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Es gab nie eine echte Trennung zwischen China und Russland

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Im Kalten Krieg war der Kommunismus oberflächlich betrachtet das verbindende Element und gleichzeitig der Auslöser von Spannungen zwischen Russland und China. Die westliche Welt fragte sich: Dominiert Russland die Kommunistische Partei Chinas? Wird China dies tolerieren? Für wen spielt die kommunistische Ideologie angesichts von gravierenden Effizienzproblemen welche Rolle? Wachsen die Partner im Laufe der Zeit auseinander? Würde der eine Partner den anderen hintergehen? Sind die Chinesen mit ihrer Ethnie und ihrer mehrtausendjährigen Kultur einfach zu anders als die Russen? Diese Zweifel führten immer wieder dazu, dass insbesondere die USA wichtige Technologie an den Ostblock verkauften und weitere Handelsbeziehungen intensivierte; jeweils mit der Erklärung, man wolle die Chinesen als Gegengewicht zu Sowjetrussland fördern und umgekehrt. Das Ende der Sowjetunion schien Russland und China noch viel weiter auseinanderzutreiben.

Manche Konservative und sowjetische Überläufer warnten während des Kalten Kriegs vor einer Langzeitstrategie der Kommunisten; dass jene irgendwann zusammen gegen den Westen zuschlagen. Aber selbst diese Stimmen waren zu schwach, weil nicht einmal sie wirklich verstanden, wie nahe sich die Russen und die Chinesen an der Spitze waren.

Nachdem der KGB-Agent Anatoliy Golitsyn in den Westen überlief, veröffentlichte er ein Buch, welches angeblich die ungefilterte Wahrheit enthüllt, mit dem Titel „NEW LIES FOR OLD – The Communist Strategy of Deception and Disinformation. Der berüchtigte CIA-Spionageabwehrdirektor James Angleton betrachtete Golitsyn als „den wertvollsten Überläufer, der jemals den Westen erreicht hat“ und Britannien verlieh ihm den „Orden des britischen Imperiums“. Er mag Informationen von Wert geliefert haben über KGB-Agenten und Operationen, aber gerade bei dem für uns heute so wichtigen Thema China scheint er eher einen gefährlichen Mythos zu fördern als zu entkräften. Er verrät nur das, was man sich ohnehin zusammenreimen konnte, nämlich dass Sowjetrussland und das kommunistische China hin und wieder aus strategischen Gründen in der Öffentlichkeit gezielt ihre Differenzen beklagten, anstatt konstant das Bild von harmonischer unerschütterlicher kommunistischer Bruderschaft nach außen zu tragen. Dennoch stellt Golitsyn die Lage so dar, als hätten die beiden Imperien sich tatsächlich sehr früh voneinander getrennt und würden nur miteinander kooperieren. Unzählige Informationen aus verschiedenen Quellen ergeben jedoch ein gewaltiges Maß an Kontrolle Moskaus über die chinesischen Kommunisten von Anfang an; selbst vor der Revolution unter Mao. Die Chinesen durchliefen russische Ausbildungseinrichtungen und wurden ständig auf ihre Moskautreue hin getestet und notfalls ausgetauscht. Das Geld kam aus Russland, das entscheidende Kriegsgerät und die Militärberater. Nach gelungener Revolution erfolgte die Sowjetisierung Chinas exakt nach den Wünschen Stalins; genauso wie osteuropäische Staaten von Moskau völlig vereinnahmt worden waren. Nach strikter imperialer und geheimdienstlicher Logik hätte Russland die maximale Kontrolle angestrebt und durch eine geheimdienstliche Saturation dauerhaft beibehalten. Nach dem Ende der Sowjetunion ließ man in Osteuropa locker, aber in China und Nordkorea (wo Beria und Stalin höchstpersönlich Kim Il Sung als Marionette installiert hatten) gab es keine Befreiung von der Diktatur. Warum soll ausgerechnet China eine Eigenständigkeit erlaubt worden sein, inklusive Atomwaffen? Warum wird nie auch nur die Möglichkeit gezielt öffentlich angesprochen und untersucht, dass Moskau China komplett kontrolliert seit Mao? Warum gilt die Einschätzung des KGB-Überläufers Anatoliy Golitsyn als die tiefst-mögliche? Man muss die bedeutenden Überläufer gelesen haben, aber sich immerzu dabei bewusst sein darüber, dass jene nie Zugang zu den höchsten Levels an Geheimhaltung hatten, selbst auf ihrer Ebene nur einen Teil der Operationen einsehen konnten, und dass jene nach dem Überlaufen allesamt informationstechnisch abgeschöpft wurden durch westliche Geheimdienste und nur ausgewählte Informationen in den Büchern landen durften. Von echten Enthüllungen erwarten wir, dass tatsächliche Geheimnisse verraten werden und wir wirklich neue Sichtweisen erhalten.

Golitsyn „enthüllt“ lediglich Dinge, die kaum verhüllt waren:

Von Zum Beispiel sagte Stalin im Juni 1944 zu Averell Harriman, dem damaligen US-Botschafter in Moskau, dass die chinesischen Kommunisten keine echten, sondern „Margarine“-Kommunisten seien. Im August 1944 sagte Molotow, der damalige sowjetische Außenminister, Patrick Hurley und Donald Nelson, den beiden persönlichen Vertretern von Präsident Roosevelt in Chungking, dass viele der sogenannten chinesischen Kommunisten einfach verzweifelt arme Leute seien, die diese politische Neigung vergessen würden, wenn sich ihre wirtschaftliche Lage verbessert. Im Sommer 1945 sagte Stalin, der chinesische Kommunismus tauge nicht viel.

Weitere Fake-Zusicherungen, dass chinesische Kommunisten keine echten Kommunisten seien, wurden von der sowjetischen Führung in Potsdam im Juli 1945 und in Moskau im September 1945 verlautbart. Mao habe gleichzeitig öffentlich gelogen, zuwenig Hilfe von Sowjetrussland erhalten zu haben.

Der Autor [Golitsyn] erfuhr von einer sowjetischen Entscheidung, die nach geheimen Verhandlungen mit einer hochrangigen KPCh-Delegation in Moskau im Herbst 1946 getroffen wurde, die sowjetische Militärhilfe für die KPCh zu verstärken; Der sowjetische Generalstab, der militärische Geheimdienst und das Verkehrsministerium wurden alle angewiesen, der kommunistischen Armee Chinas Vorrang einzuräumen.

Für die westlichen Geheimdienste war es ein Kinderspiel, die öffentlichen Aussagen Stalins und Maos zu durchschauen. Golitsyn verrät überhaupt nichts Besonderes und verbreitet darüber hinaus eine verheerende Falscheinschätzung:

Mao wurde von Stalin mitgeteilt, dass die gesamte sowjetische Geheimdienstarbeit in China eingestellt worden sei und dass die Namen ehemaliger sowjetischer Agenten in China dem chinesischen Geheimdienst bekannt gegeben würden.

Russland gab nur ein paar Agenten auf, um den Anschein zu erwecken, China in eine Art Unabhängigkeit zu entlassen. Genauso verrät Golitsyn nur ein paar Belanglosigkeiten, um den Anschein zu erwecken, ehrlich die Beziehung zwischen Russland und China zu beschreiben:

Es wäre völlig falsch, China damals als sowjetischen Satelliten zu betrachten. Das Ausmaß der sowjetischen Infiltration und Kontrolle über die chinesische Partei und Regierung war gering im Vergleich zu dem über die osteuropäischen Satelliten; es war im Großen und Ganzen auf Sinkiang und die Mandschurei beschränkt.

Warum soll es gering gewesen sein? Erstens widerspricht es zahllosen Fakten und zweitens widerspricht es grundlegender imperialer und geheimdienstlicher Logik. Laut Golitsyn wäre Moskau ein gewaltiges Risiko eingegangen, ohne dabei das eigene Investment abzusichern. Völlig fremden Asiaten, aus einer völlig fremden Kultur, mit einer fremden wirtschaftlich-gesellschaftlichen Tradition und Ausgangslage, seien in einem flächenmäßig und bevölkerungsmäßig gigantischen Land an die Macht gebracht worden, in der Hoffnung, dass jene nicht nach kürzester Zeit den Kommunismus links liegen lassen und nur noch das tun, was ihrem neuen Empire nützt.

Golitsyn „enthüllt“, dass Stalin nicht ganz ehrlich gewesen sei und ein paar Agenten und Tarnadressen in China behielt, anstatt jene abzuziehen und/oder gegenüber den Chinesen zu enttarnen.

Die schwerste aller Meinungsverschiedenheiten entstand über den Koreakrieg, den Stalin begann, ohne Mao vollständig ins Vertrauen gezogen zu haben.

Es ist keine simple „Meinungsverschiedenheit“ wenn Stalin vor Chinas Haustür einen Krieg beginnt, die Fäden zieht bei den Nordkoreanern und dann verlangt, dass China auf eigene Kosten hunderttausende wertvolle Truppen bereitstellt und deren Komplettverlust riskiert. Inzwischen wissen wir, dass Mao mit der Sowjetführung (wie üblich) auf einer Linie war und brav die Soldaten mobilisierte. Es ist unklar, ob Stalin wirklich vor dem Koreakrieg den Amerikanischen Beteuerungen geglaubt hatte, die USA habe kein Interesse sich in Asien einzumischen. So oder so war Stalin verantwortlich und chinesische Truppen waren entscheidend. Daten aus offiziellen chinesischen Quellen berichteten, dass die Chinesen während des Krieges 114.000 Todesfälle im Kampf, 34.000 Todesfälle außerhalb des Kampfes, 340.000 Verwundete und 7.600 Vermisste zu verzeichnen hatten.

Golitsyn erzählt eine manipulative Darstellung:

Die Sowjets schlugen vor, dass die Chinesen den Nordkoreanern Truppen zu Hilfe schicken sollten. Wenig überraschend weigerten sich die Chinesen zunächst. Erst nachdem massiver sowjetischer Druck ausgeübt worden war, der in einem geheimen und persönlichen Brief Stalins an Mao gipfelte, erklärten sich die Chinesen bereit, „Freiwillige“ nach Korea zu schicken.
Die sowjetische Wirtschafts- und Militärhilfe für China wurde verstärkt. Am 17. Januar 1955 kündigte die Sowjetregierung an, China beim Aufbau von Kernforschungseinrichtungen zu unterstützen. Später verpflichtete sich die UdSSR zum Bau eines Kernreaktors in China, der bis März 1958 betriebsbereit sein sollte.

Es gab zwar durchaus erhebliche Bedenken bei chinesischen Generälen, aber Golitsyn zementiert hier die Legende, dass Russland und China völlig voneinander getrennte Imperien waren, die ganz und gar nicht begeistert miteinander kooperierten und dass Russland Zuckerbrot und Peitsche in erheblichem Umfang einsetzen musste.

Die frühere Entscheidung, alle ehemaligen sowjetischen Agenten in China gegenüber den Chinesen offenzulegen, wurde ohne Ausnahmen vollständig in Kraft gesetzt.

Vollständig ohne Ausnahmen? Wie kann sich Golitsyn so sicher sein? Er war nur Major im KGB. Es deutet viel darauf hin, dass Russland nur ein paar eigene Agenten enttarnte als symbolische plakative Geste.

Danach entsandte der sowjetische Geheimdienst auf chinesischen Wunsch hin eine Reihe seiner führenden Experten zu Themen wie wissenschaftlicher Aufklärung, dem Eindringen in westliche Botschaften in Moskau, dem physischen Schutz von Nuklear- und Raketenanlagen und der Herstellung von Audioüberwachungsgeräten , und die Durchführung von Sabotage- und Attentatsoperationen. Der Status und die Funktionen der sowjetischen Berater, einschließlich der Geheimdienst- und Sicherheitsberater, wurden zur chinesischen Zufriedenheit geregelt.

Woher will sich der ehemalige KGB-Major so sicher sein? Warum soll China einen Sonderstatus auf Augenhöhe erhalten haben, während in Osteuropa Staaten völlig unter Kontrolle waren? Es ist bekannt, wie viele Säuberungen unter Maos Herrschaft stattfanden und wie praktisch alle bedeutenden chinesischen Revoluzzer russische Ausbildungslager durchlaufen hatten. Es wäre völlig naheliegend gewesen für Moskau, den chinesischen Regierungsapparat zu durchseuchen mit Agenten, die voneinander nichts wissen. Auf diese Weise ließen sich die Verräter im Bezug auf Moskaus Interessen schnell identifizieren und beseitigen. Golitsyn entlarvt kein russisch-chinesisches Täuschungsmanöver, sondern beteiligt sich wissentlich oder unwissentlich an einem russisch-chinesischen Täuschungsmanöver.

Die Rolle der Berater beschränkte sich auf Beratung und Koordinierung. Eine Einmischung in die internen Verwaltungsangelegenheiten der chinesischen Dienste wurde ausgeschlossen. Die Sowjets behandelten die chinesischen Dienste wirklich als gleich im Status, wenn nicht in der Erfahrung.

Schon wieder macht der KGB-Major definitive, umfassende Aussagen mit Worten wie „ausgeschlossen“ und „wirklich“. 1958 soll der neue KGB-Chef Schelepin laut der Darstellung von Golitsyn nach einem China-Besuch dermaßen beeindruckt gewesen sein von den chinesischen Geheimdiensten und deren „geschickten“ Umgang mit Dissidenten, dass er empfohlen hätte, dass der KGB sich davon eine Scheibe abschneidet und von den Chinesen lernt. In Wirklichkeit hatten die Chinesen nur Basis-Training vom KGB erhalten, ohne dass ihnen beigebracht wurde, wie man die russische Kontrolle abschüttelt und Russland ausspioniert. Golitsyn wirft dem Leser ein paar letztendlich wertlose Brocken an Informationen hin, um glaubwürdiger zu wirken:

Mehr als ein Jahr nach dem gemeldeten Abzug sowjetischer Wirtschafts- und Technikspezialisten aus China, im Juli/August 1960, waren zumindest einige der KGB-Berater dort immer noch vor Ort. Ein ehemaliger Kollege und Freund des Autors, der nach China geschickt worden war, um über den physischen Schutz chinesischer Nuklearanlagen zu beraten, hielt sich im November 1961 noch in China auf.

Es ist die größtmögliche Ironie, dass Golitsyn Aufklärung darüber verspricht, dass Russland und China Spannungen zwischen einander vorgetäuscht oder übertrieben hätte, aber letztendlich selbst irreführende Informationen liefert über vermeintliche, erhebliche Spannungen.

Die fehlende Sensibilität von Stalins Umgang mit den chinesisch-sowjetischen und anderen Beziehungen innerhalb des Blocks hätte, wenn sie nicht korrigiert worden wäre, zu einer echten chinesisch-sowjetischen Spaltung analog der Spaltung mit Tito geführt. Tatsächlich wurden aber rechtzeitig die notwendigen Korrekturmaßnahmen ergriffen. Bis Ende 1957 gab es keine offenen Differenzen mehr zwischen den Mitgliedern des Blocks.

Beinahe sei es also zu einer echten Spaltung gekommen, die nur durch „korrekturmaßnahmen“ abgewendet werden konnte. Das ist ebenso absurd, als wenn jemand behaupten würde, es sei beinahe zu einem russisch-polnischen Bruch gekommen wegen Stalins Grobheit, aber nach Stalins Tod hätten die Sowjets die Wogen geglättet zur polnischen Zufriedenheit. Stalin hin oder her; Moskau gab die Linie vor und die anderen Länder hatten zu folgen. Echte Opposition wäre durch die Spionage schnell aufgeflogen.

Golitsyn rattert alle möglichen Scheinbeweise herunter dafür, wie geteilt Russland und China gewesen wären:

Diese inoffiziellen Beweise, viele davon rückblickend, deuteten auf eine Verschlechterung der Partei- und diplomatischen Zusammenarbeit im Jahr 1959 hin, sowie auf eine Beendigung der sowjetischen militärischen und nuklearen Zusammenarbeit in diesem Jahr und auf die Einstellung der sowjetischen Wirtschaftshilfe für China im Jahr 1960 hin.


Ab Ende 1961 tauchten sogar in den offiziellen kommunistischen Quellen Hinweise auf chinesisch-sowjetische Differenzen auf.

Reibereien und Konkurrenzkampf zwischen der sowjetischen und der chinesischen Delegation bei den Treffen internationaler Frontorganisationen wurden auffällig. […] Während der zweiten Periode der Spaltung wurde die Existenz von Differenzen voll anerkannt. Ein angeblicher Versuch, sie beizulegen, wurde unternommen, als eine hochrangige chinesische Parteidelegation im Juli 1963 Moskau zu Gesprächen besuchte. Die Gespräche scheiterten offenbar und es begann eine öffentliche Polemik zwischen den Parteien. Bislang geheime Parteibriefe, die Differenzen zwischen den Parteien offenbarten, wurden in der sowjetischen und chinesischen Presse veröffentlicht. Einige chinesische Diplomaten wurden aus der Sowjetunion ausgewiesen, weil sie Flugblätter verteilt hatten.

Golitsyn ist kein Enthüller, sondern hält sich ziemlich eng an der gewöhnlichen Sichtweise, Russland und China seien separate und zerstrittene Imperien, die sich künftig entweder zusammenraufen können oder eben nicht.

In der dritten Periode, die ungefähr 1969 begann, drückte sich die offensichtliche Verschlechterung der chinesisch-sowjetischen Beziehungen sowohl in Taten als auch in Worten aus. An der chinesisch-sowjetischen Grenze wurden Truppenstärken aufgebaut.
Zwischen den beiden Ländern kam es vor dem Hintergrund gegenseitiger Vorwürfe des „Hegemonismus“ zu Grenzzwischenfällen. China begann öffentlich und systematisch, eine entgegengesetzte Position zur Sowjetunion in Bezug auf die NATO, den Warschauer Pakt, die EWG, die Entspannung, die Abrüstung, die europäische Sicherheit und viele Dritte-Welt-Fragen, einschließlich der sowjetischen Intervention in Afghanistan, einzunehmen.

Dass Russland und China nicht gar ihre diplomatischen Beziehungen abbrachen oder anfingen, aufeinander zu schießen, sondern zähneknirschend nebeneinander vor sich hinlebten, sei quasi das große kommunistische Täuschungsmanöver, dass Golitsyn hier zu enthüllen vorgibt.

Auch der chinesisch-sowjetische Vertrag über Freundschaft, gegenseitige Zusammenarbeit und Beistand wurde nicht aufgehoben. Bis 1980 verpflichtete sich jede Seite, die andere im Notfall zu unterstützen.

Wo genau in Golitsyns Buch wird überhaupt ein nennenswertes Geheimnis verraten?


Warum sollten die sowjetischen und chinesischen Führer die westliche Aufmerksamkeit absichtlich auf die Existenz eines Streits lenken, den sie sich bemühten, vor ihren eigenen Parteien und der Bevölkerung zu verbergen, es sei denn, sie könnten damit ihren gegenseitigen Interessen bei der Förderung ihrer kürzlich vereinbarten langfristigen Politik dienen?

Nach Golitsyns Darstellung wäre aber der Pakt zwischen Russland und China nur ein gewöhnlicher Pakt zwischen zwei völlig separaten Imperien und bekanntermaßen können sich solche Kalkulationen ja ständig ändern, je nachdem was beispielsweise die USA anbieten. Und dann sind wir wieder genau bei den idiotischen Vorstellungen, man könne doch vielleicht Russland mit Zugeständnissen gegen China ausspielen und umgekehrt. Auf genau diesen Vorstellungen basierten die erheblichen Technologieverkäufe der USA an den Ostblock und gewaltiges Appeasement. Auf diesen Vorstellungen basierten auch letztendlich die Probleme, die Deutschland nun hat, nämlich die Energieabhängigkeit von Russland und die Handels-Verstrickungen mit China. Fällt China als Handelspartner aus wegen internationalen Spannungen, würde dies die deutsche Wirtschaft gefährden. Wäre man sich frühzeitig öffentlich darüber bewusst gewesen, dass Russland und China womöglich ein- und dasselbe Empire sind, hätten wir uns nicht so abhängig gemacht.

Golitsyn akzeptiert praktisch jeden einzelnen Punkt angeblicher Inkompatibilität zwischen Russland und China: Das wirtschaftliche Ungleichgewicht über einen langen Zeitraum, die Einstellung von sowjetischen Wirtschaftshilfen, das Scheitern der kommunistischen Ideologie in der Praxis unter Mao, starke kulturelle und historische Unterschiede, und sogar klassicher Streit um Territorium:

Die Geltendmachung nationaler chinesischer Interessen zeigt sich in chinesischen Ansprüchen auf taiwanesisches, indisches und äußeres mongolisches Territorium und in Forderungen nach Revision „ungleicher Verträge“ aus dem 19. Jahrhundert, die bestimmte chinesische Territorien Russland zusprachen. Sowjetisches nationales Selbstbewusstsein zeigte sich in sowjetischen Versuchen, eine Revolte in Sinkiang und unter Stammesgruppen an der Grenze zu China anzuzetteln, und in sowjetischen Beschwerden über chinesische Grenzverletzungen, die sich nach offiziellen sowjetischen Quellen allein im Jahr 1962 auf fünftausend beliefen.

Golitsyn warnt zwar, dass „zu einem späteren Zeitpunkt den kommunistischen Strategen die Option bleibt, die Spaltung zu beenden und die Strategie der geballten Faust zu übernehmen“, aber er fokussiert nur oberflächlich auf die kommunistische Ideologie (die heute in Russland keine nennenswerte Rolle mehr spielt) und betrachtet Russland und China anderweitig als völlig getrennt voneinander.

AlexBenesch
AlexBenesch
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