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Koalition zerbrochen: Straches episches Versagen kann nicht kleingeredet oder weggeredet werden

Datum:

Alexandros Michailidis / Shutterstock.com

Kommentar

Kaum ist die Koalition in Österreich zerbrochen, weil Strache und Gudenus von der FPÖ sich in einem heimlich gefilmten Meeting mit einer Fake-Oligarchin um Kopf und Kragen geredet hatten, versuchen Hinz und Kunz, die Angelegenheit zu interpretieren, wie es gerade in den Kram zu passen scheint.

Strache erklärte zunächst, die Sache sei zu vernachlässigen, quasi nur besoffenes Gerede im Urlaub. Dann nannte er sein Verhalten „dumm, unverantwortlich und einen Fehler“ und sprach von einem Macho-Gehabe „wie ein Teenager“.

Wenn er während seinem Urlaub Business macht, dann ist das für die betreffenden sechs Stunden Business und kein Urlaub. Dass er einen Wodka-Red-Bull nach dem anderen reinkippt, ändert nichts am Inhalt der Konversation oder der Tatsache, dass es eine Business-Konversation war und er trotz Alk sechs Stunden lang Konzentration aufbringen konnte. Normalerweise verlieren Leute Hemmungen, wenn sie trinken. Erst ab einem gewissen Punkt, den Strache während der sechs Stunden nicht unbedingt erreichte nach derzeitigem Kenntnisstand, reden Leute Blödsinn.

Für Martin Sellner von den Identitären, der kürzlich selbst noch Strache mit Leaks drohte, dreht sich die Welt wie üblich um ihn selbst. Sellner meint, Strache hätte zu ihm halten müssen nach der Spende des späteren Christchurch-Killers. Strache sei nämlich jetzt der nächste, der unfair angegriffen wird. Dabei stolperte Strache nicht über einen Leak, der von rechter Politik oder Ideologie bestimmt ist, sondern über einen Leak, der ihn aussehen lässt wie einen fahrlässigen und inkompetenten Opportunisten. Auch wenn jetzt das rechte Lager das groteske Versagen von Strache unter den Tisch kehren und kleinreden will, so ändert das nichts daran, dass das rechte Lager dabei versagt hat, genau zu prüfen, wen es an die Spitze der FPÖ lässt. Strache taugte genausowenig als Politiker wie Sellner als Agitprop-Aktivist und Youtuber.

Man merke sich: Screening und Spionageabwehr und richtige Bildung sind viel aufwändiger als ideologisches und gruppennarzisstisches Geschrei. Hätten Strache und Gudenus etwas von Spionage verstanden, hätten sie die Dame geprüft, bevor sie mir ihr in einer fremden Location über abstruse Pläne sprechen. Es ist noch nicht bekannt, wie aufwändig die Falle war, aber letztendlich muss man als Politiker damit rechnen, dass auch professionelle Geheimdienste es mit Fallen probieren. Ein attraktiver weiblicher Lockvogel ist so ziemlich die älteste und abgedroschenste Masche, die man sich vorstellen kann.

Auch das Besäufnis, das die Konzentration verringert sowie die Inhibitions-Kontrolle, ist eine der ältesten Taktiken. Niemand erwartet Perfektion von Strache, aber in seinem Alter wie ein blutiger Anfänger zu agieren, ist schockierend. Was zur Frage führt, auf wieviele weitere Fallen er noch hereingefallen ist und wer sonst noch irgendwas gegen ihn in der Hand hat.

Wer sich als Ober-Patriot bewirbt, von dem muss man erwarten können, dass er auf Alkohol verzichtet und sich bildet über Geheimdienste. Der linke Agitprop-Komiker Jan Böhmermann scherzte Wochen zuvor mit Vorwissen über Strache, baute aber in seinen Witz noch eine Anspielung auf die Droge Kokain ein. Kommt da bald der nächste Vorwurf? Zusätzlich zu den anderen Ermittlungen die nun beginnen?

Sellner stammt aus dem gleichen Millieu von rechten Burschenschaften und Neonazis wie Küssel, der ebenfalls kürzlich den Eindruck erweckte, er habe heikle Informationen über Strache in der Hinterhand.  Inzwischen merkt Sellner, dass mit dem Niedergang von Strache die gesamte rechte Szene geschwächt wird und damit seine eigene Karriere in Gefahr ist. Ich weise seit Jahren darauf hin, dass man keine Figuren aus diesem Milieu fördern sollte, weil sich zu viele V-Männer darin tummeln und auch Nicht-V-Männer anscheinend problematisches Material übereinander sammeln. Ein paar Fotos oder Videos reichen ggf. um jemand anderem Schaden zu können.

Wird die FPÖ nochmal mit Leuten antreten wie Strache? Wird man nochmal zeitweise die Identitären kultivieren? Und nochmal Niederlagen kassieren? Werden reiche Gönner der FPÖ, die teils von Strache auf dem geleakten Video genannt wurden, nochmal riskieren, jemanden wie Strache aufzubauen?

Strache hat wohl mit einem einzigen Urlaubs-FAIL der rechtskonservativen Sphäre Österreichs bleibenden Schaden angerichtet, der noch die nächsten zehn Jahre spürbar ist.

Was mich wieder zu dem Punkt namens Screening führt, also das gezielte Einschätzen und Auswählen von Personen. Sich mit fast 50 Jahren bei einem heiklen Meeting zu besaufen und um Kopf und Kragen zu reden und als Teenager-Macho aufzutreten, obwohl die eigene Verantwortung extrem hoch ist, zieht in Zweifel, ob er jemals persönlich geeignet gewesen war für die Politik. Wie typisch war sein Verhalten, das auf dem Video festgehalten wurde? Wie oft hat er sich schon so verhalten? Wie ausgeprägt ist seine Trinkerei? Was ist mit der Koks-Anspielung von Böhmermann? Kennen die Wähler überhaupt den wahren Strache?

Das rechte Lager mag nun zurecht darauf hinweisen, dass die linke Politik und Mainstream-Politik verkommen ist, aber das ersetzt nicht Spionageabwehr, Screening und Bildung über Geschichte und Politikwissenschaft. Ohne diese Künste zu meistern, werden Rechtskonservative immer wieder und wieder scheitern.

Und übrigens: Auch russische Geheimdienste arbeiten seit jeher mit solchen Fallen. Wenn jetzt also extrem russlandfreundliche (Pseudo-)Konservative meckern, wie unfair die Falle gegen Strache war, dann sollte man daran erinnern, dass das auch zum Handwerkszeug der Russen gehört. Und die Russen versuchen nicht nur Konservative in Westeuropa zu kontrollieren, sondern auch Linke und den Mainstream.

Patriotismus muss auch bedeuten, massive und konsequente Spionageabwehr gegen Russland zu betreiben. Da ist aber bei der FPÖ und den Identitären nichts zu sehen. Ganz im Gegenteil.

Wenn die rechte Szene nicht mehr zu bieten hat als Dog Whistling um ein paar braune Brüder zu begeistern, Islamkritik und Geschrei gegen links, dann ist das armselig und zum Scheitern verurteilt.

AlexBenesch
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