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Neue Aussage: Stephan Ernst hätte keine Mordabsicht gehabt, Lübcke sei versehentlich erschossen worden

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Bild: Shutterstock.com

Stephan Ernst macht neue Aussage beim Lübcke-Fall: Sein Kumpel Markus H. sei dabei gewesen, man habe Lübcke gar nicht umbringen, sondern nur einschüchtern wollen. Da hätte sich leider ein Schuss gelöst. Je nachdem, was die Forensik sagt, und was Markus H. sagt, könnte diese Strategie funktionieren. Die Hürden für eine Mordanklage, geschweige eine Verurteilung, sind sehr hoch.

Autoren der WELT erzwangen per Gericht Auskunft darüber, was über den mutmaßlichen Lübcke-Attentäter Stephan Ernst in einem Bericht des hessischen Verfassungsschutzes steht, der ursprünglich 120 Jahre lang geheim bleiben sollte, weil er den NSU-Fall und den V-Mann-Führer Temme berührt, der zur Tatzeit im Internet-Café eines NSU-Mordes zugegen war. Ergebnis: Stephan wird im Abschlussbericht zur Aktenprüfung von 2013 an 11 Stellen genannt. Das ist auffällig viel, wenn man bedenkt, dass Stephan angeblich seit Ewigkeiten nichts mehr mit der Szene zu tun hatte.

Der Bericht gibt Auskunft über die Jahre 1992 bis 2012 und durfte nur in stark geschwärzter Fassung in einem Geheimraum von Mitgliedern des hessischen NSU-Ausschusses gelesen werden.

Stephan Ernst könnte 2016 versucht haben, einen irakischen Asylbewerber mit einem Messer zu töten. Hatte das Landesamt für Verfassungsschutz Informanten, die Auskunft über Ernst geben konnten oder gegeben haben? War der Lübcke-Mord, der noch nicht vor Gericht nachgewiesen wurde, eine Kurschlusshandlung von Ernst oder ein Plan, der anderen Szenegängern bekannt war? Selbst an den Standards des Verfassungsschutz gemessen wäre es grotesk gewesen, Ernst selbst als Informanten anzuwerben.

Ab Frühjahr 2010 habe der Verfassungsschutz laut der eigenen, offiziellen Darstellung das Interesse an Ernst verloren. Warum? Bekannt ist, dass einem der Spitzel von V-Mann-Führer Temme, einem gewissen Gärtner, ein „Stephan“ in der Szene geläufig war. Das Gericht hat festgestellt, dass die Presse kein Recht hat zu erfahren, was genau in den Berichten zu den Personen Ernst, Temme und Gärtner.

Gärtner, alias “Gemüse” berichtete 2002, dass vier Rechtsextreme, darunter seiner Ansicht auch der spätere mutmaßliche Lübcke-Mörder Stephan Ernst und Mike S., sich in “Kassel, Holländische Straße / Ecke Henkelstraße“ getroffen hätten, um eine Wohnung von Linksextremisten anzugreifen.

Nur 60 Meter entfernt befindet sich das Haus, in dem rund vier Jahre später Halit Yozgat in dessen Internetcafé erschossen wurde, einer der umstrittensten Morde, die dem Nationalsozialistischen Untergrund zugerechnet werden. Zur Tatzeit befand sich in dem Internetcafé der Agentenführer des hessischen Verfassungsschutzes Andreas Temme, der sogar als Tatverdächtiger galt.

2002 hatte Temme die Führung des Spitzels Gemüse übernommen, also nur kurz nach dem Überfall auf die Wohnung von Linksextremisten, und er erstellte nicht von jedem Treffen mit dem Spitzel einen Bericht.

Die Anwälte der Familie des ermordeten Yozgat haben den Verdacht, der NSU habe nicht alleine gehandelt, sondern Helfer aus dem rechtsextremen Millieu hätten das Internetcafé vor dem Mord observiert und zum Tatzeitpunkt abgesichert. Es ist noch nicht einmal gesichert, wer eigentlich geschossen hat.

War Ernst wirklich so nahe an dem Yozgat-Internetcafé an einer Aktion gegen Linke beteiligt? Hatten er und seine Kameraden vier Jahre später mitgeholfen beim Mord an Yozgat? Es klingt immer noch weit hergeholt, aber wenn die Behörden zumindest den Eindruck erwecken können, dass Ernst mehr weiß, als er zugibt, würde er zusammen mit seinen Kameraden wirken wie ein Support-Netz für die Terrororganisation NSU. Die Behörden wollen neue Befugnisse zur Terrorbekämpfung und die alten Gesetze aus RAF-Tagen erweitern. Einer Terrorgruppe kann man so viel schneller zugerechnet werden, auch wenn man sich nur in räumlicher und ideologischer Nähe befindet.

Ernst beteuerte in seinem inzwischen zurückgezogenen Geständnis, er sei ein psychisch labiler Einzeltäter gewesen. Die rechtsextreme Szene erlitt durch den Lübcke-Mord einen gewaltigen Image-Schaden. Ernst war längst kein aktiver Kämpfer mehr, aber sein Waffenlieferant und seine Kontakte aus der Vergangenheit wirken nun wie das, was der Regierung und den Massenmedien sehr gelegen kommt, nämlich wie der Arm eines Nazi-Oktopus, bei dem der Kopf nicht unbedingt weiß, wo die Arme als nächstes zuschlagen werden.

Der Rechtsextreme Mike S. war zwischen 2000 und 2006 sehr aktiv, angeblich in einer Gruppe namens “Sturm 18” im Zusammenhang mit “Blood & Honour” und eine Art Mentor für den späteren mutmaßlichen Lübcke-Mörder Stephan Ernst. Nach Ernsts Verhaftung solidarisierte sich S. auf Facebook mit Ernst.

S. wiederum traf sich häufig mit Thorsten Heise, einem Urgestein der rechten Szene, der heute die Nummer zwei in der NPD ist. Heise hatte Kontakte mit dem V-Mann Tino Brandt, der den Thüringer Heimatschutz aufbaute und es gibt bis heute den Verdacht, Björn Höcke von der AfD hätte unter Pseudonym in Heises Magazinen veröffentlicht.

Markus H., der Stephan Ernst laut Anklage die Waffe besorgte mit der später der Lübcke-Mord begangen wurde, kennt ausgerechnet Halit Yozgat, das vermeintliche NSU-Opfer. Markus’ Sohn sei mit Yozgat befreundet gewesen.

Interessante Querverbindungen, aber dennoch kreist letztendlich alles um die Rolle von Temme und anderen Führungsfiguren im rechten Netzwerk wie Thorsten Heise.

Wenn Temme den Mord an Yozgat begangen hätte, wäre dies eine absurde Dummheit gewesen, denn Temme war regelmäßiger Gast des Internetcafés und hätte nicht ausschließen können, dass bei der Tat Zeugen hereinplatzen. Jeder andere Tatort wäre besser gewesen. Die These von Temme als Mörder ergibt nicht viel Sinn. Die alternative These, basierend auf einem Telefonmitschnitt, lautet dass Temme von dem Mordplan zumindest informiert gewesen sei und sich deshalb in dem Internetcafé aufgehalten hätte. Genauso stellt sich hier die Frage, warum Temme regelmäßiger Gast dort war, anstatt einfach aus sicherer Distanz das Internetcafé von außen zu beobachten. Die neueste These, dass auch noch weitere Neonazis beteiligt gewesen seien und das Internetcafé irgendwie abschirmten, ist es zwar wert, untersucht zu werden, aber angesichts der Menge an V-Personen stellt sich dann wieder die Frage, warum der Plan nicht vorher aufflog.

AlexBenesch
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