2008 hörte kaum einer von den Spekulationen über Putins angeblicher Kindheit in Georgien als unehelicher Sohn, den keiner haben wollte und der mehrfach hin und hergeschoben wurde. Die Liebesbeziehung zwischen EU und russischer Föderation war auf dem Höhepunkt. Und noch weniger Menschen hörten von den ominösen Todesfällen von investigativen Reportern, die mit dem Fall zu tun hatten sowie allerhand Druck, der hinter den Kulissen ausgeübt wurde.
2015 weht ein anderer politischer Wind. Putin nützt den westlichen Eliten nach Jahren des Kuschelkurses inzwischen als Feind weitaus mehr. Jetzt, Jahre zu spät, gräbt die elitäre ZEIT die Story auf einmal aus und zahlreiche andere Publikationen machen es ähnlich.
Außerdem gibt es Aufmerksamkeit für einen ehemaligen Kommilitonen Putins der kein gutes Haar an dem Mann lässt: Eine blasse, untalentierte Motte, unter dem Durchschnitt, mit psychischen Problemen, der eine lahme Karriere beim KGB hinlegte und in seinem einzigen Auslands-Auftrag hauptsächlich Gäste bewirtete.
Was kommt als nächstes? Die alten Gerüchte um homosexuelle Eskapaden aus Geheimdienstkreisen, die von Alexander Litwinenko verbreitet wurden?
Putin hatte seinen Abschluss gemacht am Andropow-Institut und sprach fließend deutsch, trotzdem wurde er zuerst im Inland eingesetzt um ein bisschen herumzuschnüffeln, was eine ziemlich auffällige Peinlichkeit darstellte. Laut Litwinenko existierten kompromittierende Videobänder, bevor Putin selbst zum Geheimdienstchef wurde und eine Säuberungsaktion startete.
All diese Dinge sind nur Hörensagen und informierte Spekulation. Es ist bekannt, dass Putin jeden Tag Stunden mit dem Lesen von internationalen Zeitungsberichten verbringt. Wenn also große westliche Blätter auf einmal solche Stories bringen, dann dient das nicht nur dazu, Putins künstlichen Personenkult zu torpedieren, sondern es soll Putin auch direkt provozieren.
Ironischerweise ist das historische Vorgehen westlicher Eliten ein deutliches Zeichen dafür, dass Putin tatsächlich zumindest instabil und hochgradig narzisstisch ist. Denn West-Eliten fördern gerne Diktatoren mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung, so wie Stalin, Hitler oder Saddam Hussein. Immer stammen diese aus einfachen, völlig zerrütteten Verhältnissen, gelangen mit westlicher Hilfe zu Macht und Ämtern. Denn solche Figuren sind vorhersehbar, provozierbar und destruktiv. Pflegt man zunächst einen solchen Diktator, hat man später eine Bedrohung, vor der man die Welt retten kann.
Putin rechtfertigte die militärische Besetzung der gesamten Krim-Halbinsel mit der Begründung, die russisch-sprachigen Bevölkerungsanteile schützen zu wollen. Schäuble erklärte dazu:
„Das kennen wir alles aus der Geschichte. Solche Methoden hat schon der Hitler im Sudetenland übernommen – und vieles andere mehr.“
Die Schlagzeilen waren garantiert, die krasse Parallele hatte ein diplomatisches Nachspiel.
Der zunehmend irre gewordene Kriesgveteran Hitler übernahm nach einem langen Marsch durch die Institutionen ein militärisch stark geschwächtes Deutschland, das aus dem ersten Weltkrieg als Verlierer hervorgegangen war. Das Deutsche Reich war seit 15 Jahren tot, der Parlamentarismus zerrissen und unpopulär. Ein kurzer Ausflug in den „Kapitalismus amerikanischer Prägung“ war vorbei. Als der Kalte-Kriegs-Veteran Putin die Zügel in Russland in die Hand nahm, lag der Kollaps der Sowjetunion gerade einmal zehn Jahre zurück, statt der kommunistischen Einheitspartei regierte ein unpopulärer Parlamentarismus. Ein kurzer Ausflug in den „Kapitalismus amerikanischer Prägung“ war vorbei.
Hitler und seine NSDAP benötigten vor der Machtergreifung einen dramatischen Vorfall, um bei den Wahlen über einen bestimmten Schwellenwert hinaus zu gelangen und nachher Stück für Stück jede Freiheit zu begraben. Diesen Vorfall besorgte man mit dem Reichstagsbrand selbst. Es gelang im Folgenden, den Wahlkampf der Opposition zu gängeln und das gewünschte Wahlergebnis zu bekommen. Die Deutschen hatten bald einen „Führer“ an Stelle eines Politikers auf Zeit.
Putin war ein Wackelkandidat, dem niemand eine lange Karriere in der Politik vorhersagte. Dann geschah eine Serie von Bombenanschlägen auf Wohnblocks im Jahr 1999 in Russland, bei denen über 300 Menschen ums Leben kamen. Gemäß der offiziellen russischen Ermittlungsergebnisse waren die Täter tschetschenische Separatisten. Einige Indizien deuteten eher auf eine Verstrickung des russischen Geheimdiensts FSB hin. Der Versuch einer unabhängigen parlamentarischen Untersuchung wurde von der russischen Regierung blockiert und verlief ergebnislos. Die Anschläge machten Putin zu einem Polit-Superstar, lieferten den Vorwand für den zweiten Tschetschenienkrieg, welcher die unabhängige Republik beendete und war der Anlass, den letzten Rest Freiheit in Russland zu beenden. Tausende Zeitungen, einige Fernsehsender, Radiosender und jede Menge Webseiten wurden dicht gemacht.
Hitler nutzte die windelweiche Appeasement-Politik der Briten und Amerikaner bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs aus. Der Vertrag von Versailles, der die deutsche Rüstung und die Streitkräfte massivst begrenzte, wurde ungeschoren mit allen Mitteln umgangen. Hitler schloss Österreich an, das Sudetenland, das Memelland, sowie das Protektorat Böhmen und Mähren, bevor dann der Polenfeldzug begann. Die NSDAP war wie besoffen von den Anfangserfolgen und verteilte in Gedanken schon die Beute nach dem Endsieg wie etwa Teile der Ukraine, Weißrusslands, Rusland, die Krim, Teiles des Baltikums, die französische Kanalküste und sogar Gebiete bis an die Grenzen Mittelasiens.
Gegenüber Putin übten sich die Westmächte seit 1999 in einer windelweichen Appeasement-Politik. Man sah zu, wie verlorene ehemalige Sowjetgebiete wie Tschetschenien rücksichtslos zurückerobert wurden. Nach der Annexion der Krim diesen Jahres folgten ein paar mickrige Sanktionen aus dem Westen. Putin hat die Möglichkeit, militärisch die Ukraine zu überfallen und eine Marionettenregierung einzusetzen. Weitere osteuropäische Nationen könnten überfallen oder anderweitig in die „Russische Föderation“ eingegliedert werden. Man träumt von einem eurasischen Großreich bis zur Atlantikküste Portugals.
Hitler erhielt vor dem Krieg erstaunliche Hilfen aus Amerika und Großbritannien. Die deutsche Wirtschaft und insbesondere die Kriegswirtschaft war angewiesen auf Patente und Kredite. Die AEG war eine Unterabteilung von General Electric, IG Farbens Partner kamen aus Amerika. Rockefellers Standard Oil lieferte wichtige Industrieverfahren. Die Liste ist endlos.
Putin fand im Westen Käufer für Gas und Öl, mit den Erlösen ließ sich dringend benötigte Technologie kaufen. Russische Investoren durften trotz KGB-Vergangenheit ihr Geld im Westen vermehren, Kapital floss von West nach Ost. Die heutigen russischen Oligarchen bunkern ihr Vermögen im Ausland. Laut der russischen Zentralbank liehen sich die Russen 732 Milliarden $ aus dem Ausland. Wenn das westliche Establishment Putins expandierendes Großreich so sehr fürchtet, weshalb hat man dann in den vergangenen 15 Jahren alles getan, um Russland auf die Beine zu helfen?
Das nächste Kapitel
Hat das angloamerikanische Establishment in Wirklichkeit Russland genau da, wo man es haben möchte? Diktatorisch regiert, auf gnadenlose Expansion aus, militärisch stark aber wohl nicht stark genug. Der zweite Weltkrieg reanimierte damals die halbtote amerikanische Wirtschaft und räumte das gesamte Konzept des Nationstaats aus dem Weg zugunsten des Globalismus. Für Russland gibt es heute kaum noch einen Weg zurück. Es regiert nicht nur Putin sondern eine ganze Reihe an irren Fanatikern, die sich nicht mit dem Status Quo als sterbliche Kleinmilliardäre zufriedengeben. Durch eine taktische Mischung aus Provokationen und leicht zu ergatternden Beutestücken wie die Krim lässt Russland sich dazu verleiten, ein monströses Riesenreich zu bauen, welches unmöglich zu verteidigen und zu bezahlen ist. Je mehr Erfolge Putins Oligarchen feiern und der Westen sich schwach stellt, umso mehr werden die Russen den Bezug zur Realiät verlieren.
Nach dem ersten Weltkrieg half der Westen den russischen Bolschewisten mit allem was benötigt wurde, um imperialistisch zu herrschen. Russland heute denkt, es hätte die Kontrolle. Anscheinend ist dies nichts anderes als Selbsttäuschung. Wird die Ukraine Putins Polenfeldzug?