der „Judenschutz“, was nichts anderes war als Schutzgelderpressung. Unter Rudolf von Habsburg wurde das Judenregal als königliche Leibeigenschaft interpretiert, woraus sich das Recht ableitete, Juden gegebenenfalls entschädigungslos zu enteignen. Karl IV. übertrug dann 1356 das Judenregal (also das Recht auf Schutzgelderpressung) auf die Kurfürsten. Das Aufkommen einzelner jüdischer Hoffaktoren (auch abschätzig Hofjuden genannt), die für den Adel bestimmte Geschäfte abwickelten, und die Etablierung von jüdischen Bankhäusern wurde von einigen Frühsozialisten gedeutet als Umkehrung von Machtverhältnissen. Es ist jedoch ein klassischer Anfängerfehler (oder der Versuch einer Verschleierung), die offiziell in den Papieren gelisteten Eigentümerverhältnisse von Konzernen und Privatbanken aus den 1700er und 1800er Jahren einfach so als Fakt zu betrachten, ohne die Wahrscheinlichkeit einzuschätzen, dass es geheime (adelige) Eigentümerverhältnisse gab und es sich nur um eine Tarnfirma handelte. Für einen Geheimdienst gehört die Etablierung von Tarnfirmen zu den essentiellen Techniken und deshalb ist die Geschichte des Kapitalismus viel komplizierter, als es den Historikern bewusst ist.
Mikhail Bakunin
Der Sozialist Mikhail Bakunin stammte aus einer adeligen Familie, der Vater war Karrierediplomat. Er umgab sich mit Vertretern der Aufklärungsbewegung, studierte drei Semester in Berlin und freundete sich danach in Dresden mit Arnold Ruge an, der mit dem italienischen Revolutionskämpfer Mazzini zu tun hatte. Mazzini war von Welfen unterstützt. Anstatt zu studieren, wurde Bakunin immer mehr zum Aktivisten, bis die russischen Behörden ihn nach Russland zurückbeorderten, was er ablehnte, und so ging er mit Georg Herwegh in die Schweiz. Zwischen 1869 und 1870 tuschelte er mit dem russischen Revolutionär Sergey Nechayev. Sein Einstieg ins Freimaurertum fand statt in einer Loge des schottischen Ritus unter dem Großorient-Dachverband Frankreichs. Dann lernte er in Florenz die freimaurerischen und revolutionären Strukturen kennen von Garibaldi und Mazzini, worauf er zum Atheismus konvertierte. Bei Bakunin hatte sich auch der Gedanke einer jüdischen Weltverschwörung verfangen. Anscheinend hatte er antisemitische Bestseller-Bücher des Frühsozialismus gelesen, denn er äußerte identische Vorstellungen von inhärent parasitären Juden, die über Zentralbanken die arbeitende, nicht-jüdische Bevölkerung ausbeuten wollen. Dies war nicht mehr der altmodische Antisemitismus, sondern der moderne, neue, politisierte. An die Bologna-Abteilung der Internationalen schrieb er:
„Diese ganze jüdische Sphäre ist eine einzige ausbeuterischen Sekte, eine Art blutsaugendes Volk, eine Art organischer zerstörerischer kollektiver Parasit, der nicht nur die Grenzen der Staaten überschreitet, sondern auch die Grenzen der politischen Meinungen. Diese [jüdische] Sphäre ist nun, zumindest größtenteils, unter Kontrolle von Marx und Rothschild.“
Karl Marx – der Verschwörungstheoretiker
Der Name Karl Marx kommt einem zunächst gar nicht in den Sinn als ein klassischer Verschwörungstheoretiker, aber die Einflüsse der französischen Frühsozialisten bei ihm sind unverkennbar und er predigte nicht einfach nur, dass Juden im Verborgenen die Ausbeutung der Menschen plotten, sondern er predigte, dass alle kapitalistischen Unternehmer und Händler andauernd die Ausbeutung der Menschen plotten. Seine jüdischen Wurzeln wollte er abstreifen und betrachtete das Bankwesen als überlappend mit spezifisch jüdischem Verhalten, Geld als Gott anzubeten und Geld mit Geld zu verdienen („Zinswucher“), was die übelste Form der Ausbeutung sei. Die hohen Kapitalisten ohne jüdische Wurzeln seien zumindest in ihrem Wesen nach jüdisch, weil sie es zuließen, dass die besondere jüdische Gier auf sie abfärbt. Man beschrieb Marx‘ Erklärung, was mit der Welt nicht stimmt, als eine Mischung aus antisemitischem Gelaber aus Studenten-Cafés gemischt mit den alten Ideen von Rousseau. Kapital sei parasitär, blutsaugend. Sogar Kinder seien nicht sicher vor den Vampiren. Es erinnert an all die Mythen über jüdische Blutrituale an Kindern und an das Geschwätz der französischen Frühsozialisten. Wir finden bei Marx auch die gleiche Sorte von Kontakten wie bei den Propaganda-Operationen des britischen Geheimdienstes im Zusammenhang mit der Französischen Revolution. Am 30. Juni 1869 wurde Marx zum Mitglied der Royal Society for the Encouragement of Arts, Manufactures & Commerce gewählt. Präsident der Organisation war der britische Kronprinz Albert Edward (später König Edward VII.) Marx‘ Mentor war sein Schwiegervater, der Baron Ludwig von Westphalen, dessen Vater wiederum der engste Vertraute war des Herzogs Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel aus den Reihen der Welfen, die seit 1714 den britischen Thron besetzten. Ferdinand war ein sehr hoher Freimaurer und Mitglied des Illuminatenordens. Bei Marx‘ Beerdigung war Carl Schorlemmer anwesend, ein kommunistischer Chemieprofessor aus der Royal Society, der in die revolutionären Aktivitäten in Baden 1848 verwickelt gewesen war. In seinen Sommerferien hatte er regelmäßig Marx und Engels in London besucht. Auch zugegen bei der Beerdigung war Ray Lankester, ein britischer Zoologe und Biologe aus der Royal Society mit Abschlüssen an Cambridge und Oxford. Der frühe Industriekapitalismus beutete durchaus die Arbeiter rücksichtslos aus, selbst wenn es sich dabei um Kinder handelte. Aber viele Unternehmer riskierten ihr eigenes Geld und konnten mit cleveren neuen Ideen einen Mehrwert schaffen und sich nicht nur an existierenden Werten bzw. der Arbeitskraft anderer bereichern. Wenn ein Geldverleiher das richtige Risiko einging, konnte das passende Kapital für jemanden mit neuen Ideen bereitgestellt werden. Insbesondere in den USA kam es zu einer explosiven Produktionskraft und immer weiteren attraktiven Produkten, die sich immer mehr Personen leisten konnten. Für Marx waren die Ideen der französischen Revolution bei weitem nicht genug gewesen. Die USA nannte er „eine große demokratische Republik“, aber selbst dort würde der Kapitalismus seiner Logik zufolge letztendlich unter der gegenseitigen Ausbeutung in Elend und Kollaps enden. Gerade seine heutigen Anhänger wittern überall eine rechte Weltverschwörung und dem gewöhnlichen Bürgertum wird tiefes Misstrauen entgegengebracht. Marx wusste ganz genau, dass seine revolutionäre Agitation nicht funktionieren konnte: Die Arbeiter und Bauern waren nicht annähernd gebildet genug, um ein bestehendes System zu stürzen und durch ein funktionierendes, sozialistisches zu ersetzen. Ein Crash-Kurs in Marx‘ schwurbeliger Theorie würde daran nichts ändern. Unter all dem philosophischen Geschwurbel verbarg sich doch nur billige Bauernfängerei.
Der preußische Regierungsagent Karl Marx, Wolfgang Waldner. Karl Marx, Eine Psychographie, Arnold Künzli. The Makers of Modern Italy Mazzini, Cavour, Garibaldi. Three Lectures Delivered at Oxford. J. A. R. Marriott
Die Protokolle von Zion
Die “Protokolle der Treffen der gelehrten Alten von Zion” sind ein zusammengefälschter Text aus Russland ungefähr aus dem Jahr 1900, der etwas später von einflussreichen Amerikanern und Briten einem Massenpublikum zugänglich gemacht wurde und die Literatur über Verschwörungen bis heute stark beeinflusst. Die Autoren der Protokolle wiederum waren selbst beeinflusst worden durch ältere Verschwörungsliteratur und hatten sich nicht einmal die Mühe gemacht, sich den ganzen Text auszudenken, sondern übernahmen Teile aus einer Satire von Maurice Joly, aus dem Roman Biarritz und aus Theodor Herzls „Der Judenstaat“. Der Text an sich ist ein Durcheinander und lahmes Gefasel, das praktisch von jeder Person hätte verfasst werden können, die vertraut war mit der gängigen antisemitischen Literatur. Im Prinzip sind die Protokolle so konstruiert worden, dass sie als Gegenstück und scheinbare Bestätigung der vorherigen Verschwörungs-Literatur wirkten. Die einzelnen „Protokolle von Zion“ sind weder thematisch noch sonst irgendwie stringent geordnet, sondern wiederholen nur das immergleiche Gerede, wie man die Presse und die Finanzwelt und Politik kontrollieren würde. Protokoll #1 besteht nur aus allgemeinen Phrasen zum Thema Macht versus Freiheit und wie manipulierbar die Masse der Bevölkerung sei. Protokoll #2 verlautbart, dass die Judenverschwörung die Kontrolle über die Presse und über Gold besäße. Protokoll #3 dreht sich um die Vernichtungsabsicht gegenüber Nichtjuden. Protokoll #4 ist mehr allgemeines Gerede. Protokoll #5 handelt davon, wie die Nichtjuden zu zerstritten seien, um eine Koalition gegen die Judenverschwörung zu bilden. Außerdem würde man Verwirrungstaktiken benutzen, damit die Leute Politik nicht richtig verstehen können. Protokoll #6 redet davon, dass die Aristokratie keine politische Macht mehr besäße, sie aber wegen ihrem Reichtum immer noch eine potenzielle Bedrohung darstellt. Genau dieser Gedanke verleitete auch die Nationalsozialisten zur Kooperation mit den Welfen. Protokoll #7 beschreibt, dass man problematische Länder automatisch in Kriege mit den Nachbarstaaten verwickeln möchte. Antisemiten lasten prinzipiell jeden bedeutenden Kriegsausbruch der Judenverschwörung an. Protokoll #8 handelt von der Juristerei und Ökonomie, die die Judenverschwörung für ihre Zwecke benutzen will. Protokoll #9 enthält diverse Punkte, die bereits in vorherigen Protokollen mehrfach abgehandelt wurden. Protokoll #10 ist noch mehr schwammiges Gerede darüber, wie man gezielt das „Gift des Liberalismus“ ausgebracht habe, um Staaten und Gesellschaften zu zersetzen. Politiker, die man erpressen kann, würden gezielt gefördert werden. Protokoll #11 verspricht, nach all dem Gerede über den Ist-Zustand der jüdischen Weltverschwörung aus den ersten 10 Protokollen, endlich die Strategie zu offenbaren für die Zukunft, um endgültig und unwiderruflich die Weltherrschaft zu sichern. Aber man erfährt nichts, was nicht schon zuvor behandelt wurde. Protokoll #12 dreht sich wieder um Kontrolle über die Presse. Irgendwelche tieferen Einblicke erhält man nicht. Es geht immer so weiter bis einschließlich Protokoll #24. Für eine Fälschung ist die Qualität hundsmiserabel und es ist offensichtlich, dass man sich damit keine Mühe gegeben hat. Es war vielmehr die Aura, die man um die Protokolle herum schuf, die die Wirkung ausmachte; nicht der eigentliche Text. Die Protokolle verraten kein einziges, tatsächlich nachprüfbares Geheimnis, keine einzige geheime Technik oder Methodik, es lässt sich damit kein einziger jüdischer Agent enttarnen und keine einzige konkrete Operation. Der nachrichtendienstliche Wert dieser „Enthüllung“ ist also Null, was eben typisch ist für eine komplette Fälschung. Wenn wir die Protokolle vergleichen mit Victor Ostrovskys Enthüllungsbuch über den israelischen Geheimdienst Mossad, dann erkennen wir, dass Ostrovsky tatsächlich geheime Operationen, Namen und Methoden verrät. Bei einer guten Fälschung sind interessante Geheimnisse enthalten, die verraten werden. Die Protokolle sind leer und hohl. Deshalb wurden auch in verschiedenen Print-Editionen so viele Vorwörter, Kommentare und ausführliche Schlusswörter angefügt, sowie vermeintlich neu entdeckte Zusatz-Protokolle, um die Fälschung irgendwie interessanter und überzeugender aussehen zu lassen. Es ist der typische Effekt der Echokammer und Filterbase, wenn jemand nur noch antisemitische Texte liest und in der Welt dann überall scheinbare Bestätigungen sieht.
1919 veröffentlichte die amerikanische Zeitung Philadelphia Public Ledger übersetzte Auszüge aus den Protokollen unter dem Titel „Rote Bibel“, die etwas umgeschrieben wurden, damit es aussah, wie ein Dokument der russischen Bolschewisten. Der verantwortliche Carl W. Ackerman bekam später ausgerechnet den Chefposten bei der Journalismus-Fakultät der elitären Columbia University, die ursprünglich von dem britischen König George II. gegründet worden war. Der Besitzer der Zeitung war der unglaublich reiche Cyrus H. K. Curtis und von 1918 bis 1921 war auch der ehemalige US-Präsident William Howard Taft ein Autor. Taft war Mitglied der gefährlichen Geheimorganisation Skull&Bones, die sich rege beteiligt hatte an der bolschewistischen Revolution in Russland und der Versorgung des neuen sowjetischen Regimes mit westlichem Geld und westlicher Technologie. Skull&Bones wurde später vom Historiker Antony Sutton entlarvt anhand von Originaldokumenten. Skull&Bones geht zurück auf den Einfluss der britischen Krone. Hier hatten wir also „Journalisten“ aus einem Milieu, das mit geheimdienstlichen Methoden Russlands Zarenherrschaft beendete und den Sowjetkommunismus unterstützte, und genau diese Journalisten verbreiteten als Ablenkungsmanöver die gefälschten Protokolle von Zion über eine jüdische Weltverschwörung zur Etablierung des gottlosen Kommunismus und zur Auflösung von Nationen. Jedes Mal also, wenn das britische Imperium irgendwo auf der Welt eine bedeutende Geheimoperation für den Umsturz einer bestehenden Ordnung vornahm, lancierten die britischen Geheimdienste gleichzeitig in der Öffentlichkeit verlogene Bücher und Pamphlete, um die Aufmerksamkeit auf jemand anderen zu lenken. Harris A. Houghton, ein Mitglied des amerikanischen Militärgeheimdienstes, ließ 1920 eine komplette englische Übersetzung der Protokolle anfertigen und verbreiten. Zu diesem Zweck schuf er die Tarnfirma „The Beckwith Company“ und verlegte auch noch Bücher wie Nesta Websters „Boche and Bolshevik“. Das Geld für Houghtons Verlagsaktivitäten kam wahrscheinlich von der Organisation „American Defense Society“, deren Ehrenpräsident der ehemalige US-Präsident Theodore Roosevelt war. Als Vorsitzender diente Richard Melancthon Hurd, Absolvent der Universität Yale und Mitglied der Geheimorganisation Skull & Bones. In Großbritannien erschien die erste englische Ausgabe der Protokolle 1920 und es gab eine ausführliche Berichterstattung in der Zeitung „The Morning Post“ in London. Daraus entstand noch das Buch „The Cause of World Unrest“, an dem Nesta Webster, George Shanks und die Hälfte der Angestellten der Zeitung mitarbeiteten.
Shanks hatte die allererste Übersetzung der Protokolle vom Russischen ins Englische vorgenommen, möglicherweise mit der Hilfe von Graf Tscherep-Spiridowitsch, der unter den Zaren als General gedient hatte. Der Graf schrieb auch das Buch “Secret World Government or The Hidden Hand” in dem er 300 jüdische Familien als den Kern der Verschwörung benannte und das wohl eine Inspiration war für die Legende vom „Komitee der 300“ und das entsprechende Werk von John Coleman. Laut Lord Alfred Douglas haben einflussreiche Männer wie Henry Ford und Zeitungen wie die Financial Times dem Grafen geholfen, eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen. Die Morning Post wurde geleitet von Lilias Borthwick, die Frau von Seymour Henry Bathurst, 7th Earl Bathurst (ein Deputy Lieutenant des Königshauses). Unter ihrer Führung war die Zeitung erzkonservativ, imperialistisch, protektionistisch, militaristisch und antisemitisch. Am 7. April 1924 wurde die Zeitung an den umtriebigen antisemitischen Verschwörungs-Publizisten Alan Percy, den 8. Herzog von Northumberland (Träger der höchsten britischen Orden), und ein Konsortium prominenter Konservativer verkauft. Victor E. Marsden war bei der Zeitung der Russlandkorrespondent gewesen und soll ebenfalls bei der Übersetzung geholfen und sich zeitweise mit dem Prinzen von Wales getroffen haben. In der Veröffentlichung der Protokolle von Marsden finden wir ein Nachwort des Adeligen Lord Sydenham, der mit mehreren der höchsten britischen Orden ausgezeichnet war, in dem es für bedeutungslos erklärt wird, dass der Text von anderen Quellen abgekupfert worden war. Sydenham verwendet das Argument, dass die Protokolle mit „tödlicher Genauigkeit“ die kommenden Geschehnisse unter anderem bei der kommunistischen Revolution in Russland vorausgesehen hätten. Dies bedeutet aber, dass er die kommunistische Revolution wiederum gemäß der Protokolle interpretiert. Er dreht sich also argumentativ im Kreis, obwohl ein gebildeter Mann wie er eigentlich hätte verstehen müssen, dass eine zirkuläre Argumentation Unsinn ist. Der Text der Protokolle ist extrem schwammig und ungenau, aber Sydenham erklärt, dass die Vorhersagen „auf den Buchstaben genau“ eingetroffen wären. Er bedankt sich bei dem amerikanischen Autobauer Henry Ford für dessen „hervorragende“ weitere Enthüllungen als Ergänzung zu den Protokollen. Ford unterstützte aber nicht nur das nationalsozialistische Regime, sondern baute interessanterweise auch in der Sowjetunion, also dem vermeintlichen Moloch der jüdischen Illuminaten, kriegswichtige Fabriken. Einem Massenpublikum in Amerika wurden die Protokolle bekannt durch Ford, denn er bezahlte den Druck von zahllosen Exemplaren und machte zudem noch den deutschen Nazis schöne Augen. Natürlich dienten ihm die Protokolle als Ablenkungsmanöver und lenkten die Aufmerksamkeit auf eine vermeintliche jüdische Weltverschwörung. Um den Effekt zu verstärken, veröffentlichte Ford gleich noch das Buch „Der internationale Jude“, welches auf den Protokollen aufbaut. Praktisch alle negativen Entwicklungen werden einer jüdischen Verschwörung, nicht jedoch dem angloamerikanischen Imperium zugeschrieben. Die zahlreichen Leser der Protokolle verdächtigten in aller Regel Familien wie die Rothschilds, die Pläne aus den Protokollen umzusetzen. Dass die bedeutenden jüdischen Clans vom britischen Imperium genauso aufgebaut worden waren wie nichtjüdische Raubbarone, erfuhr das Publikum nicht. Nachdem eine britische Zeitung in den 1920er Jahren aufgedeckt hatte, dass die Protokolle eine Fabrikation waren, fielen die Reaktionen unterschiedlich aus. Eines der am häufigsten genannten Argumente, welches sich auch bei Henry Ford, sowie in späterer Verschwörungsliteratur findet, lautet, dass es egal sei, ob die Protokolle gefälscht wurden oder nicht, weil die darin enthaltenen Pläne von den jüdischen Verschwörern genau wie beschrieben in der Welt umgesetzt worden wären. In manchen späteren Verschwörungsbüchern wurden die Protokolle in veränderter Form abgedruckt, wobei Begriffe wie „Juden“ und „Goyim“ (Nichtjuden) ersetzt wurden durch „Illuminaten“ und „Untertanen“. Milton William Cooper druckte in seinem Bestseller „Behold a Pale Horse“ 1991 den gesamten Text im Original ab mitsamt dem Kommentar, man müsse das Wort „Juden“ jedes Mal durch „Illuminaten“ ersetzen.
Quellen:
Jenkins, Philip (1997). Hoods and Shirts: The Extreme Right in Pennsylvania, 1925-1950.
Robert Singerman, „The American Career of the Protocols of the Elders of Zion“, in: American Jewish History,
Protocols of the Learned Elders of Zion. Reedy, W. Va. : Liberty Bell Publications
„Der internationale Jude“
Einflussreiche Antisemiten aus Amerika und britische Hochadelige besaßen genügend Möglichkeiten, um nach konkreten Beweisen für tatsächliche kriminelle Handlungen jüdischer Individuen und Netzwerke zu suchen, und mit Hilfe von Anwälten und sympathisierenden Staatsfunktionären gegen diese Individuen und Netzwerke vorzugehen. Stattdessen wurden lediglich hohle und zahnlose Pamphlete gedruckt, die keine gerichtsverwertbaren Beweise enthielten, mit denen man auch nur einen einzigen lausigen Durchsuchungsbefehl hätte erwirken können oder gar eine Verurteilung vor Gericht. Nur in Europa entwickelten die Pamphlete durch die Nazis eine verheerende Wirkung, bis hin zum Holocaust. Henry Fords Publikation „Der internationale Jude: Ein Weltproblem“ von 1920 basierte auf den Protokollen und wurde in verschiedenen Sprachen in hohen Auflagen veröffentlicht. Es handelt sich um die Zusammenstellung von 91 Artikeln verschiedener Autoren. 1922 erschien die deutsche Übersetzung im Leipziger Hammer-Verlag des antisemitischen Verlegers Theodor Fritsch, ein Verkaufserfolg in der völkischen Szene und bei der NSDAP. Gleich zu Beginn widmet sich der erste Aufsatz der Frage, wie es überhaupt Juden gelungen sein soll, die Finanzmacht in den USA zu übernehmen. Eine Aufschlüsselung mit verlässlichen Quellen, wieviel Finanzmacht Juden denn angeblich im Jahr 1920 besessen haben sollen, gibt es nicht. Stattdessen der Verweis, dass die einflussreichen amerikanischen Juden einfach zu den europäischen Juden gehörten, die bereits ultra-reich gewesen seien. Welche europäischen Juden sollen das sein? Wir erfahren es nicht. Was auch fehlt, ist eine überzeugende Antwort darauf, warum der jüdische Durchmarsch in den USA nicht aufgehalten wurde, wenn doch so wenige jüdische Familien existierten, die zu den Superreichen gehörten. Im dritten Aufsatz fällt auf, dass die Amerikanische Revolution nicht als das Werk jüdisch-kommunistischer Illuminaten beschrieben wird, obwohl doch laut der gängigen Sichtweise die Revolutionäre mit Slogans über Freiheit und Gleichheit sich vom britischen Adel lossagten und die alte Ordnung zerstörten zugunsten von Demokratie und Kapitalismus. Europäische Juden sollen einfach amerikanische Juden finanziert haben, um die amerikanische Wirtschaft sukzessive aufzukaufen, ohne dass dieser Plot bemerkt und aufgehalten worden sei. Wie in zahllosen anderen Verschwörungs-Texten wird der Eindruck erweckt, Nicht-Juden hätten geheimdienstlich völlig versagt, während Juden ungehindert geheimdienstliche Wunder vollbracht hätten. Es wird wieder das Argument benutzt, Juden hätten irgendwelche herausragenden geheimdienstlichen, verschwörerischen Fähigkeiten besessen. Es heißt weiterhin:
„Der Jude ist der einzige und ursprüngliche internationale Kapitalist.“
Diese Aussage ist identisch zu dem, was die französischen Frühsozialisten glaubten. Juden würden in besonderem Umfang nicht-jüdische Strohmänner verwenden, heißt es, ohne jedoch ein einziges Beispiel dafür zu nennen. Statt der behaupteten Diskretion sah man, wie beispielsweise die Rothschilds das Rampenlicht geradezu suchten, riesige Paläste bauten und Partys veranstalteten für die High Society. Es stand unzähligen Individuen und Gruppen, darunter natürlich auch dem Adel, frei, sich im Bankenwesen zu betätigen. Aus irgendeinem unerfindlichen, nicht genannten Grund, soll jedoch den Juden das Feld überlassen worden sein. Nachrichtendienstlich seien Juden immerzu schneller und besser informiert gewesen als andere, was wohl eine Anspielung ist auf den Rothschild-Waterloo-Mythos. Belege werden keine geliefert, sondern der Leser bekommt nur den Hinweis auf „viele Autoren im Mittelalter“, die darüber geschrieben hätten. Antisemitische Literatur verwendet also standardmäßig antisemitische Literatur als Quelle und betrachtet die schiere Masse an Veröffentlichungen innerhalb dieser Echokammer und Filterblase als eine Art Wissenschaftsfeld. Der britische Adel, so heißt es, hätte sich komplett verschuldet bei den jüdischen Geldverleihern, ohne Quellen oder eine Übersicht zu liefern und ohne Erwähnung des Rothschild-Waterloo-Mythos. Im zweiten Aufsatz geht es um die Zerfallserscheinungen in Deutschland, die selbstverständlich dem Judentum angelastet werden. Germanen und Juden seien grundverschieden und sich in Deutschland besonders fremd, wird erklärt, was eine komplette Verdrehung der Tatsachen ist, denn deutsche Juden (bzw. jüdisch-stämmige Deutsche) zählten zu den am meisten assimilierten Juden der Welt. Diejenigen Länder, wird erklärt, die am meisten unter jüdischem Einfluss standen (gemeint sind wohl die USA und Britannien) hätten Deutschland im Ersten Weltkrieg am schlechtesten behandelt. Mit dieser altbekannten Masche gelang es der angloamerikanischen Propaganda, rechte Kreise in Deutschland zu umgarnen und dafür zu sorgen, dass die Wut der Deutschen sich nicht gegen den Welfen-Adel richtete. Juden sollen „die einzigen Gewinner des Kriegs“ gewesen sein, so die groteske Einschätzung. Genau wegen diesem Unfug konnten Adelige die Nationalsozialisten manipulieren und den Eindruck erwecken, hohe Kreise in Britannien und den USA seien den Nazis gewogen und würden zulassen, dass Deutschland sich nach Osten ausbreitet und sogar gegen die (vermeintlich jüdisch dominierte) Sowjetunion kämpft. Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg kam es zu einer kurzlebigen Hochphase, in der linke Strömungen und auch prominentere jüdische Sozialisten in Deutschland Posten ergatterten. Die linke Bewegung war komplett unterwandert von preußischen und welfisch-britischen Geheimdiensten, was natürlich gründlich verschwiegen wurde. Eine ausführliche Abhandlung zu Karl Marx finden Sie in meinem Buch „Die tiefsten Geheimnisse der Supermächte Band I – Revolution“. Auch Sowjetrussland war über seine Geheimdienste in der deutschen linken Sphäre involviert, wobei die kommunistische Revolution Russlands eben keine Aktion jüdischer Illuminaten war, sondern des Adels. Die Propaganda der Angloamerikaner interpretierte die linke Phase in Deutschland natürlich als jüdisch-illuminierte Agenda. Ein internationales, antisemitisches Netzwerk sei demzufolge notwendig, um die jüdische Weltverschwörung zurückzudrängen.
Nesta Webster
Nesta Webster wurde in Trent Park geboren, einem herrschaftlichen Anwesen nördlich von London, das immer wieder von Geheimdiensten und dem Militär verwendet wurde, wie z.B. als Kriegsgefangenenlager für wichtige deutsche und italienische Offiziere. Das Haus war 1777 von König George III. an seinen Arzt vermietet worden. Später ging es über in den Besitz der Familie Bevan, deren Männer Partner der Barclays Bank waren. Auch Nesta Websters Vater war Partner bei Barclays. Trent Park gehörte auch zeitweise dem jüdischen Adeligen Sir Philip Sassoon, dessen Clan vom britischen Imperium aufgebaut worden war. Sassoon war ein Verwandter der Rothschilds, die aufgebaut worden waren durch das Haus Hessen-Kassel, welches wiederum mit dem britischen Königshaus Hannover verwandt ist. Die Sassoon-Brüder David und Albert waren Freunde des britischen Prinzen von Wales. David Sassoon (1792 – 1864) war ein irakischer Jude gewesen, der mit anderen zusammen nach Bombay (Mumbai) auswanderte und dort seine Community anführte. Das britische Imperium machte ihn durch Handel mit Opium und Textilien zwischen China, Indien und England reich. 1853 wurde er offiziell Brite, sein Sohn bekam den Kleinadelstitel eines Baronets und heiratete in die Rothschild-Familie ein. Nesta Webster war also im wahrsten Sinne des Wortes mitten in die Kreise aus adeligen Verschwörern hineingeboren. Ihr war eigentlich zuzutrauen, die Bedeutung und wahre Macht des Britischen Imperiums zu verstehen, aber sie sprach in ihren Schriften stattdessen über mystische Zirkel von Okkultisten, Juden und Illuminaten als Drahtzieher großer Verschwörungen wie der Französischen Revolution, der Bolschewistischen Revolution in Russland und der Verbreitung des Sozialismus. Nach dem Ersten Weltkrieg durfte sie mehrfach über diese Themen bei militärischen Einrichtungen und vor dem Geheimdienst referieren. Die Geheimdienstler sollen sie dazu gedrängt haben, das Buch „World Revolution: The Plot Against Civilization“ zu schreiben. Dafür erhielt sie auch Lob aus der hohen Politik, wie etwa von Lord Kitchener, und ausgerechnet Winston Churchill machte 1920 Werbung für sie in einem Artikel mit dem Titel „Zionism versus Bolshevism: A Struggle for the Soul of the Jewish People”. Man muss sich die Dreistigkeit einmal richtig vor Augen halten: Wichtige Mitglieder des britischen Imperiums schwadronieren über jüdische Weltverschwörer, dabei waren die britischen Geheimdienste die Hauptverdächtigen bei der Destabilisierung der Französischen Monarchie, bei der Russischen Revolution und bei der Verbreitung des Sozialismus über die Fabian Society gewesen. Und natürlich hatte das Imperium jüdische Clans wie Sassoon und Rothschild aufgebaut. Ob Webster, Churchill und andere wirklich so gnadenlos naiv waren? Oder förderten sie bewusst Verschwörungstheorien, die von der Rolle des britischen Imperiums ablenkten? Das Freimaurertum auf Kontinentaleuropa beschrieb Webster als düster und subversiv, während sie gleichzeitig das britische Freimaurertum (das die Hannoveraner Welfen 1717 neu gegründet hatten) „eine ehrenwerte Vereinigung“ und als „Unterstützer von Recht, Ordnung und Religion“ nannte. Genau dieses Muster kennen wir ja bereits aus der frühen Phase der Verschwörungsliteratur kurz nach der Französischen Revolution. Freimaurer der Vereinigten Großloge von England unterstützten Websters Schriften. Sie wurde die führende Autorin von „The Patriot“, einer antisemitischen Zeitung, die von Alan Percy finanziert wurde, dem 8th Duke of Northumberland, der ausgezeichnet war mit dem Order of the Garter, dem Order of the British Empire und dem Royal Victorian Order. Percys Essay „The First Jewish bid for world power“ von 1930 beruft sich als Quelle auf eine drei Jahre jüngere Studie zum Römischen Reich, die von der Oxford University Press verlegt worden und an der ein Professor für antike Geschichte der Universität Yale beteiligt gewesen war. In der Studie wird festgehalten, dass die Aufstände der breit verteilten Juden den Römern ernste Probleme bereitet hätten und dass Juden später viel Handel mit Luxusgütern betrieben. Dies soll illustrieren, dass Juden gefährliche Störenfriede seien, die es andauernd wagen, sich mit großen Imperien anzulegen. Ein einflussreicher Jude am Hof von Kaiser Nero hätte sich für andere Juden eingesetzt (gegen Bestechung versteht sich). Juden seien allzeit bereit zu Massenmord wie beispielsweise an hunderttausenden Griechen in der Antike oder im 20. Jahrhundert an unzähligen Russen im Zuge der kommunistischen Revolution. Der Römische Kaiser Claudius hätte damals sogar Angst gehabt vor den Millionen an Juden in Rom, Ägypten, Jerusalem und anderswo. Schließlich sei Rom untergegangen, teilweise wegen der jüdischen Subversion und „Anarchie“, während die Juden weiterexistierten konnten. Es liest sich wie entsprechende NS-Literatur, die exakt dieser Argumentationsschiene folgt und praktisch unterstellt, dass Juden immer eine massive Gefahr darstellen würden für „zivilisierte“ Großreiche, die sich auf die römische Tradition berufen. Juden seien nicht reformierbar, sondern könnten nur vertrieben oder vernichtet werden. Zusammen mit dem Rothschild-Waterloo-Mythos und den Protokollen von Zion erweckte diese Geschichtsinterpretation den Eindruck, der britische Welfen-Adel hätte die Kontrolle über das römisch inspirierte britische Reich verloren an verschwörerische jüdische Revoluzzer, und der Welfen-Adel in Russland sei gar von einer jüdischen Revolution hinweggefegt worden. Es verwundert nicht, dass sich die Nationalsozialisten zum Welfen-Adel hingezogen fühlten, weil sie dachten, man könne gemeinsam die jüdische Weltverschwörung zurückdrängen und neue Imperien nach Vorbild Roms schaffen. Der Duke of Northumberland dankt Nesta Webster am Schluss seines Essays. In späteren Editionen von “The First Jewish bid for world power” ist Werbung enthalten für weitere antisemitische Verschwörungs-Pamphlete, die man bestellen kann, wie
- „The Talmud Unmasked“
- „The Jewish war of survival (dokumentierte Belege dafür, dass die Juden verantwortlich waren für den Zweiten Weltkrieg)
- eine annotierte Version der Protokolle von Zion (frisch aus der Druckerpresse!)
- Pawns in the Game von William Guy Carr
- „Der internationale Jude“ von Henry Ford
- „Der Mythos der sechs Millionen“ [gemeint sind Holocaust-Tote]
Eines von Websters Hauptwerken ist „Secret Societies and Subversive Movements“ von 1924. Im Vorwort erwähnt sie sogleich, wie wichtig das Buch „Proofs of a conspiracy“ von John Robison und die Werke von Abbé Barruel doch gewesen seien. Sie handelt verschiedene historische Geheimgesellschaften ab und stellt die Behauptung auf, dass eine jüdische Gruppe es irgendwie geschafft habe, Geheimgesellschaften zu infiltrieren und dadurch zu großer Macht zu gelangen auf dem europäischen Festland. Sie benutzt dazu uralte Versatzstücke aus der frühen Verschwörungsliteratur, die sich kurz nach der Französischen Revolution verbreitet hatte, wie zum Beispiel das Ablenkungsmanöver mit den „unbekannten Oberen“ der „Strikten Observanz“. Das freimaurerische Hochgradsystem namens „Strikte Observanz“, das ab Mitte des 18. Jahrhundert die meisten deutschen und viele weitere europäische Logen bestimmte, beinhaltete adelige Personen mit Verwandtschaft zu Großbritannien, wie etwa Herzog Ferdinand von Braunschweig und Karl von Hessen-Kassel. Es war die Rede davon, dass es „unbekannte Obere“ gäbe, die die wahren Meister der Organisation seien. Seinerzeit kam immer wieder der Verdacht auf, es könnte sich bei den „Oberen“ um Agenten des Hauses Stewart handeln, die von den Welfen vom britischen Thron vertrieben worden waren, oder vielleicht um Jesuiten oder irgendwelche Franzosen. 1776 wurde der Illuminatenorden gegründet, der manche enttäuschten Mitglieder der zerstrittenen Strikten Observanz anzog. Nesta Webster jedoch hatte keinerlei Interesse daran, die Möglichkeit einer Welfenverschwörung zu untersuchen, sondern sie schreibt von einem mysteriösen Herrn Johnston, der in der Freimaurer-Szene auftauchte und von den „unbekannten Oberen“ geschickt worden sei. Laut den Schriften des Prinzen von Hessen sei dieser Johnston ein Jude mit dem tatsächlichen Namen Leicht oder Leucht gewesen. Weil er zu viel Misstrauen erregte, ließ man ihn verhaften und er starb in der Wartburg. Genau an diesem Punkt sollte man sich daran erinnern, dass der Adel absolut die Mittel besaß, um eine resolute Spionageabwehr durchzuführen, mit tiefschürfenden Hintergrundprüfungen und notfalls mit brutalen (und illegalen) Methoden. Sicherlich konnten Hochstapler und Schaumschläger wie Cagliostro immer wieder einen gewissen Erfolg genießen, aber wenn es um mögliche Bedrohungen von Bedeutung ging, hätte der Adel sofort alle Hebel in Bewegung gesetzt, um Spionagenester aufzudecken. Die preußischen Hohenzollern unter Friedrich dem Großen und die Juden seien laut Webster irgendwie im Bunde gewesen, um die Kontrolle über das Freimaurertum zu erlangen und ihre eigenen Interpretationen des Tempelrittertums zu verbreiten. Im Jahr 1786 sei die französische Freimaurerei „vollständig preußifiziert“ gewesen. Sicherlich hatte Friedrich ein Interesse daran, die französische Monarchie zu stürzen und dafür u.a. das Freimaurertum als Spionagevehikel zu missbrauchen, aber auch die Welfen hatten das gleiche Motiv, Frankreichs Bourbonenherrschaft zu stürzen. Friedrich war der Sohn von Sophie Dorothea von Hannover. Sie war das zweite Kind und die einzige Tochter des Kurfürsten von Hannover und späteren britischen Königs Georg I. und dessen Frau Sophie Dorothea von Braunschweig-Lüneburg-Celle. Zu allem Übel, so Nesta Webster, kam es in Frankreich zu einer Trendwelle des Okkultismus und der Gründung der „Französischen Erleuchteten“, deren Gründer ein spanischer Jude gewesen sein soll. Jüdisch-kabbalistische Martinisten wurden zudem zu einer großen freimaurerischen Macht in Frankreich. Um eine groß angelegte jüdische Verschwörung zu konstruieren, blieb Leuten wie Webster gar nichts anderes übrig, als Erklärungen zu liefern, die in die nebulöse Welt der Logen hineinreichten, wo nichts wirklich eindeutig war. Richtige Beweise brauchte sie nicht vorlegen, sondern ihr reichten Behauptungen, dass diese oder jene Person jüdisch war und dass jüdischer Mystizismus irgendwie bösartig gewesen sei im Vergleich zu dem sehr ähnlichen Mystizismus vieler anderer Gruppen, die sich auch auf die Antike beziehen. Seit tausenden Jahren existieren geheime Orden und Mysterienkulte, die für Spionagezwecke verwendet werden konnten. Alle Gruppen hatten im Wesentlichen die gleichen Optionen und Werkzeuge zur Hand. Warum sollen ausgerechnet Juden so viel besser und erfolgreicher darin gewesen sein, geheime Gruppen zu nutzen? Webster benutzt eine altbekannte zirkuläre Argumentation, wenn sie den Juden ein natürliches und ganz besonders ausgeprägtes Talent für Subversion andichtet, im nächsten Schritt diverse Revolutionen als jüdische Verschwörung interpretiert und dann diese „jüdischen“ Revolutionen wiederum als Beweis hernimmt für die ursprüngliche Behauptung, Juden seien ganz besonders subversiv. Webster schreibt explizit von jüdischen „Super-Spionen“, Geheimdienstlern und einem Netz aus „Krypto-Juden“ (gemeint sind jüdische Männer die nicht-jüdische Tarn-Identitäten angenommen hätten).
„Es ist offensichtlich, dass ein solcher „Geheimdienst“ den Juden zu einer erheblichen verborgenen Macht verhalf, umso mehr da seine Existenz an sich meistens der restlichen Bevölkerung unbekannt war.“
Was sollen die besonderen Techniken und Fähigkeiten des Juden-Geheimdienstes gewesen sein? Juden waren besonderen Registrierungspflichten und vielfältigen Einschränkungen unterworfen, was es besonders einfach machte, jüdische Gemeinschaften zu überwachen. Der Rechtsstatus von Juden war dermaßen schlecht, dass es ein Kinderspiel war, verdächtige Personen zu beseitigen, einzuschüchtern, gewaltsam zu verhören und deren Angehörige zu bedrohen. Nach allen Maßstäben, die wir von dem modernen, dokumentierten Geheimdienstwesen kennen, hatten Juden die schlechtesten denkbaren Voraussetzungen, um irgendwelche nennenswerten geheimdienstlichen Erfolge verbuchen zu können. Websters Text ist die altbekannte Mischung aus aufgewärmten Gräuelmärchen aus dem Mittelalter und den Bausteinen der frühen Verschwörungsliteratur aus der Zeit nach der Französischen Revolution. Sie lässt es sich nicht nehmen, gegen den britischen König Charles II. von den verhassten Stewarts zu schießen, der sich auf jüdisches Geld eingelassen hätte, um den britischen Thron führen zu können und im Gegenzug ließ er die Ansiedelung von Juden wieder zu, die natürlich sofort wieder subversiv-geheimdienstlich tätig wurden. Charles hatte in Wirklichkeit eine teils geheime Abmachung mit den Franzosen, die eine Konvertierung von ihm zum Katholizismus vorsah, was Webster wohl bekannt sein musste. Schließlich kommt Webster auf den bayerischen Illuminatenorden und Adam Weishaupt zu sprechen. Sie betont erwartungsgemäß Weishaupts Ausbildung bei einer katholisch-jesuitischen Schule, verschweigt aber, dass sein prägendes familiäres Umfeld aus Leuten bestand, die den Welfen gegenüber loyal waren. Weishaupt hätte sich von den Jesuiten in gewissen Techniken ausbilden lassen, aber letztendlich für eine jüdische Verschwörung gearbeitet. 1771 sei ein Händler namens Franz Kölmer von Ägypten nach Europa gekommen, um Mitglieder für seinen Geheimorden zu rekrutieren. In Malta hätte er den Mystiker Cagliostro getroffen (der wahrscheinlich jüdisch war) und beinahe einen Volksaufstand angezettelt, dann hätte er ein paar Rekruten gefunden aus den französischen „Erleuchteten“ und schließlich wäre er in Deutschland angekommen, um Adam Weishaupt in die Geheimnisse der mystischen Doktrin einzuweihen. Weishaupts geheimer Ordensname war „Spartacus“ in Anlehnung an den berühmten Aufstands-Führer, der sich gegen das Römische Reich aufgelehnt hatte. Webster munkelt, ob Kölmer ein heimlicher Jude gewesen sein könnte. Die ganze Kölmer-Legende basiert jedoch auf den Schriften von Abbé Barruel. Websters „Beweisführung“ verliert sich wieder einmal im undurchdringlichen Nebel. Juden spielten in der ursprünglichen Verschwörungsliteratur unmittelbar nach der Französischen Revolution keine Rolle, aber Webster versucht hier im Nachhinein, ein jüdisches Komplott zu konstruieren, obwohl keine relevanten neuen Informationen in diese Richtung deuten. Sie erwähnt, wie der Herzog von Braunschweig (Mitglied der Illuminaten und Großmeister der deutschen Freimaurerei) 1794 ein Manifest an alle Logen verteilte, in dem er die Geschichte erzählte, dass ganz geheime Verschwörer das Freimaurertum infiltriert hätten und dass diese Verschwörer verantwortlich seien für die Französische Revolution und diverse Aufstandsbewegungen.
„Drei Jahre nachdem der Herzog von Braunschweig sein Manifest an die Logen verteilt hatte, erschienen die Bücher von Barruel, Robison und anderen, die die ganze Verschwörung offenlegten“.
Barruel und Robison erfüllten aber damals nur den Zweck, bestimmte Adelslinien und den britischen Geheimdienst aus der Schusslinie zu nehmen und den Verdacht auf die Stewarts, die Jesuiten und irgendwelche französischen Freimaurer und Erleuchteten zu lenken. Später dann, durch Autoren wie Webster, wurden Juden der Mittelpunkt des Ablenkungsmanövers. Die Bücher von Robison und Barruel hatten einen Einfluss darauf, dass 1799 im englischen Parlament ein Gesetz verabschiedet wurde, dass alle Geheimgesellschaften außer dem Freimaurertum verbot. Der Unlawful Societies Act 1799 machte es illegal für Gruppen, von ihren Mitgliedern einen Eid zu verlangen. Die Gesellschaften waren auch verpflichtet, Mitgliederlisten zur Einsichtnahme bereitzuhalten. Für alle Räumlichkeiten, in denen öffentliche Vorträge abgehalten wurden, sowie für kostenpflichtige öffentliche Lesesäle war eine richterliche Genehmigung erforderlich. Die Druckereien wurden streng reguliert, da eines der Hauptprobleme nach Ansicht der Regierung darin bestand, dass aufrührerische Flugblätter weit verbreitet waren. Letztendlich wurde jede Freimaurerloge, die zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Gesetzes existierte, ausgenommen, sofern sie eine Mitgliederliste führte und diese den Richtern vorlegte. Die Bücher von Robison und Barruel wurden auch in Amerika sehr erfolgreich, wobei auffällt, dass Webster die Amerikanische Revolution in ihrem Buch, die nur kurz vor der Französischen stattfand, nicht ebenfalls einordnet als das Ergebnis jüdischer Illuminaten. Immerhin predigten George Washington (ein Freimaurer des Royal Arch Systems) und andere Revolutionäre Slogans über Freiheit und das Abschütteln der Monarchie. Webster behandelt genauso wenig die Amerikanische Revolution wie einst Barruel und Robison, weil der britische Geheimdienst diesen Rahmen so vorgegeben hatte für die Verschwörungsliteratur. Die jüdische Illuminaten-Verschwörung soll sich fortgesetzt haben im Sozialismus und auch die „Phraseologie der illuminierten Freimaurerei“ sei übernommen worden in die Sprache des Sozialismus. Sie schließt mit einem Plädoyer für eine faschistische Erneuerung. Sie hatte Verbindungen zu mehreren einschlägigen, rechtsradikalen britischen Gruppen, wo sich unter Militäroffizieren und Adeligen höchstwahrscheinlich auch einige britische Spione tummelten. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg lebte die britische Desinformation und Propaganda von Webster und anderen weiter und beeinflusste immer neue Generationen an Verschwörungstheoretikern und Neonazis. Sie wurde auch fleißig gelesen in den USA bei dem Ku Klux Klan, der John Birch Society und der Milizbewegung.
Heimbichner, S. Craig; Parfrey, Adam (2012). Ritual America: Secret Brotherhoods and Their Influence on American Society: A Visual Guide. Feral House
Theodor Fritsch
Mit der Schrift „Leuchtkugeln. Altdeutsch-Antisemitische Kernsprüche“, die er 1881 unter dem Pseudonym Thomas Frey veröffentlichte, begann Fritsch eine lange Reihe judenfeindlicher Pamphlete. Im September 1882 nahm er neben Max Liebermann von Sonnenberg und 200 weiteren Teilnehmern am „Ersten Internationalen Antijüdischen Kongreß“ in Dresden teil. Von Sonnenbergs „Deutschsoziale Reformpartei“ (DSRP) sah vor, die rechtliche Gleichberechtigung der in Deutschland lebenden Juden rückgängig zu machen, und sprach zudem von einer „Endlösung der Judenfrage“ und der „Vernichtung des Judenvolks“. Es folgte 1887 der „Antisemiten-Katechismus: eine Zusammenstellung des wichtigsten Materials zum Verständnis der Judenfrage“. Darin wird zunächst in einer einfach gehaltenen Frage-und-Antwort-Form erklärt, was eigentlich das „Sündenregister“ der Juden sein soll. Dem Leser wird vermittelt, dass es sich dabei um eine Kurzzusammenfassung aus hunderten Büchern zu dem Thema handle:
„Die Juden bilden unter dem Deckmantel der Religion in Wahrheit eine politische, soziale und geschäftliche Genossenschaft, die, durch gleiche Instinkte geleitet und im heimlichen Einverständnis unter sich, auf die Ausbeutung und Unterjochung der nichtjüdischen Völker hinarbeitet. Die Juden aller Länder und aller Sprachen sind in diesem Ziele einig und arbeiten einander zu diesem Zwecke in die Hände.“
Die Juden würden dabei so clever vorgehen, dass man sie nicht mit den gewöhnlichen Gesetzen verfolgen könne; was praktisch bedeutet, dass der „Antisemiten-Katechismus“ offen zugibt, keine gerichtsverwertbaren Beweise und nachrichtendienstliche Erkenntnisse gegen Juden liefern zu können, was wir genauso bei all den anderen antisemitischen Publikationen gesehen haben, die größtmögliche Enthüllungen versprechen, aber letztendlich keine nachprüfbaren Geheimnisse von Bedeutung vorweisen können. Praktisch alle Probleme im Deutschen Reich, von Sittenverfall bis hin zu niedrigen Löhnen, sei der Judenverschwörung anzulasten. Wir erkennen das grundlegende Argumentationsmuster aus der angloamerikanischen Verschwörungsliteratur, laut dem die Juden eine Art Supergeheimdienst bilden würden. Überall säßen Juden an den Schalthebeln und würden die organsierte Machtübernahme Deutschlands selbstverständlich aus ihrer internationalen Presse heraushalten. Während die Juden vermeintliche geheimdienstliche Wunder vollbringen, werden die nicht-jüdischen Eliten im Deutschen Reich als hilflose Versager dargestellt. Im Kapitel „Der Jude in geheimen Gesellschaften“ heißt es, Juden hätten den Tempelritterorden infiltriert und durch teuflische Mystik zersetzt, was jeglicher Grundlage entbehrt, abgesehen vielleicht von den Einflüssen antiker Mysterien bei den Templern, die aber eher auf Rom und Griechenland zurückgehen und die man auch bei den Welfen oder den Freimaurern finden kann. Selbstverständlich folgt die klassische Falschbehauptung, die Juden hätten das Freimaurertum unterwandert; ein Vorwurf der früher noch den Franzosen und den Jesuiten galt. Später folgt das Kapitel „Das Vermögen des Hauses Rothschild“ in dem 5000 Millionen geschätzt werden, ohne darauf hinzuweisen, dass die Rothschilds gezielt von dem Adelshaus Hessen-Kassel und dem britischen Thron aufgebaut worden waren. Der Autor führt an dieser Stelle nicht das Waterloo-Märchen an, laut dem Nathan Rothschild den britischen Aktienmarkt abgezockt hätte, aber es ist gesichert, dass Fritsch das Märchen kannte und glaubte, denn es wird angeführt in seinem „Handbuch der Judenfrage“. Dann folgt ein Kapitel über die Deutsche Reichsbank, die als jüdische Privatbank bezeichnet wird, welche nur den Anschein der Staatlichkeit erweckt. Nach der Gründung der amerikanischen Zentralbank Federal Reserve zirkulierte Verschwörungsliteratur mit einem praktisch identischen Argumentationsmuster. Jüdisches Personal bei der Bank würde beweisen, dass es sich um ein Juden-Institut handle, das sich als staatliches Institut tarnt. Fritsch gründete 1902 den Hammer-Verlag und veröffentlichte deutsche Übersetzungen der Protokolle der Weisen von Zion und der von Henry Ford unter dem Titel „Der internationale Jude“ herausgegebenen Zeitschriftenaufsätze des Dearborn Independent. Die Ausgabe der Protokolle von Fritsch aus dem Jahr 1932 enthält ein Vorwort des Herausgebers, in dem verschwiegen wird, dass der Text längst als Fälschung aus älteren Quelltexten entlarvt worden war. Als Vorlage für die deutsche Übersetzung wählte Fritsch die englische Fassung von Victor E. Marsen und er lobt die Publikationen von Henry Ford und der englischen Zeitung „Morning Post“. Nach dem eigentlichen Text der Protokolle gibt es in der Fritsch-Veröffentlichung noch ein langgedehntes Schlusswort, in dem implizit eingestanden wird, dass der Text ziemlich abgehoben und übertrieben klingt. Fritsch will mit dem Schlusswort den Text glaubwürdiger wirken lassen. Der (Welfen-) Adel sei praktisch zu keinerlei Spionageabwehr fähig gewesen und hätte sich kinderleicht hereinlegen lassen von den Juden:
„Die alten Fürsten ahnten gar nicht, wie sie von schlauen Gauklern mißbraucht und genarrt wurden. Mit den Augen des Diebes verfolgte der listige Einbrecher die täppischen selbstgefälligen Gebahrungen der „Machthaber“ und lenkte sie durch heuchlerische Gebärden zu seinem Nutzen. Mögen heute die gestürzten Großen aus den „Protokollen“ erfahren, welch unwürdige Rolle sie gespielt haben.“
Ein „arisches Gehirn“ hätte sowieso gar nicht die Vorstellungskraft, einen Text wie die Protokolle zu fälschen.
„Der englische Übersetzer Marsden erklärte, er habe täglich nur eine Stunde an dieser Übersetzung arbeiten können, da ihn diese widernatürlichen und unehrlichen Gedankengänge seelisch krank machten.“
Es ist zu bezweifeln, dass Marsden irgendwelche seelischen Probleme hatte bei der Übersetzung, denn die Protokolle unterschieden sich ja keinen Deut von der restlichen antisemitischen Propaganda, die bei der britischen Zeitung „Morning Post“ ständig gelesen wurde. Wer die Protokolle nicht für echt hält, ist laut Fritsch entweder dumm und ungebildet, oder jemand, der die Wahrheit vertuschen will. Die Juden hätten den Ersten Weltkrieg zu verantworten und seien Ungeziefer, das man loswerden müsse. Hitler und die NSDAP hatten diese Sichtweise verinnerlicht und glaubten, sich mit „den alten Fürsten“, den „gestürzten Großen“ verbünden zu können gegen die jüdischen „Diebe“ und „Gaukler“.
Theodor Fritsch – Die Zionistischen Protokolle (11. Auflage 1932, 85 S., Scan, Fraktur)
Die Völkische Szene
Die Konservativen im deutschen und österreichischen Raum waren entsetzt über die Industrialisierung, sozialistische Bewegungen, die steigende Bedeutung von international agierenden Großbanken und den Siegeszug der Wissenschaft über Mystik und Tradition. Gegen Ende der 1800er Jahre formten sich einige völkische Organisationen, die bei ihrer Abneigung gegenüber Banken und Industriekapitalismus genauso klangen wie die älteren Texte der französischen Frühsozialisten. Im Mittelpunkt stand die Vorstellung, dass jüdische Verschwörer hinter all den problematischen Veränderungen stünden. Die führenden Personen der völkischen Gruppen waren alles andere als Hinterwäldler, sondern entsprangen den Top-Universitäten in den Großstädten. Man sah auch häufig typische Logen-Konstrukte, die auf das Zielpublikum zugeschnitten waren. Das Deutsche Kaiserreich ab 1871 stand unter der Führung der preußischen Hohenzollern, aber es handelte sich de facto immer noch um einen Flickenteppich, von denen einige Einzelteile seit Jahrhunderten als Fürstentümer, Herzogtümer und Mini-Königreiche der Welfen, Wettiner und Reginare existiert hatten. Man muss damit rechnen, dass überall Spionage-Netzwerke existierten, die nach Großbritannien reichten. Der erste Reichskanzler des Deutschen Reiches war der Fürst bzw. Herzog zu Lauenburg, Otto von Bismarck-Schönhausen. Das Herzogtum Sachsen-Lauenburg war über 100 Jahre lang „Kurhannover“ und hatte Georg Ludwig von Braunschweig-Lüneburg hervorgebracht, der 1714 britischer König wurde. Das Adelsgeschlecht Bismarck lässt sich bis ins Jahr 1270 zurückverfolgen. Es gibt eine Verbindung zur Familie (von) Katte. Hans Katte war herzoglich sachsen-coburgischer Hofmarschall. Leutnant Hans Hermann von Katte war schwul und hatte eine Beziehung mit dem Prinzen Friedrich von Preußen (Hohenzollern) Dessen Mutter war Sophie Dorothea von Hannover, deren Vater der britische König George I. von den Welfen war. Das Verhältnis zwischen den Hohenzollern auf der einen Seite, und den Welfen, Wettinern und Reginaren auf der anderen Seite, war trotz gewisser, erheblicher Verwandtschaftsverhältnisse kompliziert. Beim sogenannten „Deutschen Krieg“ von 1866 hatte Preußen das Mini-Königreich Hannover der Welfen annektiert und dessen Vermögen von 16 Millionen Vereinstalern beschlagnahmt. Der größte Teil des Geldes wurde vom preußischen Reichskanzler Otto von Bismarck verwendet, um sich die Presse gefügig zu machen. Der enteignete Georg V. von Hannover war ein Cousin ersten Grades der britischen Königin Victoria und als legitimer männlicher Nachfahre König Georgs III. Mitglied der britischen Königsfamilie und Zweiter in der britischen Thronfolge. Bismarck sah in den Sozialdemokraten eine revolutionäre Bedrohung und drängte auf das Sozialistengesetz. Gleichzeitig sollte ein rechtskonservatives Sozialstaatssystem aufgebaut werden in Form von Unfallversicherungen, Krankenversicherungen Altersarmut usw. Er wollte so „in der großen Masse der Besitzlosen“ eine „konservative Gesinnung erzeugen“. Für Britannien war es eine attraktive Strategie, mit verdeckten Methoden sowohl linke Bestrebungen auf deutschem Boden zu fördern, als auch rechte, um das Deutsche Reich zu destabilisieren. Überall gab es etwas für Konservative zu meckern, wie etwa die zurückhaltende Kolonialpolitik. Mit dem „Alldeutschen Verband“ formte sich sogar eine rechte Massenorganisation.
Alldeutscher Verband
Diese Lobby-Gruppe der völkischen Szene basiert auf der Initiative von Adolf Fick (Studium an der Welfen-Uni Marburg) und Otto Lubarsch (Studium u.a. an der Welfen-Uni Heidelberg, Mitglied der Heidelberg Burschenschaft, Lehrstuhl an der Christian-Albrechts-Universität Kiel, die benannt ist nach einem Adeligen von Schleswig Holstein Gottorf, Leiter des von Rudolf Virchow gegründeten Pathologischen Instituts und Inhaber des Lehrstuhls für Pathologie an der Charité in Berlin, Mitglied der Leopoldina). Theodor Reismann-Grone und Alfred Hugenberg setzten sich mit den Initiatoren in Verbindung. Reismann-Grone war an der Humboldt-Uni, sowie an der Uni München, die nach einem Adeligen benannt ist, der in die sächsischen Welfen einheiratete. Hugenberg (Studium an den Welfen-Unis Göttingen und Heidelberg) war im Vorstand der Frankfurter Berg- und Metallbank von Richard Merton, der zusammenhing mit dem Ladenburg-Clan, dessen Haus mit anderen Firmen, die ebenfalls Welfenverbindungen hatten, zur Deutschen Bank fusionierte. Adolf Fick studierte an der Uni Marburg, war Mitglied diverser Akademien der Wissenschaften, die mit den Welfen assoziiert sind, bekam die Medaille der Leopoldina und war Geheimrat der der bayerischen Krone. Sein enger Freund war Carl Ludwig, der an der Uni Marburg Medizin studiert hatte, dort Mitglied des Corps Guestphalia war und Stifter des Corps Hasso-Nassiovia. Ludwig war mit Robert Wilhelm Bunsen im Ausschuss des von Heinrich von Sybel in Marburg gegründeten liberalen Vaterlandsvereins. Johannes Wislicenus war an der Uni Harvard in Cambridge Massachusetts, Mitglied der Leopoldina und diverser anderer Akademien der Wissenschaften und bekam die Medaille der Royal Society. Theodor Eimer wurde während seines Studiums der Medizin Mitglied der Burschenschaft Allemannia Heidelberg. Am 9. April 1891 wurde in Berlin mit Unterstützung von Carl Peters der „Allgemeine Deutsche Verband“ ins Leben gerufen. Peters hatte in Göttingen studiert, hatte einschlägige Professoren und war bei den Burschenschaften. Nach der Rückkehr aus London ließ Peters sich in dem von ihm zunächst ungeliebten Berlin nieder, gründete gemeinsam mit Felix von Behr-Bandelin im März 1884 die „Gesellschaft für Deutsche Kolonisation“ (GfdK), übersiedelte zwischendurch nach Hannover und habilitierte im Sommer an der Universität Leipzig bei Wilhelm Wundt in Philosophie. Wundt gehörte zu dem Umfeld der britisch-amerikanischen Geheimgesellschaft Skull & Bones. Karl von der Heydt übertrug im Jahr 1919 seine Bank an das Bankhaus Delbrück, Schickler & Co., die mit anderen Clans zur Deutschen Bank fusionierten.
Deutsche Vaterlandspartei
Die Partei wetterte gegen einen „Verzichtfrieden“ oder „Judenfrieden“ und „Verrat“ an der Heimatfront und vernebelte die Diskussion um „Novemberverbrecher“ und den „Dolchstoß“. Der Erste Weltkrieg war vor allem deshalb verlorengegangen, weil das welfisch kontrollierte Britannien mit dem welfisch kontrollierten Russland und den heimlich welfisch kontrollierten USA von Anfang an eine Übermacht darstellte und weil die Deutschen nachrichtendienstlich versagten, was nicht zuletzt daran lag, dass in Deutschland auch Welfen ihren Sitz hatten und ihre Spionagenetzwerke. Geführt wurde die Vaterlandspartei von Alfred von Tirpitz und Wolfgang Kapp. Ehrenvorsitzender der Partei war Herzog Johann Albrecht zu Mecklenburg. Tirpitz war ein Frankfurter Freimaurer und heiratete die Tochter von Gustav Lipke (Besuch der Uni Heidelberg und Berlin). Friedrich Kapp studierte in Heidelberg, war bei mehreren Burschenschaften und hatte viel mit Amerika zu tun. Sein berüchtigter Putschversuch scheiterte. Johann Albrecht, Herzog zu Mecklenburg war mit der Welfen-Prinzessin Elisabeth von Sachsen-Weimar-Eisenach (1854–1908) verheiratet. Die DVLP wollte eine Reichstagsauflösung und dann einen „starken Mann“ zum Diktator machen, dessen „cäsaristische Herrschaftstechniken“ die Demokratie vernichten und die Linken bezwingen sollte.
Deutschbund
Der Deutschbund wurde 1894 vom Journalisten Friedrich Lange in Berlin gegründet und war rassistisch, antisemitisch und sehr bürokratisch. Der Funktionär Friedrich Lange studierte an der Uni Göttingen und war bei den Burschenschaften. Langes Freund war Paul de Lagarde, der vom preußischen Botschafter Christian von Bunsen gefördert wurde und einen „Studienaufenthalt“ in London machen durfte. Später wurde Lagarde Professor an der Uni Göttingen. Zu seinen bekanntesten Lesern zählten Houston Stewart Chamberlain. Die „Brüder“ der Deutschbund-Gemeinden aus zumeist protestantisch-konservativen Honoratiorenkreisen gaben sich eine quasi-freimaurerische Heimlichtuerei, betrachteten sich als rassische Elite und wollten die Militärführer der Zukunft hervorbringen.
Deutschsoziale Partei
In Theodor Fritschs 1902 in Leipzig gegründeten Hammer-Verlag erschienen neben der Zeitschrift „Der Hammer – Blätter für deutschen Sinn“ (1902–1940) viele irreführende antisemitische Propagandaschriften, die das Märchen einer jüdischen Weltverschwörung in vielfältiger Form behandelten. Darunter waren auch deutsche Übersetzungen der Protokolle der Weisen von Zion und der von Henry Ford unter dem Titel „Der internationale Jude“ herausgegebenen Zeitschriftenaufsätze des Dearborn Independent. Fritsch veröffentlichte das „Handbuch der Judenfrage“, das eine Art kompakte Zusammenfassung des Weltverschwörungsmärchens und der Rassenkampf-Ideologie war. Hitler bezog seine Pseudo-Bildung daraus, wie auch viele andere Zeitgenossen. Der Stürmer-Herausgeber Julius Streicher beschrieb das Buch als Erweckungserlebnis, das ihn zu einem „Wissenden“ gemacht habe. Der Antisemitismus spielte den Briten bzw. den Welfen in die Hände, da die rechtskonservativen Deutschen sich zunehmend auf Sozialisten und Juden als Gegner einschossen. Es überrascht nicht, dass die Welfen solche antisemitische Propaganda förderten, wo sie nur konnten. Fritsch gründete den Germanenorden als geheime Zwillingsorganisation. Mitglieder des Germanenordens gründeten 1918 die Thule-Gesellschaft für öffentliche politische Treffen. Das Handbuch der Judenfrage lehrte, dass „die verhältnismäßig starke und Jahrhunderte dauernde Inzucht aus dem jüdischen Volke keineswegs eine „neue Rasse“ im eigentlichen Sinne gemacht“ habe, sondern dass „Umwelteinflüsse die Fortpflanzung der Träger einer bestimmten Merkmalzusammenstellung besonders gefördert und die Fortpflanzung der Träger aller anderen Merkmalzusammenstellungen dauernd gehemmt“ hätten. Die Geschichtsinterpretation unterscheidet strikt zwischen Abendland und Orient, was eine grobe Irreführung ist:
„Aus dem Orient stammen alle Krankheiten, an denen wir leiden; im Sumpfboden des orientalischen Völkerchaos sind sie gewachsen: der Imperialismus und Mammonismus, die Verstädterung der Völker mit der Zerstörung des Ehe- und Familienlebens, der Rationalismus und die Mechanisierung der Religion, die mumienhafte Priesterkultur und der Wahngedanke eines die Menschheit umfassenden Gottesstaates.“
Die Griechen und Römer hätten dagegen eine „blühende nationale Laienkultur“ geschaffen, welche „sie selbstbewußt und tapfer gegen den asiatischen Geist und die asiatischen Großstaaten verteidigten. Sie wurden die Überwinder des Orients: Äußerlich und innerlich.“ Ironischerweise werden die antiken Mysterien dafür verantwortlich gemacht, dass Rom und Griechenland untergingen:
„Die Griechen und Römer gaben ihre nationale Kultur auf; es entstand eine internationale Kulturgemeinschaft. In Wahrheit wurden die Völker um das Mittelmeer nach und nach orientalisiert: Die asiatischen Götter, die chaldäische Astrologie, die Mysterienzauber verbreiteten sich über das Weltreich; asiatische Lebensweise und Weltanschauung drangen ein; die Menschen ließen sich durch die asiatischen Laster verseuchen; asiatische Theokratie, asiatischer Universalismus und Absolutismus wurden von den römischen Kaisern angenommen.“
Natürlich übernimmt das Handbuch das Märchen, laut dem winzige Clans wie die Rothschilds das britische Imperium gestohlen hätten, ohne aufgehalten zu werden:
Die englische Regierung mußte Rothschilds Gold haben, und er verkaufte es ihr.
Die englische Krone hätte sich mühelos Rothschilds Gold einfach nehmen können, aber die Wahrscheinlichkeit ist fast 100%, dass das Rothschild-Geld in Wirklichkeit sowieso das Geld der britischen Krone war. Das britische Imperium machte vor nichts halt, aber wir sollen glauben, dass es dumm und passiv zugeschaut hätte, wie ein winziger jüdischer Clan unglaublich reich wird. Dann hätte das britische Reich den kleinen Clan um Geld bitten müssen und wäre vor den Juden auf dem Boden gekrochen. Und natürlich erwähnt das Handbuch der Judenfrage das Waterloo-Märchen über Nathan Rothschild:
Jedenfalls wußte er [Rothschild] eher als die englische Regierung, daß Napoleon I. entscheidend besiegt sei. Während man in London noch allgemein unter dem Eindruck der zwei Tage vorher erlittenen Niederlagen stand und die Kurse immer tiefer sanken, ließ Nathan alle Papiere kaufen, deren seine geheimen Agenten nur habhaft werden konnten; denn er wußte, daß sie bald steigen würden.
Dieser Mythos ist längst widerlegt. Die angeblich jüdische Freimaurerei trage natürlich die „Hauptschuld am Weltkrieg und an seinem revolutionären Ausgang.“
Deutschvölkische Freiheitspartei
Zu den führenden Politikern der DVFP gehörte Ernst zu Reventlow, der zum Uradel zählte. Aus dem Familienzweig Ziesendorf (in Mecklenburg) entsprang Detlef Reventlow, der 1632 zum dänischen Kanzler von Christian IV. von Dänemark (Welfe) ernannt wurde. Detlef war Stammvater von zwei neuen Zweigen, die beide zu großem Einfluss gelangten. Der ältere Zweig erlangte 1767 die dänische Lehnsgrafenwürde und heiratete in das dänische Königshaus und Schleswig Holstein-Sonderburg ein. Die dänischen Monarchen sind eng verwandt mit den britischen.
Zur Reichstagswahl im Mai 1924 trat die DVFP in einer Listenvereinigung mit Ersatzorganisationen der weiterhin verbotenen NSDAP an, die 6,6 % der Stimmen erzielte.
Deutschnationale Volkspartei
Der erste Vorsitzende wurde Oskar Hergt, beruflich in den Welfen-Hochburgen Sachsen und Hannover tätig. Weitere Mitglieder waren Kuno Graf Westarp, Tirpitz, Kapp und Karl Helfferich (Direktorium der Deutschen Bank).
Nationalsozialistische Freiheitspartei
Diese Partei war das Werk des bereits erwähnten Ernst Graf zu Reventlow.
Tannenbergbund
Offizieller Vorsitzender war General a. D. Friedrich Bronsart von Schellendorf, ein alter Jugendfreund des Mystikers und Generals Ludendorff. Als Chef des Generalstabs der osmanischen Armee war Bronsart der wichtigste deutsche Offizier im türkischen Heer und wirkte in dieser Funktion am Völkermord an den Armeniern mit.
Reichshammerbund
Eine mystisch-esoterische Organisation von dem Verleger und Autor Theodor Fritsch.
Germanenorden
Die Struktur war angelehnt an das Freimaurertum und die völkische Ariosophie (nach Guido von List) und benutzte die Musik von Richard Wagner.
Thule-Gesellschaft
Die Organisation des Okkultisten Rudolf von Sebottendorf. Von 1901 bis 1914 will er sich wiederholt in der Türkei aufgehalten haben. In Bursa habe er 1901 die Bekanntschaft eines griechischen Juden namens Termudi gemacht, der ihn in eine Freimaurerloge eingeführt haben soll. Der britische Forscher Nicholas Goodrick-Clarke vermutet, dass die Loge in Bursa mit französischen Logen des Memphis-Ritus in Verbindung stand. Darüber hinaus sei sie eine Tarnorganisation des jungtürkischen „Komitees für Einheit und Fortschritt gewesen“, einer illegalen und von Britannien geleiteten Oppositionsbewegung gegen das absolutistische Regime von Sultan Abdülhamid II. Von Termudi will Sebottendorf auch dessen Bibliothek okkultistischer Bücher geerbt haben.
Die Ariosophen
Die frühen Ariosophen wie Guido von List und Jörg Lanz von Liebenfels bedienten sich bei der britischen Theosophie von Helena Blavatsky und sprachen gezielt diejenigen Deutschen an, die enttäuscht waren von der drögen bürokratischen und industriellen Realität im Deutschen Reich unter Führung Preußens. Viele vermissten einen mystisch-religiös-romantischen Überbau für das bisher zweckmäßige Konstrukt des Deutschen Reiches und sehnten sich nach einer Theokratie, der Mischung aus religiöser und weltlicher Führungskaste. Auch die Rechtskonservativen in Österreich waren erbost über den Multikulturalismus, der Millionen Tschechen, Polen und Menschen anderer Nationalitäten unter einen Hut bringen wollte. Die britische Theosophie-Chefin Annie Besant, die einen großen Einfluss hatte auf die deutschen völkisch-esoterischen Gruppen, stand der Fabian Society nahe, die im Auftrag des britischen Adels und britischer Großkapitalisten den Sozialismus in Europa als gesteuerte Opposition aufbaute. Die Ironie, dass Besant gleichzeitig den Sozialismus förderte und deutsche Ultra-Rechte inspirierte, die den Sozialismus als rein jüdische Verschwörung zur Eroberung der Welt betrachten, blieb unbemerkt. Die völkischen Gruppen waren noch keine einheitliche und vor allem keine revolutionäre Massenbewegung, wie später der Nationalsozialismus, aber die verschiedenen Zeitschriften und Bücher, die hervorgebracht wurden, erreichten ein deutlich größeres Spektrum an Menschen. Als im April 1897 in Österreich von der Regierung beschlossen wurde, dass Beamte in Böhmen und Mähren Deutsch und Tschechisch zugleich beherrschen müssen, kam es zu Protesten, politischen Blockaden und Ausschreitungen, die beinahe den Einsatz der Armee zur Wiederherstellung der Ordnung zur Folge hatten. Hunderte deutsche Vereine wurden von der Regierung aufgelöst wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung. Die Ariosophen waren zudem Gegner des Katholizismus und der Habsburger, was eine weitere Spaltung der Gesellschaft bedeutete.
Für die britisch-adelige Spionage war es nicht schwierig, heimlich die völkische Szene zu infiltrieren, auszuhorchen, bestimmte Entwicklungen und Inhalte zu beeinflussen sowie gesellschaftliche Spannungen zu verstärken. Anstatt sachlich die klassisch-österreichischen gegen die slawischen Interessen zu vertreten und die Novellierung des Wahlrechts sinnvoll zu gestalten, bekam alles einen gruppennarzisstischen okkultistischen Charakter verliehen. Lanz von Liebenfels, der eigentlich gar kein echter Adeliger gewesen war, predigte den Rassenkampf, schmähte Mitgefühl und wollte Frauen unter strikter Kontrolle halten. Nur die Adeligen seien in der Lage, Fortschritt zu erzeugen und der Vergöttlichung näher zu kommen. In seiner Zeitschrift Ostara verwursteten verschiedene Autoren die Texte der britischen Theosophie-Anführerinnen Annie Besant und Helena Blavatsky. Hitler gab in „Mein Kampf“ zu, dass er in Wien den „granitenen“ Grundstein für seine Ansichten gefunden hätte und rassische Broschüren gelesen hätte, ohne jedoch explizit zuzugeben, dass es sich wohl nur um die Ostara gehandelt hatte. Guido von List bediente sich inhaltlich bei altbekannten Quellen wie dem Freimaurertum, den Rosenkreuzern, weiteren Organisationen, der Kabbala und auch bei Tempelritter-Mythen, die jeweils passend zurechtgebastelt wurden. Alle möglichen Tricks und Kniffe kamen zum Einsatz, um eine vermeintliche armanische Hochzivilisation zu behaupten, die vor Ewigkeiten als goldenes Zeitalter existiert haben soll. Von Wappen über Statuen bis hin zu Ortsnamen; überall interpretierte List hinein, dass es sich um versteckte Spuren der Armanenkultur handelte. Besonders perfide war Lists Idee, dass deutsche Adelsgeschlechter „Abkömmlinge alter Armanengeschlechter“ wären und dass nach einer bald hereinbrechenden Endzeit und Apokalypse (messianische Wehen) ein neues Zeitalter käme. Man erkennt wieder einmal, wie anpassungsfähig die Mysterien und die zugrundeliegenden Prinzipien sind; sie ließen sich problemlos verbinden mit germanischen Versatzstücken wie Runen oder der Edda und einer speziell angepassten Agenda für deutsche und österreichische Nationalkonservative. Genauso funktioniert die Masche heute, wo Neurechte umgarnt werden mit Tempelritter-Ikonografie oder mit Rechts-Okkultismus aus Russland. Selbst Lists elitärer „Hoher-Armanen-Orden“ war keine allzu beeindruckende Angelegenheit, aber zusammengenommen in der Masse verfehlten die völkischen Organisationen ihre Wirkung nicht. List erlebte die NSDAP nicht mehr, aber seine Ideen landeten bei Heinrich Himmler und dessen Vision eines SS-Staates. Lanz von Liebenfels brachte unverhohlen und offen eine gehörige Portion Psychopathie und Gruppennarzissmus in seine Esoterik mit ein; niedere Rassen und Stände gehörten versklavt und ausgerottet. Die Spuren der „heiligen elektronischen Kraft“ hätten sich durchgesetzt in den alten fürstlichen Dynastien Deutschlands. Dass gerade die Welfen auf deutschem Boden mit dem britischen Thron eng verwandt waren und eine Gefahr darstellten, wurde nicht erkannt oder kam nicht zur Sprache. Lanz von Liebenfels prophezeite mit Hilfe der Astrologie einen Sieg der Mittelmächte im Ersten Weltkrieg und generell wurde der Krieg in das Muster des apokalyptischen Denkens gepresst, wo „messianische Wehen“ unabdingbar seien auf dem Weg in die paradiesische Zukunft. Dass nach dem verlorenen Krieg 1918 das hohenzollernsche Deutsche Reich und das österreichische Habsburgerreich zerbröselten, war ein Ergebnis, das dem konkurrierenden Welfen-Adel sicher gefallen hatte. In einer österreichischen Burgruine schuf Liebenfels den Ordo Novi Templi (ONT), wo er mit Kostümen und abgekupfertem Zeremoniell die Elite der Zukunft sammeln wollte. Natürlich hatte Lanz noch nie im Kampf ein Schwert geschwungen oder irgendeine Art von Kriegsführung vollzogen. Er konstruierte einfach das Märchen zusammen, dass die Tempelritter ein arischer Bund mit einer arischen Mission gewesen seien, um ein neues Reich im Mittelmeerraum zu errichten. Die katholische Kirche hätte davon Wind bekommen und die Templer zum Großteil zerstört. Hans Heinrich XV. Fürst von Pless beschenkte den ONT reichlich. Er hatte in London Mary Theresa Olivia Cornwallis-West geheiratet, deren Bruder George die Mutter von Winston Churchill heiratete, dessen Familie wiederum über Generationen hinweg den Welfen diente. Marys Schwester Constance heiratete Hugh Grosvenor, den 2. Duke of Westminster, Mitglied im Royal Victorian Order. Hugh kämpfte mit einer Freiwilligen-Einheit der Yeomanry im Zweiten Burenkrieg, später war er dann Aide-de-camp von Lord Roberts und Lord Milner. In der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg schloss sich Grosvenor verschiedenen Gruppierungen am äußersten rechten Rand des politischen Spektrums an, unter anderem dem Right Club, der auch offen antisemitisch war. Hughs Antisemitismus war wahrscheinlich genauso eine bloße Taktik wie das antisemitische Geschwätz von Winston Churchill über revolutionäre Juden und Illuminaten. Der Germanenorden hatte mit internen Streitereien und Spaltungen zu kämpfen und bot noch lange keine breite revolutionäre Front wie die NSDAP später. Um den Aufbau bemühte sich, bis zu seinem verfrühten Tod, Johann Albrecht, Herzog zu Mecklenburg, Regent des Herzogtums Braunschweig (Nachfolger von Braunschweig-Wolfenbüttel). Wir haben es hierbei mit einem wichtigen Nest der Welfen zu tun, das in alle möglichen Geheimoperationen verwickelt war und auch Querverbindungen hatte zu Karl Marx, der höchstwahrscheinlich ein Agent der adeligen Netzwerke war (siehe Band I von „Die tiefsten Geheimnisse der Supermächte“). Johann Albrecht heiratete Prinzessin Elisabeth von Sachsen-Weimar-Eisenach von den Häusern Sachsen-Weimar-Eisenach und Oranien-Nassau. Im Sommer 1917 wurde er Ehrenvorsitzender der rechtsradikalen Deutschen Vaterlandspartei. Sein Grabmal wurde in Anlehnung an byzantinisch-ravennatische Kunstformen gestaltet.
Der Germanenorden beteiligte sich auch an politischen Attentaten. Wieso trauten einflussreiche Personen wie der Herzog zu Mecklenburg einer Organisation von dem Hochstapler Sebottendorff? Hatte letzterer in Ägypten bereits Kontakte geknüpft zu den dort aktiven Briten und okkulten Kreisen? In der Türkei lernte er türkisch und begann, sich ernsthaft für den Okkultismus zu interessieren. Sein reicher Gastgeber Hussein Pascha war Anhänger des Sufi-Mystizismus, der teilweise auch als Vehikel für revolutionäre Zwecken bzw. zur Spionage verwendet wurde. Die jüdisch-kabbalistische Familie Termudi waren Freimaurer und führten Sebottendorff in die Loge in Bursa ein, die laut dem Historiker Goodrick-Clarke möglicherweise eine lokale Gruppe der vorrevolutionären „Geheimen Gesellschaft der Union und des Fortschritts“ gewesen war. Dieses Netzwerk agierte im Sinne Britanniens gegen den türkisch-ottomanischen Sultan und war nach dem Vorbild der Freimaurer aufgebaut worden. Natürlich erzählt Goodrick-Clarke nicht, dass die britische Spionage dabei schwer involviert war und letztendlich die Sultane stürzte, das Kalifat beendete und die Führung über den Islam auf arabische Stämme übertrug, die Britannien unter Kontrolle hatte. Mit der Schwesterorganisation „Thule-Gesellschaft“ kämpfte der Germanenorden gegen die Kommunisten in Bayern und speziell München, die als Ausprägung einer vermeintlichen jüdischen Weltverschwörung gedeutet wurden. Sebottendorff peitsche seine Ordensmitglieder an:
„An Stelle unserer blutsverwandten Fürsten herrscht unser Todfeind: Juda.“
Ob es ihm bewusst war, dass er Blödsinn erzählte und grob irreführende Werbung machte für die gefährlichen „blutsverwandten Fürsten“? Die spätere NSDAP vermochte es nicht, das Wesen der Großmächte Britannien, Russland und USA zu verstehen und erst recht nicht, ein ernstzunehmendes Spionagewesen samt Spionageabwehr hervorzubringen. Man setzte auf Gesinnung und auf die Illusion, man wüsste bereits alles, worauf es ankäme, i.e. die vermeintliche jüdische Weltverschwörung. Bei Thule tummelten sich Adelige wie die Gräfin Heila von Westarp und Prinz Gustav von Thurn und Taxis, die aber von den Kommunisten erschossen wurden, weil wahrscheinlich Sebottendorff die Mitgliederlisten nicht gut genug geschützt hatte. Gregor Schwartz-Bostunitsch, ein Okkultist und Antisemit, arbeitete eng zusammen mit dem NS-Ideologen Alfred Rosenberg, hatte angeblich eine Bibliothek mit 40.000 Titeln und tingelte von einer NS-Organisation zur nächsten, um das Mantra einer jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung zu verbreiten. Rosenberg hatte 1917 nach eigenen Angaben sein Erweckungserlebnis in Moskau gehabt durch die Lektüre von Nilius‘ Werk „Das Große im Kleinen“ und der Protokolle von Zion. Er reiste nach Deutschland, wie auch viele russische Emigranten, die vor den Wirren des Krieges und der kommunistischen Revolution flohen. Dieser Migrantenstrom war verheerend im Hinblick auf Spionageabwehr, weil den unterentwickelten deutschen Geheimdiensten die Kapazitäten fehlten, um russische Spione unter den Migranten zu enttarnen. Da in den rechten deutschen Zirkeln ähnlicher Okkultismus zirkulierte wie in Russland, ergaben sich viele Möglichkeiten, Kontakte zu knüpfen.
Buchhalter, nicht Bosse: Die Rothschilds
Kein anderer Name durchdringt die Verschwörungsliteratur des 19.und 20. Jahrhunderts so stark wie Rothschild. Unter Führung dieser winzigen Familie hätte eine geheime Judenloge das britische Reich und dann auch noch die USA übernommen. Ab dem Zeitpunkt dieser behaupteten Machtübernahmen werden von Verschwörungsautoren alle innen- und außenpolitischen Sünden Britanniens und Amerikas als Sünden der Judenverschwörung betrachtet. Alles Mögliche wird dann als Beweis gewertet für die Existenz der Verschwörung. Die jüdischen Weltverschwörer hätten sich die meiste Zeit sogar keine besondere Mühe geben müssen mit Geheimhaltungsmaßnahmen, denn die Öffentlichkeit war völlig im Bilde über die Existenz jüdischer Bankhäuser und die Rothschilds bauten sich auch noch gigantische Paläste, um gezielt in der öffentlichen Wahrnehmung Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Diese jüdischen Verschwörer hätten sich nicht einmal die Mühe gemacht, zur Tarnung in ausreichendem Umfang nicht-jüdische Strohmänner zu benutzen. Die gängige Verschwörungsliteratur überhöht nicht nur die angeblichen Meisterleistungen in Subversion durch jüdische Familien wie die Rothschilds, sondern unterstellt gleichzeitig den nicht-jüdischen Kreisen (vor allem dem Hochadel) eine Dummheit, die eigentlich schon Dimensionen geistiger Behinderung erreicht hätte. Mayer Amschel Rothschild, ein kleiner Händler aus der Frankfurter Judengasse, musste jedes Mal beim Verlassen seines Hauses die gelbe Markierung tragen, bei Einbruch der Dunkelheit zurück sein, beim Überqueren der Brücke über den Main Judensteuer zahlen und bei Aufforderung jedes Mal seinen Hut ziehen und sich verbeugen. Das Einsperren der Juden hatte im Prinzip keinen anderen Grund, als mehr Steuereinnahmen zu generieren. Man zahlte wie an die Mafia ein Schutzgeld. Das Leben im dicht gepressten Ghetto war latent bedroht durch Großbrände, Seuchen und Pogrome (Massaker), was unweigerlich in einzelnen die nackte, psychopathische Ambition hervorbringen musste, dem Ghetto zu entkommen und in der kalten und grausamen Welt dort draußen zu Macht zu gelangen. Je mehr Macht Mayer und seinen Söhnen später zugestanden wurde vom Adel, umso mehr war ihnen bewusst, wie tief sie jederzeit wieder abstürzen konnten, falls sie in Ungnade fallen. Die Bevölkerungen von Deutschland, Frankreich oder Großbritannien hätten hämische Schadenfreude verspürt, wenn sie eines Tages in der Zeitung gelesen hätten, dass eine reiche jüdische Familie namens Rothschild enteignet und ins Ghetto zurückgeworfen wurde. Es gab kein eigenes Land der Juden, in das die Rothschilds notfalls hätten flüchten können, es gab keine einflussreiche jüdische Lobby in Europa, es gab keinen sicheren rechtlichen Bürgerstatus und man war der Willkür des herrschenden Adels komplett ausgeliefert. Mayer hatte im Alter von elf Jahren seine beiden Eltern bei einem Ausbruch der Pocken verloren, wobei die Überlebenschance außerhalb des Ghettos deutlich größer gewesen wäre. Nach dem Besuch einer Glaubensschule, der Mayers Begeisterung nicht so wecken konnte wie die Geschäftswelt, ging er mit 13 Jahren nach Hannover, Heimatort des britischen Königshauses, zu der Bank Oppenheim, um die fortgeschrittenen Formen des Handels zu lernen und er erfuhr von den Vorteilen, die der Job eines Hoffaktors mit sich bringt. Einer der Oppenheims diente in dieser Funktion dem Kurfürsten Clemens August I. von Bayern und belieferte den Hof mit Luxusgütern wie etwa seltenen Goldmünzen. Mayer Amschel kehrte ungefähr im Jahr 1764 im Alter von zwanzig Jahren wieder nach Frankfurt zurück, wo zwar die Gesetze für Juden strikter, dafür aber die geschäftlichen Möglichkeiten größer waren. Sein Kontaktmann, den er bei Oppenheim kennengelernt hatte, war General von Estorff, und über diesen Kanal konnte er (zum extrem vergünstigten Kurs) ein paar Münzen an den Erbprinzen Wilhelm von Hessen-Kassel in Hanau verkaufen. Wilhelms Mutter war Prinzessin Maria, eine Tochter König Georgs II. von Großbritannien. Wilhelm und sein Vater hatten bereits ein extrem großes Vermögen angehäuft mit dem Verkauf hessischer Soldaten für den Unabhängigkeitskrieg in Amerika und galten als einige der reichsten Fürsten ihrer Zeit. Die engen Verwandten von der britischen Krone zahlten Millionen, irrsinnige Summen in der damaligen Zeit, was nicht nur simple Vetternwirtschaft darstellte, sondern Wilhelm als Außenposten des britischen Empires auf deutschem Boden etablierte. Seine Leidenschaft galt dem Geld und dem Zeugen unehelicher Kinder (schätzungsweise 40 davon), während seine Frau Wilhelmine Karoline von Dänemark dem Sex völlig abgeneigt war. Nach einigen Münzverkäufen, bei denen Rothschild Verluste machen musste, bekam er endlich den Titel eines Hoffaktors, bzw. „Hoflieferant Seiner Erlauchten Hoheit“, mit dem er für sein Geschäft werben konnte und durch den sein Ansehen in der Judengasse exponentiell anstieg.
1770 durfte er mit seinem neuen gesellschaftlichen Status die junge Gutle Schnapper heiraten, Tochter eines Hoffaktors des Fürstentums Sachsen-Meiningen, das durch Teilung des Herzogtums Sachsen-Gotha entstand. Dennoch beherrschte er die deutsche Sprache nicht richtig und konnte sie auch nicht schreiben. Erbprinz Wilhelm hatte bereits ein halbes Dutzend jüdischer Mittelsmänner an der Hand und nutzte für seine Finanzen auch etablierte Firmen wie die Bethmann-Brüder, sodass Rothschild jahrelang keinen Zutritt fand zu dieser geschlossenen Gesellschaft. In der Judengasse bezog Mayer ein neues Haus, das zur Hälfte von der Familie Schiff bewohnt war, die später zu einflussreichen Bankiers in Amerika wurden. Die Idee war, möglichst viele Kinder zu zeugen, die das Vermögen der Familie weiter aufbauen würden, allerdings überlebten von den 20 Kindern unter den harschen Bedingungen der Judengasse nur knapp die Hälfte, denn dort war die Kindersterblichkeit im Vergleich zum restlichen Frankfurt deutlich höher. 20 Jahre lang war Rothschild damit gescheitert, Aufträge vom Landgrafen Wilhelm an Land zu ziehen, aber dann freundete er sich am Hof an mit dessen cleveren Finanzbeamten Carl Friedrich Buderus von Carlshausen und hatte somit endlich den Fuß in der Tür. Der Ansturm der französischen Truppen nötigte Wilhelm dazu, Geld auszugeben für ein paar Bataillone, um sich und seinen Wohlstand zu schützen, und schnell wurden ihm die Verluste ersetzt durch ein weiteres Geschäft mit seinen Verwandten auf dem britischen Thron: Die Vermietung von weiteren 8000 hessischen Soldaten für das britische Empire. Rothschild importierte Kleidung und weitere Güter aus England für den Verkauf in Deutschland, wobei besonders in den Kriegszeiten auf Grund des Mangels Wucherpreise verlangt werden konnten. Endlich waren auch einige Beschränkungen für Juden aufgehoben worden und er durfte deshalb Warenhäuser anmieten in Frankfurt für seine britischen Waren. Der Vorstoß von Napoleon und die Bitten um Kredit von Wilhelms dänischen Verwandten machten es zunehmend notwendig, Geld zu verstecken und auf heimlichen Wegen Zahlungen zu tätigen. Die perfekten Strohmänner für den Kredit an die Dänen waren Rothschild und ein Jude namens Lawaertz. Buderus wäre viel zu offensichtlich gewesen als Mittelsmann und hielt sich im Hintergrund. Auch wenn Wilhelm sich nicht gerade großzügig beteiligte an dem Krieg gegen Frankreich, so schlug er doch die lukrativen französischen Angebote aus, überzulaufen. Die Hälfte der europäischen Monarchen und eine Reihe von Fürsten und anderen Herrschern standen bei Wilhelm in der Kreide, da er wie eine Großbank tätig war. Im Falle eines Sieges von Napoleon würden die Kredite nicht zurückgezahlt werden und er müsste flüchten. Der schlimmste anzunehmende Fall trat ein, Napoleon marschierte durch Deutschland hindurch und die Reichtümer und Schätze von Wilhelm mussten schnellstmöglich in alle möglichen Richtungen abtransportiert werden, um sie vor dem Zugriff der Franzosen zu retten. Rund 50 Kisten mussten zurückgelassen werden und Wilhelm flüchtete zu seinen Verwandten nach Dänemark. Carl Buderus gelang es, den neuen französischen Gouverneur zu bestechen, um einen Teil von den beschlagnahmten 50 Kisten zurückzuholen. Vier davon, teilweise befüllt mit wichtigen Verträgen und Unterlagen, wurden zu Rothschilds Haus in der Judengasse Frankfurts in ein Spezialversteck gebracht. Mayers fähigster Sohn Nathan, der mit roten Haaren und blauen Augen aussah wie ein Brite, aber nur schlecht englisch sprach, arbeitete von Manchester und dann von London aus, wo er auf den reichsten Juden in ganz England traf, Levi Cohen, dessen Kinder später in fast alle führenden jüdischen Familien in England einheirateten, natürlich auch in die Rothschilds. Buderus bekam einen Adelstitel von Wilhelm für die geglückte Rettung der meisten Reichtümer und erhielt eine Sondervollmacht für die Geschäfte des Landgrafen im dänischen Exil. Mayer Rothschild sollte die Aufgabe übernehmen, die Rückzahlungen ausstehender Kredite einzutreiben, was nur mit Hilfe seiner Söhne, ausgefeilter Schmuggeltechniken und Schutzgeldzahlungen gelang, ohne von den Franzosen erwischt zu werden. Die Rothschilds hatten mit ihrer Arroganz zeitweise die Missgunst von Wilhelm zugezogen und riskierten ihre einträglichen Geschäfte, allerdings pflegte man anderswo auch Beziehungen zu Adeligen wie der Familie Thurn und Taxis, Karl Theodor von Dalberg und den Brentanos. Buderus musste Wilhelm lang und breit erklären, warum es Sinn machte, die Rothschilds als Strohmänner und Mittelsmänner zu verwenden: Sie waren gründlicher, verschwiegener, pünktlicher, ambitionierter. Nichtsdestotrotz war es nur möglich, Nathan Rothschild hinter dem Rücken des Landgrafen in die wichtigen Geschäfte zu involvieren wie etwa den Handel mit mündelsicheren britischen Staatspapieren (Konsols). Der Handel hatte Mayer zu einem der reichsten Männer Frankfurts gemacht und die Ansprüche und Wünsche, eine Dynastie wie die Adeligen zu formen, wurden dementsprechend größer und demzufolge durften seine Nachkommen nur innerhalb der eigenen Familie heiraten, falls sie sich am Familiengeschäft beteiligen wollten. Nathan war instrumentell dabei, Gold von der East India Company (britisches Empire) aufzukaufen und gleich wieder an die britische Regierung zu verkaufen und dem Duke of Wellington zu ermöglichen, seine Truppen zu bezahlen, die Napoleon bekämpften.
Nathan übernahm gleich noch die riskante Aufgabe, das Gold zu schmuggeln und kaufte sich zu diesem Zweck den Schutz des Grand Duke von Dalberg, auf dessen Hilfe die Rothschilds sich schon mehrfach verlassen konnten. Weitere Unterstützung kam von der mächtigen Familie von Thurn und Taxis, die das Geschäft mit Brief- und Paketpost dominierten. Amschel starb, Napoleon wurde zurückgedrängt und Nathan spielte erneut eine zuverlässige Rolle bei der Versorgung des Duke of Wellington. Die britische Treasury betraute Nathan sogar mit der Bearbeitung riesiger Zahlungen an die kontinentalen Verbündeten von Britannien. Es wäre zwecklos gewesen, von den Summen zu stehlen und sich aus dem Staub zu machen, denn die Briten waren alles andere als Anfänger und die Rothschilds wollten sich auf jeden Fall dem Empire andienen und nicht den kleinsten Zweifel an ihrer Loyalität aufkommen lassen. Angeleitet wurde diese große Finanzoperation von dem einflussreichen Politiker und Zahlmeister John Charles Herries, aber die Rothschilds wurden für ihren Erfindergeist und ihre Effizienz belohnt mit einer Million britischer Pfund. Auch das Kuriersystem der Rothschilds, über das allerhand Informationen blitzschnell transportiert wurden, konnte nicht mithalten mit dem Geheimdienst-Netz des britischen Empires und wurde mit Sicherheit vom Adel streng überwacht. Die berühmte Schlacht von Waterloo, die Napoleons Untergang besiegelte, führte zu falschen Legenden um Nathan, die sich hartnäckig bis heute in der Verschwörungsliteratur halten und als Erklärung dienen, wie der Rothschild-Clan, der nur eine Generation zuvor noch bescheiden im Judenghetto angefangen hatte, die Geldmacht an sich gerissen und die Adeligen abgehängt haben soll. Verschiedene Versionen darüber, wie, wann und wo Nathan erfahren haben soll, wer als Gewinner aus der Waterloo-Schlacht hervorgehen wird, zirkulierten im Laufe der Zeit, wobei ein Pamphlet das kinoreife Märchen erzählte, dass Nathan am schnellsten die Information erhalten hätte und der Börse vortäuschte, Napoleon sei der Sieger. Nachdem die Kurse im Zuge von Panikverkäufen nach unten purzelten, hätte er plötzlich massiv Käufe getätigt und durch diesen Insiderhandel rund 20 Millionen Pfund verdient. Diese Darstellung ist fast komplett ein Märchen. Mehrere Zeitungen hatten sofort in Sonderausgaben berichtet über die Entscheidung in der Schlacht. Nathan erhielt durch sein Kuriersystem sehr bald ein Exemplar, er informierte den britischen Adeligen Lord Castlereagh und kaufte dann einfach einen Haufen britischer Bonds, die relativ schnell um zwei Prozent im Wert stiegen. Das war alles. Er war vorher schon reich gewesen durch seine Tätigkeiten für das britische Empire. Die gängige Verschwörungsliteratur behauptet aber bis heute, dass Nathan, der Sohn eines jüdischen Ghetto-Krämers, mal eben in einer Blitzaktion ein unglaubliches Vermögen zu Lasten aller anderen großen Geschäftsmänner machte, die Adeligen dumm mit offenen Mündern dabei zuschauen mussten und der Grundstein dafür gelegt wurde, dass die Rothschilds die Macht über das britische Empire übernehmen. Das Märchen von Nathans Waterloo-Reibach war eine Erfindung von dem französischen Journalisten Georges Mathieu-Dairnvaell. Nachdem der Landgraf Wilhelm von Hessen-Kassell wieder in sein luxuriöses Schloss Wilhelmshöhe ziehen konnte, zahlte Rothschild brav das ihm anvertraute Geld komplett mit Zinsen zurück. Die Rothschilds waren nach den napoleonischen Kriegen die reichsten Privatbankiers Europas, aber ihr Reichtum war komplett abhängig von ihrer Stellung als gehorsame Vertraute des britischen Imperiums. Die Performance der Rothschilds bei dem Edelmetall-Schmuggel, der Geldwäsche und dem Betrieb eines Clearinghauses für Geldströme war beeindruckend aus Sicht der britischen Krone. Dennoch war es selbstverständlich, diese neureichen Juden an der kurzen Leine zu halten und sicherzustellen, dass jene nicht irgendwann mit ihrem Geld und ihren Fähigkeiten zu eigenmächtig werden. Die Adeligen hätten jederzeit Nathan nach erledigter Arbeit unter einem beliebigen Vorwand verhaften und enteignen können. Umgekehrt verfügten die Rothschilds über kein echtes Druckmittel gegen die Phalanx aus dem Adel, den Geheimgesellschaften, den Parlamenten, den Gerichten und der Polizei. Was ist mit den jüdischen Netzwerken, die zu der Zeit bestanden? Zwar konferierte auch der alte Mayer Rothschild noch in der Frankfurter Judengasse mit Vertretern aus anderen jüdischen Gemeinden, aber die Polizei hatte immer die Augen und Ohren offengehalten.
Es gibt nur unbewiesene Legenden über mächtige jüdische Verschwörer-Gruppen zu jener Zeit; die paar wenigen Rothschild-Männer hatten ihre Hände voll zu tun mit ihren Geschäften und ihnen war definitiv nicht erlaubt, nach eigenem Gutdünken mit ihrem Geld Europas Machtpolitik zu verändern. Nur unter Anleitung der britischen Krone unternahmen die Brüder Schritte in Frankreich und Österreich. Sie sandten für ihre neuen Adelstitel ihren extrem arroganten Entwurf eines Familien-Wappens nach Österreich, der neben dem kaiserlichen Adler auch den britischen Leoparden, den hessischen Löwen und fünf Pfeile (für die fünf Brüder) enthielt. Selbstverständlich wurde diese Dreistigkeit abgelehnt. Die Rothschilds suchten den Draht zu Friedrich von Gentz, der einflussreiche jüdische Berater des Prinzen Metternich. Inzwischen waren die Dienste der Rothschilds nicht mehr so gefragt wie noch zu Kriegszeiten und ältere, etablierte Bankhäuser bekamen oftmals bei großen Geschäften den Vorzug. Mit einem überraschenden Schachzug beteiligten sich die Rothschilds selbst an einem gigantischen Kreditgeschäft Frankreichs. Nathans Familien- und Privatleben beschränkte sich auf einflussreiche jüdische Familien und erstreckte sich in bedeutendem Umfang auf den höheren britischen Adel. Ab und an ließ sich ein Diplomat blicken oder der Duke of Wellington. Auch Nathans enges, bescheidenes Haus in der St. Swithin’s Lane von London passte nicht zu seinem Status als einer der reichsten Bankiers von Europa. Besaß gar nicht er die großen Reichtümer? War er nie mehr als ein Strohmann? Es ist auch auffällig, dass er praktisch nie Geld an wohltätige Zwecke gab, nicht einmal zugunsten der jüdischen Synagogen, obwohl er doch formell im Geld schwamm. Es ist überliefert, dass er sich gegenüber ausländischen Prinzen in seinem Büro arrogant verhielt. Er vergab in der Folgezeit Kredite im Wert von Millionen britischer Pfund an verschiedene Monarchen Europas. Wenn Nathan und seine Brüder tatsächlich zum Großteil Strohmänner der britischen Krone waren, welchen Vorteil hätte dann dieses Arrangement gehabt? Es hätte den britischen Einfluss hinter der Vergabe von Krediten verschleiert und weniger Misstrauen erregt, denn die jüdischen Banker galten in der Öffentlichkeit einfach als reiche Schnösel, die sich für nichts anderes als Zinsen und Dividenden interessierten. Hätte stattdessen eine Bank im (mehrheitlichen) Besitz der britischen Krone diese Kredite angeboten, wären sofort machtpolitische Hintergedanken vermutet worden, insbesondere dann, wenn diese Kredite an verschiedene Adelshäuser vergeben werden, die Konkurrenten der Briten sind, aber auch untereinander konkurrieren und gegeneinander Krieg führen. Man würde es sich zweimal überlegen, einen Krieg zu starten, wenn man wüsste, dass die weit entfernten Bankiers beide Seiten des Konflikts finanzieren. Vor dem Hintergrund dieser These, dass die Rothschild-Bank ein Tarnunternehmen der britischen Krone war, macht es noch viel mehr Sinn, dass Nathan die längste Zeit nur in einem eher bescheidenen Haus in England wohnte statt in einem Palast, es macht mehr Sinn dass er hauptsächlich jüdische Freunde hatte und es macht auch mehr Sinn, dass er sich gegenüber europäischen Adelshäusern demonstrativ arrogant verhielt. Hätte er in einem Palast gelebt in der Nachbarschaft des britischen Adels und hätte er sich gegenüber anderen Adelshäusern schmeichlerisch verhalten, wäre sofort Misstrauen entstanden. Carl Rothschild, der als etwas langsam im Kopf und schüchtern galt (aber das genaue Gegenteil war), verschaffte sich das Vertrauen der Österreicher und Italiener mit wichtigen Krediten und ließ sich mit seiner Frau in einem Palast in Neapel nieder, wo er Gäste empfing wie Leopold von Sachsen-Coburg, Lieblingsonkel der britischen Königin Victoria und späterer König von Belgien. Leopold war maßgeblich an der Schaffung der Freimaurer-Großloge „Grand Orient de Belgique“ (1833) beteiligt und legte die Basis für das spätere Logenwesen. Sein Sohn Leopold II. herrschte absolutistisch über den afrikanischen Staat Kongo und verantwortete dort mehrere Millionen an Toten. Wer als (Kinder-) Sklave nicht genug arbeitete, dem wurden zur Strafe Hände abgehackt. Amschel war der einzige strikte Gläubige unter seinen Brüdern, der noch ausschließlich koscheres Essen zu sich nahm und den Look eines Rabbis bewahrte. Er blieb in Frankfurt, bearbeitete das Territorium von Preußen und stieg dort sogar zu einer Art Finanzminister auf mit Zugang zu brisanten Informationen, und er führte die Beziehungen fort zu Buderus und der Familie Hessen-Kassel. Seine über siebzigjährige Mutter wagte es aus Aberglauben nicht, das Frankfurter Ghetto zu verlassen und von ihr ist eine Aussage überliefert, die in der Verschwörungsliteratur in ihrer Bedeutung maßlos übertrieben wurde: Auf die Befürchtung eines Nachbarn hin, es könnte wieder Krieg geben, winkte sie ab und meinte, dass sei Blödsinn, denn ihre Söhne würden dafür nicht die erforderlichen Kredite gewähren. In Verschwörungsbüchern klingt das so, als würden ihre Söhne Europa beherrschen, was aber überhaupt nicht der damaligen Realität entsprach.
Die Brüder waren eine Zielscheibe für die Animositäten vieler verschiedener Leute und dienten dadurch als Verschleierung der tatsächlichen Machtverhältnisse. Auch das berüchtigte Informationskuriersystem mit Brieftauben, Versorgungspunkten für Pferde und schnellen Booten hatte das Rad nicht neu erfunden. Dieses Netzwerk transportierte auch Mitteilungen von anderen Personen und war theoretisch in der Lage, diese fremden Korrespondenzen mitzulesen, aber selbstverständlich zirkulierte auch Desinformation und es wurden Codes benutzt, sodass wir nicht davon sprechen können, dass die Rothschilds dem Adel das Imperium streitig machen konnten. Während Salomon Rothschild die Österreicher bearbeitete, war sein Bruder James zuständig für große Finanzoperationen in Frankreich, um den neuen König Louis XVIII zu stützen, erlebte aber mehr als eine Beinahe-Katastrophe, weil eben doch mehr Haifische um die besten Deals konkurrierten und Tricks benutzten. Wegen den Unruhen in Frankreich verloren die Rothschilds 17 Millionen Gulden, sodass bereits Gerüchte zirkulierten über deren drohenden Bankrott. Das schnelle Kuriersystem der Familie verhinderte die Katastrophe und laut dem ehemaligen französischen Botschafter Talleyrand teilten die Rothschilds ihre Informationen immer brav mit den englischen Behörden. Man kann davon ausgehen, dass die britische Krone auch immerzu im Bilde darüber war, was die vielen Agenten der Rothschilds in Frankreich in Erfahrung bringen konnten über die Gefahr einer Revolution. Es gelang James, seinem Vertrauten Casimir Périer zum Posten des neuen französischen Finanzministers zu verhelfen, der Sohn von Claude-Nicolas Perier, in dessen Château de Vizille das berühmte Treffen der Estates of Dauphiné stattfand als Vorbereitung auf die Französische Revolution. Erinnern wir uns daran, dass die Britische Krone damals ein Interesse daran hatte, die alte Monarchie Frankreichs zu stürzen und im Geheimen die Revolution zu unterstützen. Zu diesem Zweck war ja auch Adam Weißhaupt aufgebaut worden, dessen Illuminatenorden dann wegen Schlamperei von der Polizei Bayerns aufgedeckt wurde. Nathan war der Star, der Anführer, clever, kreativ und entschlossen. Aber wieviel von seinen Erfolgen kamen aus Eigenleistung zustande und wieviel durch mögliche Hintermänner der britischen Krone? Selbstverständlich ist es möglich, dass er dem britischen Empire neue Impulse und Ideen geben konnte, was das Bankenwesen anbetraf, aber es ist deutlich wahrscheinlicher, dass ihm wichtige Entscheidungen und Taktiken eingeflüstert wurden. Im Gegensatz zu heute, wo nur Verschwörungstheoretiker über die Familie reden, waren Nathan und seine Brüder im Mittelpunkt der Berichterstattung der Massenmedien, Zielscheibe für Hass, Anlaufadresse für Bittsteller und Ultra-Promis der High Society. All die Exzesse, die früher dem Hochadel vorbehalten waren, wurden von den Rothschilds demonstrativ durchexerziert, genauso wie die Art zu heiraten: Von den 12 Söhnen der berühmten fünf Brüder heirateten neun innerhalb der eigenen Familie, obwohl die als außergewöhnlich hübsch beschriebenen Töchter das Interesse von verschiedenen Adelsfamilien weckten. Wer einen Christen heiratete, wurde praktisch enterbt und nur vereinzelte Ehen mit anderen mächtigen jüdischen Familien galten im Laufe der Zeit als akzeptabel. Hannah wurde nie verziehen und als ihr Sohn verunglückte, wurde dies als „Strafe Gottes“ gewertet. Aber auch Nathan erlebte trotz seiner Befolgung der Familientraditionen einen heftigen und finalen Schicksalsschlag in Form einer gewöhnlichen Eiterbeule mit dem Bakterium Staphylococcus Aureus. Während der etablierte Adel über tausende Mitglieder verfügte, war der Rothschild-Clan sehr klein und dementsprechend verwundbar. Nathans Sohn Lionel forderte für sich und seine Angehörigen, endlich die Titel eines Barons offiziell führen zu dürfen, was ihm von der neuen Königin Victoria auch gestattet wurde. Eine enge Freundschaft entstand zu dem Politiker und späteren Premierminister Benjamin Disraeli, der jüdische Wurzeln hatte, aber der anglikanischen Kirche angehörte. Die verbleibenden vier alten Brüder waren nach wie vor die Chefs und zogen in große Paläste um, mit James als Anführer. Der Adel von Österreich, Italien und Preußen hielt die Rothschilds für heimatlose jüdische Emporkömmlinge, denen es nur um Profit ging und mit denen man eigenes Geld vermehren und den Staatshaushalt stabilisieren konnte. Die Möglichkeit, schnell Geld aufzutreiben, war wie eine Droge, von der man immer mehr brauchte und je mehr Zugang man den Rothschilds bei den Höfen gewährte, umso mehr erhielten jene den Zugang zu sensiblen Informationen. Auch die Partys waren weit mehr als nur Protzerei und Privatvergnügen, sondern wieder mehr Zugang zu Informationen und Gerüchten. Die Rothschild-Frauen, die vom Familiengeschäft ausgeschlossen waren, kultivierten Freundschaften zu einflussreichen Personen und werden wahrscheinlich auch so manche Sache zu Ohren bekommen haben. James besaß schätzungsweise 50 Millionen britische Pfund an Vermögen; unerhört zur damaligen Zeit. Mit Salomon war er spät eingestiegen in das Eisenbahngeschäft in den 1840er Jahren. Zum Vergleich: Johann Jakob Astor, ein weiterer angeblicher „Self Made Man“ und möglicher Strohmann des britischen Imperiums, hinterließ in Amerika bei seinem Tod 1848 die Summe von 20 Millionen Dollar (heutiger Gegenwert etwa 100 Milliarden Dollar). Die Rothschilds bearbeiteten das europäische Territorium und überließen Amerika anderen reichen Familien. Damals waren die Rothschilds noch beschäftigt, Kriege zu verhindern wie etwa zwischen Frankreich und Österreich, was ihnen den Ruf einbrachte, Profite über Ehre zu stellen und nur aus Eigennutz den Frieden zu fördern.
Erst später bearbeiteten sie Kredite für Krieg und handelten sich den gegenteiligen Ruf ein, vom Krieg zu profitieren, obwohl es ohne Erlaubnis der britischen Krone unmöglich gewesen wäre, sich dermaßen in die politischen Belange Europas einzumischen. Otto von Bismarck betrachtete die Situation nüchtern und bemühte sich um solide Beziehungen zu dem Bankhaus, was dem Deutschen Reich später zum Verhängnis wurde. In privaten Briefen unterhielten sich die Rothschilds darüber, dass sie koordinieren mit „Windsor und König Leopold“. Die Verbindung der Rothschilds zu den Briten wurde in der Öffentlichkeit generell nicht viel anders eingeschätzt als die Verbindung zu den Adelshäusern von Preußen, Österreich oder Italien. Ein schwerer Irrtum. Die erneute Revolution in Frankreich 1848 vertrieb den König und führte zu der Ausrufung der Republik, was die Finanzen von James Rothschild in Gefahr brachte, wie etwa 82 Millionen Francs die er investiert hatte oder die Eisenbahn-Anteile, die im Wert fielen. Die Revolution war auch übergesprungen auf Deutschland, Österreich und Ungarn. James freundete sich gleich in Paris an mit dem neuen Diktator Eugène Cavaignac, aber es war Louis Napoleon, Nachkomme des Bonaparte, der schließlich Präsident der neuen Republik wurde. Von den Umwälzungen von 1848 blieben nur zwei Monarchien unberührt: Die miteinander verwandten Briten und Russen. Selbstverständlich muss näher untersucht werden, inwiefern diese beiden Reiche und die Rothschilds involviert waren in der Destabilisierung des europäischen Festlandes. Auch organisierten die Rothschilds für den gewaltigen Krimkrieg 16 Millionen Pfund, der den Untergang des osmanischen Imperiums einleitete. Es ist nicht deutlich erkennbar, ob und inwiefern die Bankiers in die größeren geopolitischen Planungen eingeweiht waren. Es ist durchaus möglich, dass ihnen von der britischen Krone einfach nur eingeflüstert wurde, welche Kredite sie wann wo und für wen bereitstellen sollen. Die neue Generation der Rothschilds war gönnerhaft in den jüdischen Communities und machte Druck für die Aufhebung judenfeindlicher Gesetze, was natürlich auch Eigennutz und Nutzen für die britische Krone bedeutete, denn Geld brachte Loyalität und mit Loyalität ließ sich wieder mehr Geld machen, man konnte Gefälligkeiten zurückfordern und Informationen abgreifen. Mayer Rothschild ließ Mentmore Towers bauen, einen dekadenten Protzbau, der ablenken sollte von den etablierten Adeligen. Baron James de Rothschild ließ sich eine größere Version des Chateaus bauen mit dem Namen Ferrières. Lionel ging in die Politik und wurde sechs Mal in London gewählt, ohne den obligatorischen Schwur auf den christlichen Glauben abzugeben, sodass er jedes Mal geblockt wurde. Erst 1858 gelangte er ins Parlament, hielt dort aber nie eine einzige Rede. Baron James versuchte eine Beziehung aufzubauen zu Louis Napoleon, dem Nachfahren von Bonaparte, gegen den die Rothschilds noch mit ihrem Finanz-Netzwerk gekämpft hatten, indem sie lautlos Geld der britischen Krone an Truppen auf dem Festland schleusten. Rothschilds Konkurrent Achille Fould von der Bank „Fould und Oppenheim“ wurde französischer Finanzminister und stahl den Rothschilds noch gleich deren Freunde, die jüdisch-portugiesischen Investoren von der Familie Pereires. Vielleicht war Émile Pereire auch nur zum Schein übergelaufen zu Fould, aber das ist nur blanke Spekulation. Die neue Idee des von den Rothschilds aufgebauten Pereires war eine Art halbsozialistische Volksbank namens „Crédit Mobilier“, die unzählige Kleinsparer bediente und Kapital ohne fremde Großbanken sammeln konnte. Letztendlich dominierten aber auch hier große internationale Shareholder. James pflegte eine Beziehung zum General Changamier, Chef der Nationalgarde, der in der Lage gewesen wäre, Napoleon zu stürzen, aber es ist nicht überliefert, ob solche Pläne zwischen den beiden diskutiert wurden. Der General war zudem verliebt in James‘ Ehefrau, was natürlich noch verdächtiger war und so ließ Napoleon ihn absetzen und verhaften, die Nationalversammlung auflösen, er regierte fortan als Diktator und ließ sich im nächsten Schritt zum Kaiser machen. Weitere private Angelegenheiten rochen nach klassischer Spionage: Baron James‘ Frau gab die beliebtesten Partys und man kultivierte Eugénie de Montijo, die Napoleon unbedingt heiraten wollte. Bei dem gewaltigen Krimkrieg mitten im 19. Jahrhundert, eine Art Vorläufer der kommenden Weltkriege, organisierten und garantierten die Rothschilds große Kredite für Frankreich und Britannien, was niemanden überraschte und auch kein Geheimnis war. Die Entscheidung über den Konflikt und die militärischen Ziele waren nicht unter der Kontrolle der Banker. Hinterher war das osmanische Imperium praktisch dem Untergang geweiht. 1855 verstarben drei der vier verbliebenen Brüder: Carl, Salomon und Amschel. Es ist ein sehr unwahrscheinlicher Zufall, der zusammen mit dem vorherigen verfrühten Tod von Nathan nahelegt, die Umstände der Todesfälle näher zu untersuchen auf mögliche Anzeichen von Mord. Es gab viele skrupellose Konkurrenten und die Familie verfügte nicht über einen riesigen Sicherheitsdienst zur Abschirmung vor Vergiftungen oder Ähnlichem.
Der Konkurrent Crédit Mobilier war zunächst außerordentlich erfolgreich, worauf in Österreich Salomon Rothschilds Sohn Anselm das sehr ähnliche Projekt namens „Kreditanstalt“ vorbereitete. Die Anführer der dritten Generation waren die Cousins Alphonse, Anselm, Lionel und Mayer Carl. Die Familientradition bezüglich Eheschließungen wurde im Großen und Ganzen eingehalten, genau wie es die bedeutenden Adelsfamilien Europas bereits seit Jahrhunderten praktizierten. Die Crédit Mobilier finanzierte den Krieg Napoleons gegen Österreich und geriet dadurch gewaltig ins Schlingern; die Shares fielen um die Hälfte und die Misswirtschaft riss alles in den Abgrund. Fould war inzwischen höchst misstrauisch geworden gegenüber den Pereires, die er angeworben hatte, und musste Napoleon empfehlen, sich wieder den Rothschilds anzunähern. Lionel Rothschild wurde vorgeschlagen für eine „Peerage“, also einen ernstzunehmenden Adelstitel mitsamt Sitz im House of Lords, aber Queen Victoria lehnte ab mit der gekünstelten Begründung, dass die Rothschilds ja mit fremden Regierungen und mit Spekulationen am Aktienmarkt ihr Geld gemacht hätten und demnach nicht in Frage kämen für solch einen patriotischen Status. In Wirklichkeit hatten die Rothschilds zuerst nur wegen den Aufträgen des britischen Empires und dem Haus Hessen-Kassel zu bedeutenden Bankern aufsteigen können und der drängende Verdacht ist die Strohmann-Tätigkeit für die britische Krone. Die Queen legte anscheinend Wert darauf, jede allzu enge Verbindung der Bankiers zum Empire zu leugnen und so deutlich wie möglich den Eindruck zu erwecken, dass diese reichen Juden sich nur um ihr Geld kümmerten und nicht um Britannien. Ein klarer Schachzug. Andere Adelshäuser in Europa hätten kaum so bereitwillig die Dienste der Rothschilds in Anspruch genommen, wenn man davon ausgegangen wäre, dass die Bank nur eine Tarnorganisation des britischen Hochadels war. Victorias Sohn, der Prinz von Wales, heiratete standesgemäß Alexandra von Dänemark und beschwerte sich bitterlich, dass ihm vom Parlament nur 100.000 Pfund pro Jahr zugestanden wurden (wobei die anderen Dukes maximal das Doppelte abstaubten), während die Rothschilds sich Paläste im Wert von Millionen bauten. Es scheint alles Teil der Strategie gewesen zu sein, dass die Adeligen in den Hintergrund treten und nicht mehr den Neid der Bevölkerung auf sich ziehen. Wir sprechen hier von einem der mächtigsten und gierigsten Imperien aller Zeiten, welches die Meere beherrschte, Länder wie China oder Indien unterwarf und Handel betrieb mit vorgehaltener Waffe. Es wäre von vorneherein sehr leicht gewesen, die Rothschilds nur als königliche Buchhalter zu verwenden, anstatt den Emporkömmlingen zu gestatten, Millionen anzuhäufen. Es wäre auch außerordentlich leicht gewesen, einen Großteil des Reichtums der Rothschilds unter einem Vorwand zu stehlen, wie beispielsweise der Verdacht auf Kollaboration mit Englands Gegnern. Mit Abstand am einfachsten und am effektivsten wäre es gewesen, die Rothschilds als Strohmänner zu benutzen. In der öffentlichen Wahrnehmung war der Hochadel weder außergewöhnlich reich, noch bestimmte er maßgeblich die Politik, aber dieses aufwändige Täuschungsmanöver war von allergrößter Wichtigkeit. Der Prinz von Wales hatte die Söhne von Lionel, Nathaniel, Alfred und Leo, kennengelernt an der Elite-Universität Cambridge, pflegte Beziehungen zu weiteren Rothschilds und zu weiteren jüdischen Familien wie den Sassoons (die auch vom britischen Empire aufgebaut worden waren). Die Rothschilds bezahlten die Schulden des Prinzen von Wales und investierten sein Geld. Das Informationsnetz von Alphonse Rothschild erstreckte sich von Napoleon III, über Otto von Bismarck bis hin zu Kaiserin Eugenie. Bismarck besuchte während seiner Zeit als Botschafter für Paris öfters das Chateau Ferrières der Rothschilds. Später wurde Bismarck zum Ministerpräsidenten Preußens und verfügte über eine gewaltige kontinentale Landmacht, die die Briten doch sehr nervös machte. Er holte sich Schleswig und Holstein von Dänemark, wobei der dänische Adel natürlich eng verwandt war mit dem britischen Adel sowie mit deutschen Familien wie Hessen-Kassel, die wiederum eng verbunden waren mit den Rothschilds. Es kam zum Krieg zwischen Preußen und Österreich, den Österreich sehr schnell verlor. Gerson von Bleichröder, der Vertraute der Rothschilds, war Bismarcks Bankier geworden und Bismarck benutzte das Informationsnetz der Rothschilds, anstatt einen eigenen Geheimdienst aufzubauen. Die Franzosen rechneten als nächstes mit einem Krieg gegen Preußen und schickten deshalb die französischen Rothschilds nach England, damit England beschwichtigend einwirkt auf Preußen.
Dennoch brach der offene Konflikt aus und die Franzosen erlitten nach nur sechs Wochen bei Sedan eine entscheidende Niederlage. Gerson Bleichröder und weitere Bankiers hatten bereits die Kredite zusammengesammelt für den Preußisch-Österreichischen Krieg und zudem war Bleichröder an den Verhandlungen und der Abwicklung der französischen Reparationszahlungen nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870-71 maßgeblich beteiligt. Bismarck und Feldmarschall von Moltke machten prompt das Rothschild-Schloss Ferrières zu ihrem temporären Hauptquartier und zogen dann um nach Versailles. Die Vertreter der neuen französischen Republik mussten kleinlaut verhandeln und suchten dafür den Rat von Alphonse Rothschild, worauf dann Reparationszahlungen im Umfang von 5 Milliarden Francs abgewickelt wurden von Alphonse und seinen Cousins mit der üblichen Effizienz und mit den üblichen Provisionen. Die deutschen Truppen räumten Frankreich, die alten französischen Machthaber waren zur Freude der britischen Krone aus dem Weg geräumt und die Freude der Deutschen sollte nicht allzu lange halten. Die Rothschilds bauten mehr Paläste wie Waddesdon, kauften mehr Rennpferde und produzierten mehr teuren Wein. Hannah Rothschild heiratete Lord Rosebery, den späteren Premierminister und war damit erst die dritte Rothschild-Dame vom britischen Zweig, die einen Christen heiratete und mit ihrer Familientradition brach. Lionels größter Deal kam 1875, vier Jahre vor seinem Tod, mit dem Suez-Kanal, der von großem strategischen Interesse für das Britisches Empire war. Vier Millionen Pfund flossen von den Rothschilds, abgesichert durch die britische Regierung, für Anteile an dem Kanal. Die Transaktionen verliefen wie üblich leise, über Umwege um die Märkte nicht aufzuscheuchen, und mit dickem Profit. Der Verdacht drängt sich auf, dass die britische Krone sich, wenn sie Geld von den Rothschilds lieh, in Wirklichkeit sich selbst Kredite gab und damit den Eindruck weckte, notorisch knapp bei Kasse zu sein. Hätte der britische Hochadel diese Geschäfte selbst getätigt und diese Reichtümer selbst besessen, wäre das britische Volk auf die Barrikaden gegangen. In den 1870er Jahren ging es für die Bankiers hoch her, denn neben dem Kerngeschäft des Bankwesens waren sie involviert in Eisenbahnen, Bodenschätzen und Diamanten, allerdings beschränkt auf Europa, den mittleren Osten und Teile von Russland. Die USA wurden von anderen, meist nichtjüdischen Familien bearbeitet. Ein Rothschild-Kredit ging an den russischen Zaren und im Gegenzug bekam man eine Erlaubnis für die Ölförderung in Baku. Damit war man ähnlich dick im Ölgeschäft wie die Rockefellers in Amerika mit Standard Oil, aber bevor diese Industrie richtig dominierte, verkauften die Rothschilds die B’nito Petroelum Company an das Royal Dutch Shell Combine vom holländischen Königshaus, das verwandt war mit dem britischen Hochadel. Gerson Bleichröder vermittelte auch weiteres, dringend benötigtes Geld an die russischen Zaren, die ebenfalls mit dem britischen Empire verwandt waren. Wenn Preußen bzw. das Deutsche Reich oder die Türken rechtzeitig geahnt hätten, was für ein globaler Koloss sich da formte, wären einige Entscheidungen wohl anders getroffen worden. Nathaniel Mayer Rothschild bekam endlich seine Peerage und immer noch heiratete seine Familie untereinander mit vereinzelten Ausnahmen, wie etwa Leo, der eine Schwester aus der jüdischen Sassoon-Familie ehelichte, die vom britischen Empire aufgebaut worden war. Der junge Winston Churchill war ein regelmäßiger Gast bei Rothschilds und formte eine lange anhaltende Beziehung zu den Bankiers. Nathaniel Rothschild reduzierte die Aktionen seiner Bank dramatisch und bevorzugte einfache, sichere Investments, während Konkurrenten wie Barings ihre Abenteuer an den Märkten bitter bereuten. Alfred Rothschild diente eine Weile lang als Direktor der Zentralbank „Bank of England“, was von der Verschwörungsliteratur großzügig fehlinterpretiert wird als eine Übernahme der Zentralbank. Er verletzte schließlich den Datenschutz, um zu sehen, ob er bei dem Verkauf eines Gemäldes über den Tisch gezogen wurde und verlor deshalb seinen Posten. Edmond, einer der wenigen stramm Religiösen der Familie, finanzierte jüdische Siedlungen in Palästina als Experiment, ob dies überhaupt nachhaltig durchführbar sei, mit der erheblichen Summe von sechs Millionen Pfund. Andere Rothschilds und andere einflussreiche Juden waren aber wenig begeistert von dem öden Fleck in der Wüste und bevorzugten eher Gebiete in den USA oder Westeuropa als neuen Heimatstaat der Juden. Später entstand dennoch der winzige Staat Israel, abgesichert durch Garantien der Briten und Amerikaner. Es ist nicht überliefert, welcher Rothschild den folgenden Ausspruch getätigt hat:
„Ein Zionist ist ein amerikanischer Jude, der einem englischen Juden Geld gibt, mit dem ein polnischer Jude nach Palästina gebracht werden soll.“
225.000 Juden aus Russland kamen nach Westeuropa geströmt wegen den antijüdischen Gesetzen unter den Zaren und längst nicht jeder jüdische Migrant hatte Interesse daran, in die Wüste zu gehen. In den Siedlungen herrschte Chaos und Undankbarkeit gegenüber Edmond, der wiederum lästerte, dass die Siedler größere Subventionen dafür nutzten, in Urlaub zu fahren und angeheuerte Muslime die Felder beackern zu lassen. Es gab auch Streit um das im Glauben vorgesehene Sabbatjahr, wo man die Äcker verwahrlosen wollte. Rothschild drohte, die Siedler wieder nach Russland zu schicken. Nach dem Niedergang der Rothschild-Bank von Neapel wurde auch noch die Filiale in Frankfurt geschlossen, weil es dort keine Söhne gegeben hatte und niemand sonst dorthin ziehen wollte. Die Spannungen zwischen Russland, England und Frankreich auf der einen, sowie Deutschland auf der anderen Seite, beschworen den kommenden Untergang der preußischen Landmacht. Nachdem bereits die alten Mächte in Frankreich aus dem Weg geräumt waren, waren nun das Deutsche Reich und Österreich an der Reihe. Erneut beschäftigten sich die Rothschilds mit der Finanzierung des kommenden (Welt-)Kriegs, ohne dabei in irgendeiner erkennbaren Form in die militärischen und geopolitischen Entscheidungen involviert zu sein. Das britische Empire hatte die Rothschilds auf Banken und Industrie beschränkt und ihnen nie Zugang zu den hohen Ebenen des Adels und des Militärs gewährt. Die gängige Verschwörungsliteratur verbreitet den Mythos, die Rothschilds und weitere jüdische Banker hätten den Weltkrieg selbst organisiert und hätten sowohl Amerika als auch Großbritannien beherrscht. Was praktisch kaum ein Verschwörungstheoretiker weiß, ist dass die Rothschilds sogar höchstpersönlich an der Front im Krieg kämpften und starben. James de Rothschild, Sohn von Edmond, ging zu den Armeen von Frankreich, Kanada und Britannien. Eugene diente an der Front in Russland und wurde schwer am Bein verwundet. Evelyn starb beim Kampf gegen die Türken in Palästina. Lionel Walter und noch ein weiterer Rothschild starben ebenfalls im Kampf. All das passt überhaupt nicht zu dem Mythos, dass die Rothschilds als heimliche Könige aus sicherer Distanz den Krieg angezettelt und verwaltet hätten. Es ist höchst fraglich, ob sie sich für den Dienst an der Front wegen einem Gefühl des Pflichtbewusstseins entschieden hatten, oder wegen der Suche nach einem Abenteuer oder weil vielleicht die britische Krone darauf bestanden hatte. Schließlich hatten ja in der Vergangenheit immer wieder Mitglieder des britischen Adels persönlich mit ihren eigenen Händen für das Empire kämpfen müssen. Österreich war nach dem Krieg keine echte Großmacht mehr, die Währung stürzte ab und die Bevölkerung war dramatisch geschrumpft, Frankreich war schwer angeschlagen, Deutschland fix und fertig. Die Rothschilds stabilisierten in der Folgezeit Frankreichs Währung mit Hilfe von J.P. Morgan aus New York. Nach dem Krieg beschäftigte sich der Rothschild-Clan verstärkt mit Ablenkungen und Vergnügen. Drei führende Männer aus der Familie waren im Krieg gestorben und man musste sehr viel Geld an die britische Regierung zahlen in einer Sondersteuer (sogenannte „death duties“). Zudem brach Alfred mit der Familientradition und vermachte sein Geld an seine Tochter Almina Wombwell, die verheiratet war mit dem Earl of Carnarvon. Die großen, dekadenten Häuser in London wurden verkauft oder abgerissen, die Chateaus auf dem Land ebenfalls zum Großteil verkauft. Man war immer noch High Society und eine Macht im Bankwesen, aber die Phase des demonstrativ zelebrierten Luxus war vorbei und mehr Familienmitglieder widmeten sich anderen Feldern wie der Medizin, Rennpferden, Expeditionen und dem Studium von Insekten. In den 1930er Jahren gab es mit Lionel und Anthony nur noch zwei aktive Banker in dem Clan und die Rothschild-Bank war „nur“ noch in den Top 10, nicht mehr die unangefochtene Nummer eins. Victor Rothschild half einer Reihe von jüdischen Flüchtlingen, während das britische Establishment den Nazis abseits der offiziellen Kanäle Sympathien vortäuschte.
Baron Louis Rothschild aus Österreich landete sogar im Gefängnis wegen den Nazis; andere Rothschilds flüchteten in die Schweiz und Frankreich. Erneut dienten drei Rothschilds an der Front, im Frühling 1940. Zwei gerieten in Gefangenschaft und hatten das Glück, als Offiziere behandelt zu werden. Guy Rothschild schlug sich durch bis nach Dünkirchen, wo er zusammen mit den britischen Truppen von der Expeditionary Force evakuiert werden musste und fast auf See gestorben wäre. Dies passt überhaupt nicht zu dem Mythos der allmächtigen Rothschilds. Die zentralen Legenden der Verschwörungsliteratur halten keiner näheren Betrachtung stand und es wurden einfach im Laufe der Zeit immer neue gestrickt, um den Fokus auf jüdische Clans zu lenken. Sogar dem gesamten Hochadel Großbritanniens wurden ohne solide Belege im Internet jüdische Vorfahren angedichtet. Alle möglichen bedeutenden Figuren wurden bereits faktenwidrig als Juden bezeichnet. In einem Artikel der Zeitung London Times und von Moshe Kohn in einem Artikel der Jerusalem Post wurde behauptet, Churchill hätte mütterlicherseits jüdische Vorfahren, aber man findet keine Beweise dafür in den vielen verschiedenen biographischen Untersuchungen über die Churchills. Angeblich soll der Autor Shane Leslie eine Enthüllung geplant haben. Beweise? Fehlanzeige. Der Rechtsrevisionist David Irving wiederholte die Legende in seinem Buch „Churchill’s War“ und gibt als Quellenangabe nur den alten Artikel an von Moshe Kohn, der sich ironischerweise lustig macht über Revisionisten wie Irving und keinerlei Beleg liefert für Churchills angebliche jüdische Vorfahren. Während mehrere Rothschilds beinahe im Krieg krepierten, hatte es die Familie Hessen-Kassel, die überhaupt erst den Aufstieg der Rothschilds ermöglicht hatte, wesentlich einfacher und war 1939 einer der reichsten Clans Europas. Prinz Philip musste nicht an die Front, sondern konnte sich stattdessen an der Spionage beteiligen, indem er die Rolle eines Unterstützers von Hitler spielte und wegen seiner Ehe mit der Tochter des italienischen Königs Aufgaben eines Sonderbotschafters übernahm zwischen Nazideutschland und dem faschistischen Italien. Nach dem Krieg galt er als reichster Mann Deutschlands und reichster Prinz Europas. Victor hingegen entschärfte Bomben und schrieb militärische Handbücher zu dem Thema. Nach dem Krieg zog er wieder in sein Haus in der 23 Avenue de Marigny mitten in Paris. Die Familie war weiterhin involviert in große Geschäfte, aber die Zeit der Paläste und Bentleys war vorbei. Jacob heiratete Serena Dunn, die nichtjüdische Nachfahrin des Earl of Rosslyn und des kanadischen Ultrareichen Sir James Dunn. Der Londoner Investment-Banker Nathaniel Rothschild verletzte vor wenigen Jahren die Familientradition und heiratete ein Nacktmodel, obwohl er der einzige Sohn von Lord Rothschild ist und man von ihm eine Heirat in den Geldadel erwartete. Die Zeitung Daily Mail berichtete, Nathaniel hätte das Model gefunden mit Hilfe der der Dating-App „Happn“. Ein kaum gehörter, Marihuana rauchender Rapper namens Jay Electronica aus dem Ghetto von New Orleans wurde der Lebensgefährte von Kate Rothschild, deren vorherige Ehe mit dem wohlhabenden Ben Goldsmith gescheitert war. Experten gingen davon aus, dass sie nichts von dem Vermögen ihres Ex-Ehemanns erhalten hat. Jays bisherige Rapper-Karriere besteht aus wenig tiefgreifendem Gerede über die Bedeutung des Lebens und einem Plattendeal mit Jay Zs Label, ohne jedoch ein großes Album veröffentlicht zu haben. Er ist zudem Mitglied der bizarren Muslimsekte „5 Percent Nation“. Ben, der Sohn des verstorbenen Milliardärs Sir James Goldsmith und Lady Annabel, heiratete Kate im Jahr 2003, Tochter des verstorbenen Amschel Rothschild und Anita Patience Guinness. Sie erklärte ominös, dass ihre Beziehung zu Jay „ihr Leben gerettet hätte auf viele Arten und Weisen“. Es gab auch den Verdacht, er sei dem Model Cara Delevigne zu nahe. Amschel Rothschild war erst spät ins Bankengewerbe gekommen und interessierte sich Zeit seines Lebens eher fürs Rennfahren. Im Juli 1996 fand man ihn erhängt im Hotel Bristol in Paris. Die wichtigen Patriarchen wurden Baron Éric Alain Robert David de Rothschild und David René James de Rothschild. Letzterer ist verheiratet mit der italienischen Prinzessin Olimpia Anna Aldobrandini. Zu den Banken, die am meisten auf die Dienste von panamesischen Konten und Briefkastenfirmen zurückgriffen (Panama Papers), zählt auch die Rothschild Trust Guernsey Limited. Guernsey, die zweitgrößte der britischen Kanalinseln, ist kein Teil des Vereinigten Königreiches, keine Kronkolonie, sondern als „Kronbesitz“ direkt der britischen Krone unterstellt. Die Rothschild Trust Guernsey Limited operiert als Tochtergesellschaft der Rothschild Bank AG mit Sitz in Zürich, die wiederum der Rothschild Holding AG in Zürich gehört, die wiederum zu mehr als zwei Dritteln der Rothschilds Continuation Holdings AG gehört im schweizerischen Zug, die wiederum mehrheitlich von der Rothschild & Co. und damit von Mitgliedern der Rothschild-Familien und deren Gesellschaften kontrolliert wird. Die Geschichten von weiteren einflussreichen jüdischen Clans und Bankhäusern abseits von den Rothschilds drehen sich allesamt um Emporkömmlinge, die von dem angloamerikanischen Imperium mit Aufträgen und Beziehungen versorgt wurden. Die Sassoons wurden aufgebaut von den Briten. Kuhn, Loeb & Co. war eine amerikanische Investmentbank, deren Gründer Loeb aus einfachen Verhältnissen stammte und im amerikanischen Bürgerkrieg Aufträge bekam. Um die Unionsarmee zu beliefern. Jakob Heinrich Schiff aus Frankfurt am Main stieß dazu und brachte mehr Erfahrung mit, da er in betuchte Kreise hineingeboren war. Schiff konnte nur deshalb eine große Investmentbank aufziehen, weil er die Verbindung hatte zu der Eisenbahnindustrie, die sich im Besitz nichtjüdischer Oligarchen befand wie den Vanderbilts oder den Harrimans.
Das fraktionale Reserve-Bankensystem des britischen Kolonialreichs
Das britische Reich war um das Jahr 1615 herum unter der Herrschaft des Hauses Stewart nur mäßig erfolgreich. Die Bevölkerung war nicht sonderlich groß, es fehlte überall an Geld und auch im Bereich Kolonien war längst nicht so viel los, wie man sich wünschte. 200 Jahre später, unter der Führung der Welfen, Wettiner und Reginare, war Britannien der mächtigste Player der Welt und „Britannia rules the waves“ war ein gefürchteter Slogan. Das Geheimnis des Erfolges bestand aus einem überlegenen Familien-Geheimdienstwesen, das bisher fast überhaupt nicht erforscht wurde, der Kontrolle über die moderne Wissenschaft durch die „Royal Society“ und das parallel geschaltete britische Freimaurertum, sowie aus einer verdeckten Kontrolle über ein System aus scheinprivaten Banken, Sonder-Wirtschaftszonen wie die City of London, Offshore-Inseln, der neuen Zentralbank und dem neuartigen fraktionalen Reservebanking. Auf dem Höhepunkt umfasste das Kolonialreich offiziell bis zu 25% der Landmasse und 25% der Menschen auf der Welt. Ohne hochprofessionelle Geheimdienste hätte man mit geringem Personalaufwand nicht Kolonien wie Indien halten können. Man schätzt, dass in Indien nur 0,05% der Bevölkerung Briten waren. Der größte Fehler, den das alte Römische Reich begangen hatte, war, geschlossen aufzutreten in einem zusammenhängenden Territorium mit ewig langen, teils schwer zu verteidigenden Außengrenzen, anstatt sich zum Schein in einzelne Teile aufzusplitten und eine zentrale Herrschaft zu verbergen. Für den Normalbürger ist unser heutiges Geldsystem ziemlich abstrus und nachteilig. Eine Zentralbank hat das alleinige Monopol auf das gesetzliche Zahlungsmittel, mit dem Steuern gezahlt werden müssen, und die privaten Geschäftsbanken können für jeden Euro, den sie bei der Zentralbank hinterlegen, ein Vielfaches an Krediten verleihen. Für das britische Empire war dieses “fraktionale Reservebank-System” bereits der Schlüssel zum Erfolg, da dieses System denjenigen anderer Nationen überlegen war. Um das nicht unerhebliche Risiko eines Kollapses zu verringern, musste man heimlich Politiker kontrollieren, die Zentralbank und die wichtigsten privaten Geschäftsbanken. Die Bankhäuser Rothschild und Barings sind beispielsweise hochverdächtig, Tarnorganisationen des Adels gewesen zu sein, und sie sind nicht die einzigen. Die Bank Kleinwort Benson geht zurück auf Heinrich Kleinwort, ein Großvater von Sir Alexander Drake Kleinwort, 1. Baronet. 1786 gründete Heinrich in Holstein eine Partnerschaft mit Otto Müller, um den Handel mit England zu finanzieren. 1786 gründete Robert Benson, ein Quäker, zusammen mit William Rathbone IV. Rathbone & Benson. Das Unternehmen erwarb 1966 den Goldbarrenhändler Sharps Pixley und sicherte sich damit einen Sitz im Londoner Goldpreis-Manipulationskomitees, das zweimal täglich in den Büros von N M Rothschild & Sons zusammentrat. Die Zentralbank “Bank of England” wurde mit Charles Montagu, dem 1st Earl of Halifax, im Jahr 1694 ins Leben gerufen, also unter Königin Anne von den Stewarts, hinter der bereits die Welfen standen. Montagu war Mitglied im Kronrat, trug den Order of the Garter und war Präsident der Royal Society. Unter dem Welfen-König George I. wurde er zum Viscount Sunbury und Earl of Halifax ernannt, einen Ritter des Strumpfbandes und Ersten Lords der Schatzkammer. Das ursprüngliche Zuhause der Bank befand sich in Walbrook, einer Straße in der City of London, wo Archäologen während des Wiederaufbaus 1954 die Überreste eines römischen Mithras-Tempels fanden. Die Ruinen des Mithräum sind vielleicht die berühmteste aller römischen Entdeckungen des 20. Jahrhunderts in der City of London und können von der Öffentlichkeit besichtigt werden. Die Bank zog 1734 an ihren jetzigen Standort in der Threadneedle Street und erwarb danach langsam benachbartes Land. Der Chefarchitekt Sir John Soane war Mitglied der Royal Academy und Royal Society sowie ein Freimaurer, der die Freemasons Hall in London durch den Bau einer neuen Galerie erweiterte. Es gibt nur wenige, speziell ausgebildete Architekten, die in der Lage sind, die komplizierten baulichen Wünsche der Freimaurer zu erfüllen, die zurückgehen auf Bauwerke antiker Imperien wie Rom, Griechenland oder Ägypten. Die Bank of England ist durch ihren königlichen Charterstatus und das Official Secrets Act geschützt. Ab 1858 traute sich der Adel über die Bank of England, Beschränkungen zu lockern und weitere große, scheinbar private Bankhäuser aufzubauen. Banking ist seit der Antike untrennbar mit Geheimdiensten und Adelsfamilien verbunden. Schon im antiken Mesopotamien gab es Banken und man fand einige Tontafeln, auf denen akribisch die Details von Kreditgeschäften festgehalten wurden. Die babylonische Egibi-Familie waren Banker über Generationen hinweg, aber die führenden, eigentlichen Kreditgeber waren die Könige und die religiöse Führungskaste. Die Egibis arbeiteten für die Regierung von Nebuchadnedzar II. Und man kann sich vorstellen, wie damals bereits Sicherheitsmechanismen eingebaut werden mussten, um zu verhindern, dass die Herrschaft zerfällt und Banker ihre eigene Suppe kochen oder sich gar mit fremden Mächten verschwören. Im Mittelalter war es für den Adel üblich, Juden als Strohmänner zu benutzen für Kreditgeschäfte, weil Juden nicht dem christlichen Zinsverbot unterlagen, mangels gesichertem Rechtsstatus kontrollierbar waren, und gemäß antisemitischer Vorurteile die Rolle von „Geldeintreibern“ und Wucherern spielen sollten, damit die Wut der Menschen sich gegen Juden richtet statt gegen den Adel. Es gab aber auch einige nichtjüdische Banker. In den 1500er Jahren in Venedig durften Juden nur in einem speziellen Bereich wohnen und wer sich länger in Venedig aufhielt, musste einen gelben Schal tragen oder irgendein anderes gelbes Zeichen. Für den christlichen Normalbürger Venedigs schien dies einfach nur Ausdruck zu sein der christlichen Abneigung gegen Juden, aber für Geheimdienste hatte es einen ganz anderen Grund: Wer so gekennzeichnet ist, den konnte man auf der Straße leichter observieren und verfolgen. Wenn die Juden eng zusammenwohnen mussten, war das noch leichter und man kam zurecht mit einer überschaubaren Anzahl an Spitzeln. Geld war so wichtig, dass man sich mit Spionageabwehr unbedingt absichern wollte.
Während dem Krieg zwischen Venedig und dem türkisch-ottomanischen Kalifat ordnete Venedig die Beschlagnahmung jüdischen Besitzes an und sogar die Verhaftung der Juden. Diese fiese Vorsichtsmaßnahme lag wohl darin begründet, dass Juden sich auch bei den Türken niedergelassen hatten und man verdächtige Kontakte rigoros unterbinden wollte. Nach dem Krieg ließ man die Juden wieder frei und gab ihnen den Besitz zurück. Der Historiker Niall Ferguson betont, dass die Geldverleiher lange Zeit nicht die Macht hatten, die Rückzahlung der Kredite sicherzustellen und zu erzwingen. Er meint aber dann, die Geldverleiher hätten dieses Problem gelöst, indem sie immer größer wurden. Er weigert sich, die Geheimdienst-Ebene zu berühren und er wiederholt den ganz großen Mythos, dass Privatbanken systemrelevant werden konnten, ohne totaler Kontrolle zu unterliegen. Florentiner Bankenhäuser wie Peruzzi und Bardi gingen pleite, weil u.a. der britische König die Kredite nicht zurückzahlte. Die Medici hingegen florierten eine ganze Weile länger, allerdings lief bei ihnen auch sehr viel verdeckt ab. In Italien herrschten Adelsfamilien. Später wurden Holland, England und Schweden die neuen Zentren des Bankings. Die Zentralbank „Bank of England“ entstand 1694 unter Königin Anne. Mit ihr hatten die Welfen schon mehr oder minder den britischen Thron in der Hand. Anne heiratete Prinz Georg von Dänemark, ihre Schwester heiratete William of Orange. Das Haus Oranien-Nassau arbeitete zusammen mit den Welfen. Dänemark hatte schon Schottland infiltriert gehabt und eine dänische Prinzessin vermählt mit King James. Freimaurerlogen gab es in Schottland schon sehr früh. 1714 bestieg der Hannoveraner Welfe George I. den britischen Thron und man gründete 1717 das Freimaurertum neu, um die schottischen Spuren zu verwischen. Die Spanische Krone setzte zu stark auf Edelmetall und konnte nicht mit den Briten mithalten. So schön die Vorstellung ist von einem Tauschmittel mit intrinsischem Wert, so ist es relativ unflexibel. Banken wie Barings oder Rothschild verschafften Britannien frisches Geld, selbst von Kleinanlegern, um Kriege zu finanzieren. Von gleicher strategischer Bedeutung war Barings Übermittlung von Geld der britischen Regierung an alliierte Regierungen, um deren Kriegsanstrengungen zu unterstützen. Diese teils geheime und sensible Arbeit erforderte Expertenwissen über Geldtransfers und ein solides korrespondierendes Netzwerk. Erneut unterstrich es das Vertrauen der Regierung in Baring. Andere Länder kopierten zunehmend das britische Zentralbanksystem, weil es effektiver war. Es handelte sich nicht, wie die Verschwörungsliteratur behauptet, um eine internationale Machtergreifung von Juden. Frankreich unter Napoleon hatte ein traditionelles System der Besteuerung der eroberten Völker benutzt. Laut Legende machte Nathan Rothschild ein Vermögen durch die Schlacht von Waterloo. In Wirklichkeit war die Schlacht für die Rothschilds ein Fiasko: Britannien verschaffte sich Geld über den Bond-Markt und konvertierte dann das Geld in Gold, denn man konnte auf der Transitstrecke irgendwann nur noch Gold transportieren bzw. schmuggeln nach Portugal, wo der Kampf tobte. Vor 1811 beschäftigte sich Nathan Rothschild nur mit Textilhandel. Er hatte Erfahrung mit Schmuggel und die Familie hatte ein Netzwerk in Europa, also bekam er den entsprechenden Geheimauftrag vom britischen Imperium. Dieser Auftrag war so wichtig, dass selbstverständlich Kontrollmechanismen vorhanden gewesen sein müssen. Der Vater von Nathan war behutsam aufgebaut worden von Hessen-Kassel und schützte die Reichtümer Hessen-Kassels vor Napoleon. Jeder Cent wurde anscheinend zurückgezahlt. Hätte Mayer Amschel Rothschild etwas abgezwackt, wäre er ein toter Mann gewesen. Napoleon musste sich zurückziehen, hatte dann aber ein Comeback und Nathan Rothschild kaufte im Auftrag der britischen Krone sehr viel Gold, weil man einen weiteren ausgedehnten Krieg erwartete, was sich aber als Fehlkalkulation herausstellte. Die Schlacht von Waterloo brachte ein schnelles Ende für den Konflikt, die Rothschilds saßen auf zuviel Gold, und der Goldpreis würde bald dramatisch fallen. Nathan kaufte britische Bonds, hielt diese für über ein Jahr und verkaufte dann mit Profit, rund 600 Millionen britische Pfund in heutigem Geldwert. Anschließend spielten die Rothschilds eine wichtige Rolle hauptsächlich im Bond-Markt und vermarkteten auch Bonds anderer Länder. Nathan starb 1836 und sein „Privatvermögen“ wurde geschätzt auf 0,62% des britischen Volkseinkommens. Die Familienmitglieder mussten hauptsächlich innerhalb der eigenen Familie heiraten, was wohl eine Auflage war, die der Adel befohlen hatte. Wenn man einen neuen Clan aufbaut, wie etwa als Banker, dann will man vermeiden, dass dieser Clan bald wieder zerfällt und sich nur noch um privaten Luxus kümmert. Die Rothschilds waren ideal für ein internationales Spionageprogramm, denn sie hatten in mehreren Ländern Hauptsitze und konnten etwa in Frankreich mitbestimmen, welches Personal von der Regierung angeheuert wird. Gemäß der zirkulierten Propaganda dachten viele, Juden kümmern sich nur um Geld und andere Juden, hätten keine Heimat und somit keine Loyalität zu irgendeiner Großmacht. Mit Hilfe der Verschwörungsliteratur wurde die eigentliche Struktur des britischen Empires und die tatsächliche Geschichte verschleiert und stattdessen bekam der Leser das Märchen aufgetischt, ein paar „Weise von Zion“ hätten Britannien und Amerika übernommen. Retroaktiv wurde auch noch die Geschichte der ersten beiden US-Zentralbanken verfälscht und gleichzeitig mit der dritten Zentralbank (Federal Reserve) gab es eine weitere solche Propaganda-Kampagne. Eines der wichtigsten Zentren der modernen Verschwörungsmedien wurde die John Birch Society.
Hübsche Familien
Der Hochadel heiratete im sehr engen Kreis und baute eine Reihe an niedrigeren Adelsfamilien und großbürgerlichen Familien auf. In Hannover, dem Ursprungsort der britischen Welfenkönige ab George I., kultivierte man die sogenannten „hübschen Familien“ wie etwa die Barings. 1717 wanderte der aus Bremen stammende Johann Baring nach England aus. Seine Söhne John und Francis gründeten 1770 das Bankhaus John & Francis Baring & Co zu London (seit 1806 Baring Brothers and Comp.), das im 19. Jahrhundert zu einem wichtigen Finanzierer von Regierungsprojekten wurde. Francis Baring wurde 1793 zum Baronet geadelt. Sein Neffe William Baring, dessen Mutter der Familie Gould angehörte, wurde 1795 unter dem Namen Baring-Gould ein besonderes Wappen zugestanden. Zahlreiche Nachfahren des Firmengründers wurden in den britischen Adel aufgenommen und stifteten verschiedene Linien. Zur Nachkommenschaft der Familie gehört auch Diana, Princess of Wales, deren Urgroßmutter Margaret Baring (1868–1906) war, die Tochter von Edward Baring, 1. Baron Revelstoke, und durch sie auch ihr Sohn Prince William, Duke of Cambridge. Barings wurde im 19. Jahrhundert neben Rothschild zur führenden Londoner Bank. Die Rothschilds wiederum waren von der Adelsfamilie Hessen-Kassel aufgebaut worden. Es ist überdeutlich, dass der Adel die Banker kontrollierte und nicht andersherum. Der Hochadel war alles andere als naiv, wie es in der gewöhnlichen Verschwörungsliteratur und teils auch in der Geschichtsforschung dargestellt wird. Der Kampf gegen Frankreich und Kolonien wie Indien wären niemals möglich gewesen ohne exzellente Planung und herausragende Geheimdienste. Der britische Premierminister Boris Johnson stammt ab von einem unehelichen Kind aus höchsten Kreisen: Über seine Urururgroßeltern Adelheid Pauline Karoline von Rottenburg (1805–1872), nichteheliche Tochter des Prinzen Paul von Württemberg, und Karl Maximilian Freiherr von Pfeffel (1811–1890) ist Boris Johnson durch das Königshaus Württemberg mit Königin Elisabeth und Prinz Charles verwandt. Paul von Württembergs Mutter war Auguste Karoline von Braunschweig-Wolfenbüttel, deren Mutter wiederum Augusta von Hannover war, eine Nichte von König George III. und auch mit Sachsen-Gotha-Altenburg verwandt war. Hannover ist der Ursprung des modernen britischen Welfen-Königshaus und regierte bis einschließlich Königin Victoria. Danach übernahm die Linie Sachsen-Coburg und Gotha. Boris Johnson durchlief die Elite-Kaderschmieden Eton und Oxford University. In Oxford war Johnson Mitglied des elitären Bullingdon Club, wie auch bereits andere spätere Top-Politiker, Wirtschafts-Mogule wie Nathaniel Philip Rothschild und sogar König Edward VII. Boris Johnson müsste eigentlich Kemal heißen, denn er hat türkische Wurzeln. Sein Urgroßvater Ali Kemal war 1919 kurzzeitig Innenminister des Osmanischen Reiches und wurde 1922 auf Veranlassung Nureddin Paschas ermordet. Johnsons Großvater Osman Ali floh daraufhin nach London und nahm dort den Namen „Wilfred Johnson“ an. Ali Kemal beteiligte sich an der Revolution gegen das Osmanische Reich und dessen Sultan Abdülhamit II. und es ist klar, dass die britische Spionage in großem Umfang an der Revolution beteiligt war. In Paris machte Kemal Bekanntschaft mit den Jungtürken, die von den britischen Diensten in Form von Freimaurerlogen aufgebaut worden waren. Er galt später als Gegner von Atatürk und wurde auf Befehl von Nureddin Pascha ermordet; zwei Jahre bevor das Kalifat komplett unterging. Boris Johnsons (vemeintlicher) politischer Gegner beim Brexit war die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die Familie Albrecht (ihr Geburtsname) gehört zu den so genannten „Hübschen Familien des Kurfürstentums Hannover“.
Quellen:
The Ascent of Money: A Financial History of the World by Niall Ferguson
The House of Rothschild: Money’s Prophets 1798-1848 by Niall Ferguson
Till Time’s Last Sand: A History of the Bank of England 1694-2013, David Kynaston
Die Romanows im Exil versuchten, den Antikommunismus zu dominieren
Die im Exil lebenden Romanows wurden von manchen als abgehalfterte Verlierer angesehen, von anderen als die einzigen Persönlichkeiten aus der alten Ordnung in Russland, die überhaupt noch internationale Anerkennung besaßen. Sie versuchten, eine internationale antikommunistische Bewegung zu dominieren. Wie bereits erläutert, war ihnen wegen ihres nahen Verwandten Louis Mountbatten und der allgemeinen sowjetischen Unterwanderung von Emigrantenkreisen nicht zu trauen. Neben ihrem Glamour verfügten die Romanows über Geld und konnten gegenüber ihren Anhängern jederzeit behaupten, dass sie geheime Vermögen auf britischen Bankkonten oder an der Börse versteckt hätten. Großfürst Kirill Wladimirowitsch von Russland war ein Cousin ersten Grades des letzten Zaren. Er war auch der Onkel von Prinzessin Marina, Herzogin von Kent. 1905 heiratete er seine Cousine väterlicherseits, Prinzessin Victoria Melita von Sachsen-Coburg und Gotha. Während der Februarrevolution 1917 marschierte Kirill an der Spitze der Marinegarde zum Taurischen Palast, um der russischen Provisorischen Regierung die Treue zu schwören. Er trug ein rotes Band an seiner Uniform. Kirill hatte das Hissen einer roten Fahne über seinem Palast in der Glinka-Straße in Petrograd genehmigt und in der Korrespondenz mit einem Romanow-Verwandten die Ehre beansprucht, „die Situation durch meine Anerkennung der Provisorischen Regierung gerettet zu haben“. Kirill proklamierte sich 1926 selbst zum Exilkaiser und arbeitete angeblich an der Wiederherstellung der Monarchie in Russland.
Nachdem er selbst den imaginären Exil-Thron bestiegen hatte, wurde Kirill als „sowjetischer Zar“ bekannt, weil er im Falle einer Wiederherstellung der Monarchie einige Merkmale des Sowjetregimes beibehalten wollte. Während er im Exil lebte, wurde er von einigen Emigranten unterstützt, die sich selbst als „Legitimisten“ bezeichneten, was die Legitimität von Kirills Nachfolge unterstrich. Die Gegner von Kirill wurden als „Unvorherbestimmte“ bezeichnet. Seine stärkste Unterstützung fand Kirill bei einer Gruppe namens Mladorossi, die schließlich stark vom Faschismus beeinflusst wurde. Die Organisation begann schließlich, prosowjetische Sympathien zu zeigen und argumentierte, dass die Monarchie und das sowjetische bolschewistische System friedlich koexistieren könnten. Die Mladorossi glaubten, dass die Sowjetregierung trotz ihrer negativen Ideologie den russischen Staat bewahrte und dessen nationale Interessen verteidigte. Sie glaubten auch, dass die Oktoberrevolution lediglich der Beginn eines Evolutionsprozesses war, der ein neues, junges Russland schaffen würde. Mladorossi verwendete den Slogan „Zar und die Sowjets“, eine Abwandlung des traditionellen Spruchs „Zar und Volk“. Kirill distanzierte sich von der Organisation, als ihr Gründer Alexander Kazembek bei einem Treffen mit sowjetischen Diplomaten gesehen wurde. Für Kazembek sollte Stalin an der Seite eines Monarchen wie Kirill dienen. Zwischen 1944 und 1957 durfte Kazembek russische Sprache und Literatur an der Yale University und dem Connecticut College unterrichten. Während seines Besuchs in Neu-Delhi im Jahr 1954 beantragte Kazembek die Erlaubnis, dauerhaft in die Sowjetunion zurückkehren zu dürfen.
Während seines Aufenthalts in Deutschland stand Kirill Romanow den Mitgliedern der NSDAP nahe. Einmal soll er Erich Ludendorff „in den Jahren 1922–1923 eine Summe von fast einer halben Million Goldmark für deutsch-russische Staatsangelegenheiten“ gezahlt haben.
Kirills Sohn war Großfürst Wladimir Kirillowitsch. Während des Zweiten Weltkriegs lebte Wladimir in der Bretagne. Am 26. Juni 1941 gab er eine Erklärung ab:
„In dieser schweren Stunde, in der Deutschland und fast alle Nationen Europas einen Kreuzzug gegen den Kommunismus und den Bolschewismus erklärt haben, der das russische Volk seit vierundzwanzig Jahren versklavt und unterdrückt, wende ich mich an alle treuen und loyalen Söhne unseres Vaterlandes mit diesem Appell: Tun Sie nach besten Kräften, was Sie können, um das bolschewistische Regime zu stürzen und unser Vaterland vom schrecklichen Joch des Kommunismus zu befreien.“
Wladimir durfte Russland im November 1991 besuchen, als er vom Bürgermeister von St. Petersburg, Anatoli Sobtschak, nach St. Petersburg eingeladen wurde. Sobtschak hatte wie Putin den irreführenden Ruf, bereits in Sowjetzeiten Mitglied eines rechten Untergrundes in Russland gewesen zu sein.
Falsche und echte Ritter
Kirill Romanow hatte Verbindungen zur US-amerikanischen Gruppe „Shickshinny Knights of Malta“, die den sowjetischen Überläufer Goleniewski rekrutierte, der dann behauptete, er sei selbst ein Romanow. Dieser Orden wird auch „Amerikanisches Großpriorat des Souveränen Ordens des Heiligen Johannes von Jerusalem“ genannt und hat seinen Sitz im Luzerne County, Pennsylvania, einem Gebiet, das größtenteils von deutschen und russischen Einwanderern besiedelt wird. Es ist manchmal verwirrend, die wahren historischen Ritterorden von gefälschten und halbgefälschten Ablegern und Nachahmern zu unterscheiden.
Charles Pichels „Shickshinny Knights of Malta“ behaupteten, eine Verbindung zu den ursprünglichen Malteserrittern zu haben. Eine besondere Beziehung zwischen den echten Malteserrittern und der Krone Russlands hielt bis ins 18. Jahrhundert an. Nach dem Untergang des Weströmischen Reiches wurden diverse katholische Orden gegründet. Die oströmisch-orthodoxe Kirche fand ihren Weg nach Russland und wir sehen ähnliche russische Orden dieser Art. Russische Emigranten, die nach der Revolution 1917 ins Exil gingen, versuchten, diese Strukturen am Leben zu erhalten. Wir wissen, dass die Emigranten gründlich vom sowjetischen Geheimdienst infiltriert wurden. Und was war für die Sowjets die beste Möglichkeit, die Emigranten zu kontrollieren? Einen oder mehrere Romanows als Agenten zu führen.
Am 24. Juni 1928 traf sich eine Gruppe von 12 russischen Kommandanten in Paris, um die Aktivitäten des russischen Ritter-Großpriorats wiederherzustellen. Sie wurden von drei weiteren russischen Adligen unterstützt, die Aspiranten waren und als Ritter zugelassen wurden, sowie von einem Erbkommandanten des katholischen Großpriorats Russlands. Sie standen bis 1933 unter der Leitung von Großfürst Alexander Michailowitsch und bis 1956 von Großfürst Andrei Wladimirowitsch, die beide den Titel „Großprior“ trugen. Geld könnte Charles Pichel durchaus dazu verleitet haben, 1956 seinen eigenen „Souveränen Orden des Heiligen Johannes von Jerusalem“ zu gründen. Pichel verlieh seiner Organisation eine mythische Geschichte, dass jener von russischen Erbkommandanten gegründet wurde, die in den USA lebten oder diese besuchten. Nach seiner Gründung konnte Pichel manche russischen Adligen für sich gewinnen, was der Sache einen größeren Status verlieh. Der „Ancient and Noble Order of the Blue Lamoo“ hatte seine „Festung“ in den Black Hills von South Dakota und sein östliches „Hauptquartier“ in der Nassau Street in New York. Bei letzterer Adresse geben Anwohner an, keine Kenntnis von der Existenz der Organisation zu haben.
Der Orden Peters des Großen wurde 1930 gegründet.
Der Überläufer, der behauptete, ein Romanow zu sein
Der äußerst wichtige sowjetische Überläufer Goleniewski aus Polen, der mehr als ein Dutzend Maulwürfe enthüllte, schloss sich den rechten Aktivistenkreisen und den Romanows an. Er erzählte der CIA seltsamerweise, dass er der Sohn des letzten Zaren sei und aus Russland geschmuggelt worden wäre.
Seine Anschuldigung, dass Henry Kissinger ein sowjetischer Maulwurf war, wurde in einem Artikel vom 20. März 1974 in einer wöchentlichen Publikation der John Birch Society öffentlich bekannt, eine Organisation, die während des Kalten Krieges das Verschwörungsgenre dominierte. Die JBS distanzierte sich von den gefälschten „Protokollen von Zion“, hielt aber andere falsche Narrative aufrecht, wie etwa den vermeintlichen Glücksfall für Nathan Rothschild, nachdem Napoleon die Schlacht von Waterloo verloren hatte. Die Bestseller-Bücher des JBS betrachteten die Ära der amerikanischen Industrialisierung sogar als eine Verschwörung, angeführt von den Rothschilds. Dies spiegelt die klassische leninistische Sicht des Kapitalismus wider, plus einer zusätzlichen Dosis kaum verhülltem Antisemitismus.
Der Autor des Artikels von 1974 war Goleniewskis Freund Frank Capell, ein Mitglied von Pichels falschem Malteserorden. Capell veröffentlichte im selben Jahr das Buch „Henry Kissinger – Sowjetischer Spion“. Auf Seite 75 heißt es:
Herman E. Kimsey, ehemaliger Leiter für Forschung und Analyse im Hauptquartier der US-amerikanischen Central Intelligence Agency, sagte in einer am 3. Juni 1965 unterzeichneten eidesstattlichen Erklärung: „Ich bin überzeugt, dass es sich bei der Person, die als Oberst Goleniewski bezeichnet wird, tatsächlich um den Zarewitsch und Großfürsten Aleksej Nikolajewitsch Romanow von Russland und den Sohn des Kaisers Nikolai II. von Russland handelt.“ In seiner eidesstattlichen Erklärung gab Herr Kimsey an, dass er aufgrund der Tests und deren positive Ergebnisse hinsichtlich der Identifizierung völlig zufrieden sei.
Es war also nicht nur Goleniewski, der diese Behauptung aus heiterem Himmel aufstellte. Die Behauptung hatte seinen Status bei den Emigranten und den westlichen Rechten zwar teils verbessert, aber seiner Glaubwürdigkeit innerhalb der CIA geschadet. Er sagte er hätte den Amerikanern schon früh enthüllt, dass er Kissinger auf einer Liste sowjetischer Agenten gesehen habe, konnte aber offenbar kein weiteres Material liefern. Herman Kimsey, der die Dokumentation zusammenstellte, um Goleniewskis angebliches imperiales Erbe zu beweisen, war früher Forschungs- und Analysechef innerhalb des TSD, einer Abteilung der CIA, wurde jedoch in den 1960er Jahren entlassen. Ein CIA-Memo vom 3. November 1960 informierte den amtierenden Direktor der CIA, dass Kimsey möglicherweise ein Sicherheitsrisiko darstellt.
Ein gründliches Verhör ergab, dass Kimsey sich in psychologischer Behandlung befand. Es scheint, dass Kimsey auch Mitglied der Shickshinny-Ritter war, die mit den Romanows verbunden waren. Er wurde schließlich von der CIA im Rahmen einer Säuberungsaktion gegen minderwertiges Personal, die als 701-Programm bekannt war, fallen gelassen. Er war nie der ehemalige Chef der gesamten Analyse- und Forschungsabteilung der CIA, sondern leitete stattdessen eine Abteilung, die mit der Identifizierung von Fälschungen beauftragt war.
Der CIA-Historiker David Robarge behauptete, auch Goleniewski habe psychische Probleme. Der Überläufer beendete 1964 die Zusammenarbeit mit der CIA und veröffentlichte seinen eigenen Newsletter „Double Eagle“, in dem er höchst seltsame Behauptungen aufstellte, etwa den Reporter Guy Richards zu beschuldigen, in Wirklichkeit der Nazi-Funktionär Reinhard Heydrich zu sein. Adolf Hitler war laut ihm Jack the Ripper, der in Wirklichkeit der Herzog von Clarence war. Jesse James sei Mitglied einer frühen Version der SS gewesen. Die Bankiers aus Großbritannien (er meinte wahrscheinlich die Rothschilds) stünden hinter dem Kommunismus.
Den üblichen Verschwörungsaktivisten der JBS oder der LaRouche-Organisation war dieser Unsinn egal; sie warben mit seinen solideren Informationen. Goleniewskis Geschichte, als Zarenkind von Russland nach Polen geschmuggelt worden zu sein, ergibt wenig Sinn. Hätte es eine heimliche Exfiltration des Zaren und seiner unmittelbaren Familie gegeben, hätten sie nach Dänemark oder Schottland gebracht und dort gut versteckt werden können. Der ehemalige polnische Geheimdienstagent Wieczorek gab zu, dass Goleniewski in den USA streng überwacht wwrde. Dazu gehörte möglicherweise eine subtile Vergiftung mit den vielen Substanzen, die die Sowjets in ihrem Arsenal hatten. Eine Stasi-Liste namens TOXDATA ist erhalten geblieben und enthält viele Optionen. Goleniewski empfand die Behandlung durch die Amerikaner als schrecklich. Angleton vertraute Goleniewski nicht, aber dieser Logik zufolge hätten die Sowjets ihre eigenen Star-Agenten wie George Blake absichtlich verbrannt, nur um die Amerikaner dazu zu bringen, Goleniewski zu vertrauen. Alles in allem war Goleniewski verbittert darüber, wie wenig die CIA auf sich selbst achtete, wenn es um die sowjetische Unterwanderung ging. Er wollte neue, mächtige Freunde und er glaubte, sie in dem seltsamen Ritterorden, den Romanows und den Verschwörungsaktivisten gefunden zu haben. Als Anatoly Golitsyn 1961 übergelaufen war, wurde Goleniewski von der CIA gebeten, seine Meinung zu äußern. Seine Kritik war gemischt. Die CIA und der MI6 schrieben Golitsyn fälschlicherweise Geheimdienstinformationen zu, die tatsächlich von Goleniewski geliefert worden waren. Auch bei den Überläufern ist Neid sehr häufig. In einem Interview von 1980 behauptete Goleniewski, Golitsyn sei vom KGB geschickt worden. Es ist nicht klug, Angleton einfach die Schuld dafür zu geben, dass er versucht hat, durch diese schwierige Situation zu navigieren. Sogar ihm selbst wurde vorgeworfen, ein Maulwurf zu sein. Jeder Geheimdienstmitarbeiter weiß, dass Überläufer eine schwierige Angelegenheit sind.
Tennent Bagley sagte, als er Chef der Spionageabwehr der Abteilung der CIA für Sowjetangelegenheiten wurde, sei es „fast unmöglich, mit Goleniewski umzugehen“.
Ein Mitarbeiter von Angleton beschuldigte Bagley, ein Maulwurf zu sein: Clare Edward Petty. Es scheint, dass viele Personen in diesem Drama versuchten, ihren eigenen Marktwert zu steigern, indem sie andere abwerteten. Golitsyn gab an, dass die Sowjets im gesamten französischen Militärgeheimdienst und sogar im Kabinett des französischen Präsidenten Charles de Gaulle Agenten stationiert hätten. Er behauptete, dass diese Agenten auf Anfrage Zugang zu jedem NATO-Dokument hätten.
Die Nachricht beunruhigte US-Präsident John F. Kennedy so sehr, dass er einen Kurier schickte, um de Gaulle persönlich eine Nachricht zu überbringen, in der er die Situation darlegte. Im Frühjahr und Sommer 1962 verhörte ein Team französischer Spionageabwehroffiziere Golitsyn wochenlang. Da seine Identität von den USA streng gehütet wurde, gaben ihm die Franzosen den Codenamen „Martel“. Sie kehrten mit ernsten Warnungen über den Zustand der französischen Sicherheit nach Frankreich zurück.
Die CIA kündigte 1965 ihren Vertrag mit Goleniewski und zahlte ihm danach jährlich nur noch eine kleine Summe. Seine Frau beschwerte sich, dass sie in New York mit 500 Dollar im Monat auskommen müssten, ohne Krankenversicherung und mit einem jungen Kind, um das sie sich kümmern müssten. Von dem selbsternannten Zarewitsch wurde erwartet, dass er in eine viel billigere Stadt oder Ortschaft zieht und einen regulären Job sucht. Auch einige Karrieren innerhalb der CIA gingen zu Ende. In einem Geheimdienstkrieg wird es Opfer wie Bagley oder Angleton geben. Aber der Krieg muss geführt werden. Im Westen war niemand vor Vorwürfen gefeit. Lord Victor Rothschild finanzierte die Spionagebuchprojekte von Peter Wright und Chapman Pincher. Pincher hat solide Argumente gegen MI5-Direktor Sir Roger Hollis vorgebracht. Als Victors Rolle als Sponsor der Bücher öffentlich wurde, weckte dies erneut den Verdacht, dass er selbst ein weiteres Mitglied des Cambridge-Spionagerings der Sowjets war. Premierministerin Margaret Thatcher machte eine seltene Ausnahme und verteidigte Victor öffentlich. Goleniewski sehnte sich nach einem Treffen mit FBI-Direktor Hoover, was jedoch nie stattfand. Er überwarf sich mit seinem „Ritter von Malta“-Freund Frank Capell. Das FBI ermittelte gegen Capell, weil er angeblich im Besitz von geheimem Material war. Die Romanows hielten eine gewisse Distanz zu Goleniewski, der es tatsächlich wagte, mit Hilfe eines Priesters der „Russisch-Orthodoxen Kirche außerhalb Russlands“ eine Trauung unter dem Namen Romanow abzuhalten. Dies verärgerte Anhänger der Emigrantenkreise wie des Obersten Monarchistischen Rates. Ein ehemaliger zaristischer General namens Sergei Voitsekhovsky, der das Vertrauen des Großfürsten Wladimir Romanow genoss, veröffentlichte sogar ein Buch, in dem er Goleniewski anprangerte.
Die sowjetische Prawda beschrieb den Überläufer 1966 als „finstere Schöpfung des amerikanischen Geheimdienstes“, der ein Vermögen an Romanow-Geldern stehlen wollte, das in verschiedenen Banken versteckt war. Als seine Anschuldigungen gegen Kissinger im Jahr 1974 öffentlich wurden, war seine Glaubwürdigkeit längst gesunken. Anscheinend sah Goleniewski nur Tarnnamen von Agenten wie „Bor“ und nicht die echten Namen. Aber er behauptete, er habe der CIA genügend zusätzliche Informationen gegeben, um Kissinger eindeutig festzunageln. Die CIA soll dies ignoriert haben, obwohl Goleniewski den Verräter George Blake zuvor entlarvt hatte. Goleniewski kam nicht einmal mit dem selbsternannten Malteserorden zurecht und kämpfte schließlich hart für seinen Anspruch, „Großmeister“ zu werden.
Die Verschwörungsmythologie der Romanows
Sozialwissenschaftler bezeichnen sich heute als Experten für das Phänomen der „Verschwörungstheorien“ und beschreiben es mit vielen Worten als eine Ideologie von Verlierern für Verlierer. Frustriert von einer komplexen Welt erklären sie alles durch (hauptsächlich jüdische) Verschwörungen, um das befriedigende Gefühl von Antworten, „der Wahrheit“, Kontrolle über das Schicksal und einem Plan zur Abhilfe zu bekommen. Die Sozialwissenschaftler sind keine Experten für die Geheimdienstwelt und die Imperien. Sie können nur offensichtliche Fälschungen wie die „Protokolle von Zion“ anprangern und die übliche Interpretation hinzufügen, dass Verlierer sich damit die Welt erklären. In der wissenschaftlichen Literatur zu „Verschwörungstheorien“ greifen die Autoren meist nur Kreise an, die sie für relativ schwach halten. Sie wollen die Rolle sehr mächtiger westlicher Strukturen im Hinblick auf Verschwörungsmedien nicht wirklich offenlegen. Eine seltene Ausnahme bildete Professor Oberhauser aus Österreich, der eine Studie über die Rolle der britisch-aristokratischen Geheimdienste hinter den Verschwörungsbestsellern von John Robison und Augustin Barruel nach der Französischen Revolution vorlegte.
Die Romanow-Dynastie spielte eine entscheidende Rolle bei der Popularisierung der traditionellen Mythologie über eine jüdische Weltverschwörung. Zuvor war es hauptsächlich ein westeuropäisches Phänomen, wurde aber durch die Übernahme im späten zaristischen Russland und dem drauffolgenden Export der gefälschten „Protokolle von Zion“ in die USA zu einem globalen Phänomen. Überall waren die Rechten von dem Material absolut überzeugt, als sie hörten, dass kommunistische Revolutionäre mit jüdischem Hintergrund in Russland die Revolution angestoßen hatten. Dass Lenin beispielsweise nur einen jüdischen Großvater hatte, scherte die Verschwörungsautoren nicht. Tatsächlich gab es jedoch vor 1917 in jüdischen Kreisen wenig Sympathie für die Bolschewiki in Russland es gab vor 1917 weniger als 1.000 Juden unter den Mitgliedern der Gruppe. Graf Cherep-Spiridovich war verantwortlich für Verschwörungsliteratur wie „Die geheime Weltregierung oder die verborgene Hand“, herausgegeben von der „Anti-Bolshevist Publishing Association“ in New York City. Spiridovich plädierte dafür, dass die USA den großen weißen Kampf gegen den Kommunismus anführen müssten. Er leitete die „Anglo-Latino-Slav League“ in Manhattan und war im Grunde ein russischer Geheimdienstmitarbeiter, der hauptsächlich in Europa für die Romanows arbeitete. Großfürst Sergej war 1891 Gouverneur von Moskau und vertrieb 20.000 Juden aus der Stadt. Es ist möglich, dass seine Frau Elisabeth Fjodorowna (die in Deutschland geborene Elisabeth von Hessen) ihre Schwester, die Kaiserin Alexandra, auf die Fälschung „Protokolle von Zion“ aufmerksam machte. Cherep-Spiridovich schien den Text ebenfalls stark zu fördern.
Die Idee einer komplexen jüdischen Weltverschwörung fand erstmals im frühen 19. Jahrhundert in französischen sozialistischen Kreisen größere Verbreitung. Es war ein Weg, die damalige Zensur zu umgehen, wenn man den Kapitalismus als jüdisch-parasitär anprangerte. Die französische Rothschild-Bank investierte in ein Eisenbahnprojekt und geriet in den Fokus der Tiraden. Dennoch spricht vieles dafür, dass der britisch-aristokratische Geheimdienst diese französischen Pamphlete und Bücher unterstützte als Desinformation, um den Erzfeind Frankreich zu destabilisieren.
Mayer Amschel Rothschild war vom Haus Hessen angeworben worden, um Vermögenswerte vor Napoleons Truppen zu schützen, und wurde dann damit beauftragt, Geld von der britischen Krone zu den Truppen von Wellington zu schmuggeln. Der britische Thron wusste sicherlich, dass die Rothschilds nicht in eine große Verschwörung gegen Britannien verwickelt waren. Haben diese Aristokraten ihren nahen Verwandten, den Romanows, die Wahrheit über diese Desinformation mitgeteilt? War den Romanows tatsächlich bewusst, dass sie Unwahrheiten verbreiteten? Elitäre Figuren in Großbritannien wie Churchill lobten in den 1920er und 1930er Jahren öffentlich traditionelle Verschwörungsmedien, um den Nazis gewisse Sympathien vorzutäuschen. Die Briten warnten die Deutschen zwar öffentlich vor einem Einmarsch in Polen, doch Hitler hatte den Eindruck, dass weder die Briten noch die Franzosen einen weiteren großen Krieg riskieren würden, nur um der Polen willen und um das deutsche Territorium einzuschränken. Louis Kilzer, zweifacher Pulitzer-Preisträger, dokumentierte die Scharade in seinem Buch „Churchills Täuschung“. Nach dem Zweiten Weltkrieg, während des Kalten Krieges, wurden die traditionellen Verschwörungsmedien von immer mehr Menschen im Westen konsumiert und Sowjetrussland hatte ein erhebliches Maß an Kontrolle darüber. Der Überläufer Ion Pacepa dokumentierte, wie der sowjetische Geheimdienst unzählige Exemplare der „Protokolle von Zion“ für die muslimische Welt druckte. Im Westen bewarben die im Exil lebenden Romanows und die vielen stark unterwanderten Emigrantenorganisationen die Protokolle immer wieder und vermischten Antikommunismus mit Antisemitismus und Faschismus.
Cherep-Spiridovitch wurde von Henry Ford finanziert, der die Protokolle von Zion in Amerika populär machte. Der russische Graf ließ eine alte Legende über 300 jüdische Familien wieder aufleben, die die große Verschwörung anführten. Dies beeinflusste das spätere Buch „The Conspirators‘ Hierarchy: The Story of the Committee of 300“ von John Coleman. Das zaristische Russland hatte Boris Brasol nach New York geschickt, um den Kauf von Waffentechnologie während des Ersten Weltkriegs zu überwachen und sicherzustellen. Er war auf der Jagd nach Verrätern und Saboteuren, während die Amerikaner auch ihre Spionageabwehr verstärkten, vor allem gegen Kollaborateure der Deutschen, die versuchten, Munitionsdepots in die Luft zu jagen, wie bei dem berüchtigten Black-Tom-Event. Der US-Marinegeheimdienstagent Sergius Riis kannte Brasol wahrscheinlich und hatte Verbindungen zum zaristischen Geheimdienst „Ochrana“. Nach dem Krieg wurde Brasol in die War Trade Intelligence-Abteilung des War Trade Board berufen, nach New York City versetzt und trat dann dem Militärgeheimdienst unter General Marlborough Churchill bei. Wir sehen eine kontinuierliche Beziehung zwischen dem amerikanischen Geheimdienst und den Romanows im Exil, mit Leuten im Boot wie Colonel Harris Ayres Houghton, Colonel John Jacob Astor, Generalmajor Ralph Van Deman, Colonel William Sohier Bryant, Colonel Nicholas Biddle, Colonel Theodore Roosevelt und anderen.
Henry Ford gründete seinen eigenen persönlichen Geheimdienst und heuerte eine beträchtliche Anzahl exilierter Weißrussen an. Boris Brasol besaß ein Exemplar von Nilus‘ Ausgabe der „Protokolle von Zion“, das weitergegeben wurde an Harris Houghton. Houghton bezahlte die Übersetzung und Henry Ford machte sie zu einem Massenphänomen. Das erklärte Ziel war die Schaffung einer antikommunistischen Internationale, basierend auf Verschwörungstheorien. Das westliche Haus Hessen hatte die Rothschild-Märchen nicht nur viel früher populär gemacht, um die deutsche Rechte zu verwirren, sondern es hatte auch zunächst die Rothschilds rekrutiert und sie gesteuert. Die Hessen hätten ihren Verwandten, den Romanows, und den amerikanischen Rechten davon erzählen können. Vielleicht taten sie das in begrenztem Umfang und behaupteten, der Verschwörungsnonsens sei ein notwendiger Teil der psychologischen Kriegsführung. Aber vielleicht taten sie es auch nicht. Wenn die Hessen von den Kommunisten kompromittiert worden waren (durch Louis Mountbatten und möglicherweise die gefangenen vier Großherzöge und den letzten Zaren) oder wenn irgendeine Art von Arbeitsbeziehung mit den Kommunisten bestand, bot dies den Kommunisten eine Hintertür, um in die gesamte antikommunistische Bewegung einzudringen. Cherep-Spiridovich arbeitete wahrscheinlich mit „Ace of Spies“ Sidney Reilly zusammen, der wahrscheinlich die ganze Zeit über ein sowjetischer Verräter war. Großherzog Alexander Romanow lernte Reilly bereits im Jahr 1900 kennen. Reilly wurde damit beauftragt, im Ersten Weltkrieg Kriegsgüter aus Amerika für Russland zu kaufen. Nach der bolschewistischen Revolution bildeten sich unzählige antikommunistische Gruppen. Dazu gehörten Leute wie Sir Reginald Hall, ein ehemaliger Chef des britischen Marinegeheimdienstes, welcher zur Admiralität gehörte, die lange Zeit die Domäne des Hauses Hessen gewesen war, speziell Lord Louis Mountbatten.
Herman Bernstein verklagte Henry Ford wegen der „Protokolle von Zion“ und veröffentlichte 1921 das Buch „Geschichte einer Lüge“. Der weißrussische Emigrant Wladimir Orlow, der seine eigene Geheimdienstgruppe leitete, lieferte Ford Materialien für die Klage von Bernstein. Orlow fälschte zudem Dokumente gegen zwei US-Senatoren. Auch Boris Brasol wurde beauftragt, Ford zu helfen. Die bolschewistische Revolution an sich wurde von Autoren und Politikern als absoluter „Beweis“ für die Idee einer großen jüdischen Verschwörung der „Ältesten von Zion“ herangezogen, die bis in die Zeit der bayerischen Illuminaten zurückreicht. Die übliche Vorgehensweise von Verschwörungsautoren und Aktivisten besteht darin, auf eine bedeutende Person zu verweisen, die einen jüdischen Hintergrund hat (egal wie klein und unbedeutend dieser Hintergrund auch sein mag), und dies als Beweis für die Master-Theorie einer jüdischen Weltverschwörung zu erklären. Eine wirkliche Analyse dieser Person und der Zusammenhänge wird vermieden. Offene Fälschungen wie die „Protokolle von Zion“ und andere werden in die zirkuläre Argumentation einbezogen und die schiere Menge des präsentierten Materials wird betont.
Als also die Romanow-Herrschaft über Russland endete, entsprach es diesem mythologischen Muster von „den Juden“ als Zerstörer von christlichen Imperien. Lenin hatte einen Großvater namens Sril Moiseyevich Blank in Odessa, der im frühen 19. Jahrhundert lebte. Er konvertierte zur orthodoxen Kirche und änderte seinen Namen. Ansonsten stammte Lenin von Russen und Kalmücken ab. Er war ein Russe, der sich der kommunistischen Revolution anschloss. Trotzkis Vater war kein religiöser Mann, seine Mutter halbwegs. Er war einfach ein kleinbürgerlicher Russe, der sich den Kommunisten anschloss. Die Herausforderung der Bolschewiki bestand darin, rüpelhafte Bauern in Proletarier und fähige Revolutionäre zu verwandeln. Die höheren Schichten der russischen Gesellschaft wurden von der weißen Aristokratie dominiert. Juden im Russischen Reich verfügten oft über eine bessere Bildung und waren daher geeignet, komplexe Aufgaben für die bolschewistische Bewegung zu erfüllen. Später wurden viele Juden wieder aus der Sowjetführung entfernt.
„Aufbau“
In Deutschland kollaborierten die russischen Monarchisten mit den Nazis über eine Organisation namens „Aufbau“. Walter Nikolai, der ehemalige Chef des deutschen Militärgeheimdienstes, arbeitete mit Großfürst Kirill Vladimirovich Romanow zusammen. Mitglieder der Häuser Hessen, Hannover, Sachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg usw. schlossen sich schließlich der NSDAP an, während ihre Verwandten in Großbritannien ein monumentales Täuschungsmanöver unternahmen, um Sympathien für die Nazis vorzugaukeln.
General Ludendorff baute einen Geheimdienst für Kirill Romanow auf. Walter Nikolai hatte während des Ersten Weltkriegs als Chef des Nachrichtendienstes des Oberkommandos des Heeres für Ludendorff gearbeitet.
Bild: Ludendorff
Ludendorffs Vater stammte aus einer pommerschen Kaufmannsfamilie, deren Stammbaum auf König Erich XIV. von Schweden zurückgeht, den Sohn der Welfin Katharina von Sachsen-Lauenburg, die wiederum von der Welfin Katharina von Braunschweig-Wolfenbüttel abstammte. Das Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel ist ein Vorläufer des Königreichs Hannover (siehe auch Britischer Thron ab 1714). Nach dem Ersten Weltkrieg verbreiteten von Hindenburg und Ludendorff über die Oberste Heeresleitung (OHL) die sogenannte „Dolchstoßlegende“, wonach das deutsche Heer „im Felde ungeschlagen“ geblieben sei und die Niederlage sei letztlich auf verräterische Sozialisten und das internationale Judentum zurückzuführen. Russische Monarchisten leiteten große Geldsummen an die NSDAP weiter. Boris Brasol und andere Mitglieder des „Aufbaus“, insbesondere Kirills Frau Großherzogin Victoria, brachten die deutsche Rechtsextreme mit den Amerikanern in Verbindung wie Henry Ford, der ein Hitler-Anhänger war oder zumindest vorgab, einer zu sein. 1938 half Brasol, der nun die amerikanische Staatsbürgerschaft besaß, mit Unterstützung der Gestapo heimlich bei der Organisation eines Anti-Komintern-Kongresses in Deutschland. An der Versammlung nahmen Vertreter aus Kanada, Frankreich, England und der Schweiz teil. Heinrich Himmler zeigte im August 1938 Interesse an Brasol und bat Heinrich Müller sogar, einen Bericht über die bisherigen Aktivitäten der weißen Emigration zu verfassen. Victoria Romanow war eine Enkelin von Königin Victoria von Großbritannien und eine Nichte von König Edward VII.
Kirill und Victoria zogen nach Coburg in Bayern (siehe Sachsen-Coburg und Gotha). Sie waren (oder gaben vor) Hitler-Anhänger zu sein und kannten den Aufbau-Gründer Max Scheubner-Richter. Ihre Geldspenden retteten die extreme Rechte. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass sie die Gelder teilweise von Henry Ford und nicht nur von versteckten Konten in Großbritannien erhalten hatten. Gründer und Geschäftsführer des „Aufbaus“ war Max-Erwin von Scheubner-Richter, einer der wichtigsten Berater Hitlers. Als Präsident bzw. Vizepräsident fungierten Baron Theodor von Cramer-Klett jun. und Fürst Biskupski. Der Geschäftsführer der NSDAP, Max Amann, war Mitglied. Der radikale Wiederaufbauideologe Winberg, ein enger Freund der ermordeten Zarin, propagierte 1922 in seinem Buch „Krestnyj Put’“ den apokalyptischen Antisemitismus der Schwarzhunderter und sprach sich für die Vernichtung der Juden aus. Winberg gründete auch die monarchistische Zeitung Prizyv. Im Mai 1922 einigten sich General Biskupsij und sein persönlicher Sekretär Arno Schickedanz mit Ludendorff, wonach Ludendorff das Vermögen der Thronfolger Kirill und Viktoria Fjodorowna im Rahmen der Aktivitäten der Organisation zur Förderung deutsch-russischer Interessen verwenden durfte. Biskupski überwies auch Gelder von Emigranten direkt an die NSDAP, und Scheubner-Richter überwies erhebliche Geldbeträge weißer Einwanderer an die NSDAP, insbesondere Gelder russischer Industrieller, Ölmagnaten, sowie deutscher Geschäftsleute, Industrieller und Bankiers. Auch andere Umstände deuten auf terroristische Aktivitäten der Organisation hin, etwa ihre Kontakte zur Organisation Consul. Im Sommer 1921 erteilte Wilhelm Franz von Habsburg-Lothringen, der sich Wassil Wyschwani nannte und im Ersten Weltkrieg ein informeller habsburgischer Kandidat für den Thron eines ukrainischen Satellitenstaates war, Biskupski den Befehl, in Bayern eine Armee zum Einsatz zusammenzustellen in der Ukraine. Damit setzte er eine Vereinbarung mit Scheubner-Richter und Biskupski um, denen es gelungen war, 2 Millionen Mark und 60.000 Schweizer Franken für Wyschywanijs Thron in einer unabhängigen Ukraine zu erhalten.
Die Pläne scheiterten teilweise aus finanziellen Gründen. Von Scheubner-Richter spielte in den Jahren 1922 und 1923 eine zunehmend zentrale Rolle in rechtsextremen Kreisen. Er war Berater Hitlers und Ludendorffs und außerdem Geschäftsführer des Deutschen Kampfbundes, dessen Aktionsprogramm er entwarf. Er spielte eine zentrale Rolle beim Hitler-Putsch. Laut Otto Strasser und Ernst Hanfstaengl war Scheubner-Richter die führende Figur der Verschwörung. Andere glauben auch, dass er der eigentliche intellektuelle Drahtzieher des Putsches war. Großfürst Nikolai Nikolajewitsch lebte außerhalb von Paris und arbeitete an einer zweiten Option: Der Gewinnung französischer Unterstützung. Diese Kreise im Jahr 1922 plädierten für einen französischen und polnischen Angriff auf die zerstörte Sowjetunion. Die Aufbau-Leute bezeichneten Nikolai als „jüdisch finanziert“ und erwogen sogar ein vorübergehendes Bündnis mit den Kommunisten in Russland. Haten die Romanows damals einfach zwei Optionen sondiert? Oder spalteten sie ihre eigene Bewegung bewusst auf Befehl der Kommunisten oder der britischen Verwandten? Die falschen Ritter von Malta (die Pichel-Gruppe) gründeten ein „Komitee für militärische Angelegenheiten“ für pensionierte Militäroffiziere wie General Pedro del Valle, George Stratemeyer, Generalmajor Charles Willoughby und Oberst Philip J. Corso.
Corso versuchte, das FBI und das Außenministerium mit Lee Harvey Oswald und dem JFK-Attentat in Verbindung zu bringen. 1997 veröffentlichte er den Bestseller „The Day After Roswell“ über UFOs und Außerirdische. Diese vielen antikommunistischen Gruppen hatten Mitglieder wie Admiral Barry Domvile, den ehemaligen Chef des britischen Marinegeheimdienstes, oder den leitenden Stab von General Douglas MacArthur.