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Wie viele taugliche Soldaten kann Putins neue „Teilmobilisierung“ überhaupt hervorbringen?

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Kommentar

Russland hat angesichts drastischer Verluste an Gebieten und Truppen in der Ukraine eine Teilmobilmachung der eigenen Streitkräfte angeordnet, beginnend an diesem Mittwoch. Betroffen seien Bürger, die „sich derzeit in der Reserve befinden“, was nach Verteidigungsminister Sergej Schoigus Rechnerei 300.000 Menschen sind. Besonders beeindruckend soll die Phrase klingen, dies sei nur „rund ein Prozent der 25 Millionen Reservisten“. Auf dem Papier gibt es so viele Männer, die weder Kinder noch untaugliche Rentner sind, aber genauso könnte die Ukraine Millionen Männer in Uniformen stecken und irgendwelche Waffen für jene organisieren Ein solcher konventioneller Krieg würde auch nur zu einer Materialschlacht und einer Abnutzungsspirale führen.

Die 300.000 Mann werden vor dem Fronteinsatz noch einmal militärisch geschult, heißt es. Zusätzlich sollen die bereits eroberten Regionen per Fake-Refenrendum zu russische Territorium erklärt werden. Putin warf dem Westen vor, Russland atomar zu erpressen, was eine seltsame Aussage ist, die niemand nachvollziehen kann. Es wurde implizit auch mit chemischen und biologischen Waffen gedroht, die aber auch von der ukrainischen Seite improvisiert werden können. Die Folgen für Russlands Militär wären verheerend.

Darüber hinaus verabschiedete das russische Parlament am Dienstag ein Gesetz, das die Konzepte „Mobilisierung“ und „Kriegsrecht“ in das russische Strafgesetzbuch einführte. Besonders bestraft werden künftig Desertion, Ungehorsam und Umgehung des Militärdienstes. Es ist bekannt, dass Soldaten oder Wehrpflichtige sich bisher ständig mit Gefälligkeitsattesten von korrupten Ärzten freikaufen.

Der Gesetzentwurf führte auch Gefängnisstrafen für das Versäumnis ein, Waffen an die Armee zu liefern, wie es in staatlichen Verträgen vorgeschrieben ist. Die gravierenden Produktionsmängel lassen sich damit nicht wie durch Zauberhand beheben, aber vielleicht die Korruption soweit eindämmen, dass nicht mehr alles Mögliche gestohlen und unterschlagen wird.

Mit Schmiergeld und den entsprechenden Kontakten ließ sich in Russland der Wehrdienst bisher vermeiden, oder zumindest sicherstellen, dass jemand in einer angenehmen Einheit landet. Durch die Korruption werden junge Wehrdienstleistende immer wieder als billige Arbeitskräfte von Offizieren weitervermietet.

Die russischen Medien deckten zeitweise die entsetzlichen Bedingungen in den Streitkräften auf, darunter schwere Unterernährung und schlechte medizinische Versorgung, die manchmal zum Tod und zu dauerhaften Verletzungen von Wehrpflichtigen führten. Journalisten lieferten auch lebhafte Beschreibungen der Verzweiflung der Wehrpflichtigen, die zu oft zu Selbstmord, häufigen Desertionsversuchen und Fahnenflucht führten, und sogar Amokläufen, um nicht zu ihrer Militäreinheit zurückkehren zu müssen.

Als Strafe für das Rauchen einer Zigarette in seiner Kasernentoilette das russische Wort für „Schwanz“ mit einer Rasierklinge in die Stirn geritzt zu bekommen, brachte das Fass zum Überlaufen für den Gefreiten Artyom Pakhotin. Zwei Wochen später, am 19. April 2018, erschoss er sich während des Drill-Trainings seines Zuges in der Ural-Region Swerdlowsk mit einer AK-74.

https://www.themoscowtimes.com/2020/02/17/decade-after-military-reform-hazing-plagues-russian-army-a69309

Im November 2019 erschoss ein 20-jähriger Wehrpflichtiger acht seiner Kameraden in der Stadt Gorny im Fernen Osten des Landes und sagte, er habe als Vergeltung für Mobbing und eine Vergewaltigungsdrohung gehandelt.

Teils aufgrund der Unbeliebtheit der Wehrpflicht und teils aufgrund der sich verschlechternden Gesundheit der russischen Jugend können die Rekrutierungsbehörden in vielen Städten in ganz Russland die Einberufungsquoten nicht erfüllen, und viele der Eingezogenen wurden als in einem schlechten Gesundheitszustand beschrieben.

Schlechte Gesundheit hat in den letzten Jahren jedes Jahr etwa 50 Prozent der jungen Männer Russlands für den Militärdienst disqualifiziert. Ein Beamter des Verteidigungsministeriums sagte, dass auf 400.000 diensttaugliche junge Männer etwa 600.000 junge Männer kommen die für untauglich erklärt werden.

Ein nicht identifizierter russischer Abgeordneter sagte der Moscow Times, Verteidigungsminister Sergej Iwanow habe in einer Rede vor der Staatsduma gesagt, die im Herbst 2001 eingezogenen jungen Männer seien ein „erbärmlicher Haufen, der von Drogenabhängigkeit, psychischen Problemen und Unterernährung gekennzeichnet sei. Statistiken des Verteidigungsministeriums zeigen, dass jeder zweite Wehrpflichtige vor seinem Dienstantritt ein Alkoholproblem hatte und dass jeder vierte Drogenkonsument war.

Die absolute Mehrheit der Wehrpflichtigen aus armen und sozial benachteiligten Familien stammt, die nicht über die Mittel verfügen, den jungen Mann für eine bezahlte Ausbildung anzumelden oder ihm ein falsches Zertifikat zur Zurückstellung zu kaufen. Sind reguläre russische Truppen überdehnt, muss die Reserve ran. Das ist aber das nächste Problem.

Es gibt reichlich Vorräte an Waffen und Fahrzeugen, um Reserveeinheiten auszurüsten; Arbeitskräfte und Bereitschaft sind hingegen die Hindernisse für eine russische operative Reserve. Obwohl es auf dem Papier über 900.000 Veteranen gibt, die möglicherweise in den Dienst zurückgerufen werden könnten, kann Russland derzeit eine aktive Reservetruppe von nur 4.000 bis 5.000 Soldaten aufbieten. Weniger als 10 Prozent der Wehrpflichtigen absolvieren in den fünf Jahren nach Beendigung des aktiven Dienstes eine Auffrischungsschulung. Das Verteidigungsministerium räumte 2015 ein, dass der Aufenthaltsort von Ex-Soldaten nicht effektiv verfolgt wird, was eine gezielte Mobilisierung unpraktisch macht.

https://www.csis.org/blogs/post-soviet-post/best-or-worst-both-worlds

Ehemalige hochrangige russische Beamte und Analysten, die 2017 von der RAND Corporation befragt wurden, wiesen einstimmig die Vorstellung zurück, das russische Militär sei geeignet dafür, große Landkriege mit gleichrangigen Konkurrenten zu führen. Das Jahrzehnt der Reform und Modernisierung hat es dem Militär nur ermöglicht, begrenzte Expeditionsoperationen durchzuführen.

AlexBenesch
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