Der Amerikaner Eustace Mullins ist am bekanntesten für sein Buch „The Secrets of The Federal Reserve” über die amerikanische Zentralbank. Über seinen Bildungshintergrund ist nur bestätigt, dass der an der New York University ein Sommersemester verbracht hatte. 1942 trat er dem Militär bei und kämpfte bei der Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg in einer gewöhnlichen Position ohne Zugang zu besonderem Geheimmaterial. Im Jahr 1949 stieß er auf den verschrobenen Dichter Ezra Pound, der in der geschlossenen Psychiatrie saß und empfahl, in der Kongressbibliothek nach den Hintergründen der Zentralbank Federal Reserve zu suchen. Zu dem Zeitpunkt gab es bereits mehrere Traktate zu dem Thema von fragwürdiger Qualität und die Wahrscheinlichkeit ist recht hoch, dass Mullins sie gelesen hat. Später arbeitete er bei der Library of Congress und näherte sich dem berüchtigten Kommunistenjäger Joseph McCarthy an, dem er auch Material aushändigte über die Finanzierung des Kommunismus durch westliche Banken. 1952 erschien dann sein Buch über die Federal Reserve und in den Folgejahren veröffentlichte er auch absurde Artikel, die u.a. Adolf Hitler lobpreisten. Das Komitee für unamerikanische Umtriebe, das hauptsächlich Kommunisten jagte, listete ihn deshalb prompt als Neo-Faschist. 1956 behauptete er in einem Gerichtsprozess, diese provokanten Texte gegen eine versprochene Bezahlung in Höhe von 25.000$ im Auftrag der American Petroleum Industries Committee (APIC) verfasst zu haben. Weil die Zahlung ausblieb, wollte er vor Gericht das Geld einklagen, hatte damit aber keinen Erfolg. Später arbeitete er bei der antisemitischen Zeitung Common Sense und ähnlichen Publikationen wie etwa denen von Willis Carto. Wer war dieser mysteriöse Ezra Pound? Ihm war Landesverrat vorgeworfen worden wegen seiner Unterstützung für Hitler und Mussolini und er landete in Kriegsgefangenschaft unter unmenschlichen Bedingungen. Zwei seiner Bekannten veröffentlichten das Buch von Mullins, das wiederum als Inspiration diente für andere Autoren. Nicht nur die Zentralbank war für ihn eine jüdische Angelegenheit, sondern auch die kommunistische Revolution und der Verfall der westlichen Zivilisation. Er brachte diesen Geist leider in die amerikanische Milizbewegung hinein, die sich immer weiter entfernte von der verfassungskonformen Legitimität. Da Mullins an der Library of Congress arbeitete, hatte er Zugriff auf Berge von interessanten Daten und konnte damit eine der ersten ausführlichen, kritischen Studien über die Zentralbank erstellen. Die vorherigen Zentralbanken der USA waren ein Desaster gewesen und vernichteten bei ihrem Untergang viel Wohlstand von Bürgern und deshalb überraschte es nicht, dass bereits im Vorfeld der Schaffung der Federal Reserve größte Bedenken von verschiedenen Seiten vorgebracht wurden. Deshalb vermieden die Regierung und die Großbanken dann auch aus naheliegenden Gründen, die neue geplante Zentralbank auch Zentralbank zu nennen, sondern wählten stattdessen den Namen „Federal Reserve“. Mullins filterte aus den Aktenbergen der Library of Congress relevante Informationen heraus und glich diese dann ab mit Sachbüchern über Bankhäuser und auch mit (schlechter) Verschwörungsliteratur. Gleich zu Beginn von „The Secrets of The Federal Reserve” prahlt Mullins, dass seine Forschungen an der Library of Congress angeleitet wurden von dem prominenten Akademiker George Stimpson, „Mitbegründer“ des National Press Club. Hierbei hat Mullins wohl die Bedeutung von Stimpson übertrieben. Der National Press Club hatte unter anderem US-Präsidenten zu Gast wie Theodore Roosevelt, die ja auch mit der „American Defense Society“ verbunden war, die die Veröffentlichung der „Protokolle von Zion“ in den USA finanziert hatte. Vorsitzender der „American Defense Society“ war ein Mitglied der Geheimorganisation Skull&Bones. Der erste US-Präsident, der den National Press Club besuchte, war William Howard Taft, ebenfalls Mitglied von Skull & Bones.1 Es ist zwar nicht belegbar, dass Bones oder ein klassischer, angloamerikanischer Geheimdienst Mullins direkt beeinflusst hatte bei der Arbeit für sein Buch, aber das angloamerikanische Imperium hatte bereits seit langer Zeit viel Desinformation über Verschwörungen in Umlauf gebracht und damit Mullins indirekt beeinflusst. Kein Wunder, dass Mullins die Zentralbank Federal Reserve gemäß den Märchen über die jüdische Weltverschwörung interpretierte. Das Buch wurde in den folgenden drei Jahrzehnten mehrfach aktualisiert und neu aufgelegt, wobei er auch zeitweise finanzielle Unterstützung erhielt von dem ultrakonservativen, extrem reichen texanischen Ölbaron Haroldson Lafayette Hunt, dessen Leben als Inspiration diente für die TV-Sendung „Dallas“ und die Figur J. R. Ewing.2 Hunt stiftete das „Facts Forum“ für antikommunistische Radio- und Fernsehprogramme, förderte die Kampagne von Senator Joseph McCarthy, finanzierte die rechte Southern Baptist Convention, den Ku Klux Klan und die ultrarechte John Birch Society. Er war befreundet mit dem Faschisten Edwin Walker, mit dem Franco-Berater General Charles Willoughby sowie mit dem texanischen Ölmilliardär Clint Murchison, der laut dem Historiker Anthony Summers u. a. George Lincoln Rockwell und dessen American Nazi Party finanzierte. Hunt finanzierte auch das Cuban Revolutionary Council, eine von der CIA und der Amerikanischen Mafia getragene Organisation paramilitärischer Exilkubaner. 1956 wurde die gesamte deutschsprachige Auflage von Secrets of the Federal Reserve vom Verfassungsschutz beschlagnahmt und verbrannt, was Mullins natürlich propagandistisch ausschlachtete. In seinem Buch untersuchte Mullins eine Reihe von Bankhäusern, die an der Entstehung der amerikanischen Zentralbank beteiligt waren und behauptete dann, dass selbst die ganzen nicht-jüdischen Banken darunter letztendlich nur den Befehlen der Rothschilds aus England gehorchten. Und genau an dieser Stelle schaltete Mullins um auf eine Märchenstunde. Nicht nur fabulierte er über eine Weltherrschaft der Rothschilds und erklärte alle nicht-jüdischen Banken von Belang pauschal zu inoffiziellen Filialen der Rothschilds, sondern er verschwieg dem Leser auch noch die Wahrheit darüber, wie die Rothschilds 100 Jahre zuvor vom britischen Imperium aufgebaut worden waren:
„Was John Moody nicht wusste oder seinen Lesern nicht sagte, war, dass die mächtigsten Männer in den Vereinigten Staaten selbst einer anderen Macht, einer fremden Macht, gegenüber verantwortlich waren, einer Macht, die seit ihrer Gründung unermüdlich versucht hatte, ihre Kontrolle über die junge Republik der Vereinigten Staaten auszuweiten. Diese Macht war die finanzielle Macht Englands, deren Zentrum der Londoner Zweig des Hauses Rothschild bildete“.
Mullins lieferte keinen Beweis für seine Rothschild-These, sondern schrieb stattdessen hanebüchenen Unfug wie zum Beispiel, dass die britische Zentralbank „Bank of England gleichbedeutend gewesen sei mit dem Namen von Baron Nathan Mayer Rothschild.“ Wahrscheinlich hatte Mullins diese falsche Vorstellung von älteren Verschwörungsbüchern einfach abgeschrieben, ohne sie zu überprüfen. Nathan hatte weder die Bank of England kontrolliert, noch entspricht der Waterloo-Mythos der Wahrheit, laut dem Nathan mit ein wenig Trickserei an einem Tag so viel Gewinn an der Börse machte, dass er die totale finanzielle Dominanz erlangte. Mullins drehte seinem Publikum also die altbekannte, lächerliche Geschichte an, dass die Rothschilds nur eine einzige Generation nach den Krämer-Tagen von Mayer Amschel im elenden Frankfurter Judenghetto mal einfach so die Macht über das britische Empire und über die USA übernahmen, während die nichtjüdischen Eliten nur dumm aus der Wäsche glotzten. Nicht ein einziges Mal stellt Mullins die Frage, ob die Rothschilds Strohmänner der britischen Krone gewesen sein könnten. Die von Mullins aus diversen Büchern zitierten Verbindungen zwischen Rothschild und dem amerikanischen Bankhaus J.P. Morgan sind zwar interessant, aber in dem verbohrten Denken von Mullins können jüdische Banker immer nur die absoluten Drahtzieher und Marionettenspieler sein, niemals einfach nur Partner oder Strohmänner. Harold Stanley, Mitglied der Geschäftsleitung des Morgan Guaranty Trust, gehörte der Organisation Skull & Bones seit 1908 an. Auch die nichtjüdischen Rockefellers waren tief in J.P. Morgan involviert. Mullins bringt natürlich das berüchtigte Fake-Zitat, das irgendjemand mal Nathan Rothschild angedichtet hat:
Es ist mir egal, welche Marionette auf den Thron Englands gesetzt wird, um das Reich zu regieren, in dem die Sonne niemals untergeht. Der Mann, der die Geldmenge Großbritanniens kontrolliert, kontrolliert das Britische Empire, und ich kontrolliere die britische Geldmenge.
Hätte Nathan wirklich große Macht an sich gerissen zum Nachteil der britischen Krone, und hätte er gleichzeitig solche Sprüche geklopft, wäre er ziemlich bald von bewaffneten Leuten des Königs aus dem Bett gezerrt und mitgenommen worden. Aber in Mullins‘ Fantasiewelt sind Juden immer die Marionettenspieler und nie die Marionetten.
Später veröffentlichte G. Edward Griffin sein Buch „Die Kreatur von Jeykill Island“ über die Zentralbank Federal Reserve, in dem er offensichtliche Mythen über jüdische Verschwörungen vermied. Damit war das Werk anschlussfähiger und vermittelbarer als das von Mullins.
Drei amerikanische Zentralbanken
Klassische Verschwörungsautoren glorifizieren die US-Gründerväter maßlos, obwohl jene bereits frühzeitig korrupte Zentralbanken implementierten. Des Griffin beispielsweise beschreibt in seinem Buch „Die Absteiger“ (Original: Descent into Slavery, 1980, Emissary Publications) die 13 Kolonien in Amerika in schillernden Farben und spricht von Fleiß, moralischem Rückgrat und „dynamischen Führungspersönlichkeiten“. Die britische Krone hätte dann versucht, die Kontrolle über die Reichtümer der Kolonien an sich zu reißen und wurde daraufhin aus Amerika vertrieben von George Washington und seinen Revoluzzern. Später, so beklagt Griffin, hätten bösartige Kräfte die wundervollen USA schleichend infiltriert und zersetzt.
Da in der gängigen Verschwörungsliteratur ohnehin alle möglichen Staatsstreiche und Revolutionen jüdischen Verschwörern angedichtet wurden (mit Ausnahme der Amerikanischen Revolution versteht sich), ließ sich dementsprechend ein Narrativ konstruieren, wie die USA von der scheinbaren frühen Paradies-Phase degenerierten zu dem Zustand des 20. Jahrhunderts, wo gierige Oligarchen die Menschen ausbeuteten. Juden, mit ihrer schier unendlichen, geradezu magischen Fähigkeit zur Subversion, hätten schleichend einen Staatsstreich geschafft in Amerika, ohne dabei nennenswert aufgehalten zu werden. Indem man die jüdische Subversion so überzeichnet, werden die amerikanischen Patrioten hingegen regelrecht als minderbemittelte Trottel dargestellt.
Über den Strohmann Nicholas Biddle wollten die Rothschilds angeblich Ende der 1820er und in den 1830er Jahren in den USA „ihre“ Zentralbank verteidigen, was US-Präsident Andrew Jackson aber heldenhaft verhindert hätte. Jackson sei der strahlende Held des Guten gewesen; die Zentralbank „Second Bank of The United States“ hingegen der Hort satanischer Juden. Die US-Regierungen waren aber von Anfang an bankrott gewesen. Die “Second Bank of the United States” war 1816 nicht von bluttriefenden teuflischen Juden geschaffen worden, sondern von US-Präsident James Madison, einem der Gründerväter der USA, der noch direkt als Berater von George Washington gedient hatte. US-Präsident James Monroe, der im Unabhängigkeitskrieg gekämpft hatte, ernannte Nicholas Biddle als Chef der Zentralbank. Biddles Familie war in hohem Umfang an der Revolution beteiligt gewesen und Nicholas diente danach in einer Diplomatenfunktion.
Der Vorläufer der „Second Bank of the United States“ war die „First Bank of the United States”, die noch unter der Administration von Präsident George Washington geschaffen worden war. Die Second Bank war kein Vehikel einer jüdischen Weltverschwörung, sondern einfach ein korrupter Saftladen, der die Wirtschaft destabilisierte. Präsident Jackson war kein Gegner von Zentralbanken allgemein, sondern nur ein Gegner der Second Bank, weil sie zu chaotisch und ein Selbstbedienungsladen war. 20% der Bankenanteile waren im Besitz der amerikanischen Bundesregierung, der Rest verteilte sich auf 4000 Privatinvestoren, von denen 1000 Europäer waren. Ein paar hundert reiche Amerikaner besaßen den Großteil der Anteile. Präsident Jackson zog die Regierungsgelder aus der Second Bank of the United States ab und verringerte die Staatsschulden auf null, was zwar respektabel war, ihn aber nicht zum strahlenden Ritter machte im Kampf gegen eine vermeintliche jüdische Weltverschwörung. Die Attentatsversuche gegen ihn werden in der Verschwörungsliteratur den Rothschilds zugeschrieben, ohne dass es dafür irgendeinen Beweis gibt.
Alexander Hamilton, der für die erste amerikanische Zentralbank mitverantwortlich war, wurde in der Verschwörungsliteratur als Rothschild-Agent beschrieben, weil er jüdische Wurzeln hatte und seine Frau Elizabeth Schuyler irgendwie mit den Rothschilds verwandt gewesen sein soll. Es gibt aber keine ansatzweise überzeugende, nähere Verbindung zwischen Schuyler und den Rothschilds. Die Verschwörungsliteratur versucht konstant den falschen Eindruck zu erwecken, Gier und Verschlagenheit seien bei Juden besonders ausgeprägt. Zentralbanken seien prinzipiell die Vehikel von Juden. Die erste Zentralbank der USA war noch zu einem hohen Anteil im Besitz von britischen Investoren. Damals dominierten die Rothschilds im britischen Privatbanking, aber es gab auch sehr große nichtjüdische Bankhäuser und wir müssen beachten, dass der winzige Rothschild-Clan von dem mächtigen Adelshaus Hessen-Kassel und dem mit Hessen-Kassel eng verwandten britischen Thron aufgebaut worden war. Das sogenannte Rothschild-Geld war wahrscheinlich Geld des Adels und die Rothschilds dienten als Mittelsmänner, um die Herkunft des Geldes zu verschleiern.
Nathan Rothschild wird immer wieder in der Verschwörungsliteratur zitiert mit der Drohung, er werde die USA in einen Krieg verwickeln, wenn die US-Zentralbank nicht weiter bestehen darf. Nathan hätte dann den Briten „befohlen“, Amerika 1812 anzugreifen. Für diese Zitate wurde noch nie eine glaubhafte Quelle geliefert und wir können davon ausgehen, dass es sich um eine Erfindung handelt.
Quellen:
[1] http://www.press.org/about/history/timeline
[2] The New Hate: A History of Fear and Loathing on the Populist Right, Seite 140