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Der einzige atomare Krieg, der für die Supermächte Sinn ergibt

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Kommentar

Immer dann wenn das Thema Atomkrieg in die öffentliche Diskussion rückt, wie momentan angesichts der russischen Annexionen in der Ukraine, militärischen Niederlagen und Drohungen, äußern sich Politiker, Journalisten, Think Tanks und diverse Akademiker auf der Basis des immergleichen Quellmaterials: Öffentlich zugängliche oder von der Geheimhaltung befreite Einschätzungen, die meistens mit der RAND Corporation zu tun haben, und keine der wesentlichen Fragen beantworten, wer wann wie warum einen atomaren Krieg führen würde. RAND hat einen dermaßen hohen Stellenwert, dass kürzlich sogar zu Propagandazwecken ein RAND-Bericht gefälscht wurde, laut dem die USA Deutschland schwächen möchten.

Der einzige Sinn der Atomwaffen für die drei Supermächte, ist ein heimliches Kartell untereinander damit abzusichern gegen aufsteigende Konkurrenten. Alles andere würde die Supermächte schwächen bis hin zu dem Verlust ihres Status.

Warum heuerte das Pentagon unter Verteidigungsminister McNamara ab 1961 reihenweise Zivilisten von Organisationen wie RAND an, um Atomkriegsstrategien zu entwickeln? Ging es eher darum, einen Wust aus Text zu produzieren, der die Zivilbevölkerungen der Welt schlicht im Ungewissen lassen sollte? Viele der Strategen („Whiz Kids“) waren eigentlich nur Politikwissenschaftler und Ökonomen. Der berüchtigte William Kaufmann studierte immerhin „internationale Studien“ an Yale und war auch in Princeton tätig, also an den Kaderschmieden des US-Empires. Andere wie Alain Enthoven studierten mit einem Rhodes-Stipendium des britischen Kolonialreichs an Oxford. Der Journalist Fred Kaplan argumentierte in seinem Buch „The Wizards of Armageddon“, dass die zivilen Strategen bestenfalls Theoretiker seien, weil sie sich zu sehr auf quantitative Analysen mit einem Mangel an Daten verlassen, um das unmögliche Szenario eines thermonuklearen Austauschs zu ergründen.

Die schlauesten Köpfe der Elite-Universitäten schlussfolgerten mehr oder minder, dass sich atomare Kriegsführung zwischen der NATO und der Sowjetunion nicht lohnen würde, egal wie man es dreht und wendet. Nicht einer von ihnen konnte, wollte oder durfte logisch weiter forschen zu dem Punkt, an dem die damals noch zwei Supermächte (China wurde erst viel später relevant) ein heimliches Kartell formen sollten, um alle anderen Nationen klein zu halten. Um Eindruck zu schinden, könnte man einen begrenzten atomaren Schlagabtausch, auch bei Stellvertreterkriegen, absprechen und durchführen. Selbst die geringfügige Äußerung solcher Gedanken würde die Karriere eines solchen Think-Tank-Intellektuellen schnell beenden. Dabei handelt es sich um das mit Abstand einzige sinnvolle Szenario aus Sicht der Supermächte. Die Arsenale sind groß genug, um sich notfalls jeden aufstrebenden Konkurrenten oder gar eine Allianz aus Konkurrenten vom Leib zu halten.

Die RAND-Leute dienten eher der Vernebelung statt Aufklärung und zusätzlich gibt es unzählige politische Figuren, Autoren und andere Influencer, die den Mythos der unberechenbaren, verrückten Supermächte aufrecht erhalten, die jederzeit irrationale Entscheidungen treffen könnten. Wladimir Putin sprach kürzlich erst in seiner Annexions-Rede von „Satanismus“ bei den Amerikanern und präsentierte sich in den letzten Jahren immerzu als rationalen defensiven Führer, der gegen durchgeknallte Eliten in Washington kämpfe, die einfach auf Biegen und Brechen unbedingt den dritten Weltkrieg wollen. Umgekehrt setzt die NATO-Sphäre in der Öffentlichkeitsarbeit mantra-artig auf das Narrativ, Putin hätte das alleinige Kommando, sei getrieben von irrationalem Welteroberer-Streben und pfeife darauf, dass er null militärische Erfahrung hat. Die Supermächte, die überhaupt erst durch eiskalte Rationalität und Vorausplanung ihren Status erlangt haben, wollen möglichst unberechenbar wahrgenommen werden.

Supermächte sind eiskalt rational und die mit Abstand rationalste Entscheidung wäre ein heimliches Kartell zu formen. Der nächste gedankliche Schritt, den die Wissenschaftler á la RAND auch nicht gemacht hatten, ist ein rational abgesprochener, begrenzter nuklearer Schlagabtausch, auch mit zwischengeschalteten Proxy-Staaten, um genügend Eindruck zu schinden und das heimliche Kartell unantastbar zu machen. Alle möglichen Bevölkerungen auf der Welt würden sich bei nuklearen Explosionen verängstigt an die USA klammern, an Russlands Regierung oder an China. Jeder Widerspruch würde als Wehrkraftzersetzung gelten.

Eine weitere gängige Verwirrungs-Taktik sahen wir bereits im Jahr 1957 mit Henry Kissingers Buch „Nuclear Weapons and Foreign Policy“, wo mit möglichst kleinen, sogenannten „taktischen“ Atomsprengköpfen innerhalb eines breiten Menus an militärischen Kapazitäten argumentiert wird. Dies löst aber das Dilemma auch nicht, dass ein atomarer Schlagabtausch zwischen tatsächlich verfeindeten Supermächten nicht funktioniert. Feuert die eine Seite zehn kleinere Sprengköpfe auf wertvolle Ziele, feuert die andere Seite zehn zurück. Dies vermindert die konventionellen militärischen Fähigkeiten beider Seiten und demnach steigt der Druck, größere Atomwaffen einzusetzen. Und schon eskaliert die Sache. Beide Supermächte schwächen sich gegenseitig bis zu dem Punkt, an dem sie ihren Status verlieren und an dem konkurrierende Mächte aufsteigen können. Game over.

Auch in der aktuellen Situation mit der Ukraine werden die ganzen Verwirrungstaktiken abgespult: Putin sei verrückt, in die Ecke gedrängt, er werde „taktische“ Atomwaffen einsetzen. Und dann? Ein paar 1-Kilotonnen-Sprengköpfe werden nicht unbedingt die Ukraine zum Aufgeben bewegen. Da die ukrainischen Streitkräfte breit versteilt stehen, müsste man laut diversen Einschätzungen aus der Vergangenheit relativ viele taktische Atomwaffen verschießen. Durch den Fallout und die psychologische Wirkung wäre eine Massenflucht von Ukrainern in die EU die Folge, wichtige Industriebetriebe würden bei Rückzugsbewegungen zerstört werden und so bliebe den Russen nur verbrannte Erde zum Erobern. Die NATO könnte viel mehr rüsten und immer neue taktische Atomwaffen in Europa stationieren. Russland kann finanziell nicht mithalten und irgendwann erfinden die Forscher der NATO-Sphäre dann einen Game Changer in Form eines neuen Raketenschildes.

Taktische Atomwaffen sind praktisch bei manchen Arten von Zielen, aber unpraktisch bei anderen. Nachdem der riesige US-Atomwaffenproduktionskomplex gebaut worden war, wurden Atomwaffen relativ billig und fielen schließlich auf 250.000 Dollar, weniger als ein Jagdbomber, weniger als eine Rakete, weniger als ein Patrouillenboot, weniger als ein Panzer.

Die Ukraine verfügte über genügend Techniker und Ressourcen aus der Atomstromindustrie, um notfalls Atomsprengköpfe zu improvisieren.

Die Atomkanone M65 konnte 280-mm-Atomgranaten auf etwa 20 Meilen abfeuern. Der W9-Sprengkopf, hatte eine Sprengkraft von 15 Kilotonnen – 15.000 Tonnen TNT-Äquivalent. Das ist genug Sprengkraft, um eine mittelgroße Stadt zu zerstören. Als taktische Waffe in den 1950er Jahren wäre das Ziel gewesen, sowjetische Panzer oder Truppenformationen auszuschalten, wie sie im Falle einer sowjetischen Invasion in Westeuropa durch die Fulda-Lücke strömen sollten.

Aber 15 Kilotonnen sind die gleiche Sprengkraft wie die Atombombe, die 1945 mit so verheerender Wirkung auf Hiroshima abgeworfen wurde. General Hans Steyning von Sandrart, Kommandant der NATO Central Front, führte aus:

„Wir hatten einen großen Vorteil. . . . Trotz all seiner Kenntnisse über die NATO konnte sich der sowjetische Generalstab nie sicher sein, unter welchen genauen Umständen wir nuklear werden würden, aus dem einfachen Grund, dass die Mitglieder der NATO selbst es nicht wussten.“

Er war stolz darauf, selbst nicht eingeweiht zu sein und keine Ahnung zu haben. Wenn man diese Informationen selbst hohen Figuren in der NATO und im Warschauer Pakt verheimlicht werden konnten, dann konnte man auch ein Kartell der Supermächte verheimlichen.

Eine ehemals geheime Studie von 1967 spricht über die Schwierigkeiten, mit sogenannten taktischen Nuklearwaffen (TNW) seine Ziele zu erreichen:

Der Einsatz von TNW auf Truppenziele wäre nur wirksam, um den Feind daran zu hindern, große Menschenmassen in konzentrierten Formationen zu bewegen. Solange der Feind Männer in kleinen Gruppen bewegt und Walddeckung nutzt, würde er TNW nur ​​wenige geeignete Truppenziele bieten.

Lohnenswert wäre nur der Beschuss von größeren, wertvollen militärischen Anlagen oder etwa Häfen.


Der Einsatz von TNW in Südostasien wird wahrscheinlich zu einem stark erhöhten langfristigen Risiko von nuklearen Guerilla-Operationen in anderen Teilen der Welt führen.

Man stelle sich vor, die USA hätten in Vietnam mehrere Atomwaffen verschossen ohne allzugroßen Effekt und Guerillas hätten vor Ort atomar zurück gefeuert gegen die großen Militärinstallationen der USA. So ähnlich könnte es für die Russen in der Ukraine laufen.

Einzelne bewegliche Truppen abzuballern mit Atomwaffen ist ineffizient:

Die OREGON TRAIL-Studien zeigten, dass die herausragende Schwierigkeit bei der Verwendung von TNW darin liegt, Truppenziele genau zu lokalisieren und zu treffen, bevor der Standort veraltet ist.

Die Autoren der Studie beklagten, dass ähnliche Studien die Möglichkeit ignorierten, „dass die Verwendung von TNW zweiseitig sein kann“, also dass die Vietcong beispielsweise atomar zurückfeuern könnten. Es wäre hinterher kaum beweisbar gewesen, dass Russland oder China hinter dem nordvietnamesischen atomaren Gegenschlag steckte. Eine ähnliche Situation würde sich ergeben, wenn die Ukraine atomar gegen Russland zurückfeuert und die Russenpropaganda erklärt, die USA hätten Kiew diese Atomwaffen ermöglicht. Die Retourkutsche Moskaus könnte darin bestehen, über den Proxy-Staat Nordkorea einen Partner der USA in Asien atomar anzugreifen.

Auch über Proxy-Staaten und Stellvertreterkriege kann das Grund-Dilemma nicht gelöst werden, dass sich ein echter nuklearer Schlagabtausch zwischen den Supermächten nicht lohnen würde. Nur ein heimliches Kartell lohnt sich und die Führung eines abgesprochenen nuklearen Schlagabtauschs.


Bis 1957 war die US-Armee nach Übungen wie Sagebrush zu dem Schluss gekommen, dass taktische Nuklearwaffen die Verteidigung nicht begünstigten. Darüber hinaus machten die NATO-Übungen deutlich, dass Deutschland durch die Auswirkungen von Explosionen und Fallout verwüstet werden würde, selbst wenn nur begrenzt Atomwaffen eingesetzt wurden.

Ostdeutsche Papiere aus dem Militärarchiv, die die Kommandopostenübung Buria im Oktober 1961 dokumentierten, zeigen das enorme Ausmaß, die Geschwindigkeit und die Zerstörungskraft des erwarteten Atomkrieges. Bei ihrem ersten „strategischen“ Nuklearschlag würden die Streitkräfte des Warschauer Pakts innerhalb von 30 Minuten insgesamt 1.200 stationäre NATO-Ziele (422 in Westdeutschland) mit etwa 400 nuklearen Angriffen auf mobile Ziele wie Truppenkonzentrationen oder Atomwaffen angreifen. Die politische und militärische Führung der Bundesrepublik wäre für 8 bis 10 Tage lahmgelegt.

Die Antwort wäre schnell gekommen:

Die NATO würde 68 Oberflächenexplosionen von Atomwaffen hinter den Linien des Warschauer Pakts zur Detonation bringen, um strategische Reserven zu unterbinden. Insgesamt würden 140.000 km² Strahlung von mindestens 100 Röntgen pro Stunde ausgesetzt. Enorme Zahlen toter, verletzter und strahlenkranker Zivilisten würden militärische und zivile Sanitätsdienste vor unlösbare Probleme stellen. Trotzdem würden die Truppen des Warschauer Pakts nach diesem entscheidenden ersten Austausch nach Paris stürmen und am 10. Tag Calais erreichen.

Die NATO-Übungen „Carte Blanche“ im Jahr 1955 und „Lion Noire“ im Jahr 1957 bestätigten, dass Deutschland durch die Auswirkungen von Explosionen und Fallout verwüstet werden würde, selbst wenn es nur einen unwahrscheinlich begrenzten Einsatz von Atomwaffen gäbe.



AlexBenesch
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