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Linksextremismus im Spiegel von Wissenschaft und Publizistik

Datum:

Karsten Dustin Hoffmann

Laut Bundesinnenministerium lag die Zahl linksextremistischer Gewalttaten 2012 im vierten Jahr in Folge höher als die der rechtsextremistischen Gewalttaten. Vor diesem Hintergrund wäre zu erwarten, dass sich Forschung und Publizistik intensiv mit linksextremen Ideologien und Strukturen auseinandersetzen. Tatsächlich aber sind weite Teile des militanten Linksextremismus „Terra Incognita“.

Linksextreme Bestrebungen waren in den vergangenen Jahren nur selten Thema wissenschaftlicher oder publizistischer Arbeiten. Deshalb bestehen große Forschungslücken in diesem Bereich. Im Schnitt bieten deutsche Bibliotheken zwölfmal so viel Literatur in der Kategorie Rechtsextremismus wie in der Kategorie Linksextremismus.[1]

Einleitung

Antidemokratische Bestrebungen linksgerichteter Gruppen stellen einen bedeutenden Faktor im politischen System der Bundesrepublik Deutschland dar. Während Trotzkisten und Stalinisten über Parteien Einfluss auf die Politik zu nehmen versuchen, machen subkulturelle Gruppierungen mit Anschlägen und gewalttätigen Demonstrationen auf sich aufmerksam. Laut Bundesinnenministerium lag die Zahl der linksextremistischen Gewalttaten 2012 im vierten Jahr in Folge höher als die der rechtsextremistischen Gewalttaten.[2] Vor diesem Hintergrund wäre zu erwarten, dass sich Forschung und Publizistik intensiv mit Ideologien und Strukturen aus diesem Bereich auseinandersetzen. Aber namhafte Politikwissenschaftler beklagen seit Jahren große Forschungslücken; weite Teile des militanten Linksextremismus gelten als „Terra Incognita“.[3] Und in der Tat: Wer den wissenschaftlichen und publizistischen Umgang mit linksextremen Bestrebungen einer systematischen Analyse unterzieht, stößt auf eine Reihe grober Versäumnisse.

Wissenschaft

Für die Beurteilung des Forschungsstandes zum Linksextremismus ist die Zahl der verfügbaren Texte ein wichtiges Indiz. Wissenschaftliche Literatur wird aufgrund der hohen Anschaffungskosten zumeist über Bibliotheken rezipiert. Dabei unterscheiden sich die Bestände zu Links- und Rechtsextremismus stark. Die zwanzig größten wissenschaftlichen Bibliotheken boten im Zeitraum von Januar bis August 2013 in den Kategorien „Rechtsextremismus“/“-radikalismus“ insgesamt knapp zwölfmal so viele Titel wie in den Kategorien „Linksextremismus“/“-radikalismus“. An einigen Standorten fielen die Ergebnisse noch drastischer aus. Die Staatsbibliothek Berlin etwa wies für die Suchkombination „Rechtsextremismus“/“-radikalismus“ 3.531 Texte aus, jedoch nur 92 Titel für „Linksextremismus“/“-radikalismus“ (das entspricht einem Verhältnis von 1 zu 38,4).

Auch im Angebot der größten Online-Buchhandlungen ließ sich ein deutliches Ungleichgewicht zwischen Texten über rechtsextreme und linksextreme Strömungen ausmachen. Insgesamt lag das Verhältnis hier bei etwa 1 zu 7, womit der Online-Buchhandel allerdings ein erheblich breiteres Literaturangebot zum Linksextremismus als die Bibliotheken vorweisen konnte. Offensichtlich nutzen die Bibliotheken das zur Verfügung stehende Angebot nur ansatzweise.

Damit einher geht eine auffällige Zurückhaltung von Autoren und Bibliotheken bei der Verwendung des Begriffes Linksextremismus. Die Staats- und Universitätsbibliothek Bremen erfasste zum Beispiel 107 Titel in der Kategorie „Linksradikalismus“, aber nur 16 in der Kategorie „Linksextremismus“. Die Titelzahlen zu „Rechtsradikalismus“ (701) und „Rechtsextremismus“ (640) unterschieden sich dagegen kaum. Diese Verhältnisse lassen sich auf die meisten Bibliotheken übertragen. Insgesamt lag die Zahl der in der Kategorie Rechtsextremismus eingeordneten Bücher mit 94,8 Prozent leicht höher als die Zahl der unter Rechtsradikalismus eingeordneten Bücher mit 92,0 Prozent. Anders verhielt sich dies im Bereich der linken Strömungen, bei denen die Texte in der Kategorie Extremismus 5,2 Prozent erreichten, während die Texte in der Kategorie Radikalismus immerhin 8,0 Prozent ausmachten. Bei den Onlinehändlern lag die Trefferzahl für Rechtsradikalismus 3,7 Mal so hoch wie für Linksradikalismus, aber die Trefferzahl für Rechtsextremismus lag 27,8 Mal so hoch wie für Linksextremismus. Der Extremismusbegriff hat sich offenbar etabliert, findet jedoch nicht für beide Seiten des politischen Spektrums gleichermaßen Verwendung.

Es wurde zudem deutlich, dass die Texte zu rechtsextremen Strömungen ein sehr viel kleinteiligeres Themenspektrum abdecken. Erhältlich sind Ausarbeitungen zu speziellen Themenfeldern wie etwa „Rechtsextremismus im Internet“, „Frauen und Rechtsextremismus“ oder autobiographische Aussteigertexte. Es existiert zudem Literatur, die sich auf einer Metaebene mit dem Forschungsstand auseinandersetzt und sogar einige Bibliographien. Für das linke extremistische Spektrum fanden sich derartige Schriften nicht. Von den 77 Texten, die in den letzten zwei Jahren erschienen sind, befassen sich nur 26 mit konkreten extremistischen Gruppierungen, während sich der Großteil an Überblicksdarstellungen versucht oder sich mit theoretischen Problemen auseinandersetzt. Obwohl die Zahl der Publikationen zunimmt, fehlt es an empirischen Arbeiten – gerade im Bereich der Subkulturen. So gibt es z.B. kaum Arbeiten zu autonomen Gruppen, zur Antifa oder zu Antiimperialisten. Die Texte über Subkulturen tendieren zudem zu historischen Themen. Über ein Viertel beschäftigt sich mit der RAF (25,1%). Während im Bereich der Parteienliteratur 50 Prozent der Texte als aktuell anzusehen sind, gilt dies nur für 34,7 Prozent der Texte über Subkulturen.

Trotzdem lassen sich auch positive Schlüsse ziehen: Ein Blick auf die Erscheinungszeitpunkte lässt für die Jahre 2011 bis 2013 eine leichte Tendenz zur Angleichung der Publikationszahlen erkennen. Statt der oben aufgeführten 12 zu 1 betrug das Verhältnis der Literatur zu Rechts- und Linksextremismus in diesem Zeitraum etwa 7 zu 1; und auch in absoluten Zahlen waren seit 2011 mehr Neuerscheinungen über linksextreme Strömungen zu verzeichnen. Das ist besonders deswegen interessant, weil im Jahr 2010 die finanzielle Förderung der Präventionsarbeit durch das Bundesfamilienministerium einsetzte. Obwohl dieser Etat mit knapp zwei Millionen Euro nur ein Zwölftel des Etats zur Rechtsextremismusprävention des Ministeriums beträgt, deuten die vorliegenden Ergebnisse auf einen Anstieg der Publikationszahlen zu linksextremistischen Strömungen hin.

Online-Medien

Suchmaschinen und Meta-Crawler bieten hervorragende Möglichkeiten, gesellschaftliche Themen und Trends frühzeitig zu erkennen und zu beschreiben. Angesichts der Trefferzahlen der drei marktbeherrschenden Suchmaschinen Google, Bing und Search.com lässt sich formulieren, dass die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus im Untersuchungszeitraum auch im Internet sehr viel intensiver stattfand als die mit Linksextremismus. Lag das Verhältnis im direkten Vergleich der Begriffe „Rechtsextremismus“ und „Linksextremismus“ bei etwa 1 zu 5, stieg es bei zusammengesetzten Begriffen teilweise auf ein Vielfaches. Dabei gilt die Faustregel: Umso schärfer die Begriffe, desto größer das Ungleichgewicht. Das Verhältnis von „linke Demonstration“ zu „rechte Demonstration“ betrug etwa 1 zu 2. Für „linksextreme Demonstration“ und „rechtsextreme Demonstrationen“ wurde ein Verhältnis von 1 zu 9 ermittelt. Der Begriff „Aufmarsch“ wird im Zusammenhang mit linksextremen Aktivitäten nur Ausnahmefällen verwendet. Für den Begriff „linksextremer Aufmarsch“ wies Google 88 Treffer aus, für „rechtsextremer Aufmarsch“ 6.700 und somit ein Verhältnis von 1 zu 76.

Antidemokratische Strömungen aus dem rechten politischen Lager werden auch in Internettexten vornehmlich mit dem Begriff „rechtsextrem“ gekennzeichnet, wohingegen linke antidemokratische Strömungen weiterhin vorwiegend unter dem weniger negativ konnotierten Begriff „linksradikal“ subsumiert werden. Die Zahl der Treffer für „Rechtsradikalismus“ lag bei Google mit 348.000 sogar etwas niedriger als das Ergebnis für „Linksradikalismus“ mit 402.000 Treffern. Dagegen waren etwa fünfmal so viele Treffer für „Rechtsextremismus“ (2.660.000) wie für „Linksextremismus“ (555.000) feststellbar.

Printmedien

Neben dem Internet wirken vor allem Zeitungen und Zeitschriften meinungsbildend. Insbesondere ein Phänomen wie der politische Extremismus entzieht sich in den meisten Fällen persönlicher Erfahrung. Jedoch ist eine Auswertung von Printmedien mit erheblich größeren Schwierigkeiten als in den bisher dargestellten Bereichen verbunden, weil die Inhalte täglich erneuert werden und sich der Arbeitsaufwand somit vervielfacht. Daher beschränkte sich die Untersuchung auf eine repräsentative Stichprobe der überregional bedeutenden deutschen Tages- und Wochenzeitungen im Zeitraum zwischen dem 8. Januar und dem 16. März 2013.[4]

Vor dem Hintergrund des Ungleichgewichts in der Forschung und in den Online-Medien dürfte kaum überraschen, dass sich auch die Printmedien sehr viel häufiger mit Rechtsextremismus als mit Linksextremismus auseinandersetzen. Allerdings fiel das Ungleichgewicht hier nicht so deutlich aus. Die überregional bedeutenden Zeitungen und Zeitschriften befassten sich in etwa dreimal so häufig mit Rechtsextremismus wie mit Linksextremismus. Bei Zeitungen, die einem der politischen Lager zugerechnet werden konnten, war das Verhältnis dagegen nahezu ausgeglichen. Allerdings beschäftigten sich deren Texte schwerpunktmäßig mit dem Extremismus aus dem gegenüberliegenden Lager.

Insgesamt beschäftigten sich 70 Artikel ausdrücklich mit Links- oder Rechtsextremismus, 14 davon gleichzeitig mit beiden Phänomenen. Im Vergleich dazu thematisierten die untersuchten Medien die historisch verwandten Gebiete erheblich öfter: Insgesamt 58 Artikel beschäftigten sich mit der NS-Zeit, 21 Artikel mit der DDR, sechs Artikel mit der Rote Armee Fraktion (RAF). Der Bezug zum heutigen Rechts-und Linksextremismus wurde dabei nur in den seltensten Fällen hergestellt.

Insgesamt 53 Zeitungsartikel beschäftigten sich mit dem Thema Rechtsextremismus, davon bezogen sich 19 Texte, also gut ein Drittel, auf die mutmaßliche Terrororganisation Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) und das Gerichtsverfahren gegen die Hauptverdächtige Beate Zschäpe. Acht Artikel befassten sich mit einem möglichen NPD-Verbotsverfahren. Insgesamt 30 Artikel befassten sich mit Linksextremismus, davon sieben Artikel mit Gruppierungen wie der Antifa. Acht Texte thematisierten die Partei Die Linke und deren Beobachtung durch den Verfassungsschutz.

Fazit

 

Für die Ausgangsthese, nach der ein erhebliches Ungleichgewicht in der Publikationsdichte zu Rechts- und Linksextremismus angenommen wurde, lassen sich viele Belege finden. Während die Zahl der Publikationen zum Thema Rechtsextremismus erfreulich hoch ist, existieren zu vielen Themenbereichen im Linksextremismus nahezu gar keine Untersuchungen. Von Linksextremisten gehen erhebliche Gefahren aus, aber wer sich in einer Bibliothek darüber informieren möchte, wird häufig enttäuscht. Wer „Rote Hilfe“ in die Suchmaschine einer deutschen Bibliothek eingibt, wird dort Literatur von der Roten Hilfe finden, aber keine über sie. Die Bibliotheken schaffen zu wenig Literatur über Linksextremismus an und kategorisieren die Schriften nicht entsprechend, sodass die vorhandene Literatur schwer auffindbar ist. Das gravierendste Defizit ist jedoch: in den vergangenen zwanzig Jahren wurden kaum Schriften über linksextremistische Erscheinungen erstellt. Die wenigen vorhandenen Publikationen widmen sich vorrangig historischen Themen und sie konzentrieren sich auf die Partei DIE LINKE. Es ist nicht möglich, die Entwicklungen des Linksextremismus in Deutschland vorauszusagen. Fest steht jedoch, sollte die Zahl der in diesem Bereich verübten Straftaten unerwartet ansteigen, lägen kaum Erkenntnisse zu Ideologien und Strukturen vor.

Fußnoten

1.
Vgl.: Andre Freudenberg/Karsten Dustin Hoffmann/Felix Strüning: BiblioLinX’13. Der Umgang mit Linksextremismus in Wissenschaft, Presse und Öffentlichkeit, Berlin 2013.
2.
Bei den einmal jährlich vom Bundesinnenministerium vorgestellten Zahlen handelt es sich die polizeilich erfassten Gewaltdelikte – vorrangig Körperverletzungen, Landfriedensbruch und Widerstandsdelikte – die von den Staatsschutzämter als extremistisch motiviert bewertet wurden. 2012 waren dies 802 Delikte im Bereich Rechtsextremismus und 876 Delikte im Bereich Linksextremismus. Vgl. Bundesministerium des Innern: Zahlen und Tabellen zur Politisch motivierten Kriminalität. Internetpublikation vom 29.04.2013
3.
Vgl. z.B.: Jürgen P. Lang/Patrick Moreau: Linksextremismus, Bonn 1996, S. 15; Eckhard Jesse: Vorwort, in: Karsten Dustin Hoffmann: „Rote Flora“, Baden-Baden 2011.
4.
Analysiert wurden die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), die Süddeutsche Zeitung (SZ), Die Welt, Der Spiegel und Die Zeit. Zur Kontrastierung wurden die Junge Freiheit (JF) und Die Tageszeitung (taz) herangezogen, da beide im Unterschied zu den übrigen eindeutig einem politischen Flügel zuzurechnen sind.
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