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Deckname "Willy Brandt": Die Deutschen gedenken einem mysteriösen Agenten ohne Wurzeln

Datum:

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Ein Kommentar von Alexander Benesch

Jemanden wie Willy Brandt wünschen sich die heutigen Mitglieder und Wähler der 25%-Partei SPD sehnsüchtig: Mehrheitsfähig, staatsmännisches Auftreten, „antifaschistische Vergangenheit“ in den 30er und 40er Jahren, Präsident der Sozialistischen Internationalen, Friedensnobelpreisträger für seine softe Ostpolitik im kalten Krieg. Stattdessen kriegen sie nur den drögen Mittelfinger-Steinbrück und Stümper-Gabriel.

100 Jahre alt wäre er heute geworden und wie bei allen verstorbenen Figuren der Zeitgeschichte driftet die Bewertung seiner Person ab ins Mythische und Falsche. Jeder interpretiert ihn heute anhand seiner politischen Agenda zurecht. Dabei ist nichts an ihm ist glaubwürdig und transparent. Er heißt nicht einmal Willy Brandt, sondern Herbert Frahm.

Der verlorene Sohn

Er hatte den passenden Familienhintergrund für einen linken Revoluzzer und ewigen Spion ohne Wurzeln. Das uneheliche Kind einer überforderten Verkäuferin und eines Lehrer-Beamtenvaters, den er nie kennengelernt hatte, war von Anfang an verbittert. Mit fünf Jahren landete er beim Stiefgroßvater und SPD-ler Ludwig Frahm und der ungeliebten „Tante Dora“. Ohne echtes Zuhause und Eltern fand er seinen politischen Mentor bei dem Sozialdemokraten Julius Leber, der sich im 1. Weltkrieg freiwillig zum Kriegdienst gemeldet hatte und 1940 Kontakte knüpfte zu dem Stauffenberger Kreis und in den Putschplänen vorgesehen war als Innenminister Deutschlands. Hätte man jemanden, der angeblich keine tiefen geheimdienstlichen Verstrickungen hatte, im Ernst als Innenminister in Erwägung gezogen?

Frahm, der erst viel später den Decknamen Brandt annehmen sollte, wechselte nach einem Jahr gegen den Rat seines Mentors von der SPD zu der Splitterpartei namens „Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands“ (SAP) rüber, die sich selbst wiederum spaltete und keine Erfolge bei Wahlen hatte oder bei dem Versuch, eine antifaschistische Einheitsfront zusammenzuzimmern. Moskau waren die vielen linken Gruppen in Europa, die ohne Moskaus Führung agierten, ein gewaltiger Dorn im Auge.

Vieles ist denkbar: Möglicherweise wurde Frahm/Brandt früh vom sowjetischen NKWD angeworben und sollte gezielt linke Bewegungen ausspionieren. Viele Akten zu seiner Person seien verbrannt, auch das Mitrochin-Archiv hat nicht viel. Weshalb sollen wir blind der Darstellung glauben, er hätte sich als „netter Sozialist mit besten Absichten für Deutschland“ einfach irgendwie durchgewurstelt und dabei seinen Anstand bewahrt? Auch diejenigen linken Gruppen, die nicht Moskaus Linie folgten, wie manche Marxisten und Trotzkisten, waren extrem radikal und sprachen wurzellose, bittere Menschen an. Ob durch revolutionären Terror oder durch Streiks und politische Subversion, das Endziel war immer das Gleiche: Die sozialistische Diktatur. Trotzki distanzierte zwar die internationale Sozialdemokratie in diversen Texten vom „individualistischen Terror“, aber in dem Werk „Defence of Terrorism“ (Terrorism and Communism) fordert er das „Zerhacken der bürgerlichen Klasse“ mit Hilfe des „roten Terrors“.

Nach Hitlers Machtergreifung ging Brandt mit einer Aktentasche, 100 Reichsmark, ein paar Hemden und einer Ausgabe von Marx‘ „Kapital“ nach Norwegen, mit dem Auftrag, in Oslo eine Zelle der SAPD-Organisation aufzubauen. In dieser Zeit nahm er, der bis dahin noch unter seinem Geburtsnamen Herbert Frahm bekannt war, den Decknamen Willy Brandt an. Als Journalist getarnt reiste er mit norwegischen Papieren unter dem Decknamen Gunnar Gaasland im September 1936 als Kurier nach Deutschland, wo er sich bis Dezember des Jahres aufhielt, um Verbindung mit SAP-Genossen im Untergrund aufzunehmen und den Widerstand vor Ort mit den Aktivitäten der SAP im Ausland abzustimmen.

Im Februar 1937 reiste er erneut unter dem Deckmantel des Journalisten mit seinem Fake-Namen Brandt nach Spanien in den Bürgerkrieg zwischen Faschisten und Kommunisten. Es heißt, er wollte als Verbindungsmann zwischen SAP-Mitgliedern der internationalen Brigade und der neotrotzkistischen POUM-Miliz fungieren. Er prangerte den „blinden Terror“ an, den die Kommunisten auf sowjetische Befehle hin gegen die POUM und andere linke Abweichler durchführten. Die Kommunisten schimpften Brandt einen „Agenten Francos“ und „Spion der Gestapo“. Was natürlich nicht ausschließt, dass „Brandt“ den Sowjets wertvolle Informationen geliefert haben könnte über die verhassten Trotzkisten und Moskau-kritischen Sozialisten. Am 16. Juni entging er in Barcelona wie durch Zauberei einer Verhaftungswelle der Kommunisten gegen die POUM, der er nahestand, und kehrte nach Oslo zurück.

Die Akte Brandt beim KGB begann – soweit bekannt – im Jahr 1936 mit dem Eintrag als Mitglied der Danziger Trotzkisten. Die in den folgenden Jahren verfassten Einträge werden von Historikern gerne angezweifelt. Folgende Behauptungen, die falsch sein sollen aber nicht unbedingt falsch sein müssen, sind darin enthalten: Brandt soll im Auftrag der Pariser Sureté-Polizei die POUM infiltriert, viele Mitglieder der SPD an die Gestapo verraten haben. Alles nur Erfindung, oder handelte es sich bei ihm um einen „Hopper“, der für mehrere Dienste arbeitete?

Nach Hitlers militärischem Angriff gegen die Sowjetunion im Juni 1941 entbrannte laut den sowjetischen Nachrichtendiensten ein Streit unter den norwegischen Trotzkisten. Viele wollten nun doch mit den Sowjets zusammenarbeiten. Brandt sprach im Herbst 1941 in der sowjetischen Botschaft in Stockholm direkt mit sowjetischen Agenten. Er versprach, Informationen von seinen norwegischen Mitstreitern über deutsche Truppen und Operationen in Norwegen zu beschaffen. Einmal quittierte er den Betrag von 500 Kronen. Die stockholmer Residentur der Sowjetagenten berichtete, Brandt hätte auch Kontakte unterhalten zu britischen und amerikanischen Agenten in Schweden. War dies in den Augen der Sowjets nur darin begründet, dass Brandt den Russen nicht zuviel Vorteil verschaffen wollte, oder war die Beziehung Brandts zu den westlichen Diensten doch stärker?

Die Sowjets hatten ein Archiv in Ostberlin erbeutet mit Wehrmachtsakten, Karteien der SS und der NSDAP. Die „Abteilung X“ hatte den Auftrag, echte und gefälschte Informationen zusammenzustellen, um Personen von Bedeutung in Westdeutschland zu diskreditieren und zu erpressen. Sobald Herber Frahm alias Willy Brandt im Oktober 1957 regierender Bürgermeister von Berlin wurde, liefen gegen ihn aktive Maßnahmen an. Mal hieß es, er sei ein Informant der Gestapo gewesen, dann wieder CIA-Agent, auch Sowjet-Agent.

Im Kanzlerwahlkampf 1961 wurde Brandt dann zur Zielscheibe von allerhand Vorwürfen von konservativer Seite. Interessanterweise bekam die konservative Anti-Brandt-Kampagne Informationen aus Ostberlin. Nichts von dem Material war jedoch ein Game-Changer. Viele in der Bevölkerung verziehen Brandt eher dessen „sozialistisches Exil“, als dass sie den Konservativen deren Nazi-Vergangenheit verziehen. Brandt verlor.

Im November 1962 billigte der KGB-Vorsitzende dann eine weitere Operation gegen Brandt: Der russische Journalist Poljanow, der in dem Jahr ein Interview mit Brandt gemacht hatte, sollte in Begleitung von zwei KGB-Agenten an den Kanzler herantreten und drohen, dass man weiteres Belastendes Material hätte und einen großen Flurschaden anrichten könne.

Die Stasi brachte unterdessen Günter Guillaume (Deckname Hansen) ins Kanzkeramt. Brandts Außenpolitik wurde aber auch unabhängig von Guillaume in Moskau und auch in Westdeutschland als positiv bewertet. Plötzlich bekam der Kanzler Hilfe aktive Hilfe von den Sowjets. Stasi-Chef Wolf ließ einen CDU-Abgeordneten mit 50.000 Mark bezahlen, damit jener für Brandt in dem knappen Misstrauensvotum stimmte und Brandt somit an der Macht hielt. Der CDU-ler erklärte aber später, als Doppelagent für den Verfassungsschutz tätig gewesen zu sein. Ironischerweise führte die Ergreifung des Spions Guillaume und der folgende Skandal zu Brandts Rücktritt.

Wieviele weitere Decknamen hatte Brandt/Frahm/Gaasland? War er ein Miet-Taxi? Ein wurzelloser und treuloser Hochstapler á la Barry Lyndon, der von Dienst zu Dienst sprang wie es ihm gerade passte? Für wen arbeitete er letzen Endes? Wohl kaum für die Deutschen.

AlexBenesch
AlexBenesch
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