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Das immerwährende Kartell der Supermächte und seine kontrollierten Kriege wie nun in der Ukraine

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Carroll Quigley war weit mehr als ein Historiker; als einer der führenden Sicherheitsexperten des 20. Jahrhunderts ging er von einem heimlichen Kartell der Supermächte UdSSR und USA aus, das kontrollierte Stellvertreterkriege führt nach bestimmten Mustern, wie sie aktuell auch bei dem Ukrainekonflikt zutreffen. Mit modernen, mobilen Waffensystemen lassen sich überall auf der Welt Konflikte starten, und beliebig eskalieren, deeskalieren und beenden. Für rund 10.000 Jahre war es für Imperien selbstverständlich, große Kriege zu führen um große Ziele zu erreichen. Im Kalten Krieg hatte sich die Situation wegen ABC-Waffen grundlegend verändert. Der große Krieg lohnte sich nicht mehr. Ein heimliches Kartell der Supermächte und gelegentliche, kontrollierte Stellvertreterkriege schienen die weit bessere Wahl, als zuzulassen, dass viele Länder auf der Welt wie Frankreich, Japan oder die Türkei Imperium spielen wollen mit ABC-Waffen. Aber Quigley misstraute den geheimen Führungsstrukturen der Angloamerikaner, die richtigen Entscheidungen zu treffen, weil es schon im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs gewaltig schiefgelaufen war.

Würden die Menschen, Politiker, Militärs und Influencer heute zumindest auf dem Niveau von Quigleys Arbeiten aus dem Kalten Krieg denken und agieren, wäre alles anders. Und dann könnte man noch deutlich über Quigley hinausgehen. Das wichtigste Zielpublikum für ihn waren Sicherheitsexperten und Entscheider aus Politik und Wirtschaft. Er wollte keinesfalls ein Sprungbrett liefern für Rechtsextremisten und Verschwörungsideologen, die ihn dennoch aus dem Kontext zitierten und heutzutage unfähig sind, den Ost-West-Konflikt zu verstehen. Die allermeisten haben es nicht geschafft, seinen dicken Wälzer „Tragödie und Hoffnung“ durchzulesen, weil über hunderte Seiten zunächst trockene Grundlagen abgehandelt werden. Später geht es dann richtig zur Sache und er spricht ausführlich über das, was am wichtigsten ist: Die Supermächte (damals noch zwei anstatt drei) formen ein heimliches Kartell und benötigen für diesen Status Quo immer wieder Stellvertreterkriege, die sich beliebig starten, eskalieren, deeskalieren und beenden lassen. Viele einflussreiche Leute, die an diesem Kartell beteiligt sind, so Quigley, handeln nicht einfach aus Bösartigkeit, sondern sehen darin den einzigen Weg, um zu verhindern, dass unzählige Länder Imperialismus gegeneinander versuchen mit ABC-Waffen.

Sporadische Stellvertreterkriege wie in Korea, Vietnam (oder aktuell in der Ukraine) seien der Preis, um viel Schlimmeres zu verhindern. Quigley wusste, dass großangelegte Täuschungsmanöver der Angloamerikaner schon einmal bedeutend schiefgelaufen waren: Anstatt von Anfang an mit offenen Karten zu spielen und sich von Anfang an konsequent gegen die Nazis zu stellen, täuschten geheime britische Netzwerke den Nazis Kooperationsbereitschaft vor, in der Erwartung, dass Hitler letztendlich mit den Russen Krieg führen wird. Quigley hielt nicht Britannien oder die USA für schuldig im Hinblick auf den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, sondern er misstraute der Fähigkeit der angloamerikanischen Geheim-Strategen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ein heimliches Kartell der USA und UdSSR plus kontrollierte Stellvertreterkriege könnte nämlich gewaltig aus dem Ruder laufen. Aus diesem Grund wollte Quigley die wichtigsten Aspekte öffentlich machen und eine breite Diskussion anstoßen, um das Gefahrenpotenzial für die Welt zu verringern. Das meinte er damit, als er schrieb, er verachte nicht die hohen angloamerikanischen Kreise und bestimmte Zielsetzungen, wie etwa die Schaffung einer globalen Sicherheitsarchitektur, sondern er habe ein Problem mit den Methoden und der Geheimhaltung.

Die gängigen, schlechten Verschwörungsmedien zitierten ihn aus dem Kontext und stellten ihn dar als arroganten Mitverschwörer, der aus dem Nähkästchen plaudert, und für „internationale Banker“ arbeitet, die überall sozialistische Verhältnisse etablieren möchten. Quigley lehrte an der Foreign Service School für Diplomaten an der Georgetown University, er lehrte an Princeton, Harvard, am Industrial-College der US-Streitkräfte, a Brookings Institute, am US Naval Weapons Laboratory, am Foreign Service Institute, am Naval College und an der Naval Postgraduate School. Wie man sieht, ist ein deutlicher Fokus auf Sicherheit und Militär vorhanden.

In „Tragödie und Hoffnung“ beschreibt er, wie zu Beginn der 1960er Jahre die USA auf Computern Atomkriege simuliert hatten. Wie zu erwarten, gab es kein Szenario, das akzeptabel war. Zu groß war der Schaden und zu groß die Möglichkeiten, die sich anschließend anderen Ländern geboten hätten. Man konnte selbstverständlich auch am Computer simulieren, wie es ablaufen würde, wenn die Türkei mit ABC-Waffen wieder Kalifat sein möchte, die Japaner in Asien wieder auf Eroberungstour gehen, oder in Frankreich ein neuer Napoleon auftaucht und das Reich gnadenlos ausdehnt.

Sich widerwillig mit einer nuklearen Patt-Situation abzufinden, wäre für die USA und UdSSR nicht das Schlimmste auf der Welt. Aber das reicht nicht aus, weil ja diverse Konkurrenten auf der Welt ABC-Waffen-Kapazitäten entwickeln könnten. Es muss schon ein Kartell sein mit enger Zusammenarbeit, was u.a. durch Antony Suttons Forschung gestützt wird über die anhaltenden, massiven Technologieverkäufe der USA an die Sowjetunion. Die Atomspionage durch die Sowjetgeheimdienste KGB und GRU hätte eigentlich eine massive Veränderung der amerikanischen Vorgehensweise bedingen müssen. Das blieb aber aus. Quigley schreibt:

Schließlich ist bekannt, dass ein großer Teil der nuklearen Informationen wie auch Uranmetall im Jahr 1943 im Rahmen des Lend-Lease[-Hilfsprogramms der USA] in die Sowjetunion gelangte. Major George Racey Jordan von der USAAF versuchte damals vergeblich, diese Lieferungen zu unterbinden.

Es war verkehrt, hinter all dem eine kommunistische Verschwörung zu wittern. Quigley hat für den berüchtigten Senator McCarthy und dessen Hexenjagden nur Verachtung übrig. Für die Rechtsextremen und Verschwörungsideologen in Amerika schien alles ganz simpel: Einflussreiche Kreise in Amerika arbeiten für den KGB und das sowjetische Politbüro oder gar für eine Weltverschwörung (zumeist jüdischer) Banker. Quigley kannte die hohen Kreise und wusste es besser: Die Motivation war, eine globale Sicherheitsarchitektur zu schaffen mit Russland zusammen und einen Konflikt zwischen Ost und West zu inszenieren und immer wieder die Wirkung dieser Täuschung zu verstärken durch Stellvertreterkriege. Diese Vorgehensweise war laut Insidern viel besser, als zuzulassen, dass unterschiedlichste Länder auf der Welt Imperium spielen wollen und sich mit ABC-Waffen bekämpfen.

Amerikanische Großkonzerne um Clans wie Whitney Vanderbilt, die Harrimans, Rockefeller, DuPont oder Ford schufen Stiftungen und bezahlten die Elite-Universitäten, deren Absolventen dann in wichtige Jobs und politische Positionen aufstiegen. Durch eine straffe Organisation ließ sich nicht nur Russland fördern (und später China) sondern man konnte auch innerhalb der USA die Kontrolle kaufen über sozialistische Strömungen.

Vor über 50 Jahren entschied sich die Firma Morgan, die linken Bewegungen in den Vereinigten Staaten zu unterwandern. Das war relativ einfach, weil diese begierig auf Spenden und auf einen Zugang zur Bevölkerung waren. Die WallStreet lieferte beides.

So konnte man linke Kreise überwachen, subtil steuern, den weniger privilegierten Menschen ein Dampfablass-Ventil verschaffen und zu krassen Radikalismus unterbinden. Genauso funktioniert das heute. Das, was als links und woke gilt, geht zurück auf alteingesessene reiche weiße Familien, die in Prinzip so konservativ sind wie es nur möglich ist. Einer der wichtigsten Netzwerker zwischen WallStreet und den Linken war der Banker Thomas W. Lamont, der zu dem Kreis derjenigen zählte, die die neue Zentralbank Federal Reserve etablierten. Man zählte darauf, dass viele Amerikaner in relativer Armut lebten oder die Wirtschaftskrise durchgemacht hatten und deswegen anfällig waren für sozialistische Ideen. Bürger aus stabileren Verhältnissen wollten (auch aus christlicher Nächstenliebe) Mitmenschen helfen, was ebenfalls von sozialistischen Meinungsführern geschickt ausgenutzt wurde.

Es ist grotesk, dass ausgerechnet inkompetente Verschwörungsideologen und Rechtsextremisten einzelne kurze Stellen aus Quigleys Buch über Banker-Familien herauspickten, um damit die Sichtweise zu untermauern, Illuminati-WallStreet-Firmen und die Rockefellers seien alles KGB-Agenten oder die Handlanger der Windmühlen von Zion. Aber reiche Kreise hatten sich eben nicht nur in die linke Szene eingekauft, sondern auch über Vehikel wie die John Birch Society in die Verschwörungsideologie. Ein Bürger, dem die Republican Party zu lasch und die Democrats zu sozialistisch war, landete fast automatisch in dem Irrgarten der Verschwörungsmedien.

Dieses Märchen der radikalen Rechten, das inzwischen unter vielen Gruppen in Amerika ein anerkannter Volksmythos ist, entwarf ein spezielles Bild der jüngsten Geschichte der Vereinigten Staaten hinsichtlich der Reformen im Inneren und der Außenpolitik. Danach handelt es sich bei dem Ganzen um ein gut organisiertes Komplott extremer linker Elemente.

Dieser Mythos enthielt laut Quigley, „wie alle Fabeln in der Tat ein bestimmtes Maß an Wahrheit“. Schon Clinton Roosevelt hatte in den 1830er Jahren einen ureigenen amerikanischen Sozialismus befürwortet, um die breite Gesellschaft aus Sicht der Oberschicht stabil und harmlos zu halten. Das war einige Jahre vor Karl Marx und ist etwas völlig anderes als das, was das rechte und linke Spektrum sich vorstellen unter sozialistischen Revolutionen bzw. „Befreiungen“ von althergebrachten Ausbeutungsverhältnissen.

Diese fehlgeleiteten Angriffe der radikalen Rechten haben viel dazu beigetragen, die amerikanische Bevölkerung in der Zeit von 1948 bis 1955 zu verwirren.

Genauso wie die rechten Verschwörungsideologen die Innenpolitik missverstanden, kapierten sie nicht die auffälligen Aspekte der US-Außenpolitik: Die Rückzieher bei den US-Hilfen für die chinesischen Nationalisten im Kampf gegen die Kommunisten, Technologieverkäufe in den Ostblock usw.

Die nukleare Pattsituation zwischen den USA und UdSSR führte laut Quigley zu einem „fast völligen Zusammenbruch des System des Völkerrechts“. Denn es gab nur noch zwei Reiche, die den Ton angeben konnten und über tausende, später zehntausende Atomwaffen verfügten. Jeder andere Staat war entweder abhängig, oder konnte in sinnlose Konflikte verwickelt werden. Ein Stellvertreterkonflikt konnte spielend leicht angezettelt werden, ob in einem asiatischen Dschungel den eigentlich niemand interessierte, oder in den kargen Hügeln von Afghanistan. Passierte ein Regimewechsel oder rief eine Gruppe eine neue Spaltrepublik aus, konnten die Supermächte dieses neue pseudo-Staatengebilde anerkennen, auch wenn das Staatengebilde für sich betrachtet nicht lebensfähig und verteidigungsfähig war. Im Kalten Krieg bedeutete nur noch die Souveränität der USA und UdSSR etwas. Alle anderen Länder (i.e. Konkurrenten) waren nicht wirklich souverän. Und jedes mal brachte man öffentlich den potenziellen Einsatz von Atomwaffen ins Spiel, weil die konventionelle Kriegsführung so mühselig war. Genauso läuft es aktuell mit der Ukraine.

Ein Teil der Rückkehr zur Realität steckte in der zunehmenden Erkenntnis, dass es mehr Bereiche gibt, in denen die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion gleiche Ziele verfolgen, als solche, in denen ihre Interessen entgegengesetzt sind.

Die Ziele, Methoden und Strukturen konvergierten zunehmend. Lange Zeit war es für Imperien lohnend und völlig selbstverständlich, große Kriege zu führen, um ihre Ziele zu erreichen. Aber im Zeitalter des Kalten Krieges und der ABC-Waffen änderte sich das.

Tatsächlich ist die bloße Vorstellung, einen allgemeinen Krieg zu gewinnen, heute fast unvorstellbar. Wir wissen nicht einmal mehr was es heißt „zu gewinnen“.

Der Kreml hatte damals, wie auch das russische Regime heute, immerzu getönt, man strebe die Weltrevolution an und würde nie aufhören, dieses Ziel der Weltherrschaft zu erreichen. Aber die Erhaltung des Status Quo war hingegen das erreichbare und bereits sehr schwierige Ziel. Denn viele Konkurrenten weltweit konnten sich ABC-Waffen aneignen.

Die Sowjetunion war schon immer konservativer und weniger extrem in internationalen Angelegenheiten, als es schien oder klang. Viel von Chruschtschows wildem Auftreten, auch im Ausland, war eher für den inländischen als den ausländischen Konsum gedacht. eine kürzlich erstellte Untersuchung von 29 außenpolitischen Krisensituationen in den Jahren 1945 bis 1963, an denen die Sowjetunion beteiligt war, zeigt, dass diese sich nur n vier aggressiv, in elf vorsichtig und in 14 eher vorsichtiger als aggressiv verhalten hat.

Es überrascht nicht, dass die USA den Russen nach 1991 weit entgegenkamen und sich mit dem Irak und Afghanistan beschäftigten, damit die Russen ihr Reich reorganisieren konnten. Keiner der höheren US-Sicherheitsfunktionäre wollte, dass Russland in 20 nuklear bewaffnete Einzelstaaten zerfällt, die von irgendwelchen verrückten Kommunisten oder Generälen angeführt werden. Deshalb durfte der KGB das Volksvermögen der Russen stehlen und an internationale Finanzplätze wie die City of London bringen. Mit diesem Business schuf Moskau die Grundlagen, sich den aktuellen Ukrainekrieg überhaupt leisten zu können.

Quigley schreibt, dass die Supermächte sich lange Zeit wegen technischen Limitierungen damit begnügen mussten, Gehorsam nur im Umkreis von maximal 8000 Meilen erzwingen zu können. Im Kartell zusammen ließe sich der wesentliche Teil der Welt abdecken. Würde ein kleiner Konkurrent verhältnismäßig billige biologische und chemische Waffen einsetzen, ließe jener sich umfangreich bekämpfen oder gar vernichten.

Im Zusammenspiel konnten die USA und UdSSR verhindern, dass Konkurrenten sich größer eindecken mit ABC-Waffen, man konnte Konkurrenten wirtschaftlich begrenzen und man konnte Versuche abblocken, die beiden Supermächte gegeneinander auszuspielen. Deshalb ist es so gefährlich und sinnlos, wenn beispielsweise die Konservativen in Deutschland oder Amerika heute ihre Hoffnungen in das Putin-Regime stecken.

Quigley wusste, dass bei den Supermächten „jede grundlegende Entscheidung“ hinter den Kulissen getroffen wird von geheimen Netzwerken; abseits der sichtbaren Strukturen und unabhängig von gewöhnlichen ideologischen Überzeugungen.

Laut Quigley würden wir uns in eine Ära hineinbewegen, in der „Konflikte endemisch sind und kontrolliert ablaufen“. Statt riesiger Kriege, in denen die kriegsführenden Länder übertrieben große Zielsetzungen haben (Ausdehnung bis hin zur Weltherrschaft) kommt es „zu einem Zustand ständiger, flexibler kontrollierter Konflikte mit begrenzten, spezifischen und wechselnden Zielen.“ Genau das war der Koreakrieg und Vietnam. Genau das ist der aktuelle Ukraine-Krieg. Zwar gäbe es für Russland attraktive Beute in Form von frischen Bürgern und wichtiger Industrie und Bodenschätzen, aber die Kosten und Risiken waren eigentlich zu groß. Kein erfahrener General hätte geplant, mit nur 200.000 Mann, veralteter Technik und kaum Luftwaffenoperationen ein Land zu überfallen von der Größe Frankreichs.

In diesen neuen künstlichen, kontrollierten Zielen würden ständig diplomatische Beziehungen aufrechterhalten werden, man kann solche Konflikte dank moderner Waffensysteme überall starten, man kann jederzeit eskalieren oder deeskalieren und jederzeit den Konflikt beenden. Den USA gelang es, mit Computersimulationen, Javelins und HIMARS-Raketen die Ukrainer soweit fit zu machen, dass sie sich wehren konnten. Unter normalen Umständen hätten die Ukrainer schnell aufgegeben. Quigley spricht von einer „umfassenden Palette an Waffen, die überall eingesetzt werden können.“

Er ist einer der führenden Sicherheitsexperten des 20. Jahrhunderts gewesen und hatte an Elite-Universitäten und militärischen Hochschulen gelehrt. Sein Hauptwerk „Tragödie und Hoffnung“ wurde entsprechend von einigen einflussreichen Leuten gelesen. Und darin wirft er den Supermächten nicht nur vor, es sich bequem eingerichtet zu haben angesichts einer atomaren Patt-Situation, sondern künstlich Stellvertreterkriege zu benutzen, um den Status Quo zu wahren und die Welt in Angst und Schrecken zu versetzen.

Niemand in Washington oder Moskau war darauf versessen, für die Ukraine wirklich gewaltige Risiken einzugehen und sich gegenseitig zu vernichten oder sich soweit zu schaden, dass man seinen Status verliert. Genauso wenig war man bereit, alles aufs Spiel zu setzen in Korea, Afghanistan oder im vietnamesischen Urwald.

In „Tragödie und Hoffnung“ reißt Quigley die fatale Appeasement-Politik Britanniens (und der USA) gegenüber Nazideutschland an. Eine geheime Struktur um Figuren wie Milner und Rhodes hatte sich ausgedacht, den Nazis gegenüber Sympathien und Bündnisbereitschaft vorzugaukeln, in der Hoffnung, in Ruhe gelassen zu werden und dass die Nazis sich letztendlich mit den Russen bekämpfen würden. Das Thema breitete Quigley in einem zweiten Buch ausführlicher aus. Das britische Täuschungsmanöver hätte sich als fataler Fehler erwiesen und Hitler zu stark ermutigt. Hätte man schneller konsequent reagiert und mit offenen Karten gespielt, wäre das die weit bessere Wahl gewesen. Man kann sich also nicht verlassen auf die geheimen Netzwerke, die hinter den Kulissen wichtige Entscheidungen treffen. Warum sollte man also dem angloamerikanischen Establishment trauen dabei, ein heimliches Kartell der Supermächte zu formen? Vor allem wenn mit China noch ein dritter Player dazugekommen ist?

Es ist nachvollziehbar für einen General, zwei Atomwaffen gegen Japan einzusetzen, wenn sich damit der Krieg schnell beenden lässt, anstatt konventionell weiterzukämpfen bis Millionen weitere Todesopfer zu verzeichnen sind. Aber wie sieht es aus, wenn an sich sinnlose Kriege wie in Korea oder Vietnam angezettelt werden mit Millionen Opfern, nur weil damit angeblich/theoretisch schlimmere Kriege irgendwann in der Zukunft verhindert werden. Quigley wollte nicht, dass jedes Land auf der Welt Imperium spielen kann mit ABC-Waffen, aber er wollte auch nicht, dass elitäre geheime Seilschaften hochgefährliche Spiele treiben. Es droht aktuell ein neuer Krieg mit Nordkorea und im muslimischen Raum, der mehrere zehn Millionen Menschenleben kosten kann.

Quigley hielt es für notwendig, dass möglichst viele Menschen auf dem Niveau denken, das in „Tragödie und Hoffnung“ vorgegeben ist. 2015 warnte ich in einem Buch vor einem Kartell der Supermächte, das einen „Weltkrieg light“ inszenieren könnte. Ich erläuterte, dass die Supermächte großes Drama brauchen und ab 2020 militärische Konflikte vom Zaun gebrochen werden. Die Corona-Pandemie verzögerte dies auf Anfang 2022.

Es gibt Fragen und Auffälligkeiten, die auch Quigley noch nicht beantworten konnte. Meinen Forschungen zufolge waren adelige Geheimdienste vor dem 20. Jahrhundert viel stärker ausgeprägt, als alle Historiker denken. Diese Netzwerke konnten aus strategischen Gründen die US-Kolonien zum schein abspalten vom Britischen Kolonialreich. Die Amerikanische Revolution war an der Spitze genauso fake wie die Ära der Aufklärung an sich. Britannien verleitete seinen Erzfeind Frankreich dazu, ein Vermögen in George Washington zu versenken. Die Russische Revolution war höchstwahrscheinlich zwischen den USA, Britanniens Königshaus und den russischen Zaren abgesprochen, um endlich den gewöhnlichen Adel aus Russland zu vertreiben und eine neue zentralistische Herrschaft zu etablieren. Chinas Kommunisten waren später völlig unter Kontrolle der russischen Geheimdienste und des russischen Militärs. Die Geheimoperationen waren noch um Einiges größer, als Quigley sie beschrieben hatte.

Quigley war sehr unzufrieden damit, dass gewöhnliche rechte Verschwörungsmedien versuchten, Zitate von ihm zu benutzen, um damit das alte Narrativ einer (jüdisch-) kommunistischen Illuminati-Verschwörung zu stützen. Gerade Autoren der John Birch Society stellten die Situation so dar, als sei Quigley ein arrogantes, bewusstes Mitglied der internationalen Banker-Verschwörung. 1970 veröffentlichte Cleon Skousen „Der nackte Kapitalist: Eine Rezension und Kommentar zu Dr. Carroll Quigleys Buch Tragödie und Hoffnung“. Das erste Drittel dieses Buches besteht aus umfangreichen Auszügen aus „Tragödie und Hoffnung“, durchsetzt mit Kommentaren von Skousen. 1971 veröffentlichte Gary Allen, ein Sprecher der John Birch Society, „None Dare Call It Conspiracy“, das zum Bestseller wurde. Allen zitierte Quigleys „Tragödie und Hoffnung“ als maßgebliche Quelle für Verschwörungen. Die gesamte John Birch Society zitiert weiterhin Quigley als Hauptquelle für ihre Sicht der Geschichte. Quigley beschwerte sich:

„Skousens Buch ist voller falscher Darstellungen und sachlicher Fehler. Er behauptet, ich hätte von einer Verschwörung der Superreichen geschrieben, die pro-kommunistisch sei und die Welt übernehmen wolle, und ich wäre Mitglied dieser Gruppe. Aber ich habe es nie als Verschwörung bezeichnet und betrachte es nicht als solche. Ich bin kein „Insider“ dieser reichen Personen, obwohl Skousen das glaubt. Ich kenne zufällig einige von diesen Personen und mochte sie, obwohl ich mit einigen Dingen, die sie vor 1940 getan haben, nicht einverstanden war.“

Zu Gary Allens “None Dare Call It Conspiracy” sagte Quigley:

“Sie dachten, ich hätte alles bewiesen. Zum Beispiel zitieren sie mich immer wieder falsch: Lord Milner (der dominierende Treuhänder des Cecil Rhodes Trust und ein Mitglied der Round Table Group) habe bei der Finanzierung der Bolschewiki geholfen. Ich habe den größten Teil von Milners Privatpapieren durchgesehen und keine Beweise dafür gefunden. Darüber hinaus besteht None Dare Call It Conspiracy darauf, dass internationale Banker ein einheitlicher Block wären, allmächtig bis heute. Im Gegenteil, ich habe in meinem Buch festgestellt, dass sie sehr gespalten waren, oft untereinander kämpften, großen Einfluss hatten, aber keine Kontrolle über das politische Leben hatten und zwischen 1931 und 1940 stark an Macht verloren, als sie weniger einflussreich wurden als die monopolisierte Industrie.“

Skousen, weitere JBS-Autoren und andere Verschwörungsautoren waren dermaßen vereinnahmt und inspiriert von der älteren, klassischen Verschwörungsliteratur aus den letzten 200 Jahren, dass sie wohl ganz automatisch Quigleys Forschungen massiv verzerrten und in das altbackene Narrativ einer jüdischen Illuminati-Weltverschwörung hineinpressten. Gleichzeitig muss man in Betracht ziehen, dass das „anglophile Netzwerk“, von dem Quigley sprach, wohl wenig erfreut war über Quigleys Bücher, und dass es die naheliegende Strategie war, die JBS zu benutzen, um Quigleys Enthüllungen massiv zu verfälschen.

AlexBenesch
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