Kommentar
Das AfD- und Kreml-Werbeblättchen Compact darf vorerst weiter erscheinen. Das Bundesverwaltungsgericht entschied, dass im Moment der „Verbotsgrund des Sichrichtens gegen die verfassungsmäßige Ordnung“ noch nicht abschließend beurteilt werden kann. Für ein klares Urteil, vor allem im späteren Hauptverfahren, braucht es nämlich Einsicht in das umfangreiche Material, dass der Geheimdienst über die Compact gesammelt hat.
Es wirkt auf mich wie inoffizielles Geschacher zwischen dem Innenministerium und der Compact: Je mehr Material gezeigt wird, das die Geheimdienste gesammelt hatten, umso schlechter für die Compact, aber umso mehr Quellen und Methoden des Geheimdienstes werden offensichtlich, wodurch andere Akteure da draußen dazulernen können. Es kann zu einer Art Einigung bzw. Kompromiss kommen: Die Compact schaltet künftig zwei Gänge runter und ist nur noch ein zahnloses Sammelbecken und Beschäftigungstherapie fürs Publikum; vermeidet aber das Verbot.
Innenministerin Faeser ließ kürzlich die COMPACT-Medienplattform verbieten und präsentierte in der Öffentlichkeit nur eine sehr kurze Presseerklärung: Das Magazin verbreite „antisemitische, rassistische, minderheitenfeindliche, geschichtsrevisionistische und verschwörungstheoretische Inhalte“.
Bei der Verwirklichung seiner verfassungsfeindlichen Ziele nimmt „COMPACT-Magazin GmbH“ eine aggressiv-kämpferische Haltung gegenüber der verfassungsmäßigen Ordnung ein.
Erst bald darauf leakte der ausführlichere Verbotsbeschluss, der mehr Einblick lieferte über das Material das der Geheimdienst über Compact gesammelt hatte: Unter Tarnnamen arbeiteten sogar NPD-Leute bei Compact und man deckte inhaltlich solche Kategorien ab, wegen denen die NPD zweimal fast verboten worden war. Die Verbotsverfahren scheiterten nur an zu vielen Spitzeln und fehlender Relevanz der Partei.
Die Compact blieb in einzelnen Aussagen (wahrscheinlich) unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit, aber wenn man über eine Chabad-Weltverschwörung schwafelt, garniert mit Kraken-Bildern, und sich abgibt mit Poggenburg, Tillschneider und Höcke, dann schaut der Geheimdienst eben genauer nach. Im Verbotsbeschluss hieß es:
Dass es sich bei dem Datum der Veröffentlichung, dem Geburtstag Adolf Hitlers, nicht um einen Zufall handelt, zeigt die Veröffentlichung am 20. April 2024, an dem „COMPACT“ das Buch „Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs“ bewirbt und Hitler als „Revoluzzer aus Braunau“ bezeichnet. In einem Gespräch zwischen Dr. Stephanie Elsässer und Paul Klemm zu anstehenden Aufnahmen von „COMPACT-TV“ wird zudem sichtbar, dass in Teilen von „COMPACT“ Hitler verehrt wird und der 20. April bewusst gefeiert wird
Es ist klar, dass alle möglichen Gespräche abgehört wurden. Was ist aber der Wortlaut? Es wird an anderen Stellen angedeutet, dass man viele, sehr heikle Tonaufnahmen heimlich angefertigt hat.
Die Beschlagnahmungen in Compact-Räumlichkeiten unmittelbar nach dem Verbot lieferten den Behörden weitere Daten. Auch weigerte sich die Innenministerin bisher, auf die Russlandverbindungen der Compact einzugehen. Beispielhaft ist der regelmäßige Austausch mit Alexander Dugin, der durchgeknallte Eurasier, der Europa zu einem russischen Protektorat machen will.
Der Verbotsbeschluss war dermaßen zurückhaltend, dass nun das Bundesverwaltungsgericht das Verbot in einer vorläufigen Eil-Entscheidung aufgehoben hat. Die Sache wurde natürlich nicht vom Gericht in der Tiefe geprüft. Das geschieht erst im Hauptverfahren, dass sich Monate oder Jahre hinziehen kann. Es heißt:
„Einzelne Ausführungen“ in den „verbreiteten Print- und Online-Publikationen“ ließen „Anhaltspunkte insbesondere für eine Verletzung der Menschenwürde (…) erkennen“.
Es deutet „Überwiegendes“ darauf hin, dass das „Compact“-Magazin mit seiner „Rhetorik in vielen Beiträgen eine kämpferisch-aggressive Haltung gegenüber elementaren Verfassungsgrundsätzen einnimmt“.
Das heißt im Prinzip: Ein Gericht kann über das Compact-Verbot nur entscheiden auf der Basis der Materialsammlung des Geheimdienstes. Aber diese Sammlung ist bis zum Hauptverfahren nicht der Öffentlichkeit zugänglich; nicht einmal teilweise. Damit werden auch Quellen und Methoden der Geheimdienste geschützt.
Die Innenministerin ist nun erheblicher Kritik ausgesetzt, weil der Verbotsbeschluss so kurz und zurückhaltend war. Wäre mehr gesammeltes Material eingeflossen, hätte das Bundesverwaltungsgericht nun vielleicht anders entschieden.
Die Richter salbaderten, ein komplettes Verbot sei immer nur der letzte Schritt. Mildere Mittel wie „presse- und medienrechtliche Maßnahmen, Veranstaltungsverbote“ oder Verbote von einzelnen Äußerungen in Compact-Medien seien vorrangig. Milde sind solche Mittel aber nicht.
Landesmedienanstalt führte bereits zum Ende von „KenFM“
Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) hatte ein Verfahren angestrengt gegen Ken Jebsens Plattform KenFM, die absolut grotesken Unsinn brachte zur Coronapandemie.
Werde KenFM keine „neuen und überzeugenden Argumente vorbringen“ oder „Anpassungen beziehungsweise Änderungen der Inhalte und Beiträge vornehmen“, wollte die Landesmedienanstalt bei einem Verstoß „einen förmlichen Bescheid mit den erforderlichen gesetzlichen Maßnahmen“ erlassen. Möglich sind eine Beanstandung oder gegebenenfalls „eine Untersagung einzelner Aussagen/Beiträge“ auf dem Angebot von KenFM. Wenn nötig konnte zur Durchsetzung ein Zwangsgeld von bis zu 50.000 Euro festgesetzt werden.
Eine Sperrung eines gesamten Kanals komme nur als letztes Mittel bei wiederholten und systematischen Verstößen in Betracht, wenn sich mildere Mittel als wirkungslos erweisen.
Jebsen arbeitete mit extremen, theatralischen Vorwürfen gegen Corona-Maßnahmen und Impfungen. Die Behörde verlangte überzeugende Quellen. Ähnlich könnten von der COMPACT nun Quellen und Korrekturen verlangt werden. Lässt sich die Compact darauf ein und verzichtet auf diejenigen Statements, die normalerweise ein rechtsextremes Publikum begeistern, verliert die Plattform massiv an Beliebtheit.
Youtube kam der Behörde zuvor und löschte den Kanal. Auch der Verfassungsschutz hatte begonnen, KenFM zu beobachten. Im Juni 2021 erklärte eine Hackergruppe, auf Jebsens Seite Daten von fast 40.000 Abonnenten erbeutet zu haben.
Jebsen schaltete schließlich KenFM ab und wollte ins Ausland gehen.
Die Landesmedienanstalt NRW hatte im Frühjahr auch dem extrem rechten Jugendportal Flinkfeed geschrieben. Bald war das mit AfD-Fraktionsmitarbeitern des Düsseldorfer Landtags verbandelte Portal aus dem Netz verschwunden.
Die Compact könnte nun versuchen, sich anders zu verhalten und sich intern anders aufzustellen, um in dem Hauptverfahren bessere Chancen zu haben. Allerdings ändert dies nichts an dem bisher bereits gesammelten Material des Geheimdienstes und die Compact könnte sich mit einem milderen Kurs die eigene Beliebtheit zerstören beim Publikum. Man hat die Leute regelrechte darauf programmiert, Skandale der AfD zu ignorieren und eine sture „Jetzt erst recht“-Haltung zu praktizieren. Kritik innerhalb des rechten Lagers galt als Verrat.
Neue Regelungen ersetzen den alten Rundfunkstaatsvertrag, der seit 1991 gilt. Sie ermöglichen nun auch ausdrücklich eine Regulierung von Internetmedien. Das Personal bei den Landesmedienanstalten tendierte lange fast gegen null.
Man zielte bereits auf Influencer ab wie Ken Jebsen. Streitpunkt ist, wann ein Medium tatsächlich gegen Sorgfaltspflichten verstößt und was genau „anerkannte journalistische Grundsätze“ sind.
Es gibt keinen Zwang für die Medienanstalten, proaktiv gegen Verstöße vorzugehen. Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass sich die Behörden die Fälle nach Belieben herauspicken kann. Wer ein Verfahren am Hals hat, könnte dann wohl auch nicht eine Art Gleichbehandlungsgrundsatz einfordern, sodass die Behörde im Endeffekt alle gleichartigen Verstöße oder zumindest einen Großteil verfolgen müsste.