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Satanic Panic

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Jeder, der auch nur etwas kritisches Denken beherrscht und die einfachsten Grundlagen der Propaganda flüchtig kennt, weiß dass Regierungen gerne Schwarz-Weiß-Malerei betreiben und die Religion für ihre Zwecke missbrauchen. Man selbst sei das von Gott geküsste und gesegnete Reich des Guten, während die Gegner im Inland und Ausland die Ausgeburt des Teufels wären, die sich gegen alles Gute verschworen haben und die man mit allen Mitteln bekämpfen müsse. Adolf Hitler war bei einer NSDAP-Versammlung am 1. Mai 1923 in München im Zirkus Krone besonders kreativlos mit seiner Propaganda und erklärte:

 „…Der Jude ist wohl Rasse, aber nicht Mensch. Er kann gar nicht Mensch im Sinne des Ebenbildes Gottes, des Ewigen sein. Der Jude ist das Ebenbild des Teufels. Das Judentum bedeutet Rassentuberkulose der Völker.“

Noch platter geht es nicht. Der Kommunismus sei laut Hitler ebenfalls das Werk der satanisch-jüdisch-illuministischen Weltverschwörung gewesen. Umgekehrt gab es populäre Theorien, laut denen Hitler Satanist gewesen sei. Nach dem Krieg wurde in Büchern wie „The Spear of Destiny“ von Trevor Ravenscroft der Mythos gestrickt, Hitler sei von Dietrich Eckart und Karl Haushofer rekrutiert worden für satanische Aktivitäten der völkischen Thule-Loge. Beweise dafür gibt es keine. Die völkischen Logen wie Thule waren auf das rechtskonservative Zielpublikum zugeschnitten worden und bedienten sich bei Texten der britischen Theosophie, bei Büchern von einflussreichen angloamerikanischen Rassentheoretikern und bei Verschwörungsmythen wie den Protokollen von Zion, die insbesondere durch bedeutende angloamerikanische Kreise in der westlichen Welt verbreitet worden waren. Sogar Winston Churchill äußerte in aller Öffentlichkeit Verschwörungsmythen über Adam Weishaupts Illuminaten und Juden. Darüber hinaus bewarb er die Autorin Nesta Webster, die sich in faschistischen Kreisen bewegte und deren Schriften großen Einfluss hatten auf die klassische Verschwörungsliteratur. Eine explizit satanische Verschwörung bei den Nazis ist nicht zu belegen, aber wir sehen natürlich recht deutlich, dass die Nazis bereit waren, jede Menge Menschen zu opfern um ihre Ziele zu erreichen und ihre Bewegung mit klassischen Kult-Mechanismen führten. Wir kennen die sakral wirkenden Prachtbauten, die größenwahnsinnigen Bauvorhaben die nie realisiert wurden, die Massenaufmärsche und natürlich die nationalsozialistische Quasi-Befreiungstheologie, laut der es vor Urzeiten perfekte arische Gesellschaften voller Magie und übermenschlicher Fähigkeiten gegeben hätte und man diesen verloren gegangenen paradiesischen Zustand wieder erreichen könnte durch Krieg und Rassenselektion.

So manche führenden kommunistischen Revolutionäre und Vordenker waren Mitglieder von Freimaurerlogen gewesen und ihre Äußerungen geben recht deutliche Hinweise auf eine antichristliche, okkultistische Gesinnung, aber auch hier existieren keine handfesten Beweise für satanische Rituale, die heimlich in irgendwelchen Logen durchgeführt worden sein sollen. Stattdessen sahen wir kommunistische Funktionäre, die Millionen Menschen opferten für ihre ideologische Agenda. Auch der Kommunismus bediente sich bei Kulttechniken und bot eine Quasi-Befreiungstheologie an, um das Böse auf der Welt zu tilgen. Alles was dem Kommunismus nützte, galt (bildlich gesprochen) als heilig, und alles was dem Kommunismus schadete, als Teufelszeug. Die gnadenlose Verfolgung von Andersdenkenden, insbesondere in der Phase des russischen Bürgerkriegs mit bestialischen Foltermethoden, erinnerte an die Inquisition und die Hexenverbrennungen. Die Schriften von Karl Marx hatten fast den Status eines heiligen Textes. Besonders antikommunistischen christlichen Autoren war früh aufgefallen, dass Marx in seiner Studienzeit okkultistisch klingende, antichristliche Gedichte verfasst hatte. Über eine Mitgliedschaft in einer Loge wissen wir nichts Konkretes, genauso wenig wie über satanische Aktivitäten. Seine jüdische Abstammung und seine möglicherweise freimaurerische Pose auf einer berühmten fotografischen Aufnahme gelten in der Verschwörungsliteratur als Beweise dafür, dass er der satanisch-jüdischen Weltverschwörung angehörte. Zudem werden übertriebene Zahlen präsentiert über den Anteil an Juden bei der kommunistischen Oktoberrevolution und es erfolgt auch immerzu der Hinweis auf die jüdische Abstammung von Lenin, Trotzki und manchen Bankiers. Hingegen wird die Rolle von Slawen und Bankiers mitteleuropäischer Abstammung systematisch untertrieben und verschleiert. 

Seit jeher kursieren Gerüchte und Theorien über satanische Verschwörungen. Die Hexenverfolgungen und die Inquisition sind historische Beispiele dafür, wie etablierte Mächte offen solche Theorien vertraten und als Grundlage für brutale Säuberungsaktionen benutzten. Bei vielen Pogromen gegen Juden in verschiedenen Ländern spielte der Mythos eine Rolle, laut dem Juden heimlich Babys ermorden und deren Blut in Teig mischen würden. Erst vor wenigen Jahren erklärten einflussreiche Funktionäre der russischen orthodoxen Kirche und der Behörden, dass man den Mord am letzten Zaren und dessen Angehörigen neu untersuchen möchte. Der Grund? Man hätte Anlass für den Verdacht, dass die Zarenfamilie in einem jüdisch-satanischen Ritual getötet worden sei.

Im Kalten Krieg bezeichnete die amerikanische Propaganda die Sowjetunion als Reich des Bösen und als gottlose (gemeint sind satanische) Kommunisten. Die US-Administration von George W. Bush spielte nach den Anschlägen des elften Septembers 2001 die religiöse Karte und porträtierte mehr oder minder unterschwellig den Krieg gegen islamischen Terror, die Taliban und Saddam Hussein als gottgewollte Offensive gegen die Kräfte des Bösen. In der islamischen Welt hält ein gewisser Prozentsatz die USA für den „großen Satan“ und für die Bastion der jüdischen Weltverschwörung, passend zu den über 100 Jahre alten Beschreibungen in den „Protokollen von Zion“. Präsident Bush kam selbst wegen seiner Mitgliedschaft in der Geheimgesellschaft Skull & Bones unter Satanismus-Verdacht.

Wir sehen also, dass Theorien über Satanismus nach wie vor kursieren und einen nicht zu unterschätzenden Einfluss haben. Die allermeisten Menschen sind religiös und haben ein Konzept vom Teufel, von Dämonen und wie jene die Menschen irreführen, korrumpieren oder gar von ihnen Besitz ergreifen können. Innerhalb jeder Religion gibt es unterschiedliche Auffassungen über den Teufel und satanische Mächte und man betrachtet das Thema normalerweise getrennt von der Wissenschaft.

Wie soll also eine religiöse Person das einschätzen, was ein Priester oder Imam von sich gibt zu dem Thema, oder ein US-Präsident George Bush, oder die russischen Obrigkeiten, oder die Verschwörungsliteratur?

Zunächst einmal sollte man akzeptieren, dass religiöse Ansichten und wissenschaftliche Analysen zu dem Thema sehr wohl nebeneinander existieren können und man sich nicht 100% für das eine oder das andere entscheiden muss.

Wissenschaftliche Grundlagen

Wir müssen zuerst saubere und greifbare Definitionen basteln, bevor wir im nächsten Schritt untersuchen, ob bestimmte Individuen oder Gruppierungen die gewählten Kriterien erfüllen. Folgendes sind die Eigenschaften, die alle erfüllt sein müssten bei einer echten, bedeutenden satanischen Verschwörer-Gruppe:

  • Strukturiertes, metaphysisches Konzept: Die Gruppe muss eine einigermaßen zusammenhängende und konsistente Lehre haben, die sich auf diverse Ideen vom Teufel, Dämonen und dunkle Kräfte bezieht. Diese Lehre muss einen hohen Stellenwert in der Gruppe besitzen
  • Hoher Einfluss und Organisationsgrad: Die Gruppe muss einen signifikanten Organisationsgrad und Einfluss erreicht haben, unabhängig davon, wie viele Mitglieder sie hat. Die Gruppe muss in der Lage sein, effektiv Entscheidungen zu treffen, Strategien zu wählen, die Strategien umzusetzen, neue Mitglieder anzuwerben und auszubilden und eine stabile innere Ordnung zu wahren.
  • Beständigkeit: Die Gruppierung muss über einen längeren Zeitraum bestehen und wirksam sein.
  • Tradecraft: Die Gruppe muss ein hohes Maß an Fähigkeiten beweisen, die eigenen Aktivitäten geheim zu halten.
  • Kriminalität: Die Handlungen der Gruppe müssen regelmäßig grundlegende Gesetze brechen.
  • Psychopathie und Narzissmus: Die Gruppe muss gekennzeichnet sein von Persönlichkeitsstörungen wie Psychopathie, Narzissmus, Sadismus etc.

Diese Kriterien müssen bei einer Gruppierung alle erfüllt sein. Erst dann können wir sie als Gruppe des hochorganisierten kriminellen Okkultismus bezeichnen. Wenn bei einer Gruppierung eines dieser Merkmale fehlt oder sogar mehrere davon fehlen, handelt es sich nicht um eine bedeutende satanische Verschwörer-Gruppe. Wenn also beispielsweise eine zusammenhängende Lehre fehlt oder der Okkultismus nur Beiwerk ist, dann ist die Gruppe eher dem gewöhnlichen organisierten Verbrechen zuzuordnen. Ohne hohen Einfluss, Organisationsgrad und Beständigkeit hat eine Gruppe keine größere Bedeutung. Ohne nennenswerte Tradecraft ist eine Gruppe ein offenes Buch und somit unfähig zur Verschwörung. Ohne Kriminalität, Psychopathie und Narzissmus handelt es sich nur um harmlose okkultistische Betätigung.

Es gibt Personen, die im Privatbereich verschiedene Formen von rituellem Satanismus bzw. Okkultismus praktizieren, ohne dabei jemandem zu schaden. Dann gib es Leute, die sich öffentlich zu Satanismus bekennen und sich sogar um Anerkennung bemühen für Organisationen wie die „Church of Satan“ in Amerika. Pentagramme aus Kreide, Kerzen und Anrufungen an Satan mögen auf viele Menschen beunruhigend und verstörend wirken, sind aber noch lange kein Verbrechen. Umgekehrt gibt es Menschen, die in der Öffentlichkeit den braven Christen mimen, aber ein Doppelleben als Serienkiller führen und sich für ihre Taten einen spirituellen Überbau zusammenreimen. Gerade die Rockmusik war jahrzehntelang in der Diskussion um provokante Liedtexte und Bühnenshows. Die meisten Rockmusiker, die in irgendeiner Form mit satanischer Symbolik, satanischen Texten oder sogar einem tatsächlichen satanischen Glauben auftraten, waren nicht kriminell, nicht psychopathisch oder narzisstisch, und nicht signifikant organisiert. Aber eben nicht alle. Jon Nödtveidt, der Anführer der schwedischen Metal-Band „Dissection“, war Mitglied des „Temple of the Black Light“ und tötete 1997 im Alter von 22 Jahren zusammen mit einem befreundeten Mitglied der Gruppe einen homosexuellen Algerier in Göteborg. Jahre zuvor gab es in der norwegischen Black Metal-Szene eine Reihe an Morden und Selbstmorden, die zusammen mit krimineller Brandstiftung bei mehreren Kirchen auf enormes Medieninteresse stieß. Letztendlich fanden sich keine Belege dafür, dass Satanismus in den jeweiligen Musikszenen Schwedens und Norwegens hochorganisiert war oder irgendeine größere Macht über die breitere Gesellschaft hatte. 

In manchen Logen gibt es Riten mit Sex und Drogen, die auf alte Mythologien zurückgehen, ohne dass dabei irgendwelche Menschen zu Schaden kommen. Dann existieren wahre Monster, die in ihrem Leben über Leichen gehen, oder Kinder sexuell ausbeuten, aber keinen Funken von irgendwelchen okkult-religiösen Überzeugungen haben.

Nun, da wir eine greifbare und konkrete Definition haben von hochorganisiertem, kriminellen Okkultismus, müssen wir untersuchen, ob wir dies tatsächlich in der Geschichte oder in der heutigen Welt finden. Zumindest müssen wir eine Einschätzung vornehmen, wie wahrscheinlich es ist, dass bestimmte Gruppierungen hochorganisierten kriminellen Okkultismus praktizierten bzw. praktizieren.

“Skull Tower”

Es ist seit langem bekannt, dass verschiedene alte Zivilisationen Menschenopfer praktizierten und die Wissenschaft geht davon aus, dass damit die herrschende Klasse ihren Herrschaftsanspruch festigen wollte. Diese banalen Gründe wurden natürlich dem gewöhnlichen Volk nicht unbedingt verraten, sondern man erzählte den Menschen einen Haufen Brimborium, laut dem die Menschenopfer die Götter besänftigen würden und zum Wohle aller stattfänden. Spanische Eroberer, die Zeit in Mittel- und Südamerika verbracht hatten, berichteten vor hunderten Jahren bereits von gigantischen Monumenten der Azteken aus Zement und bis zu 130.000 Totenschädeln. Man dachte lange Zeit, dass diese Schilderungen übertrieben waren, aber inzwischen zeigen Ausgrabungen tatsächlich gewaltige Strukturen mit massenhaft Schädeln von rituell getöteten Personen. 2015 war ein “Trophäen-Aufbau” samt Türmen gefunden worden in der Nähe des Azteken-Tempels Templo Mayor. Inzwischen weiß man nach weiteren Ausgabungen, dass die Anlage ungefähr die Ausmaße eines Basketball-Feldes hat. Science Magazine berichtete, dass Häftlinge zum großen Tempel gebracht und ihnen dort bei lebendigem Leibe die Herzen herausgeschnitten wurden. Die Schädel wurden zunächst für Monate oder Jahre an einem Trophäenaufbau aufgehängt und später dann mit Mörtel an einen der beiden Türme daneben befestigt. Drei Viertel der Schädel stammten von Männern, der Rest von Frauen und Kindern. Diese Menschenopfer waren keine heimliche Angelegenheit und wir können spekulieren, ob die Priester hinter verschlossenen Türen vielleicht noch weitere rituelle Handlungen praktizierten. Es wäre naiv zu denken, dass die Zivilisation der Azteken einfach nur deshalb so gehandelt hat, weil sie nicht den christlichen Glauben hatte. Die spanischen Eroberer begingen in Mittel- und Südamerika praktisch Völkermord und bei dem britisch dominierten Sklavenhandel starb eine zweistellige Millionenzahl an Afrikanern auf dem Schiffstransport und diese Toten wurden einfach über Bord geworfen.

„Satanic Panic“

Der Siegeszug der rebellischen Rockmusik in den 1960er und 1970er Jahren war Teil einer größeren „Gegenkultur“-Bewegung und brach mit den gesellschaftlichen Konventionen, sowie mit den Regeln der Musikindustrie und des Fernsehens. Vorher mussten Rockbands fürs Fernsehen adrette Kleidung und ordentliche Haarschnitte tragen, ihre Texte wurden heftig zensiert und sie mussten ihre Privatvergnügen privat halten. Die rebellischen Rockbands hingegen sahen deutlich anders aus und jeder wusste, dass sie Orgien mit Groupies und Drogen feierten, sie sprachen in ihren Texten provokant über den Teufel und gegen die Obrigkeit.

Anton LaVey gründete seine „Kirche Satans“ und warb im Dracula-Kostüm öffentlich um Anerkennung. Es gab eine Kontroverse um das erfolgreiche Buch „Der Exorzist“ und die dazugehörige Verfilmung. Die Filmindustrien international sprangen auf diesen Zug auf und produzierten massenhaft Werke, die sich um satanische Verschwörungen drehten.

Mike Warnke verkaufte sich erfolgreich in christlichen Zirkeln als einer der Top-Experten zum Thema Satanismus: 1972 erschien sein Buch „The Satan Seller“ in dem er erzählte, wie er selbst früher satanischer Hohepriester gewesen sei und dann zu Gott gefunden habe. Er verdiente Millionen und wurde immer populärer, bis 1991 das Magazin „Cornerstone“ ihn als Schwindler entlarvte.

John Todd behauptete von sich, ein ranghoher Satanist der Illuminati gewesen zu sein und Mitglied des Druiden-Großrats von Raymond Buckland, ein „Vertrauter von Philippe Rothschild.“ Die Schwester von US-Präsident Jimmy Carter hätte ihm weitere Magie gelehrt.

Mit 18 soll er bereits ein Elitekämpfer bei den Green Barets gewesen sein, obwohl seine Militärpapiere zeigen, dass er nur ein Jahr lang in der Army im Büro gearbeitet hatte. Eine psychologische Untersuchung ergab, dass er emotional instabil war, ein pathologischer Lügner und ein Drogenkonsument. Wir sehen auch bei ihm den Einfluss von klassischer Verschwörungsliteratur.

Eine ganze Reihe an weiteren Hochstaplern nutzte immer die gleichen Versatzstücke für ihre Geschichten. Aber die verschiedenen selbsternannten Aussteiger aus satanischen Kreisen widersprachen sich dennoch in zahlreichen wesentlichen Punkten. Man brauchte nur ein paar Verschwörungsbücher lesen und schlechte Kinofilme anschauen, um sich als Experte und als Aussteiger inszenieren zu können. Selbst im Internetzeitalter funktionierte diese Masche: Der Italiener Leo Zagami jobbte als DJ, war kurzzeitig in einer Freimaurerloge, wurde rausgeworfen, versuchte es dann bei ein paar irregulären Logen und wurde möglicherweise auch beim O.T.O. rausgeworfen.

Hinterher präsentierte er sich im Netz als Adeliger und Illuminaten-Experte. Besondere Geheimnisse hat er nicht anzubieten, sondern nur was man auch auf Wikipedia erfahren kann über Dinge wie den Skandal um die Freimaurerloge Propaganda Due. Nach seinem Ausstieg will er den Illuminaten 2008 wieder beigetreten sein, allerdings als Führungsfigur einer „guten“ Fraktion namens „Illuminaten-Widerstand“. 2009 landete er aber in Italien in der Psychiatrie.

In den 80er Jahren gab es erneute Aufmerksamkeit für Satanismus durch Geraldo Riveras extrem erfolgreiche Fernseh-Dokumentation „Devil Worship: Exposing Satan’s Underground“ und durch das Phänomen des rituellen Missbrauchs. 1980 erschien das Buch „Michelle Remembers“ von Michelle Smith und ihrem Psychiater und späteren Ehemann Lawrence Pazder. Unter Hypnose hätte sie sich erinnert an satanisch-rituellen Missbrauch in ihrer Kindheit. Das Buch erzeugte viel Wirbel, auch wenn sich die darin enthaltenen Behauptungen nicht verifizieren ließen. Reporter suchten ausführlich nach Spuren, möglichen Zeugen und Akten, fanden aber nur Dinge, die Michelle Smiths Darstellungen widerlegten oder in Zweifel zogen. Lawrence Pazder fand dennoch eine lange Zeit Anerkennung als Experte für rituellen Missbrauch. Es erschienen viele sehr ähnliche Bücher wie zum Beispiel „Satan’s Underground“ im Jahr 1988, dessen Schilderungen von der christlichen Zeitschrift Cornerstone als falsch entlarvt wurden. Die wahre Identität der Autorin Laurel Rose Willson wurde enthüllt sowie ihre psychischen Probleme und diversen Fabrikationen.

Eine erstaunlich hohe Anzahl an Menschen in den USA und anderswo auf der Welt sprach zunehmend davon, Opfer von rituellem Missbrauch in der Kindheit gewesen zu sein. Immer wieder handelte es sich dabei um Menschen mit einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung. Eine solche Störung entsteht durch gravierenden Missbrauch in der frühen Kindheit und kann extreme Formen annehmen, wie zum Beispiel die Spaltung in multiple Persönlichkeiten. Medizinisch lässt sich festhalten, dass solche Menschen höchstwahrscheinlich als Kinder extremem Missbrauch ausgesetzt waren, aber ihre „Erinnerungen“ an das Erlebte können stark verfälscht sein durch Dinge, die sie in Filmen gesehen oder in Büchern gelesen haben. Gerade Hypnose kann dann verschiedenartigste Fantasien hervorbringen. Weder die Therapeuten, noch die Strafverfolgungsbehörden und Kriminologie hatten ein stimmiges Konzept, wie sie mit den Aussagen von solchen Leuten umgehen sollen und was von dem Phänomen ritueller Missbrauch insgesamt zu halten ist. Auch im europäischen Fernsehen gab es Doku-Beiträge über möglichen rituellen satanischen Missbrauch durch Sekten. Deutsche Fernseh-Reporter interviewten Frauen mit dissoziativer Identitätsstörung, die behaupteten, früher in einer satanischen Sekte gefangen und Opfer von Missbrauch gewesen zu sein. Die Geschichten klangen so, wie man es sich klischeehaft vorstellt, mit schwarzen Messen, Blutopfern und sogar dem rituellen Töten von Babys. Durch die traumatischen Erlebnisse hätten die Opfer die dissoziative Identitätsstörung entwickelt, bzw. die Satanisten hätten es sogar gezielt darauf angelegt, dass sich diese Störung entwickelt und die Opfer regelrecht programmiert.

Die Ermittler der Polizei konnten die Vorwürfe nicht bestätigen und erklärten zudem, dass die kriminologische Forschung zu dem Thema äußerst schlecht aufgestellt ist, weil in Deutschland ein okkult-ritueller Hintergrund bei einer Tat gar nicht statistisch erfasst wird. Eine rituelle Vergewaltigung würde demnach wie jede andere Vergewaltigung behandelt werden und aus diesem Grund gibt es nicht einmal eine ausführliche Datenbank zu satanischen Verbrechen. Kripo-Beamte und Staatsanwälte haben es natürlich schwer, Zeugenaussagen zu verwerten von Menschen, die an einer dissoziativen Störung leiden, sich quasi als Ansammlung unterschiedlicher Persönlichkeiten betrachten und immer zwischen den einzelnen Persönlichkeiten hin und herspringen. Für gefährliche Kriminelle wäre es theoretisch durchführbar, Kinder unter Drogen zu setzen, sie mit konspirativen Methoden zu geheimen Treffpunkten zu bringen und mit diversen Tricks zu verwirren, sodass die Opfer nie imstande sind, glaubhafte, verwertbare Aussagen zu machen. Gleichzeitig können natürlich Individuen mit dissoziativer Störung wilde Behauptungen erfinden und sich daran orientieren, was sie im Fernsehen gesehen oder im Internet aufgeschnappt haben. Die Rolle der Therapeuten wird in den TV-Beiträgen kritisch beäugt, denn sie könnten ja, ähnlich wie es bei Fällen in den USA unterstellt wurde, unbeabsichtigt die Fantasien ihrer Patienten nähren.

Bei einer dissoziativen Amnesie können Betroffene echte Erinnerungen unbeabsichtigt vermischen mit falschen und sind nicht mehr unbedingt in der Lage, zu unterscheiden, was nun stimmt und was nicht. Dissoziation kann durch Trauma hervorgerufen werden, aber auch kurzzeitig durch bestimmte Chemikalien.

Die dissoziative Identitätsstörung ist die schwerste Form der Dissoziation und man kann bei betroffenen Erwachsenen tatsächlich bei Gehirnscans Anomalien im Gehirn nachweisen. Man schätzt, dass bis zu 3% der Bevölkerung in unterschiedlichem Umfang von dissoziativen Identitäts-Störungen betroffen sind. Bei schweren Fällen kann tatsächlich ein Wechsel in der Gehirnaktivität nachgewiesen werden, wenn die Person zwischen ihren einzelnen fragmentierten Persönlichkeiten hin- und herwechselt.

Es ist nicht vorstellbar, dass alle oder die meisten Menschen mit einer schweren dissoziativen Persönlichkeitsstörung Opfer von hochorganisierten satanischen Gruppen waren und dann auch noch irgendwie entkommen konnten. Wenn also eine Person mit schwerer dissoziativer Identitätsstörung von rituellem Satanismus und Menschenopfern spricht, dann muss man diesen Fall neutral, nüchtern und professionell untersuchen. Man darf nicht von vorneherein ausschließen, dass die Person so etwas tatsächlich erlebt haben könnte, aber man muss gleichzeitig die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass die Person ihre Erinnerungen vermischt hat mit Dingen, die sie im Fernsehen oder im Internet aufgeschnappt hat. Es gibt heute eine Reihe an selbsternannten Experten, die angeblich in der Lage seien, Opfer von satanischem Missbrauch zu therapieren und zu „deprogrammieren“. Hierbei kann es schnell passieren, dass einer psychisch gestörten Person Dinge eingeredet werden, die nicht stimmen. Manche dissoziativen Menschen möchten gehört werden und je abenteuerlicher ihre Geschichte ist, umso mehr wird ihnen zugehört und umso mehr Bedeutung wird ihnen zuerkannt. In den Verschwörungsmedien wurden höchst spekulative Vorstellungen von satanisch-rituellem Missbrauch immer weiter und weiter gesponnen, bis hin zu der Theorie, dass Satanisten-Familien und Kulte prinzipiell ihre Kinder foltern und programmieren und dass diese Kinder später dann ihre Kinder foltern und programmieren. Eine solche Vorgehensweise ist höchst unrealistisch, da die Betroffenen schlicht zu instabil wären und alle möglichen anderen Störungen zusätzlich entwickeln würden. Die Studie „Occult Crime: A Law Enforcement Primer” ist eine gute Zusammenfassung der Materie und beleuchtet fair beide Seiten der Debatte mit Verweisen auf viel Fachliteratur. Es gibt auch einen Leitfaden für Ermittler, auf was besonders zu achten ist, wenn der dringende Verdacht besteht auf einen rituellen/okkulten Aspekt bei einem Verbrechen.

Quellenverzeichnis:

http://www.masonicinfo.com/zagami.htm

ARD 2003 „multiple Persönlichkeiten – Wahn der Therapeuten?“

AlexBenesch
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