Der britisch-amerikanische Historiker und Ökonom Antony Cyril Sutton (1925 – 2002) zählt nicht zu den stereotypen Verschwörungsautoren, sondern forschte professionell über die Handelsbeziehungen des Westens mit der Sowjetunion und Nazideutschland, sowie über die elitäre Organisation Skull & Bones.
Der verblüffendste Aspekt des vergangenen kalten Kriegs war nicht die Dimension des Wettrüstens oder das (scheinbar) urplötzliche Ende, sondern die durchgehenden Technologieverkäufe des Westens an den Osten. Unter dem vorgeschobenen Motto „Frieden durch Handel“ verkauften führende Westkonzerne so ziemlich alles an die Sowjetdiktatur, was diese brauchte, um konkurrenzfähig zu bleiben: Motorentechnologie, Fahrzeugtechnologie, Flugzeugtechnologie, Schiffstechnologie, Elektrotechnik, Computertechnologie, Industriemaschinen, sogar ganze Fabriken. Das Ausmaß war dermaßen irrsinnig, dass manche Akademiker, Journalisten, Politiker und sogar russische Überläufer und Dissidenten zu protestieren begannen und zunehmend die Vorgänge dokumentierten. Am meisten ragte Antony Cyril Sutton dabei hervor, der von 1968 bis in die 90er Jahre hinein publizierte. Man findet kaum Werke von ihm ins Deutsche übersetzt, abgesehen von „Wallstreet und der Aufstieg Hitlers“ und antiquarische Exemplare von „Der leise Selbstmord – Amerikas Militärhilfe an Moskau“. Englische Originalfassungen von fast allen seinen Werken sind hingegen leicht zu finden. In akademischen Kreisen wurde er weitgehend ignoriert, obwohl ihm keine handwerklichen Fehler nachgewiesen werden konnten, was wenig überrascht, da die Universitäten große Zuwendungen erhalten von Großkonzernen, Stiftungen und Regierungen, die allesamt für die Verkäufe an den Osten mitverantwortlich waren. Größeren Widerhall fand Sutton in bürgerlichen amerikanischen Kreisen und in der Szene der Verschwörungstheoretiker, die eine Weile lang schamlos von ihm abschrieben.
In mühseliger Arbeit dokumentierte er, dass es so etwas wie „sowjetische“ Technologie praktisch nicht gab, sondern dass bis zu 95% der betreffenden Technologien aus den USA und Europa an den Ostblock verkauft worden waren, beginnend im Jahr 1917. Die Tatsachen lassen sich nicht einmal mehr ansatzweise unter den Tisch kehren mit dem Hinweis auf westliche Naivität, Gier, und dem Prinzip „Frieden durch Handel“. Konzerne, deren Besitzer-Clans zu den mächtigsten Kreisen der westlichen Welt zählen, waren daran beteiligt, wie FIAT, Ford, General Motors, Siemens, Standard Oil oder General Electric. Dem amerikanischen Generalstab und der hohen Politik war zu jedem Zeitpunkt bewusst, dass die verkauften Technologien das sowjetische Regime am Leben erhielten und dass immer eine militärische Verwendungsmöglichkeit der gehandelten Waren gegeben war. Sobald man die Tragweite versteht und die Ausreden widerlegt bzw. ignoriert, stellt sich die nächste Frage nach dem Warum. Zunächst fand auch Sutton keine befriedigende Antwort. Er schrieb in „Der leise Selbstmord – Amerikas Militärhilfe an Moskau“:
„Die nackte Wahrheit ist, dass der Handel mit der Sowjetunion von 1917 bis heute der westlichen offenen Gesellschaft einen Feind erster Größe aufgebaut hat. Um u.a. dessen Drohung begegnen zu können, muss der amerikanische Steuerzahler jährlich 80 Milliarden Dollar aufbringen.
[…] Dann müssen wir uns darüber klar sein, dass sowohl die Sowjetunion als auch China der Welt einen allgemein geglaubten Frontalaspekt kräftiger, sozialistischer und lebensfähiger Gesellschaften präsentieren konnten, weil ihnen ständig westliche Technologie eingespritzt wurde. Sie sind technologisch lebensfähig, weil wir diese Lebensfähigkeit unterhalten. Diese Subventionierung ihres Systems durch den Westen hat ihnen zwei grundlegende Stoßrichtungen ermöglicht: Sie konnten eine Politik ununterbrochener Expansion betreiben, und sie stellten sich als ideologisches Wunschbild für Subversive und Staatswirtschafts-Anhänger in der Welt hin, die den Westen zu dem bekehren wollen, was sie „progressive sozialistische Mustergesellschaften“ nennen.
Die äußerste Linke in Portugal, Italien und Frankreich, ihre Ableger in Afrika und die übrigen extremen Linkselemente hätten kein Fernziel mehr, keinen Grund, für ein „besseres“ System zu kämpfen, wenn der Westen in der Sowjetunion und in China – dem natürlichen Lauf der Dinge entsprechend – die Schwächen und technischen Mängel klarer hervortreten ließe. Schließlich wird ein Revolutionär mit einiger Selbstachtung kaum für ein ineffizientes und rückständiges System kämpfen.“
Schließlich erhielt Sutton den Nachlass von der Tochter eines Mitgliedes der verschlossenen amerikanischen Organisation „Skull & Bones“. Im Endeffekt entdeckte Sutton, dass es sich um ein zynisches Meisterstück der strategischen Geopolitik handelte, bei dem ein Feind geschaffen wurde, der zu groß war, um ihn mit den Begrenzungen eines Rechtsstaates zu bekämpfen. Die sowjetische Bedrohung taugte als überzeugendes Argument für die Zentralisierung von Macht, eine gigantische Rüstung und weitreichende Geheimoperationen. Nach dem Ende des Kalten Krieges fiel das sowjetische Rüstungsbudget schlagartig um 96% und die USA begnügten sich bis zum Jahr 2014 mit einem „Krieg gegen den islamischen Terror“. In diesem Zeitraum gab man den Russen genügend Luft zum Verschnaufen, zur Reorganisation und zum erneuten Rüsten. Und genau wie früher gab es nach 1991 massive Hilfen des Westens in Form von Krediten und Technologielieferungen, darunter ganze Ausbildungszentren für Soldaten. Das Ergebnis ist, dass die US-Regierungen heute erneut die Spannungen eines kalten Krieges benutzen können, alternativ auch einen Weltkrieg gewinnen würden oder aber schlicht mit Russland und China eine gemeinsame Weltregierung bilden werden. Eigentlich ist die Arbeit von Sutton heute wichtiger denn je und vor allem seine Methodik sollte verstärkt zum Einsatz kommen, allerdings ist die Verlagswelt nach wie vor stark in den Händen der Großkonzerne und Regierungen, die möglichst wenig Aufmerksamkeit wünschen für die höchst peinlichen Handelsbeziehungen. Auch aus den Werken der Verschwörungstheoretiker-Szene ist Sutton nahezu vollkommen verschwunden, da überall die Russenpropaganda Einzug gehalten hat und Russland unbedingt weitere Technologie aus dem Westen braucht. Moskau will nicht zugeben, wie stark man vom Westen abhängig ist seit 100 Jahren und wie man eventuell einer Weltregierung beitreten wird. Es ist nicht überraschend, dass die Russland-Propaganda die Thematik totschweigt, allerdings schweigen auch die bekannten Russland-Kritiker von den großen Verlagen.