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Warum der Staat wirklich gegen netzpolitik.org wegen Landesverrat ermittelt

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Foto: Shutterstock

KOMMENTAR

Die Betreiber des populäres Blogs netzpolitik.org sind wegen Veröffentlichung von Geheimmaterial des Verfassungsschutzes in das Fadenkreuz der Behörden gelandet. Der Vorwurf lautet auf Landesverrat, was soviel bedeutet wie Spionage zum Nachteil der Bundesrepublik. Auch gegen Unbekannt wird ermittelt, gemeint ist damit die Quelle der Dokumente, bei der es sich theoretisch um einen deutschen Politiker oder Agenten eines östlichen Geheimdienst handeln könnte. Im Endeffekt sehen wir hier eine Zäsur in der Bundesrepublik, die sich weniger um das klassische Dilemma „Pressefreiheit vs. Staatsgeheimnisse“ dreht, sondern mehr um den Ost-West-Konflikt und Informationskrieg in den Medien.

Im Frühjahr 2015 veröffentlichte netzpolitik.org zweimal Ausschnitte aus einem als „vertraulich“ eingestuften Bericht des deutschen Verfassungsschutzes. Darin ging es um den Aufbau einer neuen Einheit zur Überwachung des Internets, die Verbindungen und Profile von Radikalen und Extremisten in sozialen Netzwerken wie Facebook analysieren und überwachen soll.

Die Interpretationen könnten nicht unterschiedlicher ausfallen: Der Staat pocht auf sein Recht auf Geheimnisse, die Journalisten pochen auf Pressefreiheit und Quellenschutz. Der Knackpunkt ist die Frage, ob der Verfassungschutz bei der Erhebung von „Massendaten“ sein Mandat überschreitet oder nicht.

Übertritt der Verfassungsschutz seine Befugnisse, hätte der Blog Netzpolitik wohl Recht mit der Veröffentlichung. Bleibt der Verfassungsschutz innerhalb der Befugnisse, hätten die Journalisten mit der Veröffentlichung Geheimnisse ausgeplappert und Extremisten (ob nun links, rechts, muslimisch, pro-russisch oder sonstwie geartete) gewarnt, kein Youtube, Facebook und Co. mehr zu benutzen. Dem Geheimdienst entsteht durch die detaillierten Veröffentlichungen ein Flurschaden und Image-Schaden. Für das BfV geht es in jedem Fall ans Eingemachte.

Das Vertrauen in die deutschen Dienste ist auf einem Tiefpunkt, die Spionage östlicher Dienste jedoch auf einem Höhepunkt, was wohl ein bedeutsamer Anlass dafür gewesen war, einen Spionage-Paragraphen gegen Journalisten zu benutzen, egal wie unbeliebt sich die deutsche Bundesregierung damit macht.

Bisher gibt es über hypothetische Befugnisüberschreitungen in dem aktuellen Fall zur Schaffung einer Anti-Extremismus-Einheit nur Mutmaßungen und politisiertes Gepolter wie etwa von dem Urgestein der Grünen, Hans-Christian Ströbele, der selbst eine radikale Vergangenheit hat. Zwar ist der NSA-Skandal genug Anlass, genauer denn je hinzuschauen und die Rechtmäßigkeit der verwendeten Methoden sicherzustellen, nichtsdestotrotz gibt einem der NSA-Skandal nicht das Recht, zu veröffentlichen was man will. Was die Sache noch komplizierter macht, ist die Einmischung östlicher Geheimdienste in die großen Enthüllungen der letzten Jahre. So schön und wichtig die Enthüllungen auch waren, immer klebte der Geruch ausländischer Dienste an ihnen. Wikileaks-Betreiber Julian Assange machte eine Sendung für Russia Today, brachte hauptsächlich peinliche Enthüllungen über westliche Schnüffeleien und flüchtete sich in die Arme von Ecuador, die wiederum gedeckt werden von Russland. Edward Snowden lief praktisch zu den Russen über.

Wie immer sollen wir auch bei dem aktuellen Fall glauben, dass „Whistleblower“ hinter dem enthüllten Material stecken und edelste Motive haben. Allerdings ist in der Welt der Geheimdienste leider nichts und niemandem wirklich zu trauen. Wissen die Betreiber von netzpolitik.org überhaupt, wer ihre Quelle ist? Geht man nur davon aus, dass es sich um einen Whistleblower handelt? Abgesehen von echten Whistleblowern kämen eigentlich nur Spione einer ausländischen Macht an solches Material oder deutsche Politiker, die möglicherweise fremden Mächten zuarbeiten.

Sind die Veröffentlichungen von netzpolitik.org Landesverrat? Juristisch möglicherweise ja: Das Delikt des Landesverrates ist die Kernstraftat der Spionage. Landesverrat begeht, wer ein Staatsgeheimnis einer fremden Macht oder einem ihrer Mittelsmänner mitteilt oder sonst an einen Unbefugten gelangen lässt oder öffentlich bekanntmacht, um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen, und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt.

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, erstattete Strafanzeige gegen den Blog netzpolitik.org. Im Juli 2015 eröffnete Generalbundesanwalt Harald Range im Zusammenhang mit dem Tatvorwurf des Landesverrates ein Ermittlungsverfahren.

Der Vorfall erzeugte aufgrund der Parallelen zur Spiegel- und Cicero-Affäre vielfach Aufmerksamkeit in deutschsprachigen Medien. Am 30. Juli 2015 verurteilte der Deutsche Journalisten-Verband die Ermittlungen scharf. Das Vorgehen sei ein „unzulässiger Versuch, zwei kritische Kollegen mundtot zu machen“, so der Bundesvorsitzende Michael Konken. Er forderte den Generalbundesanwalt auf, die Ermittlungen unverzüglich einzustellen. Markus Beckedahl, Gründer und Urheber von netzpolitik.org, erklärte in Interviews mit heise Online und der Tagesschau, dass er die Anzeige für einen Einschüchterungsversuch seitens der Generalbundesanwaltschaft hält.

„Wir sehen das als Einschüchterungsversuch gegen unsere Arbeit an. Vergangenes Jahr hatte das Bundeskanzleramt Strafanzeigen angekündigt, auch gegen die Süddeutsche Zeitung und den Spiegel. Das wurde zurückgezogen. Jetzt kommt der Angriff auf uns. Wir sind das kleinste Medium, der Aufschrei wäre bei den beiden anderen Presseorganen sicher größer. Wir sehen das auch als Einschüchterungsversuch gegenüber potenziellen Quellen an.“

In Folge der Ermittlungen kam es zu einem bundesweiten Protest. Bürger, Politiker und Journalisten, darunter Ralf Stegner, Konstantin von Notz, Sahra Wagenknecht, Renate Künast und Christian Lindner – solidarisierten sich mit netzpolitik.org. Range wurde u.a. ein „Verrat an der Demokratie“ attestiert, einige Kommentatoren fordern seinen Rücktritt.

wikipedia-Zitate unter der Lizenz „Creative Commons Attribution/Share Alike“

AlexBenesch
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