Die Organisation Wikileaks, die seit ihrer Gründung verschiedenste Geheimdokumente der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat, steckt tief in der Krise und viele der anonymen Mitarbeiter machen direkt Gründer Julian Assange und dessen Führungsstil für die Probleme verantwortlich.
Am 10. Juli erfuhren Wikileaks-Insider, dass Assange die seit vielen Wochen brachliegende Webseite wikileaks.org nicht wieder in Stand setzen wolle. Stattdessen soll eine völlig neue Seite entstehen die in Island gehostet wird; genaue Angaben machte er jedoch nicht. Es bleibt abzuwarten, wieviel Rückhalt er unter den Wikileaks-Mitarbeitern noch genießt und wie viele ihn weiterhin unterstützen. Einige gaben mit ihrer Kritik einen bislang beispiellosen Einblick in die geheimnisumwitterte Organisation und ihre Struktur.
Autokratie
Es heißt, Wikileaks werde autokratisch geführt von Julian Assange, er allein entscheide über die Verwendung von Geldmitteln und über die Glaubwürdigkeit von zugespielten Dokumenten. Das Netzwerk aus rund 800 anonymen Mitarbeitern wirft der „Ein-Mann-Band“ Assange nicht nur vor, dringend benötigtes Geld veruntreut und unnötigerweise den Betrieb der Seite unterbrochen zu haben, sondern bezweifelt inzwischen auch die Motivation des Gründers und seine politische Objektivität.
Der Fall Manning
Assange betonte immer wieder, wie viel Wert man auf den Schutz der Quellen lege, die sich in große juristische Gefahr begeben und in manchen Fällen auch ihr Leben aufs Spiel setzen. Wikileaks-Insider bemängelten jedoch die fehlende Transparenz und die Nachlässigkeit innerhalb der Organisation, was Sicherheitsmaßnahmen betrifft.
Im Fall Bradley Manning, so die internen Kritiker, wäre nun offensichtlich geworden wie machtlos die Organisation ist wenn es darauf ankommt, ihre Quellen zu schützen nachdem jene enttarnt wurden. Dem Unteroffizier der US Army wird vorgeworfen, das Video eines Helikopter-Angriffs in Bagdad von 2007 an Wikileaks weitergeleitet zu haben, bei dem Zivilisten und Reporter fälschlicherweise als Aufständische identifiziert und beschossen wurden. Manning hätte dies dem ehemaligen Computer-Hacker Adrian Lamo in Online-Chats anvertraut, der wiederum bei den Behörden Alarm schlug. Zwei Monate nach der Veröffentlichung des Videos durch Wikileaks und einer ausgedehnten Berichterstattung in den Massenmedien wurde Manning im Juni in Bagdad verhaftet. Ihm wird darüberhinaus vorgeworfen, über 150.000 geheime Kommunikationen beschafft und manche davon weitergegeben zu haben. Bei einer Verurteilung in allen Anklagepunkten erwarten ihn zwischen 50 und 70 Jahren Haft, so der Sprecher der US Army Lt Col Eric Bloom.
Assange hat bestätigt, dass Wikileaks Manning kein Team aus Anwälten zur Verfügung gestellt hat und dass niemand von Wikileaks sich mit Manning während seiner Haft in Kuwait getroffen hätte. Nichtsdestotrotz waren E-Mails mit einem Spendenaufruf kursiert, in denen 50.000$ als Ziel ausgeschrieben waren. Es gab keinen Einwand von Seiten des Advocate General Office gegenüber zivilen Anwälten bei der Verteidigung Mannings, Wikileaks müsste jedoch für die Kosten aufkommen, denn pro bono möchte bislang kein Anwalt und keine Kanzlei den Fall übernehmen.
Finanzierung
Gewöhnliche Spenden, so die Wikileaks-Insider, seien zu gering und zu unzuverlässig um die Finanzierung der Organisation zu gewährleisten. Stattdessen sprangen lange Zeit Großspender ein, die inzwischen allerdings alle ihre Zahlungen eingestellt haben. Jüngst entging Wikileaks die Summe von 537.000$ von der Knight Foundation und die zahlreichen unbezahlten „Fußsoldaten“ machen Assanges Management und die fehlenden Nachweise für hohe Ausgaben dafür verantwortlich. Wikileaks-Aktivisten betonen, dass 200.000 $ bereitgestanden hätten für den Unterhalt des Projekts und trotzdem monatelang der Betrieb eingestellt war. Die bloße Bereitstellung der unter speziellen Sicherheitsvorkehrungen gehosteten Seite mitsamt den bisherigen Inhalten, sowie den angeblich existierenen tausenden weiteren explosiven Dokumenten, sei mit 55.000$ für ein ganzes Jahr möglich.
Laut internen Schätzungen von Wikileaks hätte der laut offiziellen Angaben „unbezahlte Freiwillige“ Assange in wenigen Monaten über 225.000 $ an persönlichen Ausgaben verbraucht, ohne dass der Rest von Wikileaks irgendwelche Kontrolle darüber ausüben konnte.
Zukunft
Ab dem 30. März dieses Jahres mietete Assange ein Haus in Island und editierte zusammen mit u.a. der Politikerin Birgitta Jonsdottir das berüchtigte Video des Helikopterangriffs in Bagdad. Andere Wikileaks-Aktivisten kritisierten das Sicherheitsrisiko der Kungelei mit den Politikern sowie die Entscheidung, nicht das uneditierte Video zu veröffentlichen sondern stattdessen eine Schnittfassung, die eine politische Voreingenommenheit zeige. Man fürchtet die Abhängigkeit von einer linkssozialistischen Partei und das Ende des Grundsatzes, neutral zu veröffentlichen und es dem Publikum zu überlassen sich seine Meinung zu bilden. Assange habe den Plan gefasst, die isländische Staatsbürgerschaft anzunehmen und in dem „Datenfreihafen“ Island seine neue Plattform aufzuziehen. Es bleibt abzuwarten, wie viele seiner alten Kollegen ihn dabei unterstützen werden.
Quelle: Cryptome