Kommentar
Die Gruppe „Identitäre Bewegung“ (IB) wurde über vier Monate hinweg spielend leicht von Reportern von RTL EXTRA infiltriert, die dann mit versteckter Kamera heikle Aufnahmen tätigten. Auch Personen aus dem Umfeld der AfD kompromittierten sich sehr schnell und gründlich.
Wenn bereits gewöhnliche Reporter dies schaffen; was konnten dann staatliche Geheimdienste bisher? Der größte Aufhänger im rechten Spektrum ist das Thema Migration, weil es am meisten Anklang findet und innerhalb des rechten Lagers zumindest darüber einigermaßen Einigkeit besteht. Allerdings gibt es in den Kreisen dermaßen viele radikale Personen und Ideen, dass man dadurch den großen Parteien in die Hände spielt.
Begonnen hatte die Recherche ganz simpel mit der Telegram-App. Eine rechte Gruppe, die mit den Identitären und der Jugendorganisation der AfD zusammenhängt, warb mit einem professionell gefilmten Video um neue Mitglieder. Die IB hatte, nicht zuletzt wegen der Führungsfigur Martin Sellner, immer Probleme dabei, Menschen an sich zu binden.
In Berlin, so heißt es per Chat, wolle man „auf jeden Fall Frauen, die sich einbringen.“
Die Reporterinnen gaben sich einfach eine falsche Identität und bastelten entsprechende Social-Media Accounts. Das erste Treffen findet auf einer Parkbank statt. Der Mann salbadert, dass die IB nun in Ortsgruppen aufgeteilt sei und der Staat deshalb nicht alles unbedingt gleichzeitig verbieten könne.
Die Reporterinnen mussten noch nicht einmal erzählen, dass sie Material der IB kennen und mögen würden. Die rechte Gruppe hatte nach Angaben des Mannes zu dem Zeitpunkt nur neun Mitglieder und er vereinbart das nächste Treffen mit den Reporterinnen.
Statistisch betrachtet: Auf 1000 AfD-Wähler kommen nur sehr, sehr wenige Parteimitglieder und Identitäre. In der Wahlkabine ein Kreuz zu machen ist um Welten leichter, als sich öffentlich zu den Organisationen zu bekennen.
Das Getöse um „Re-Migration“ zieht beim Publikum, aber keiner will so recht erklären, wie und wann man genau was gegen wen machen will. Viele Deutsche mit Migrationshintergrund sind türkischer Abstammung. Erstens können die Rechten sich nicht anlegen mit Millionen türkischstämmiger Personen hier, die zudem noch viel besser organisiert sind, als die Rechten. Zweitens würde sich bei einer heftigen Konfrontation auch der türkische Staat mit einmischen.
Bei einem gefilmten Treffen mit Martin Sellner als Redner sieht man die üblichen müden alten Männer und Frauen. Wen man wirklich will, sind die jungen Männer und Frauen, an die man aber nur schwer herankommt.
Das nächste Treffen findet in dem Hinterzimmer einer Berliner Kneipe statt. Mit dabei ein Mitglied der Bundesleitung der IB. Bislang scheint niemand geprüft zu haben, ob die Reporterinnen wirklich sind, wofür sie sich ausgeben. Es heißt, Höcke hätte ein „astreines“ neurechtes Migrationskonzept und es gäbe keine wirklichen Unterschiede zur IB. Sogar ein streng vertrauliches IB-Handbuch wird auf den Tisch gelegt.
Die IB scheint dermaßen verzweifelt, dass man keine Hintergrundprüfung bei den Reporterinnen als Voraussetzung genommen hat. Vier Stunden Gelaber. Das nächste Treffen ist bei einem Boxtraining im Park. Sparring. Man redet von einem kommenden größeren Vernetzungstreffen in Österreich mit Leuten aus ganz Europa, inklusive Boxkämpfe.
Die Polizei ist vor Ort. Die Reporterinnen müssen in einen düsteren Keller mit einem provisorischen Box-Ring aus Bauzaun-Elementen. Welche Frauen gedenkt man mit einem solchen Programm anzulocken?
100 Funktionäre der IB sind vor Ort, natürlich fast nur Männer. Sellner brüllt ins Mikrofon. Amateure im Ring kloppen sich im Stil von Hinterhof-MMA.
Nach dem Event gibt es eine Sellner-After-Party. Dort stellt sich ein junger Mann vor; der Vorsitzende eines Landesverbands der Jungen Alternative (JA). Trotz Unvereinbarkeitsbeschluss der AfD gegen die IB. Eine Freundin des AfD-Manns redet sich bei Bier und Zigaretten um Kopf und Kragen:
„Es waren keine sechs Millionen Juden. Es waren ja höchstens 175.000 vergaste Juden. Der Holocaust hat anders stattgefunden. Aber ich muss auch sagen, ich find’s geil, dass es stattgefunden hat.“
Darüber hinaus forderte sie in einem Gespräch mit den RTL-Reportern ein „Srebrenica 2.0 für Deutschland“ – einen Massenmord an Muslimen. Konfrontiert mit den RTL-Recherchen verwies die AfD darauf, dass die betreffende Person die Partei noch in der gleichen Woche verlassen habe.
Die junge Frau ist in der Partei vernetzt – vor wenigen Wochen engagierte sie sich im Europawahlkampf. Sie wurde fotografiert mit Marie Kaiser, dem bekannten Werbegesicht für die AfD.
Im Prinzip wiederholte die junge Dame vor versteckter Kamera, was in den gängigen Verschwörungsmedien und im Rechtsrevisionismus verbreitet wird. Die Dominanz dieser Mythologien ist bekannt. Sie scheint aber die einzige, die unvorsichtig genug ist, sich einer fremden Person gegenüber so zu äußern. All die anderen reden viel allgemeiner und mit Andeutungen.
Reden die anderen auch so, wenn sie strikt unter sich sind; ohne neue Rekruten dabei? Staatliche Geheimdienste könnten so etwas herausfinden. Bekannt gewordene Fälle von Informanten waren Personen, die viele Jahre in rechten Organisationen verbracht hatten und immer wieder vor Gericht standen. Ab irgendeinem Punkt wird solchen Leuten einfach vertraut. Viel Auswahl ist ja nicht vorhanden und Spionageabwehr beherrscht man nicht wirklich.