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Russlands Spitzel-Staat: Haft und Geldstrafen für so ziemlich alles

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In Russland erhält man eine Geldstrafe von 30.000 Rubel, umgerechnet etwa 330 US-Dollar, wegen Aufnähern gegen den Krieg auf einem Rucksack. Der Straftatbestand lautet „Diskreditierung des russischen Militärs“. Die Verfassung garantiert, wie in Sowjetzeiten, alle möglichen Freiheiten aber die zusätzliche Legislatur nimmt alle Freiheiten dann wieder weg.

Spitzel fotografieren spontan Personen und informieren dann die Behörden. Eine Großmutter wurde angezeigt, weil sie blaue und gelbe Blumen gepflanzt hatte, ein Mädchen wurde angezeigt, weil sie blaue und gelbe Schleifen im Haar trug, und ein Mann wurde mit einer Geldstrafe belegt, nachdem Nachbarn den Behörden mitgeteilt hatten, dass er durch das offene Fenster seiner Wohnung die ukrainische Hymne hörte.

Daten von Roskomnadzor, dem staatlichen Zensor, zeigen, dass die Agentur im Jahr 2022 283.789 Meldungen von Bürgern erhalten hat, bei denen es den Informationen zufolge hauptsächlich um „die Veröffentlichung illegaler Informationen im Internet“ ging.

Die 24-jährige Zolotukhina wurde kurz nach Kriegsbeginn zwei Tage lang festgehalten, als ein Mann sie beschuldigte, in einem Gespräch mit einem Bekannten in einem Moskauer Nachtclub Antikriegsaussagen gemacht zu haben. Sie meint, sie habe lediglich seine Annäherungsversuche abgeblockt.

Informanten sind nicht immer verpflichtet, vor Gericht auszusagen. Manche sind motiviert durch billigen Patriotismus, während andere die Gelegenheiten nutzen, um sich an Personen zu rächen wegen irgendwelchen Vorkommnissen. Professionelle Spitzel werden bezahlt und diese haben den Anreiz, möglichst viele Vorfälle zu melden.

Die Rentnerin Olga Slegina wurde im Dezember 2022 angeklagt, weil sie dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj Komplimente für sein Aussehen gemacht hatte. Sie habe Zelensky während eines Scherzes mit einem anderen Gast beim Abendessen als „einen gutaussehenden jungen Mann“ bezeichnet.

Im März wurde der 40-jährige Beschaffungsmanager Juri Samoilow in der Moskauer U-Bahn festgenommen, nachdem ein Fahrgast Bilder auf seinem Telefon gesehen hatte. Nach Angaben des Bezirksgerichts Tscherjomuschki in Moskau war auf dem Bildschirmschoner von Samoilows Mobiltelefon ein Emblem des ukrainischen Asow-Regiments abgebildet.

Die Zahl der Informanten ist so weit verbreitet, dass Anfang des Jahres der Abgeordnete der Staatsduma, Alexej Netschajew, Vorsitzender der liberalen Partei „Neues Volk“, die Praxis als „Epidemie“ bezeichnete und ein Gesetz forderte, das „Serieninformanten“ strafbar machen würde.

In Sowjetrussland war das Spitzelnetz des KGB von überragender Bedeutung, um in der gesamten Bevölkerung möglichst jeden aufzuspüren, der keine Begeisterung für das Regime hatte und sich in irgendeiner Form mit seinen Mitbürgern austauschte. Jeder konnte ein Spitzel sein und zu den schlimmsten Zeiten konnte der falsche Witz gegen das System 25 Jahre Lagerhaft nach sich ziehen. Noch in der späten DDR verbaute eine einzige unerwünschte Aussage die gesamten Karriereaussichten. Zu groß schien der Obrigkeit das Risiko, dass sich aus Meinungsäußerungen ein Flächenbrand entwickeln kann.

Der Operativ-technische Sektor der Stasi ergänzte das Spitzelnetz. Das Rückgrat der Abhörmaßnahmen bildete das sogenannte Ceko – oder Centrales Kontrollsystem, ein über das gesamte Territorium der DDR installiertes, festes Abhörnetz, das ab 1973 in Betrieb ging.

Fand man eine verdächtige Person, wollte man im nächsten Schritt herausfinden, mit wem sie in Kontakt steht. Dazu wurden die Zielpersonen und Gegenstände mit radioaktiven Stoffen versehen zur effektiveren Verfolgung. Verdächtige Personen seien auch mit verseuchten Stecknadeln ausgestattet worden. Stasi-Mitarbeiter hätten sie dann mit am Körper getragenen Geiger-Zählern ausmachen können. Unter normalen Umständen ist ein Bürger pro Jahr 4 Milli-Sievert an Belastung ausgesetzt. Ein markierter Geldschein strahlte 200 Rem (vier Sievert).

Einem Entwicklungsingenieur wurden radioaktiv markierte Dokumente zugespielt, die er später zu Hause einem Westberliner übergab. Die Markierung war so stark, dass „auch von außen in der Wohnung“ gearbeitet werden konnte, wie es in Notizen des MfS heißt. „

In der Putin-Ära wurde der russische Überwachungsapparat grundlegend erneuert und hauptsächlich gegen organisierte politische Beteiligung und Aktivismus verwendet. Wer im privaten Umfeld sein Missfallen äußerte, wurde in aller Regel in Ruhe gelassen. Dieser Zustand konnte aber nicht allzu lange anhalten. Ich warne seit 2016 vor der Rückkehr stalinistischer Verhältnisse.

In einem Interview mit Max Otte behauptete Boris Reitschuster:

„Man kann in Russland auch völlig frei die Meinung sagen. Und wenn man jetzt nicht ein bekannter Oppositionspolitiker ist, dann wird einem da auch nichts passieren. Aber man kann Nachteile erlangen.“

Seit 2022 wird Jagd gemacht auf jeden, der sich selbst nur im privaten Bereich negativ über den Krieg oder das System äußert.

„Es hat die Leute sehr paranoid gemacht, denn wenn man mit irgendjemandem in Russland kommuniziert, kann man nicht sicher sein, ob es sicher ist oder nicht. Sie überwachen den Verkehr sehr aktiv“,

sagte Alena Popova, eine russische Oppositionspolitikerin und Aktivistin für digitale Rechte.

„Früher war es nur für Aktivisten. Jetzt haben sie es auf alle ausgeweitet, die mit dem Krieg nicht einverstanden sind.“

Jede Art von elektronischer Kommunikation ist brandgefährlich; egal welche App man benutzt.

Die Bemühungen haben die Kassen einer Konstellation relativ unbekannter russischer Technologieunternehmen gespeist. Viele gehören der Citadel Group, einem Unternehmen, das einst teilweise von Alisher Usmanov kontrolliert wurde.

Die NY Times erhielt Hunderte von Dateien von einer Person mit Zugriff auf die internen Aufzeichnungen, in denen etwa 40 die Überwachungsinstrumente detailliert beschrieben. Es geht oft um die „Metadaten“, also wer mit wem kommuniziert.

Ein in den Materialien beschriebenes Programm kann erkennen, wenn Personen über verschlüsselte Chat-Apps wie Telegram, Signal und WhatsApp Sprachanrufe tätigen oder Dateien senden. Die Software kann den Inhalt der Nachrichten nicht unbedingt abfangen, aber sie kann feststellen, ob jemand mehrere Telefone verwendet, das Beziehungsnetzwerk kartieren, und triangulieren, welche Telefone an einem bestimmten Tag an bestimmten Orten waren.

Wer also kein klassisches Spionage-Tradecraft beherrscht, und nicht-elektronische Zeichen verwendet, um konspirative Treffen anzukündigen, ist klar im Nachteil.

Das expandierende Programm – früher bekannt als System for Operative Investigative Activities (SORM) – war ein unvollkommenes Überwachungsmittel. Russlands Telekommunikationsanbieter haben die Technologien oft unvollständig installiert und aktualisiert.

Jetzt hangelt man sich von einer verdächtigen Person zur nächsten. Automatisch wird verdächtiges Verhalten erkannt, wie das Verwenden mehrerer Mobiltelefone.

Eine Funktion von NetBeholder nutzt eine Technik namens Deep-Packet-Inspection, die von Telekommunikationsdienstleistern verwendet wird, um zu analysieren, wohin der Datenverkehr geht.

Für die Hersteller von Signal, Telegram und WhatsApp gibt es nur wenige Schutzmaßnahmen gegen ein solches Tracking. Die russische Bevölkerung ist nicht sehr groß und der Staat verfügt längst über sehr viele Daten zu den Menschen. Unter diesen Umständen ist keinerlei nennenswerte politische Beteiligung oder Aktivismus möglich.

AlexBenesch
AlexBenesch
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