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UPDATE: Separatistenführer sorgt für PR-Desaster, leugnet später in Russenmedien alles

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Ein Kommentar von Alexander Benesch

Ein ranghoher Separatistenführer erklärte im Interview mit Reuters, dass er von Buk-Raketen der Separatisten wisse und dass eine Rebellen-Einheit wahrscheinlich MH17 irrtümlicherweise vom Himmel geschossen hätte. Die Raketen stammen möglicherweise aus Russland und wurden nach dem Unglück wahrscheinlich schnell wieder dorthin gebracht.

Sobald der Reuters-Bericht weltweit die runde machte, ruderten die Russenmedien sofort zurück und der Separatistenführer Alexander Khodakovsky musste brav erklären, alles sei doch halb so wild. Er habe nur verschiedene Szenarien durchgesprochen und versichert, er persönlich würde eine Buk-Rakete nicht gegen einen zivilen Airliner einsetzen:

Ich sage Ihnen unmissverständlich, nachdem wir die ganze Situation analysiert und das ganze Arsenal geprüft haben – dass die Milizen keine Buk besitzen.

Das klingt nach jemandem, der nun Schadensbegrenzung üben muss weil er seinen Truppen und Moskau ein Riesen-PR-Desaster eingeschenkt hatte. Für die Putin-Trolle im Internet ist die Sache natürlich mit dem nachträglichen Dementi erledigt.

UPDATE: Nach dem Abstreiten erklärte Khodakovsky in den russischen Medien gar, er hätte eine eigene Aufzeichnung des Interviews, um seine Sicht der Dinge zu beweisen. Im Netz findet sich nun ein 15 Minuten kurzes Video von ihm, wo er alleine in die Kamera redet. Keine Reuters-Reporter sind darin zu sehen. Der Verdacht liegt auf der Hand, dass er dieses Video nach einem gewaltigen Anschiss von seinen Vorgesetzten einfach selbst aufgenommen hat.

Der Reuters-Bericht ist eigentlich ausreichend fair formuliert. Khodakovsky ist ein gebürtiger Ukrainer und Kommendant des Vostok Battalion. Er scheint moralische Bedenken bei dem gesamten separatistischen Unterfangen zu haben und stellt laut Reuters klar, dass er letztendlich ein gehorsamer Soldat ist:

„Ich bin ein Terrorist, ein Separatist, ein Freiwilliger… In jedem Fall wird von mir verlangt dass ich diejenige Seite bewerbe die ich repräsentiere, selbst dann wenn ich anders denke, etwas anderes sage oder eine andere Sicht habe. Dies ist wirklich belastend für meine Seele.“

Es überrascht angesichts dieser Worte wenig, dass er nach dem Interview gehorsam ein Dementi im russischen Fernsehen bringt. Seine Vorgesetzten müssen wirklich wütend gewesen sein. Schließlich hatte er zunächst erklärt:

„Ich weiß dass eine Buk von Luhansk kam. Zu der Zeit wurde mir gesagt dass eine Buk aus Luhansk unter die Flagge der LNR kam.“

„Von dieser Buk wusste ich. Ich habe davon gehört. Ich denke dass sie sie zurückgeschickt haben […] um Beweise zu beseitigen.“

Unmittelbar nach dem Abschuss habe Khodakovsky von seinen Kollegen erfahren, dass die Buk vorhanden gewesen wäre. Außerdem beklagte er, dass seinem Wissen zufolge sich die Ukrainer im Klaren darüber waren, dass die Separatisten in dem Dorf Snezhnoye eine Buk hatten, die Gegend in der später das Flugzeug herunterkam. Khodakovsky beklagt ausführlich, dass die ukrainische Luftwaffe den Vorfall provoziert hätte, indem Kampfbomber in wenigen Kilometern Entfernung von Passagiermaschinen Einsätze flogen. Außerdem würde er, wenn ihm eine solche Waffe angeboten wird, diese nicht ablehnen.

Er war unter dem getürmten Präsidenten Janukowitsch Anführer der Elite-Spezialeinheit Alfa gewesen. Sein Vostok-Battalion gilt als eine Privatarmee die von Russlands Geheimdiensten bzw. über reiche Geschäftsmänner gesteuert wird. Es soll Spannungen geben zwischen Khodakovsky und Rebellenführer Girkin, der bis 2013 noch russischer FSB-Agent war und in der Vergangenheit gegen die unabhängige Republik Tschetschenien gekämpft hatte.

Khodakovsky wurde von Reuters so wiedergegeben, dass laut seinem besten Wissen die Rebellen eine Buk in der betreffenden Gegend hatten und sich die Ukrainer darüber im klaren waren. Bei Reuters wurde auch fairerweise seine Aussage wiedergegeben, dass er außer den (unmissverständlichen) Informationen von seinen Kollegen keine physischen Beweise für die Buk habe.

Das nachträgliche totale Dementi im russsichen Fernsehen wirkt deshalb unehrlich. Wie eine Schadensbegrenzungsmaßnahme die ihm befohlen wurde.

Seine Position aus dem Reuters-Interview, laut der die ukrainische Luftwaffe Angriffe im Windschatten von Passagiermaschinen geflogen und damit das Risiko in Kauf genommen oder sogar provoziert hätte, dass ein Linienflugzeug abgeschossen wird, war ein deutlicher Rückzieher von der bisherigen Russenpropaganda, es hätte sich um einen Abschuss durch die Ukraine gehandelt.

Aandererseits wollte der Rebellenführer Kiew nicht aus der Verantwortung nehmen. Russland hatte vor wenigen Tagen bei einer Pressekonferenz Informationen präsentiert über ukrainische Kampfbomber in der Nähe von Malaysia Airlines 17. Der Krieg gegen die zumeist russischen Frontorganisationen, die bereits die Krim militärisch besetzt und auf verfassungswidrigem Wege eine moskau-hörige Pseudoregierung eingesetzt hatten, kostet Kiew pro Monat rund 150 Millionen Euro. Die Separatisten schossen außerdem in der letzten Zeit rund 12 ukrainische Flugzeuge ab, die auch jede Menge Geld kosten. Die Separatistentruppen haben kein Recht, ukrainische Gebiete zu besetzen. Kiews Luftwaffe begibt sich wiederum in höchst fragwürdiges Fahrwasser, wenn sie ihre Erfolgsquote auf eine Weise verbessern möchte, die zivile Airliner in Gefahr bringt.

Khodakovsky scheint Kiew zu unterstellen, dass der Abschuss eines Airliners provoziert werden sollte. Beweise dafür hat er aber keine. Kiew wirft umgekehrt den Separatisten vor, den Krieg so zu führen dass ukrainischen Truppen wenig anderes übrig bleibt, als aus der Distanz mit Panzern auf Stellungen zu feuern, was natürlich zivile Opfer produziert. Was soll außerdem daran fair sein, dass die Separatisten von Moskau trainiert und ausgestattet werden? Dies ist nun einmal die Natur des Krieges.

Die Putin-Propagandisten in den alternativen Medien wiederholten seit dem Abschuss ohne Beweise hysterisch das Mantra, Kiew bzw. die USA hätten den Abschuss selbst herbeigeführt, um den armen armen Putin und seine Separatistenkader in Schwierigkeiten zu bringen. Das Reuters-Interview mit Khodakovsky bestätigt aber genau das, was die Amerikaner vom ersten Moment an öffentlich verkündeten: Es war ein versehentlicher Abschuss durch Separatisten. Trotzdem bremst dies die Putin-Trolle und Beeinflussungsagenten nicht. Denn das russische Fernsehen sendete nachträglich ein Dementi. Und was die russischen Medien berichten, das ist für die Putin-Trolle automatisch die reinste Wahrheit.

Selbst wenn sich bestätigen sollte, dass die ukrainische Luftwaffe internationale Passagierflugzeuge als Schutzschild benutzt hat, wäre dies noch lange keine Rechtfertigung für die Rebellen, eine Buk ausgerechnet auf das Passagierflugzeug abzufeuern.

Zu einer Buk gehört ein Radarsystem, mit dem sich klar erkennen lässt, auf was man feuert. Sogar laut den Russen waren mehrere Kilometer Abstand zwischen MH17 und den ukrainischen Kampfbombern. Wenn also ein Buk-Sprengkopf vor der Boeing zündet (wie es nämlich den Anschein hat), wie will man damit den mehrere tausend Meter entfernten Kampfbomber treffen? Wenn hingegen der Buk-Sprengkopf in unmittelbarer Nähe des ukrainischen Kampfbombers zündet, wie kann es dann die mehrere tausend Meter entfernte Boeing so schwer beschädigen? Der Sprengkopf zündet in einem Abstand von maximal 20 Metern vom Ziel. Explosives Schrapnell fliegt zwar mit ein paar tausend Metern pro Sekunde Geschwindigkeit, dennoch breitet sich das Schrapnell eines Raketensprengkopfes kugelförmig in alle Richtungen aus. Das heißt, eine Kilometer entfernte Boeing würde nicht sonderlich viele der Schrapnells abbekommen und niemals so aussehen wie MH17.

Außerdem: Wenn die Angriffsziele der ukrainischen Luftwaffe in der betreffenden Gegend so wenig bedeutend waren, wie Khodakovsky im Reuters-Interview meinte, weshalb hat man dann nicht den Luftangriff hingenommen? Kiew hatte nur sehr begrenztes Motiv, den Abschuss eines Airliners durch Separatisten herbeizuprovozieren. Die Streitkräfte der Ukrainer müssen nämlich fast im Alleingang den Krieg führen. Sigifikante NATO-Truppen in der Region gibt es nicht. Dafür stehen auf der russischen Seite der Grenze mehrere zehntausende Truppen bereit. Russland könnte die Ukraine in wenigen Wochen einnehmen, viel zu spät für irgendeine Hilfe aus dem Westen.

Der Abschuss ist außerdem eine Riesenpeinlichkeit für die Ukraine und hat gewaltige wirtschaftliche Folgen. Die Welt betrachtet die Ukraine nun noch mehr als instabil, wenn sogar über Syrien Passagierflugzeuge sicherer sind. Investoren haben da wenig Lust drauf. Diese simple Tatsache wird von den Putin-Trollen natürlich auch komplett ignoriert. Freilich bietet der Abschuss auch einen begrenzten Nutzen für Washington und Kiew, gleichzeitig aber auch zu viele zu große Nachteile. Die Russen denken sich ja schon, es gibt bald sowieso keinen Grund mehr, NICHT in die Ukraine einzufallen.

Dieses Interview eines Rebellnführers wirft ein klareres Licht auf die Situation. Trotzdem weigert sich Moskau weiterhin standhaft, eine realistischere Sicht der Dinge einzugestehen. Bisher leugnete Russland jegliche Bewaffnung der Separatisten und erst Recht, dass Buk-Raketen im Spiel waren. Die sogenannten alternativen Medien im deutschsprachigen Raum sind zu 99% nur noch Papageien, die die aktuelle Kreml-Linie weiterverbreiten.

Wenn Moskau einlenkt, und doch noch den versehentlichen Abschuss durch die Separatisten zugibt, würde das heißen, dass die Putin-Trolle im Netz mal wieder völlig unrecht hatten. Bleibt Moskau hingegen stur, wird das richtig teuer. Wahrscheinlich viel teurer als das Eingeständnis. In Moskau wird momentan heftigst kalkuliert.

AlexBenesch
AlexBenesch
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