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Clickbait Münster: Kein politisches Motiv erkennbar

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Bild: Dietmar Rabich / Wikimedia Commons / „Münster, Kiepenkerl — 2014 — 0290“ / CC BY-SA 4.0

Kommentar

Sehr dünne Gerüchte über eine mögliche rechtsextreme Gesinnung oder rechtsextreme Kontakte bei dem Amokfahrer von Münster am Wochenende führten zu einem Schwall aus Clickbait-Artikeln und Youtube-Videos, die krampfhaft eine Verschwörung herbeikonstruierten, mit der der „deep state“ und/oder die Muslime die rechte Sphäre diskreditieren wollen. Dann stellte sich heraus, dass die Erwähnungen von Rechtsextremismus in der Presse wohl nur auf einen Irrtum zurückgingen und interne, vorläufige Informationen der Polizei vorschnell zitiert wurden:

„Bislang haben sich weiterhin keinerlei Hinweise auf eine politische Motivationslage des Täters sowie mögliche Mittäter ergeben“,

 sagte Polizeipräsident Hajo Kuhlisch am Sonntag.

„Wir haben aber Hinweise darauf, dass die Ursachen für die Ausführung der Tat in seiner Persönlichkeit begründet sind.“

Die Wohnung des Täters befand sich im selben Gebäude wie die eines NPD-Mitglieds. Ob es Kontakte zwischen den beiden gab, ist zweifelhaft. Es hätte von vorneherein nicht viel Sinn ergeben für irgendwelche Geheimdienstler, eine solche Amokfahrt zu inszenieren und vielleicht noch ein paar falsche Spuren auf den Computer von Jens R. und in irgendwelchen Chatrooms oder Foren zu plazieren. Um rechte Kreise zu diskreditieren, gäbe es viel bessere Methoden: Verbindungen rechter Netzwerke zu den Russen aufdecken (etwa mit Hilfe der NSA oder anderer angloamerikanischer Dienste), oder ein rechtes Terror-Netzwerk hochgehen lassen, prominente neurechte Politiker mit heimlich beschafften Beweisen entlarven, ein neuer „Fall Ohnesorg“ usw. Je glaubhafter und realer, desto besser. Da deutsche V-Leute immer viel zu schnell auffliegen, wäre es erfolgsversprechender, wenn ausländische Geheimdienste die Aufgabe übernähmen, deutsche Rechtsterroristen auszubilden und auszustatten (siehe auch das GLADIO-Fiasko).

Niemand hätte sonderlich viel auf die Geschichte gegeben, dass ein älterer Grafikdesigner aus Münster ohne Historie als Neonazi deutsche Rentner im Straßencafé zu Tode fährt, um damit das Merkel-Regime zu destabilisieren und gegen die Migrantenpolitik zu protestieren.

Immer wenn es sich um muslimische Täter handelt, hinterfragen die einschlägigen Internetmedien so gut wie nichts mehr. Zu den Zeiten von 9/11 oder 7/7 war das noch völlig anders. Wenn aber der Tatverdächtige oder Täter aus dem rechten Millieu stammt oder stammen könnte, dann werden sofort aus dünnen Indizien gigantische Verschwörungshypothesen gesponnen, um die Schuld auf den „deep state“, die Linken und die Moslems zu schieben. Auch weigern sich Internetmedien krankhaft, in Richtungen zu ermitteln die Russlands Interessen ankratzen würden.

Noch mal zum Mitschreiben: Sowohl die linke Sphäre, als auch die Mitte, die Rechten und Moslems sind alle betroffen von den Folgen verdeckter Terroroperationen diverser Geheimdienste. 9/11 hat die Freiheit von uns allen ruiniert, egal zu welchem Lager man sich zählt. Kriege, die in muslimischen Ländern nach 9/11 Millionen Todesopfer forderten, Folter und Vergiftungen durch Uranmunition beinhalteten, sind viel stärker präsent in der Psyche von deutschen Muslimen als die Verbrechen und Anschläge einzelner muslimischer Täter in den vergangenen paar Jahren. Wären Millionen Deutsche und Deutschstämmige im Ausland gefoltert und ermordet worden, würden wir Deutschen auch wenig Reaktion zeigen auf vereinzelte Anschläge und Verbrechen deutscher Bürger. Kein Verbrechen relativiert das andere, aber wir müssen wieder lernen, uns in die Köpfe anderer Menschen hineinzuversetzen und die wahren Ursachen des Radikalismus auf allen Seiten zu verstehen.

Mann muss auch in Münster Auffälligkeiten abklopfen, genau wie beim NSU-Fall und so vielen weiteren Fällen auch, wo sich viele wichtige Spuren und Skandale ergaben. Aber nicht jeder Fall ist ein neuer NSU-Fall. Manchmal gibt es auch rechte Täter. Manchmal gibt es gar keinen politischen Hintergrund. Es ist der größte Fehler, alles so zu interpretieren wie es einem gefällt, gemäß dem was einem politisch in den Kram passt.

Dünne Indizien bei „Pizzagate“ die für keinen lausigen Durchsuchungsbeschluss gereicht hätten, wurden aufgeblasen zu einer grandiosen Verschwörungshypothese gegen die Democrats. Natürlich gab es nichts dergleichen in den Internetmedien über die Republicans und vor allem über Trump. Was mafiöse und psychopathische russische Eliten in ihrer Freizeit Kriminelles treiben, interessiert die Verschwörungsmedien natürlich überhaupt nicht.

Schnell schnell Clickbait, und dann zum nächsten Fall hechten.

Die Spekulationen über ein Motiv für Münster überzeuge die Neurechten nicht? Der Mainstream hatte – abgesehen von einem vorschnellen spekulativen Snippet über rechte Verbindungen – nicht einmal irgendwelche konkreten politischen Motive genannt. Seit Sonntag ist im Mainstream nur noch die Rede von psychischen Problemen des Täters. Also ist es sinnlos, irgendwelche rechtsextremen Motive widerlegen zu wollen wenn selbst der Mainstream solche gar nicht behauptet.

Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass der frustrierte, einsame und suizidale Mann seine Tage im Netz verbracht und vielleicht neurechtes Gedöns und schlechte Reichsbürger-Infos konsumiert hatte, würde uns das nicht viel sagen.

Vor einigen Jahren sei Jens R. im Treppenhaus in Münster ausgerutscht sein; daraus ergab sich eine Rückenverletzung und eine möglicherweise unerfolgreiche Operation. Die wichtigste Frage momentan lautet: Bekam er für Depressionen einschlägige Tabletten? Gab es Hinweise auf eine narzisstischer Persönlichkeitsstörung, die nicht diagnostiziert wurde? Narzissten sind diejenigen, die sich mit einem großen Knall und einer Machtdemonstration aus dem Leben verabschieden und sich an der Welt rächen wollen. Das Interesse der Verschwörunsgmedien an diesen Zusammenhängen ist fast null, obwohl die Angelegenheit die mächtige Pharmaindustrie berührt und den Geheimdiensten die Forschung längst bekannt sein muss.

Laut einer kursierenden Verschwörunsghypothese sollen türkische Kräfte hinter der Amokfahrt stecken, die eine Sperrung der Innenstadt herbeiführen wollten, um eine Kurdendemo zu stoppen. Diese Hypothese steht noch völlig am Anfang. Es wäre außerdem viel leichter für türkische Geheimdienste, Agenten und V-Leute innerhalb der Kurden in Deutschland zu benutzen, um eine Demo abzuwürgen. Die Vorstellung, dass türkische Agenten einen VW-Bus in eine Menschenmenge fahren, wegrennen und dann einen toten Jens R. zurücklassen, ist etwas abenteuerlich. Selbst wenn vorher ausgekundschaftet wurde, dass keine fest installierten Überwachungskameras am Zielort vorhanden waren, so hat man es immer noch mit vielen Augenzeugen und Handykameras zu tun sowie mit diversen Kameras entlang der Route des VW-Busses zum Tatort. Der Aufwand und das Risiko stehen in keinem Verhältnis zum Gewinn. Außerdem sind die Türkei und die übrige NATO-Sphäre inzwischen verfeindet und die Türken würden kaum eine solch abenteuerliche Mission absegnen zum jetzigen Zeitpunkt.

Der nächste Aspekt: Das Fehlen von Gräuelbildern der Verletzten. Das ist schon lange üblich im Westen. Wenn ein Moslem eine Tat begeht, dann gibt’s im Netz nichts zu meckern über die Fotos und Videos. Wenn aber jemand, der ein Rechter sein könnte, der Täter oder Tatverdächtige ist, dann wird gemeckert über die Bilder. Als könnte der „deep state“ einen Anschlag inszenieren mit zig Schauspielern, mit Unmengen an eingeweihten Polizisten, Rettungshelfern, umfassendem Krankenhauspersonal usw. Wenn man mit einrechnet, dass jeder Eingeweihte in eine solche Charade noch enge Verwandte und Freunde hat und plappern könnte, müsste der „deep state“ eine vierstellige Zahl an Personen dauerhaft überwachen, damit die Wahrheit nicht ans Licht kommt. Also bräuchte man eine fünfstellige Zahl Geheimdienstler zur Überwachung. Völlig unrealistisch.

Warum fuhr der Mann im VW-Bus so langsam? Weil er wahrscheinlich die Kontrolle nicht verlieren wollte. Es ging ihm in seinem erweiterten Suizid wie beim Germanwings-Piloten vielleicht in der Hauptsache um das Gefühl von Kontrolle.

Was ist mit möglichen Mittätern? Wenn bei einem solchen Ereignis viele Leute betroffen sind und davonlaufen, entsteht Chaos. Die Polizei wird zwangsläufig die Augen offen halten und auch chaotische, unzuverlässige Zeugenaussagen interpretieren und nach möglichen weiteren Personen fahnden. Dabei können auch Leute kurze Zeit festgehalten und überprüft werden. Ein Beleg für eine Verschwörung ist das noch lange nicht. Um hier einen Verdacht zu erhärten, müssten Reporter viel tiefer nachgraben und nicht nur Online-Artikel durchforsten.

Dann gibt es noch die Frage, warum kein Augenzeuge den Schuss gehört haben will, mit dem Jens R. sich angeblich hinrichtete. Erstens waren Leute weggelaufen nach dem Angriff und zweitens ist gar nicht öffentlich bekannt, was Augenzeugen alles berichtet haben und drittens wissen wir nicht, welches Kaliber die Waffe hatte. Eine Pistole Kaliber .22 an die Schläfe gehalten, in einem Auto mit geschlossenen Türen wird aus zehn oder zwanzig oder 50 Metern Entfernung keine extrem hohe Lautstärke mehr haben und in dem Chaos großartig auffallen.

Fazit: 

Der Fall hat nach dem derzeitigen Stand bekannter Fakten noch nicht einmal irgendeine tiefere politische Bedeutung. In ein oder zwei Tagen wird er außerhalb von Münster komplett vergessen sein. Die wichtigste Spur ist momentan die Krankengeschichte des Mannes und die Tabletten, die er möglicherweise verschrieben bekommen hatte. Ähnliche Tabletten vielleicht wie der Germanwings-Pilot, der nicht einmal ein Manifest oder einen Abschiedsbrief hinterlassen hatte und unpolitisch war. Auch bei muslimischen Terroristen der letzten Jahre sahen wir häufiger eine psychiatrische Hintergrundgeschichte und Tabletten. Die Täter waren prädestiniert für einen narzisstischen erweiterten Suizid und garnierten ihre Pläne mit einer hastigen Schnell-Radikalisierung innerhalb von Wochen und einem oberflächlichen Bekenntnis zum IS.

AlexBenesch
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