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Görings NSA: Die unbekannte Geschichte des größten Geheimdienstes der Nazis

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»Forschungsamt des Reichsluftfahrtministeriums«? Das klingt doch harmlos – ein Amt, dass sich im Auftrag des Luftfahrtministeriums um Forschung im Bereich der Luftfahrt kümmert. Oder? Doch schon, wenn man einen kurzen Moment weiterdenkt, stellt man sich vielleicht die Frage, wer damals noch gleich
Luftfahrtminister war: Hermann Göring. Sollte dieser machtbesessene Mann, der Jahre lang der zweite Mann im Nazi-Staat war und Ämter und Funktionen anhäufte wie kein anderer der braunen
Spitzenfunktionäre, sich wirklich mit harmloser Forschung zufriedengeben? Eigentlich kaum vorstellbar.
Wer skeptisch ist, liegt schon mal ganz richtig. Denn tatsächlich war der Name Forschungsamt des Reichsluftfahrtministeriums ein Tarnname für etwas ganz Anderes. Zugegeben, ein sehr geschickt gewählter Tarnname. Denn obwohl sich die Zentrale mitten in Berlin befand und hier täglich hunderte, wenn
nicht tausende Mitarbeiter ein- und ausgingen, und obwohl das Amt offiziell im Telefonbuch der Reichshauptstadt verzeichnet war und sogar einen eigenen Poststempel hatte, war den Menschen
damals völlig unbekannt, was sich hinter den Mauern des großen Gebäudekomplexes in Berlin-Charlottenburg verbarg: ein technisch höchst modern ausgerüsteter Geheimdienst, der eigentlich alles und jeden überwachte – die eigenen Bürger, die Funktionäre des Dritten Reiches, ausländische Diplomaten und
Staatsmänner, in- und ausländische Wirtschaftsunternehmen, Filmstars und natürlich die Militärs – und zwar sowohl die eigenen als auch die anderer Staaten. Selbst Adolf Hitler und Hermann Göring konnten nicht sicher sein, dass ihre Telefongespräche von den Lauschern vom Amt nicht mitgehört wurden. In diesen Fällen handelte es sich allerdings um Beifänge, das heißt, eigentlich wurden Personen abgehört, die mit Hitler oder Göring telefonierten. In solchen Fällen wurde die Lauschaktion sofort abgebrochen (manchmal ließ Göring allerdings bewusst seine Gespräche mit bestimmten Personen aufzeichnen und als
Protokoll zu Papier bringen). Aber unterhalb dieser Ebene war niemand vor dem Forschungsamt sicher. Propagandaminister Joseph Goebbels hätte ein Lied davon singen können, wenn er denn gewusst hätte, dass er eine Zeit lang massiv abgehört wurde und dass es dabei um intimste Dinge ging – und in diesem
Fall kam der Anstoß dazu mindestens von Göring, wenn nicht von Hitler selbst. Tatsächlich war das Amt weder ein Forschungsamt noch hatte es faktisch irgendetwas mit dem Reichsluftfahrtministerium
zu tun. Es war ein Macht- und Herrschaftsinstrument in den Händen Hermann Görings; er konnte das Amt nutzen als seinen ganz persönlichen Geheimdienst. Ohne Göring ging hier gar nichts, ohne seine Zustimmung durfte niemand überwacht werden – aber er konnte andererseits jeden überwachen lassen,
bei dem er das für sinnvoll hielt. Soweit das heute nachzuvollziehen ist, dürfte es in der ersten Zeit des Dritten Reiches, als es vor allem darum ging, die Macht der Nationalsozialisten durchzusetzen
und zu festigen, auf diesem Feld seine Hauptaufgaben gehabt haben. Später ging es dann mindestens genauso um die Diplomatie, die Außenpolitik und die Wirtschaft, bevor es dann im Krieg weitere Aufgaben übernahm. Welche Rolle aber spielte nun dieses Forschungsamt tatsächlich? Welche Bedeutung hatte es? Und warum haben sich Historiker bis auf zwei Ausnahmen nie darum bemüht, einen Lichtschein auf diese Einrichtung, die bewusst im Dunklen agierte, zu werfen? Um mit dem letzten Punkt anzufangen: Historiker
brauchen Akten – und genau diese Akten gibt es zum Forschungsamt nicht mehr. Oder es gibt sie vielleicht doch, aber dann liegen sie gut verborgen in irgendwelchen Archiven in Washington und / oder Moskau. Die Mitarbeiter des Amtes bekamen in den letzten Wochen des Dritten Reiches den Befehl, alle Akten möglichst zu vernichten. Nichts sollte davon übrigbleiben, die Erkenntnisse und Kenntnisse des Forschungsamtes
sollten in den Feuern verbrennen, die an den verschiedenen Standorten, an die die Mitarbeiter geflohen waren, angezündet wurden. Dieser Vorgang erinnert frappierend an den Versuch der DDR-Staatssicherheit,
alle ihre Spuren zu vernichten, als die DDR unterging. Wie weit das Vorhaben allerdings auch umgesetzt
werden konnte, ist fraglich. Ob nicht die Rote Armee Material – und zwar in großen Mengen – fand und nach Moskau abtransportierte, ist durchaus nicht geklärt. Das gilt ebenso für die Amerikaner. Sie veröffentlichten zwar einen kleinen Aktenbestand – dabei handelte es sich allerdings um Protokolle von Verhören ehemaliger Amts-Mitarbeiter, nicht um Original-Akten. In solchen Akten könnten durchaus für die Amerikaner peinliche Dinge stehen, denn die deutschen Lauscher drangen bis in die allerhöchste Spitze vor: Präsident Roosevelt und Englands Premier Churchill (das gelang allerdings der Forschungsstelle der Reichspost, die nach dem Vorbild des Forschungsamtes aufgebaut wurde und in diesem Buch mit eigenem Kapitel bedacht
ist). So oder so: Bis auf einen minimalen Rest von Originalakten, die sich vor allem im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes befinden, stehen Historikern also fast keine originalen Unterlagen zur Verfügung. Hinzu kommen ein paar ganz wenige Erinnerungen von ehemaligen Mitarbeitern des Amtes (die als Quelle vorsichtig anzufassen sind). Schließlich äußerte sich Hermann Göring zum Forschungsamt zunächst gegenüber den US-Ermittlern, die ihn im Sommer 1945 verhörten und dann während des Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg. Doch alles in allem ist das äußerst wenig. Dieser Mangel an belastbaren Unterlagen dürfte der Grund dafür sein, dass das Forschungsamt bislang in der historischen Forschung so völlig unterbelichtet ist. Denn wer sich mit einem Thema beschäftigt, für das es so wenig Material gibt, begibt sich automatisch aufs Glatteis. Doch darf das ein Grund sein, sich überhaupt
nicht mit dieser wichtigen und mächtigen Institution des Dritten Reiches zu beschäftigen? Absolut nein. Auch, wenn der fehlende Bestand an Unterlagen zwangsläufig zu Spekulationen führen muss, wenn viele Fragen und Löcher bleiben, ist es nicht unzulässig, wenigstens das zusammenzutragen, was möglich
ist. Wenn man sich anschaut, bis in welche entlegensten Forschungsecken die Historiker in Sachen Nationalsozialismus und Drittes Reich inzwischen vorgedrungen sind, bleibt es erstaunlich,
dass ausgerechnet der größte Geheimdienst der braunen Diktatur bislang so stiefmütterlich behandelt wurde.

Zwei Ausnahmen unter der unübersehbar großen Schar der Historiker, die sich mit dem Dritten Reich befasst haben, gibt es. Die eine ist der britische Historiker David Irving. Er veröffentlichte 1989 das Buch Das Reich hört mit. Görings »Forschungsamt «: Der geheimste Nachrichtendienst des Dritten Reiches1. Zu jener Zeit galt Irving noch als seriöser Historiker und nicht als der Holocaust-Leugner, als der er heute gesehen wird. Allerdings ist auch in diesem Buch, eine Tendenz, Teile des NS-Regimes ein Stück weit reinzuwaschen, unübersehbar. Es stellte einen eindeutigen Versuch dar, das Forschungsamt als eine ganz normale Einrichtung darzustellen, wie sie andere Staaten auch hatten – und übernahm damit auch die Darstellungsweise beispielsweise von Hermann Göring. Diese normale Institution war das Amt natürlich nicht, weil es für eine menschenverachtende und brutale Diktatur arbeitete und nicht als Instrument
einer demokratisch gewählten Regierung, die zudem an Recht und Gesetz gebunden ist. Man muss dieses revisionistische Buch also mit allergrößter Vorsicht lesen (neu aufgelegt wird es offenbar nicht mehr). Aber Irving konnte Archivmaterial in Washington einsehen und verarbeiten und außerdem mit ehemaligen
Mitarbeitern des Forschungsamtes sprechen und deren Aussagen nutzen. Leider ist oft nicht nachvollziehbar, inwieweit es sich bei solchen Äußerungen ebenfalls um eher revisionistische
Darstellungen handelte und inwieweit Irving kritisch nachfragte oder überhaupt dazu gewillt war. Aussagen aus diesem Werk werden daher für das vorliegende Buch mit Bedacht und Vorsicht verwendet. Bei dem zweiten Buch handelt es sich um den Band … und lauschten für Hitler. Geheime Reichssache: Die Abhörzentralen des Dritten Reiches des Historikers Günther W. Gellermann, das zwei Jahre
nach Irvings Buch, also 1991, erschien. 2 Irgendwelche rechten und revisionistischen Tendenzen
sind bei Gellermann nicht zu finden, und so stellt sein Werk den ersten wirklich ernstzunehmenden Versuch da, die Geschichte des Forschungsamtes aufzuarbeiten. Auch Gellermann konnte Archivmaterial in Washington einsehen – also weitgehend Verhörprotokolle – und mit einstigen Mitarbeitern sprechen. Er
erweiterte das Thema zudem sinnvollerweise auch auf die Forschungsstelle der Reichspost.
Einen durchschlagenden Erfolg in dem Sinne, dass sich andere Historiker für das Thema interessierten oder sich das Bewusstsein für die Existenz dieses Amtes in der interessierten Öffentlichkeit durchsetzte, hatten beide Bücher nicht. Schon das rechtfertigt es, das Thema in einer Zeit, die durch den NSA-Skandal und die Enthüllungen Edward Snowdens mit allen Nachwirkungen stark sensibilisiert ist, neu aufs Trapez zu
bringen (wenngleich auch klar ist, dass so einiges aufgebauscht wurde und sich viele Behauptungen von Medien und kritischer Öffentlichkeit zumindest nicht nachweisen ließen3). Außerdem sind inzwischen ein paar neue Materialien hinzugekommen. Das gilt unter anderem für das Manuskript War Secrets in the
Ether. Parts I und II4. von Wilhelm F. Flicke. Bei Flicke handelte es sich um einen ehemaligen Mitarbeiter des Forschungsamtes, der diese Einrichtung nach dem Krieg sehr kritisch sah und ein Buchmanuskript
verfasste, in dem es auch um das Forschungsamt ging. Die gerade gegründete National Security Agency –
besser bekannt unter ihrem Kürzel NSA – ließ das Manuskript übersetzen, von ihren Experten studieren – und dann jegliche Veröffentlichung verbieten. Es durfte fortan nur intern kursieren. Auf dem Deckblatt wurde ausdrücklich betont: »Dieses Dokument enthält Informationen die nationale Verteidigung
der USA betreffend unter dem Aspekt des Spionagegesetzes, Titel 18, Abschnitte 793, 794 und Titel 50, Abschnitte 46, 46a und 46b. Seine Übertragung oder die Preisgabe seines Inhalts in jeglicher Art an eine nicht autorisierte Person ist durch das Gesetz verboten«. Die NSA sah in dem Werk vor dem Hintergrund
des Kalten Krieges eine Gefahr für die Nationale Sicherheit der USA; die sowjetischen Sicherheitsbehörden sollten über seinen Inhalt nichts erfahren. Die Einstufung als »Geheim« wurde tatsächlich erst am 29. Januar 2014 offiziell aufgehoben (wenngleich das Manuskript schon viel früher in Buchform kursierte; ob die deutsche Ursprungsfassung noch existiert, ist dem Autor unbekannt). Daneben gab die NSA auch einige weitere, ehemals als »Top Secret« eingestufte Unterlagen heraus und stellte sie ins Internet. Dabei handelte es sich um Protokolle von Vernehmungen ehemaliger Mitarbeiter des Forschungsamtes, insbesondere
um einen zusammenfassenden Bericht der Army Security Agency (ASA), der im September 2008 freigegeben wurde (ähnliche Materialien zu anderen deutschen Nazi-Diensten gab sie ebenfalls frei).
Anhand dieser neuen und der schon zuvor verfügbaren Materialien sowie verstreut zu findender Erinnerungen an und Hinweise auf das Forschungsamt stellt dieses Buch einen neuen Versuch da, sich der Arbeit und der Bedeutung dieser Institution zu nähern. Dass dieser Versuch trotz der weiterhin
mageren Quellenlage sinnvoll und nötig ist, werden die folgenden Seiten zeigen. Denn eins sei vorweggenommen: Görings Forschungsamt spielte eine viel größere Rolle im Dritten Reich,
als bislang angenommen.

 

AlexBenesch
AlexBenesch
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