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Kopien für die „Freunde“: Die Verzahnung der Stasi mit dem KGB

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Von Walter Suess

Viele Berichte der Stasi enthalten in ihrem Verteiler auch den Adressat „Freunde“. Damit gemeint war der KGB, der einen Durchschlag erhielt. Mit dem sowjetischen Geheimdienst war die Stasi von Anbeginn eng verbunden.

Nach dem Sieg der sowjetischen Armee über den deutschen Aggressor, der Besetzung Ostdeutschlands und der weitgehenden Zerschlagung des deutschen Staatsapparates folgte die Errichtung eines Besatzungsregimes. Die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) basierte auf dem sowjetischen Militärapparat und geheimdienstlichen Strukturen des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten (NKWD) bzw. ab 1946 des Ministeriums für Staatssicherheit (MWD). Dabei musste sich die Besatzungsmacht der Unterstützung durch Teile der deutschen Verwaltung bedienen, die zuvor personell von nazistischen Elementen „gesäubert“ und mit in dieser Beziehung als unbelastet geltenden Personen ergänzt wurden. Das galt auch für den Polizeiapparat, der wegen seiner Verstrickung mit dem NS-Terrorapparat fast vollständig neu aufgebaut werden sollte. Hier war politische Zuverlässigkeit, am besten belegt durch eine kommunistische Vergangenheit, das vorrangige Auswahlkriterium. Teile dieses Polizeiapparates, die ab 1947 als Abteilungen „K 5“ bezeichnet wurden, unterstanden direkt dem sowjetischen Geheimdienst. Sie hatten als vorrangige Aufgabe alle anderen Teile des Staatsapparates (öffentliche Verwaltung, Justiz, Schulen, Universitäten usw.), die wieder entstehenden Parteien, die Gewerkschaften und andere Institutionen zu überwachen und ihre Unterordnung unter die sowjetischen Machthaber und ihre deutschen Gewährsleute zu sichern. Von ersteren erhielten sie ihre Anweisungen.

SED drängte auf eigene Geheimpolizei

Nach dem Zerbrechen der Anti-Hitler-Koalition, dem Beginn des Kalten Krieges und der Gründung der Bundesrepublik, beschloss die sowjetische Staatsführung einen ostdeutschen Teilstaat einzurichten: die DDR. Zu den Kompetenzen des neuen Staates sollten ursprünglich keine geheimdienstlichen Aufgaben gehören, die wollten sich die sowjetischen Dienste weiter selbst vorbehalten. Die SED-Führung musste bei Stalin persönlich intervenieren, um die Erlaubnis zu erhalten, im Januar 1950 auch in Ostberlin ein Ministerium für Staatssicherheit einzurichten. Der erste Minister wurde der ehemalige KPD-Funktionär und spätere sowjetische Geheimagent Wilhelm Zaisser (1893 – 1958). Ihm wurde ein sowjetischer „Chefberater“ zur Seite gestellt. In allen Abteilungen des neuen Ministeriums hatten zudem sowjetische Instrukteure bei wichtigen Entscheidungen das letzte Wort. Struktur und Arbeitsweise der neuen Geheimpolizei wurden in den ersten Jahren weitgehend aus Moskau übernommen.

Im Sommer 1953 kam es – nach Stalins Tod am 5. März – zu einem ersten Einschnitt im Verhältnis der beiden Geheimdienste. Der sowjetische Geheimdienstchef, Innenminister Lawrenti Berija (1899 – 1953), wurde mit der Begründung gestürzt, er habe die DDR aufgeben wollen. Er hatte für einen milderen „Neuen Kurs“ geworben, um die Flüchtlingszahlen zu dämpfen. In Ostberlin hieß es nun, Wilhelm Zaisser habe dieses Vorhaben unterstützt. Deshalb wurde auch er seines Amtes enthoben, mit ihm der reformorientierte Chefredakteur der SED-Parteizeitung Neues Deutschland, Rudolf Herrnstadt. Falls die SED-Führung um Walter Ulbricht gehofft hatte, die DDR-Staatssicherheit damit stärker unter ihre Kontrolle zu bekommen, wurde sie enttäuscht: Auf Druck aus Moskau wurde zu seinem Nachfolger erneut ein ehemaliger sowjetischer Agent bestellt: Ernst Wollweber (1898 – 1967). In seiner Amtszeit als Chef der Staatssicherheit von 1953 bis 1957 war die DDR-Geheimpolizei weiterhin ein Instrument des „Komitees für Staatssicherheit beim Ministerrat der UdSSR“ (KGB), wie der sowjetische Geheimdienst seit 1954 hieß.

Unter sowjetischer Regie wurden in den Jahren 1953 bis 1955 mehrere große Verhaftungsaktionen durchgeführt. Sie betrafen mehrere hundert Personen, die unter dem Vorwurf inhaftiert und in Schauprozessen angeklagt wurden, für westliche Dienste zu arbeiten. Vorrangig aber waren die sowjetischen Dienste daran interessiert, ihre Genossen in der DDR für die Spionage gegen die Bundesrepublik zu nutzen. „Das Gesicht dem Westen zu“ hieß die Parole.

Stärkere Konzentration auf Repression

SED-Chef Ulbricht hatte dagegen im Prinzip nichts einzuwenden, aber er war der Meinung, dass die DDR-Staatssicherheit sich stärker auf die innere Repression konzentrieren sollte, um einen erneuten Aufstand wie am 17. Juni 1953 zu verhindern. Der Stasi-Chef schien ihm in dieser Beziehung gegenüber den Sowjets zu nachgiebig. Hinzu kam Anfang 1957 ein direkter Machtkampf mit Ernst Wollweber, weil Walter Ulbricht darauf bestand, dass dessen Stellvertreter Erich Mielke direkt von ihm Weisungen entgegennehmen sollte. Wollweber gelang es mit Hilfe des sowjetischen Chefberaters Pitowranow, diesen Übergriff kurzzeitig abzuwehren, aber von da an war seine Entmachtung nur noch die Frage einer passenden Gelegenheit, vor allem nachdem Pitowranow nach Moskau abberufen worden war. Die Möglichkeit ergab sich, als der sowjetische Parteichef Nikita Chruschtschow das Verhältnis zu den osteuropäischen Satellitenstaaten neu ordnete. Im Herbst 1957 wurde Wollweber entlassen und durch den Ulbricht-Vertrauten Erich Mielke (1907 – 2000) ersetzt.

Zur Jahreswende 1958/59 reduzierte der KGB seine Beraterzahl von 76 auf 32 und beschränkte deren Kompetenzen im Wesentlichen auf die von Verbindungsoffizieren. Noch zwanzig Jahre später wird die gleiche Zahl in einem „Protokoll zur Zusammenarbeit“ genannt. Allerdings waren deutlich mehr KGB-Offiziere im MfS präsent, weil die „Verbindungsoffiziere“ noch Gehilfen und technisches Personal (Dolmetscher, Sekretärinnen, Fahrer usw.) hatten. Darüber hinaus gab es die KGB-Residentur in Berlin-Karlshorst mit zuletzt zwischen 800 und 1.200 Mitarbeitern. Sie war der I. Hauptverwaltung (Spionage) des KGB unterstellt. Und es gab kleinere Residenturen in den Bezirken (wie jene in Dresden, in der Wladimir Putin tätig war). Sie alle waren vor allem im „Operationsgebiet Bundesrepublik“ tätig.

Einflussreiche Verbindungsoffiziere

Zurück zu den KGB-Verbindungsoffizieren beim MfS: Als rechtliche Grundlage ihres Einsatzes dienten Verträge vom Oktober 1959 bzw. vom Dezember 1973. In der am 30.10.1959 unterzeichneten Vereinbarung „Über die Gruppe des Komitees für Staatssicherheit beim Ministerrat der UdSSR zur Koordinierung und Verbindung mit dem MfS der DDR“ wurde als Ziel genannt: die gemeinsame „Bekämpfung der gegen die Sowjetunion und die DDR gerichteten Wühlarbeit“ westlicher „Geheimdienste, Spionage- und Propagandazentralen sowie der antisowjetischen Emigrantenorganisationen“. Die Kompetenzen der Verbindungsoffiziere waren recht umfassend definiert. Die Mitarbeiter des MfS wurden verpflichtet, den sowjetischen Offizieren „unverzüglich alle Hinweise über die feindlichen Absichten und Handlungen [zu übergeben]. Die Verbindungsoffiziere erhalten die Möglichkeit, die operativen Aufgaben zu studieren, die die gemeinsam zu erfüllenden Handlungen betreffen, sowie auch werden [sie] in Kenntnis gesetzt über alle Informationen, die die allgemeine und operative Lage in der DDR, Westdeutschland und in anderen kapitalistischen Ländern kennzeichnen.“

Die „Vereinbarung über die Zusammenarbeit zwischen dem Ministerium für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik und dem Komitee für Staatssicherheit beim Ministerrat der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken“ vom 6.12.1973 war in diesem Punkt nicht ganz so weitgehend. Es wurde nur noch in allgemeinerer Form von Zusammenarbeit, Informationsaustausch und gegenseitiger Unterstützung gesprochen. An den grundsätzlichen Zielen wurde nichts verändert.

Außer den Grundsatzvereinbarungen gab es zwischen einzelnen Abteilungen von MfS und KGB Abkommen über Zusammenarbeit, in denen Kooperation für konkrete Abwehr- bzw. Spionageprojekte festgelegt wurde. Zur Vertiefung der Zusammenarbeit fanden außerdem regelmäßige „Arbeitstreffen“ von Hauptabteilungen und bi- und multilaterale Konferenzen auf Ministeriumsebene statt (z.B. zu Fragen der „Aufklärung“ und zum Kampf gegen die „politisch-ideologische Diversion“). Die Informationsbeziehungen zwischen beiden Diensten konzentrierten sich vor allem auf die Zusammenarbeit zwischen der Spionageabteilung des MfS, der HVA, und der ebenfalls für Spionage zuständigen I. Hauptverwaltung des KGB. Dabei lieferte vor allem die DDR-Seite: Fast alle Informationen für die SED-Führung wurden auch nach Moskau geschickt, häufig sogar die Eingangsinformationen von Westagenten, die sonst selbst im MfS außer den zuständigen HVA-Offizieren niemand zu sehen bekam. Auch eine Weitergabe qualifizierter IMs kam vor.

Für den militärischen Bereich zuständig war eine weitere KGB-Residentur bei der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Potsdam unter Führung der Hauptverwaltung III (Militärische Abwehr) in der Moskauer Zentrale. Außerdem gab es eine Residentur des Militärischen Nachrichtendienstes (GRU) in Wünsdorf. Zudem gab es bis in den Herbst 1989 direkte Verbindungspersonen von russischer Botschaft und KGB im Politbüro der SED, zu denen zuletzt die Politbüromitglieder Willi Stoph und Werner Krolikowski als direkte Ansprechpartner Moskaus zählten.

„System der gemeinsamen Erfassung“

Das MfS war auch selbst durch „Operativgruppen“ in den anderen sozialistischen Ländern vertreten, darunter auch in Moskau. Diese Operativgruppen arbeiteten auf vertraglicher Basis mit dem jeweiligen Partnerdienst zusammen. Dabei ging es vorwiegend um die Überwachung der eigenen Bürger, die sich im befreundeten Ausland befanden und um die Sicherung der eigenen und die Ausspähung fremder Botschaften. In Zeiten politischer Instabilität – so in der Tschechoslowakei nach 1968 und in Polen in den 80er Jahren – wurden zudem Informationen aus dem „Bruderland“ gesammelt und dem SED-Apparat zur Verfügung gestellt. Ende der 70er Jahre wurde die Kooperation auf eine höhere technische Ebene gestellt, als unter Leitung des KGB das „System der gemeinsamen Erfassung von Informationen über den Gegner“ (SOUD) eingerichtet wurde. Dieses EDV-System diente dem Austausch von personenbezogenen Informationen über ausländische Agenten, Diplomaten, Korrespondenten, wirkliche und vermeintliche Terroristen und „feindlich-negative“ Westbürger, die Kontakte zur Opposition im sowjetischen Herrschaftsbereich pflegten.

In den späten 80er Jahren hat die Kooperation unter der sowjetischen Reformpolitik erheblich gelitten. Soweit erkennbar, ließen die KGB-Offiziere keine Zweifel an ihrer Loyalität zur neuen sowjetischen Führung aufkommen, wenngleich sie bei manchen Gelegenheiten gegenüber MfS-Kollegen durchaus zu verstehen gaben, dass ihnen die innenpolitische Liberalisierung zu weit ging. Aber es gibt keinen Beleg dafür, dass sie ihre Genossen vom MfS in den entscheidenden Monaten zu einer repressiveren Politik ermutigt hätten. Eher im Gegenteil.

PDF-Icon Einzelne Abteilungen von KGB und Stasi schlossen nach wie vor 5-Jahrespläne für gemeinsame Projekte ab. So 1986 die Hauptabteilung XX. Sie war zuständig für die Sicherung des Staatsapparates, der Kirchen und des Kulturbereichs und bearbeitete den sogenannten Untergrund.

Beseitigte Spuren

Nach ihrem endgültigen Abzug im Jahr 1992 hinterließen die sowjetischen Geheimdienstler kaum Spuren in der DDR: „Karlshorst“ wurde – wie zuvor schon die Büroräume der Verbindungsoffiziere im Ministerium und in den Bezirksverwaltungen für Staatssicherheit – besenrein übergeben. Vieles war im Winter 1989/90 auf einem sowjetischen Truppenübungsplatz mit Hilfe eines Flammenwerfers zu Asche geworden. So berichtet es der ehemals stellvertretende Leiter der KGB-Residentur in Ostberlin, Iwan Kusmin am 30.9.1994 in der FAZ, ohne den Ort genau zu benennen (Quelle: Kusmin; „Da wußten auch die fähigsten Tschekisten nicht weiter. Wie die KGB-Residentur in Ost-Berlin vor fünf Jahren den Zusammenbruch der DDR erlebte und erlitt“). Zu einer großen Verlagerung von Aktenbeständen in Richtung Moskau habe aber damals schon deshalb keine Notwendigkeit bestanden, weil die relevanten Informationen über all die Jahre kontinuierlich abgeflossen seien.

Ein besonders wertvoller Kopiesatz, so recherchierte 1999 die Zeitschrift FOCUS (»Ausgabe 5/99, online«), sei der sowjetischen Seite dagegen erst Mitte Dezember 1989 zugegangen. Als die Auflösung der Stasi absehbar war, habe auf Befehl der HV A-Leitung der damalige Stasioberstleutnant Rainer Hemmann seinem Verbindungsoffizier Oberst Alexander Prinzipalow in einer Villa in Berlin-Karlshorst eine schwarze lederne Kuriertasche übergeben, nach Hemmanns Wissen enthielt sie die komplett verfilmte Agentendatei der DDR-Auslandsaufkärung HV A. Unzufriedene russische Geheimdienstmitarbeiter hätten allerdings eine Kopie davon Mitte 1992 in Moskau an einen CIA-Mittelsmann namens James Atwood weiter verkauft. Auf diese Weise sei die Datei zurück in den Westen gekommen – möglicherweise mit tödlichen Folgen für zwei an dem Deal Beteiligte. Im Alter von nur 52 und 49 Jahren seien die beiden Kontaktleute Atwoods, die russischen Geheimdienstler Alexander Sjubenko und Alexander Prinzipalow 1995 und 1997 auf mysteriöse Weise jeweils an einem Herzinfarkt in ihren Autos gestorben.

Creative Commons License Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/de/
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-nc-nd/3.0/de/ Autor: Walter Süß für bpb.de
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