spot_img

Das kontroverse Leben und Sterben des “American Sniper” Chris Kyle – Teil II

Datum:

Fast wäre der „American Sniper“ Chris Kyle ein Ranch Manager geworden, was seiner Mutter wesentlich besser gefallen hätte als die Militärkarriere. Es fehlten gerade einmal 60 Credit points für einen Abschluss und er arbeitete neben dem Studium auf Farmen um Geld und Praxiserfahrung zu verdienen. Aber auch dieser Job hat seine Gefahren, wie etwa tretende Kühe die dich am Kopf treffen können oder Wildpferde die dir deutlich zeigen, was sie von deinen Bemühungen halten.

Der trockene Unterricht gefiel ihm überhaupt nicht, auch wenn er nebenher Parties feiern konnte und seine Arbeitsmoral sehr hoch war. Man sieht sehr deutlich seinen Hang zu Risiko und Thrills, aber auch Opferbereitschaft und die typische Naivität eines jungen Erwachsenen. Was er wirklich wollte, war das Militär: Abenteuer, Heldentaten, Bösewichter abknallen. Damals gab es noch nicht soviele Videospiele. TV-Dokus und Filme über Spezialeinheiten und die Navy SEALs waren in der Öffentlichkeit kaum bekannt, dennoch waren seine Vorstellungen, später einmal aus Helikoptern zu springen, hochriskante Missionen zu vollenden und zu den Besten zu gehören. Für die allermeisten Soldaten ist dies ähnlich schwer zu erreichen wie der Superstarstatus für einen Musiker oder die Top-Hollywood-Karriere für einen Schauspieler. Trotzdem passte Kyle ins Profil: Ein hochgewachsener texanischer Cowboy, der mit Jagen und Action in einer stabilen Umgebung aufgewachsen war und nicht sonderlich viel Plan von der politischen Sphäre hatte. Dumm war er nicht, sonst wäre er kein SEAL geworden. Ich habe selbst einen patriotischen US-General im Ruhestand kennengelernt, der nach 32 Jahren Karriere überrascht war, wie gründlich er von der Politik und dem System getäuscht wurde.

Wenn man mitten drin steckt, ist man so beschäftigt, dass neben dem Job und ein weig Freizeit kein Platz mehr ist, um die Hintergründe ausführlich zu studieren.

Der SEAL-Auswahlprozess und die Ausbildung, so Kyle in seinem Buch, sei noch wesentlich härter als man es in TV-Dokus sieht. Beispielsweise wird öffentlich zugegeben, dass man Rekruten einer leichten Form von Waterboarding unterzieht, allerdings erfährt man generell nicht wie hart mit den Rekruten umgesprungen wird um sie auf eine mögliche Gefangenschaft vorzubereiten. Allzu viele Details darf Kyle nicht verraten, weil die Zensurstelle das Buch durchgekämmt hat. SEALs gibt es in verschiedenen Größen und Formen, es handelt sich bei weitem nicht ausschließlich um 1,90 Meter große Muskelberge. Das Training ist schließlich auf den Job ausgerichtet, was Schnellkraft und Ausdauer bedeutet. Seine Eigendarstellung im Training ist beinahe zurückhaltend, was bedeutet dass man vergeblich nach Heldengeschichten sucht. Es gibt einen durchgängigen, konsistenten Trend von Zurückhaltung und Humor der gegen ihn selbst gerichtet ist. Sogar in Fernsehshows betont er immer wieder, dass er ein Monkey on a Gun gewesen sei, der mit seinem Team und der modernen Technik wie ballistischen Computern seinen Job erledigte.

Seine Frau bestätigt durchgehend diese Persönlichkeitszüge und beschreibt bei Kyle eine hohe emotionale Reife und Gutherzigkeit. Genau solche Typen sucht das Militär für besondere Aufgaben, ohne allzu große Rücksicht auf deren Privatleben oder deren Zukunft nach dem Dienst. Einerseits gibt es einen hohen Zusammenhalt unter den Mitgliedern der Spezialeinheit, Werte wie Opferbereitschaft, Mut und Treue, andererseits liegt die Scheidungsrate bei geschätzten 95% und bei Einsätzen wie gegen Schiffe, die illegale Ladungen transportierten, wurde von Kyle erwartet, dass er mit wenigen Kollegen ohne Atemschutz unzählige schlampig verpackte Zementsäcke unter Deck bewegt um darunter die Scud-Raketen zu finden. Er beschreibt, wie er sich vorstellte, wie seine Lunge danach aussah. Das ist nur ein winziges Beispiel. Dazu kommen noch (experimentelle) Impfstoffe vor Auslandseinsätzen, Gefährdung durch radioaktiven Staub in Einsatzgebieten wo Urangeschosse verwendet wurden und vieles mehr.

Kyle beschreibt ab und zu, wie er Gerüchte hörte über Dinge, die hinter den Kulissen abliefen bzw. oberhalb seiner Hierarchieebene. Letztendlich war seine Haltung dazu „Whatever“. Soldaten beschweren sich dauernd über die Kommandoebene und die Politik, ohne überhaupt die Zeit zu haben, ein tieferes Verständnis zu entwickeln. Öffentlich beschweren in Uniform ist verboten und führt dann dazu, dass sich die Linken darauf stürzen. So festigt sich eine Bunkermentalität.

So lässt sich der Widerspruch erklären zwischen Kyles reifer Persönlichkeit einerseits und seinem Job als Killer für die Bush-Administration. Selbst seine immer wieder in der Presse herumgereichten harschen Zitate über „wilde“ Irakis die er gerne abmurkste, sind weit weniger kontrovers als es den Anschein hat. Liest man wirklich das Buch, erfährt man was genau er damit meinte, nämlich ein paar ziemlich irre Dschihadis, die auch gerne ihre irakischen Mitbürger terrorisieren, töten und vergewaltigen. Hätte Kyle gesagt, er fand es gut Psychopathen zu erschießen, wäre dies erstens viel akkurater und zweitens leichter nachzuvollziehen gewesen.

Eine Auseinandersetzung mit dem Ex-SEAL (genauer gesagt BUDS-Frogman) Jesse Ventura hätte auch besser vermieden werden sollen: Laut Kyle hätte Ventura zu heftig über den Krieg abgelästert und erklärt, „Y’all deserved to loose a few“. Angeblich hätte Kyle Ventura zu Boden gestreckt, was in früheren Versionen des Buchs geschildert wurde. Ventura klagte vor Gericht gegen diese Darstellung und bekam Recht. Die Augenzeugen konnten sich nicht erinnern, an welchem Ort und in welchem Bundesstaat dies passiert wäre. Der wesentlich ältere Ventura weiß erheblich mehr über die horrende politische Seite des Kriegs, leistet sich jedoch auch sachliche Fehler und ihm fehlt die diplomatische Ader. Kyle hatte keinen monetären Anlass, eine solche Konfrontation für das Buch zu erfinden (es hätte sich auch so verkauft und die Erlöse kommen sowieso Veteranen zugute), weiß aber zuwenig über die dreckige Politik und die psychologische Ebene. Beide scheinen anständige Männer zu sein, die für ihr Land Risiken auf sich genommen haben.

Man kann Kyle weder verdammen noch glorifizieren und das Buch sowie der Film tun weder das eine noch das andere. Erst wenn sich ein breiteres Verständis bei mehr Menschen ergibt über solche Themen, lassen sich die wirklich gefährlichen und wirklich moralunfähigen Player identifizieren und aus mächtigen Positionen entfernen.

 

 

AlexBenesch
AlexBenesch
Senden Sie uns finanzielle Unterstützung an: IBAN: DE47 7605 0101 0011 7082 52 SWIFT-BIC: SSKNDE77 Spenden mit Paypal an folgende Email-Adresse: [email protected]
spot_img
spot_img
spot_img
spot_img
spot_img
spot_img
spot_img

Related articles

Geheimdienste sollen verdeckte russische Finanzierung für Politiker in Europa aufgedeckt haben

Kommentar "Voice of Europe" schien wie eine typische, pro-russische Nachrichtenseite im Internet mit entsprechenden Beiträgen und Interviews mit europäischen...

Recentr LIVE (26.03.24) ab 19 Uhr: Dunkelfeld

Wir leben in einem Zeitalter, in dem die Menschen die falschesten Vorstellungen von den drei Supermächten besitzen. https://youtu.be/Q87IgKxwsQo

Islamischer vs. westlicher Globalismus

Propaganda aus der muslimischen Welt enthält viele Elemente, die auch westliche Sozialisten verwenden, und solche, die bei westlichen...

ISIS-K ist Russlands nächstes Problem

Kommentar Russland unter den Zaren träumte davon, das ottomanisch-islamische Kalifat zu zerstören und zu übernehmen. In der sowjetischen Phase...