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Die Bedeutung der Spionage für Souveränität, Besatzungsrecht und Grundgesetz

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Kommentar

Bei der komplizierten Geschichte der Bundesrepublik, mitsamt deutscher Teilung, Besatzungsrecht und einhergehender Beschneidung staatlicher Souveränität werden sehr leichtfertige und auch irreführende  Interpretationen verbreitet. Hohe Staatsbeamte, Reporter der Massenmedien, Russenmedien, Blogger und auch Reichsbürger-Sekten deuten auf komplexe Paragrafen und lesen dabei heraus, was sie wollen, um ihre jeweilige politische Agenda zu fördern. Auch das Thema Geheimdienste wird nur selektiv angesprochen.

Nach 70 Jahren Grundgesetz konfrontierte Florian Warweg, Redakteur bei dem von Russland kontrollierten RT-Deutsch, den Sprecher des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik vor laufender Kamera mit einem älteren Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags von 2006, in dem die Rede ist von weiterhin geltendem Besatzungsrecht in der Bundesrepublik. Das Thema ist komplex und alles andere als neu. Der RT-Redakteur betonte natürlich, dass die Russen vollständig auf Besatzungsrecht verzichtet hätten, während die Amerikaner und Briten immer noch Befugnisse hätten. Ein gruseliger Beigeschmack dabei ist, dass in Russland seit Jahren die Stimmung wächst, die Entscheidungen von Gorbatschow hinsichtlich der DDR und andere Staaten des Warschauer Paktes für null und nichtig zu erklären und wieder Anspruch auf Ostdeutschland zu erheben. Zudem blieben erhebliche, unentdeckte Spionagenetzwerke des KGB und der Stasi auch nach 1990 aktiv auf deutschem Boden. Wenn Russland einen erheblichen Spionagevorsprung und militärischen Vorsprung hat, und gleichzeitig die Bundeswehr und die deutsche Spionage kaum der Rede wert sind, dann ist es de facto mit der deutschen Souveränität nicht viel her. Gleiches gilt für die amerikanischen Kapazitäten, die immens höher sind als die deutschen.

Der Sprecher des Auswärtigen Amtes äußerte sein Befremden nach der Frage des RT-Redakteurs und zweifelte daran, dass der Wissenschaftliche Dienst den Begriff „Besatzungsrecht“ in einem Gutachten verwenden würde und dass Besatzungsrecht heute noch vorhanden sei:

„Ich glaube nicht, dass es in irgendeiner Form völkerrechtlich korrekt wäre, zu sagen, dass irgendjemand in Deutschland derzeit Besatzungsrechte ausübe.“

Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes schob später nach:

Es bestehen keine fortdauernden Besatzungsrechte in Deutschland, sondern lediglich freiwillige vertragliche Verpflichtungen, die Deutschland als souveräner Staat freiwillig eingegangen ist. Der „Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“ vom 12. September 1990 (sog. „Zwei-plus-Vier-Vertrag“) hat die noch bestehenden Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte beendet sowie alle noch bestehenden Einrichtungen der Vier Mächte aufgelöst. In Artikel 7 des Vertrags heißt es abschließend: „Das vereinte Deutschland hat demgemäß volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten.“

Wer hat jetzt in welchem Umfang recht? Wird das Thema überhaupt von irgendjemandem objektiv behandelt? Das Gutachten stammt von 2006 und trägt den Titel „Überleitungsvertrag und Feindstaatenklauseln im Lichte der völkerrechtlichen Souveränität der Bundesrepublik Deutschland“ und ist in typischem Juristen-Jargon gehalten.

Zunächst war Deutschland von den Siegermächten in typischer Form besetzt, dann kamen die sog. „Pariser Verträge“ aus dem Jahr 1954, der „Überleitungsvertrag“ und der „Deutschlandvertrag“ von 1955 mit denen formell die Besatzung beendet wurde. Rund zehn Jahre hatten die Besatzermächte USA, Britannien und Frankreich also Zeit, um nach Kriegsende neue Spionagenetze für die deutsche Politik, Verwaltung und Industrie aufzubauen und diejenigen Netze weiterzuführen, die man bereits während dem Dritten Reich pflegte. Wie stark Nazideutschland von ausländischen und adeligen Geheimdiensten infiltriert war, ist so ziemlich das heikelste Forschungsgebiet der Welt, das von niemandem wirklich angerührt wird, mit Ausnahme vielleicht von dem Autor Louis Kilzer, der für seine frühe investigative Arbeit mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet worden war.

Ohne Abzug der amerikanischen, britischen und französischen und russischen Spionage-Netzwerke aus dem wiedervereinigten Deutschland nach 1990 ist Deutschland kaum als souverän anzusehen.

Rechtlich waren die Vertragswerke aus den 1950er Jahren widersprüchlich. Es wurde einerseits festgestellt,  dass die Bundesrepublik „die volle Macht eines souveränen Staates über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten“ bekam, andererseits wurde die Souveränität gleichzeitig erheblich eingeschränkt. Voll bedeutet voll und nicht „fast voll“ oder „so ähnlich wie voll“ oder „doch nicht voll“.

Dann kam der „2+4-Vertrag“ 1990 und erklärte das Ende des Einflusses der Besatzer-Mächte, was auch aktuell der Sprecher des Auswärtigen Amtes ansprach:

„Die Französische  Republik, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland und die Vereinigten Staaten von Amerika beenden hiermit ihre Rechte und Verantwortlichkeiten inbezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes. Als Ergebnis werden die entspre-chenden, damit zusammenhängenden vierseitigen Vereinbarungen, Beschlüsse und Praktiken beendet und alle entsprechenden Einrichtungen der Vier Mächte aufgelöst.“

„Das vereinte Deutschland hat demgemäß volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten.“

Jetzt kommt aber wieder die große Einschränkung, die der Sprecher des Auswärtigen Amtes zumindest andeutete:

Im  Zuge  des  „2+4-Vertrages“  kam  es am 27./28. September 1990 zu einem Notenwechsel zwischen  Vertretern der Bundesrepublik Deutschland, der Französischen Republik, der Vereinigten Staaten von Amerika und des Vereinigten Königreichs. Dieser Notenwechsel sieht in Art. 2 das Außerkrafttreten des „Überleitungsvertrages“ vor, verbunden jedoch mit der Einschränkung nach Art. 3, dass verschiedene enumerativ aufgezählte Regelungen trotz der Aussage von Art. 7 Abs. 1 Satz 2 des „2+4-Vertrages“ weiterhin in Kraft bleiben. Demnach bleiben auch nach 1990 mehrere Bestimmungen des Überleitungsvertrages wirksam.

Was genau von dem alten Überleitungsvertrag von 1952 gilt noch und warum? Hier wird es wieder schwammig. Das Gutachten spricht von „versteinertem Besatzungsrecht“, das es den Deutschen verbietet, gewisse wichtige Entscheidungen aus der Ära der Bundesrepublik nach 1990 zu ändern bzw. aufzuheben. Das bezieht sich anscheinend auf die Grundstruktur der Bundesrepublik, die Staatsgrenzen, vergangene Reparationszahlungen usw. Man kann die harmlose Interpretation daraus ziehen, dass ab 1990 die Bundesrepublik einfach bekräftigte, nicht als nächstes eine Diktatur auszurufen, sowie die Ostgebiete und die Reparationszahlungen zurückzufordern. Besatzungsrecht wurde in Bundesrecht übergeführt. Aber die Formulierungen wirken sehr breit und schwammig. Und in Russland verbreitet sich die Sichtweise, dass der Kreml heute die damaligen Entscheidungen, wie den Verzicht auf die Kontrolle über die DDR, einfach ignorieren könne

Das Gutachten des Bundestags wählt, wen überrascht es, eine harmlose Interpretation und Erklärung:

Die Tatsache, dass verschiedene Bestimmungen und Maßnahmen der Besatzungsmächte bestandskräftig sind, führt nicht zu dem Ergebnis, dass die Bundesrepublik Deutschland heute völkerrechtlich nicht vollständig souverän ist. Der  Fortbestand des Besatzungsrechts basiert darauf, dass die Bundesrepublik Deutschland freiwillig eine entsprechende völkerrechtliche Bindung eingegangen ist. Die Tatsache, dass sich ein Staat gegenüber anderen Staaten Bindungen auferlegt, ist jedoch kein Beweis für eine nur unvollständige Souveränität des Staates, sondern im Gegenteil gerade Ausfluß seiner Souveränität.

Es klingt trotzdem widersprüchlich, vor allem angesichts der wirtschaftlichen, militärischen und geheimdienstlichen Abhängigkeiten Deutschlands. Da 1990 nicht die komplette Streichung sämtlicher Besatzungsbestimmungen vorgenommen wurde, wissen wir auch nicht, was für negative Konsequenzen die Bundesrepublik als Strafe erlitten hätte durch die ehemaligen Besatzungsmächte.

Desweiteren sei zu erwähnen, dass es keinen extra Friedensvertrag mehr braucht. Auch die Feindstaaten-Klausel ist nur ein altes Relikt.

Innerhalb der Völkerrechtswissenschaft werden die „Feindstaatenklauseln“ als „obsolet“ angesehen. […] Einigkeit besteht im Ergebnis, dass die Klauseln heute keinen Regelungsgehalt mehr aufweisen und aus der Satzung der Vereinten Nationen zu streichen sind.

Es gibt also noch manche, schwurbelieg formulierte Rechtstexte über Besatzungsrecht und Feindstaatenklauseln. Es braucht keinen Friedensvertrag, wie manche immer schreien. Auf dem Papier ist geregelt dass die BRD souverän ist, aber sich inzwischen halt freiwillig angekettet hat an die EU. Es kommt aber hauptsächlich an auf die Spionagenetze. Und eben auch auf russische, was natürlich die Russenmedien ungerne ansprechen.

Geheime Zusatzabkommen

Ein geheimes Zusatzabkommen räumte am 27. Mai 1968 den Allierten weitreichende Rechte in Deutschland ein. Dort ist vereinbart, dass die Amerikaner in Deutschland mit ihren stationierten Truppen aktiv werden dürfen, falls eine unmittelbare Bedrohung beispielsweise durch die DDR-Volksarmee auftritt. Zudem wurde vereinbart, dass die USA bei uns schnüffeln dürfen.

Nach Ansicht des Historikers Josef Foschepoth waren zuvor schon alliierte Vorbehaltsrechte mit Zustimmung von Bundeskanzler Adenauer in einer geheimen Zusatzvereinbarung geregelt worden. Auch dabei geht es um Überwachung und den Rechtsschutz für Geheimdienste der Alliierten auf deutschem Boden. Adenauer unterschrieb diese Geheimverträge nicht, sondern sie seien in einem Schriftverkehr legitimiert worden und gelten nach Foschepoths Auffassung immer noch, da sie „längst im Zusatzvertrag zum NATO-Truppenstatut von 1959 dauerhaft gesichert“ seien, heißt es auf wikipedia. Diese Vereinbarungen seien laut anderen Experten seit 1990 in Vergessenheit geraten und 2013 offiziell außer Kraft gesetzt. Das war aber vor dem NSA-BND-Schnüffelskandal durch die Enthüllungen von Edward Snowden.

AlexBenesch
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