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Blame game und Wurstsemmel: Rezension von „Stunden der Entscheidung: Angela Merkel und die Flüchtlinge“ im ZDF

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Schuld waren immer die anderen. So kann man das Framing, die Grundbotschaft des großen ZDF-Films „Stunden der Entscheidung: Angela Merkel und die Flüchtlinge“ zusammenfassen. Die große Produktion mit Schauspielern, aber auch echten Aufnahmen von damals und neu geführten Interviews, „rekonstruiert die Ereignisse“, wird behauptet. Das ist ungefähr so, als würde man behaupten, „Vom Winde verweht“ rekonstruiert akkurat den amerikanischen Bürgerkrieg.

Thomas de Maizière, seinerzeit Innenminister, mault in seinem trockenen, passiv-aggressiven Ton sofort über Besserwisser, die meinen, alles vorher besser hätten abschätzen zu können, und gibt damit das Framing der ganzen Sendung vor, also der künstliche Rahmen innerhalb dessen man sich bewegt: Die kritischen, unzufriedenen Bürger seien zu blöd, zu uninformiert und zu herzlos.

De Maizière beschuldigt auch in einem Seitenhieb elegant und indirekt die SPD und andere Parteien, wenn er sagt, es war schwierig, die notwendigen Mehrheiten zusammenzubekommen. Verdammte Demokratie aber auch! Er absolvierte das Young Leader Program des American Council on Germany, ein Partnerprojekt der deutschen Denkfabrik Atlantik-Brücke, die zurückgeht u.a. auf John J. McCloy, der Mussolini und Hitler  Kredite verschafft hatte, bevor er später dann als Experte für Spionageabwehr galt. Mit im Gepäck für die Faschisten hatte McCloy damals noch die spendable Morgan-Bank, die Rockefellers, DuPont, General Motors, IBM und Ford. Schließlich musste man ja I.G. Farben mit aufbauen.

De Maizière und die anderen hatten genug Zeit, vorab auf das Flüchtlings-Problem zu reagieren. Der Syrienkrieg und die Revolutionen in Nordafrika boten eine ewig lange Vorwarnzeit und wenn ich mich nicht irre, warnten die Geheimdienste Monate vorher schon, dass Deutschland die Kapazitäten fehlen für den kommenden Ansturm. Die CDU hätte öffentlich die Absicht bekunden können, die Grenzen notfalls zu schließen und nur ein Kontingent der Flüchtlinge aufzunehmen und nicht in Dimensionen von 1 Million pro Jahr. Merkel hätte die Hände falten und den Plan als alternativlos bezeichnen können. Hätte die SPD gemeutert, hätte man es auf einen politischen Showdown ankommen lassen müssen.

Desweiteren versucht es der Film mit Empathie, also mit der Schilderung der üblen Zustände, die unter den Flüchtlingen herrschten in Budapest und anderswo. Ohne natürlich zu erklären, wie es unter den Augen der EU überhaupt zum Syrienkrieg kommen konnte und zu Revolutionen in Nordafrika. Unter Merkel kauften wir ein gefühltes Vierteljahrhundert lang Russengas, mit dessen Profit das Putin-Regime überhaupt erst in Syrien groß eingreifen konnte. Merkels Atlantiker-Freunde hingen auf der anderen Seite des Konflikts mit drin.

Man castete beim ZDF gut aussehende Schauspieler mit perfektem Deutsch, die die syrischen Flüchtlinge mimen. Man traute sich nicht, weniger attraktive Schauspieler zu benutzen, die syrisch sprechen mit deutschen Untertiteln und ihre Frauen mit Kopftüchern zurechtweisen. Die Schauspielerin von Merkel macht (unter Regieanweisung) einen auf obersympathische, scherzende Staatsführerin mit etwas Decorum einer wohlwollenden Königin.

Orban ist der rechtsextreme Bösewicht, der die Flüchtlinge so schlecht behandelte, damit sie weiter nach Deutschland reisen. Ungarn ist aber nicht Österreich. Deutschland hat keine Grenze zu Ungarn, sondern zu Österreich.

Man habe sich mit Frankreich doch vorher auf Verteilungs-Quoten für Flüchtlinge geeinigt, wird gejammert in einem nachgestellten Meeting mit der Kanzlerin. Die Franzosen haben sich offenbar nicht dran gehalten. Aber gerade auch deutsche Politiker müssen wissen, dass unverbindliche Versprechungen von Politikern generell nichts wert sind.

Gerald Knaus, der Einflüsterer von Merkel aus einem mächtigen Think Tank, schlaumeiert: Eine europäische Verteilung der Flüchtlinge war unrealistisch, praktisch nicht umsetzbar. Wie passt das zusammen mit der Szene, in der es im Merkel-Meeting heißt, dass man sich naiv und blind auf die Zusagen der Franzosen und anderer Staaten verlässt?

Die simple Message lautet: Flüchtlinge werden von einer uneinheitlichen Politik zerrieben, weil die EU noch keine Allmacht hat und deshalb traf die Kanzlerin die humane, alternativlose Entscheidung, die Grenzen zu öffnen. Garniert mit Kriegs-Aufnahmen aus Syrien, Bootsflüchtlingen, Kindern und toten Kindern.

Der berüchtigte BAMF-Tweet wird angesprochen, der so interpretiert wurde, dass die Dublin-Regeln in Deutschland nicht angewandt werden und man Asylverfahren hier durchführt anstatt in dem EU-Land, das die Flüchtlinge zuerst betreten haben. Der Tweet hatte eine gewaltige Sogwirkung.

De Maizière schiebt die Schuld auf das BAMF; der Tweet sei ein Fehler gewesen, der nicht mit ihm und dem Ministerium abgesprochen worden war. Und die Bundesländer seien auch Schuld gewesen, weil sie immer gejammert hätten, die Asylverfahren dauerten zu lange wegen den Prüfungen nach den Dublin-Regeln. Inklusive Seitenhieb gegen Horst Seehofer und Bayern, wo eigentlich Hundertschaften Polizisten bereitstanden, um die Grenze zu schließen, aber Merkel änderte im letzten Moment den Einsatzbefehl, sodass jeder ohne weitere Prüfung durchgelassen werden musste, der „Asyl“ rief.

Die Flüchtlinge sind auch noch Schuld, heißt es, weil die das Drohpotenzial hatten, massive Ausschreitungen an der Grenze auszulösen, die „ganz Europa“ gesehen hätte. Nach einem Drittel des Films gibt es noch kein einziges richtiges Schuldeingeständnis seitens Merkel, der CDU und Da Maizière.

Merkel, mit Wurstsemmel in der Hand in der Autokolonne, findet via Handy heraus, dass die Flüchtlinge einfach nach Österreich laufen können. Kein Staatsfunktionär habe sie informiert, kein Geheimdienst, nein, sie macht das selbst mit einer Wurstsemmel in der Hand.

Der beeindruckende, hoffnungserfüllte, ergreifende Flüchtlings-Zug zu Fuß habe de Maizière später dazu inspiriert, die Grenze zu öffnen. Und die Presse sei immer dabei gewesen, was zusätzlich den Druck erhöhte, keine drastischen Eskalationen zuzulassen. Ein paar Polizisten, die den Zug begleiteten, hätten ohnehin nicht viel ausrichten können gegen 1300 Flüchtlinge bzw. Migranten.

Merkel im Privatjet telefoniert, um in Erfahrung zu bringen, wie die rechtliche Lage aussieht und ob sich gefährliche Leute unter den Flüchtlingen befinden können. Gerhard Schindler, damals zuständig für Sicherheit, attestiert, man habe keine Informationen darüber gehabt, dass IS-Kämpfer beispielsweise getarnt als Flüchtlinge hierherkamen. Jeder Anfänger hätte sich aber denken müssen, dass Terroristen und Spione die Gelegenheit nutzen würden und eine Sicherheitsüberprüfung und Identitätsprüfung im Nachhinein schwer bis unmöglich wird. Schindler schiebt den schwarzen Peter teilweise an die Geheimdienste weiter.

Merkel im Kanzler-Jet fordert ein Rechtsgutachten für das Ignorieren der Dublin-Regeln; gleich danach sieht man wieder die erschöpften Flüchtlinge zu Fuß mit Kinderwägen, im Hintergrund bedrohliche Musik. Die Zeit drängt, aber Seehofer (CSU, Bayern) geht nicht ans Telefon und niemand scheint ihn auftreiben zu können, obwohl sein Bundesland Bayern am direktesten betroffen ist. Altmaier weiß nicht, ob es praktisch überhaupt machbar sei, die Grenzen zu schließen. Es geht hier um eine Grundaufgabe eines Staates und er hat (angeblich) keinen blassen Schimmer. Merkel stünde quasi alleine da mit ihrer Entscheidung.

Die BILD-Zeitung hat verraten, dass im September 2015 beinahe die deutsche Grenze geschlossen wurde und sie die Aktion im letzten Moment verhinderte. Innenminister Thomas De Maizière soll sogar in einer Blitzaktion 21 Hundertschaften der Bundespolizei nach Bayern verlegt haben.

Major Manfred Schreiner von der österreichischen Polizei kommt in Uniform zu Wort; er gibt sich ahnungslos und überrascht über den Ansturm aus Ungarn. Der Showdown an der deutschen Grenze steht unmittelbar bevor, Seehofer und die CSU waren erbost über die Grenzöffnung, die Politiker gingen angeblich von einer einmaligen Situation aus, aber natürlich hielt der Zustrom an.

Merkel wird am Ende des Films mit glasigen Augen in ihrer Limousine gefahren, man hört dabei (vor allem hysterische) Tonaufnahmen von wütenden Politikern und Bürgern, die Merkel hassen.

Gerald Knaus konstatiert, dass Deutschland heute nicht schlechter dastehe als noch vor vier Jahren. Anderen europäischen Nationen mit wenig aufgenommenen Flüchtlingen ginge es viel schlechter. Deutschland habe einen wichtigen Test bestanden.

Der unscheinbare Knaus gilt als der Einflüsterer, der Merkels Flüchtlingspolitik entwarf. Er arbeitet bei einem kleinen Think Tank namens Europäische Stabilitätsinitiative e. V. (ESI) mit Büros in Berlin, Brüssel, Istanbul und Wien. Die ESI wurde 1999 nach dem Kosovokrieg in Sarajevo gegründet. Ihre ersten Mitglieder waren junge Mitarbeiter internationaler Organisationen wie der OSZE und der Weltbank. Die Finanzierung der ESI gewährleisten unter anderem die Robert Bosch Stiftung, die Rockefeller-Stiftung, die ERSTE Stiftung, die Regierung Schwedens und der German Marshall Fund.

Die Weltbank ist ein Instrument des angloamerikanischen Establishments, die OSZE war wichtig für die Aufweichung des Ostblocks gewesen, die Rockefellers sind Öl- und Pharma-Raubbarone die die Gesellschaft umformen wollen, die ERSTE-Stifung gehört zu den österreichischen Sparkassen und fördert die EU, und der German Marshall Fund rekrutiert Leute für Amerikas Interessen und strotzt vor mächtigen Individuen.

Knaus studierte in Oxford, Brüssel und Bologna und ist Gründungsmitglied des European Council on Foreign Relations und war für fünf Jahre Associate Fellow am Carr Center for Human Rights Policy der Harvard University Kennedy School of Governance in den USA.

AlexBenesch
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