Zunächst übernahm der Geheimdienst „US Army Intelligence“ die Führungsrolle, um das neue Deutschland aufzubauen. Die Agenten hatten eine ausladende Machtfülle und vereinten in sich die Befugnisse eines Geheimdienstes, einer Polizei und des Militärs. Sie waren nicht gebunden an gesetzliche Beschränkungen, wie sie daheim in den USA galten, wenn es darum ging, Festnahmen oder Durchsuchungen vorzunehmen. Und obendrein verfügten die Besatzer bereits über ausführliche Listen an Verdächtigen und an Dingen, die man unbedingt aufspüren wollte.
1949 beschäftigten die verschiedenen US-Heeresnachrichtendienste weit über 5.000 Vollzeit-Beamte in Deutschland. Dazu kamen noch weitere Agenten und Teilzeit-Agenten. Wie viele Deutsche genau angeheuert wurden als Informanten, ist nach wie vor geheim. Spezialagenten des Counter Intelligence Corps (CIC) der Armee befragten Hunderttausende von Nazibeamten, Flüchtlingen und Überläufern aus dem Osten.
Diverse Deutsche, die in der Bundesrepublik erfolgreich wurden, stehen unter dringendem Verdacht, bereits im Krieg für Britannien oder die USA spioniert zu haben.
Willy Brandt erklärte sich 1948 bereit, Informant des amerikanischen Counter Intelligence Corps zu werden. In den folgenden Jahren versorgte er seine Vorgesetzten mit mehreren hundert von Sozialdemokraten in der Sowjetzone eingeholten Berichten über die dortigen politischen, militärischen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Seine Karriere machte bekanntermaßen große Sprünge. Im Zuge der Umstrukturierung des amerikanischen Geheimdienstwesens wäre es nahegelegen, ihn vom CIC an die CIA durchzureichen. Brandt war einer der bemerkenswertesten Kontakte des Armeegeheimdienstes, aber er war bei weitem nicht der einzige. Die riesige deutsche Station der CIA befand sich den größten Teil der 1950er Jahre im riesigen I.G. Farben-Gebäude in der Frankfurter Innenstadt. Das Verhältnis zwischen CIA und den deutschen Behörden wurde in einem geheimen Dokument namens Contractual Agreement kodifiziert, das am 5. April 1955 vom Chef der deutschen CIA-Station, dem pensionierten Generalleutnant der US-Armee, Lucian K. Truscott und der Regierung von Bundeskanzler Konrad Adenauer unterzeichnet wurde. Da es sehr wahrscheinlich ist, dass Adenauer ein CIC- oder Armeegeheimdienst-Agent war zu der Zeit, ist die Zustimmung fragwürdig.
Das Abkommen definierte und grenzte ab, welche Art von Aktivitäten die US-amerikanischen, britischen und französischen Geheimdienste auf deutschem Boden durchführen durften und welche nicht. Aber in Wirklichkeit behandelten die CIA und andere US-Geheimdienste die Bedingungen der Vertragsvereinbarung eher als Fassade, statt als feste Verhaltensregeln. Von Westberlin aus überwachten die Berliner Operationsbasis der CIA und eine Geheimdiensteinheit der US-Armee sogar die Aktivitäten deutscher Lokalpolitiker. Wie viele solche Politiker hatte man gezielt aufgebaut und später in die Oberliga gebracht? Und wie viele Karrieren wurden abgebremst?
Als amerikanische Streitkräfte nach Deutschland vordrangen, beschlagnahmten sie auch eine Menge nichtmilitärischer Aufzeichnungen, darunter zahlreiche Akten der NSDAP und ihrer Unterorganisationen. Einige waren abstruser Natur, wie etwa ein Satz von 200.000 Ermittlungsakten über angehende Bräute von SS-Männern. In einem anderen Fall stellten CIC-Agenten eine Reihe von SA-Unterlagen sicher, die in einem Misthaufen in einem Klosterhof in Blaubeuren vergraben waren. CIC-Sonderagent George J. Novak erzielte einen der historisch bedeutendsten Coups, als er die Aufzeichnungen des deutschen Außenministeriums entdeckte, die in einem Schloss im Harz in Mitteldeutschland versteckt waren. Militärkommandanten hatten „höchste Autorität, d. h. das umfassendste Maß an Kontrolle, das erforderlich ist, um [ihr] militärisches Ziel zu erreichen“. Dies bedeutete, dass im besetzten Deutschland irgendwelche Gesetze die Operationen von Mitarbeitern des US-Armeegeheimdienstes nicht beeinträchtigten, die bei der Verfolgung ihrer Missionen die Befugnis hatten, deutsche Staatsbürger zu verhaften, die deutsche Kommunikation zu überwachen und ihre Agenten vor den örtlichen Behörden zu schützen. Wie ein Geheimdienstmitarbeiter es ausdrückte, „konnten die Besatzungsmächte, gelinde gesagt, alle Geheimdienstaktivitäten durchführen, die sie für ratsam hielten“.
Die amerikanische Militärregierung musste nach 1945 Ersatz finden für hunderte von Bürgermeistern, Landräten und anderen Funktionären in Deutschland. US-feindliche Nazis und Kommunisten landeten auf einer vom Militärgeheimdienst aufwendig er-stellten schwarzen Liste. Personen, die als vertrauenswürdig galten, auf einer weißen Liste.
Nach der Ära von Army Intelligence und Counter Intelligence Corps wäre es naheliegend gewesen, deutsche Politiker unter Vertrag durchzureichen an den neuen Geheimdienst CIA, der weniger militärischen Charakter hatte. Uns liegen natürlich nicht praktischerweise eindeutige Akten vor, laut denen beispielsweise ein Bundeskanzler für die CIA gearbeitet hätte. Aber die grundlegende geheimdienstliche Logik und die Standardverfahren legen nahe, dass die anglo-amerikanische Kontrolle absolut war und im Laufe der Zeit nicht nachließ. Die Militärregierung erlaubte zunächst vier Parteien in der US-Zone: Die konservative Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU) mit ihrer bayerischen Variante, der Christlich-Sozialen Union (CSU); die liberale Partei (FDP bzw. LDP in Hessen), die linksgerichtete Sozialdemokratische Partei (SPD) und die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD).
Konrad Adenauer
Adenauer stand auf der weißen Liste des amerikanischen Geheimdienstes, und war in seinen Memoiren mächtig stolz darauf, diese Liste regelrecht angeführt zu haben. Das lag aber einfach nur daran, dass er mit dem Anfangsbuchstaben „A“ in einer regionalen, alphabetisch geordneten Liste eben ganz weit oben stand. Ein nicht näher genannter kriegsgefangener Nazi-Gegner hatte den Amerikanern zu Protokoll gegeben, dass ein Kontakt mit Adenauer lohnenswert sein würde. Die neueste Studie von amerikanischen Militärs schweigt sich aus, ob er richtiggehend rekrutiert worden war von Army Intelligence oder dem CIC. Es heißt nur, dass er auf der White List stand. Dabei ist es fast garantiert, dass er eine Verpflichtungserklärung eines amerikanischen Geheimdienstes unterzeichnet hatte. Innerhalb von nur vier Jahren wurde Adenauer Bundeskanzler und danach dreimal wiedergewählt. Es wäre heute noch ein epischer Skandal, falls Akten von damals auftauchen, die seine andauernde Zugehörigkeit zum US-Geheimdienst bestätigen. Selbst wenn Adenauer 1955 anlässlich der Unterzeichnung der Pariser Verträge aus dem Verhältnis zu Army Intelligence oder CIC entlassen worden wäre, dann ergibt sich die Frage, ob er rechtzeitig erneut rekrutiert wurde von dem neuen US-Geheimdienst CIA oder von dem britischen MI6. Er verfügte als einstiger Bürgermeister von Köln über weitreichende Verbindungen und war sogar einmal im Gespräch gewesen als möglicher Reichskanzler. Als die NSDAP an die Macht kam, verlor er sein Amt wegen seiner Nähe zur katholischen Zentrumspartei und seinem fehlenden Enthusiasmus für Hitler. Pragmatismus und Unterwerfung genügten damals der NSDAP einfach nicht; sie wollte flammende Begeisterung. Der amerikanische Offizier Lt. Col. John K. Patterson überzeugte sich in einem Gespräch von Adenauer und ordnete eine Pressezensur an, die es unter Verbot stellte, über Adenauers Verbindungen zu den Besatzern zu berichten. Capt. Ulrich E. Biel hielt Adenauer kurz darauf sogar geeignet für eine Führungsrolle in der Administration Deutschlands. Der Grund dafür ist wohl nicht Adenauers Performance in diesen Besprechungen, sondern seine bewegte Vergangenheit und was die Besatzer alles darüber wussten. Adenauers Frau Auguste war übrigens eine entfernte Verwandte von Ellen McCloy – der Frau des späteren amerikanischen Hochkommissars im besetzten Deutschland, John J. McCloy.
Dem US-Geheimdienst CIC gelang es auch, einen Freund von Adenauers Sohn Kurt als Informanten in München zu rekrutieren. Schließlich wurde Adenauer der erste Kanzler des Landes; ein Amt, das er die nächsten vierzehn Jahre innehatte. Unter seiner Führung wurde Westdeutschland ein treuer Verbündeter der Vereinigten Staaten. Im Studium war er Mitglied von sehr alteingesessenen katholi-schen Studentenverbindungen wie der KStV Askania-Burgundia Berlin, die gegründet worden war von dem adligen Politiker der Zentrumspartei Friedrich von Kehler. Diese Gruppen sind sehr wählerisch und rekrutieren gezielt Nachwuchstalente. Von Kehlers Vater war preußischer Generalmajor und die Mutter war eine Gräfin von Schwerin. Als Kanzler später beschäftige Adenauer einen gewissen Gerhard Graf von Schwerin als „Berater für Militär- und Sicherheitsfragen“ für die Wiederbewaffnung Deutschlands, der ein deutscher General der Panzertruppe im Zweiten Weltkrieg gewesen war. Schwerin war in der Adenauer-Ära als CIA-Agent in Westdeutschland tätig. Schwerins Vater war ab 1895 Polizeipräsident in Hannover gewesen; also der Hochburg des Welfen-Adels. Einen großen Einfluss auf die KStV Askania-Burgundia Berlin hatte Georg Friedrich Karl Freiherr von Hertling, der gegen Ende des Ersten Weltkriegs Reichskanzler war. Adenauer blieb diesen Studentenverbindungen zeitlebens verbunden. Obwohl er in seinen juristischen Staatsexamen keine herausragenden Noten hatte, machte er Karriere am Amtsgericht Köln, durfte der Zentrumspartei beitreten und schaffte es zum Bürgermeisteramt. Sein Umfeld hätte ihn wohl kaum gefördert ohne Sicherheitsmechanismen. Adenauers Vater galt bereits als Justizsekretär in Köln als vertrau-enswürdig. In den zwanziger Jahren gehörte Adenauer den Aufsichtsräten der Deutschen Bank, der Deutschen Lufthansa, des Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerkes, der Rhein AG für Braunkohlenbergbau und Brikettfabriken und weiterer zwölf Unter-nehmen sowie dem Reichswirtschaftsrat an. Außerdem war Adenauer als Vizepräsident der Deutschen Kolonialgesellschaft politisch tätig. In der Weimarer Republik war er mehrfach als Kandidat für das Amt des Reichskanzlers im Gespräch, was darauf hin-deutet, dass alteingesessene Kreise sich seiner Loyalität sicher waren. 1928 verlor Adenauer sein Vermögen mit Aktien und war hochverschuldet bei der Deutschen Bank, wo er ironischerweise selbst im Aufsichtsrat saß. Sein Freund Louis Hagen half ihm aus der Misere und sorgte für den Ausgleich der Konten und für die Fortführung von seiner politischer Karriere. Hagen hatte 10 Jahre zuvor die Aktienmehrheit erworben an der Deutschen Bank zusammen mit Thyssen und Otto Wolff von Amerongen. Hagens Töchter heirateten beide in den Adel ein. Wir erkennen also klar und deutlich, wie ein-flussreiche Netzwerke ihn aufgebaut und geschützt hatten. Er selbst wiederum konnte in seiner Funktion als Bürgermeister dem Netzwerk alle möglichen Gefallen tun. Nach intensiven Verhandlungen mit dem US-amerikanischen Autohersteller Ford gelang es Adenauer, das Unternehmen davon zu überzeugen, ein komplett neues Werk in Köln zu errichten.
Reinhold Maier
Auf der weißen Liste stand auch der Name von Reinhold Maier, der künftige Star-Politiker der FDP und Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg. Wie ein Akteneintrag vermerkt, hatten die Nazis ihn 1933 wegen seiner Opposition gegen das neue Regime zur Pensionierung gezwungen. Studiert hatte er an der Eberhard Karls Universität Tübingen, benannt nach Ehrzog Karl Eugen, ein Sohn der Prinzessin Maria Augusta von Thurn und Taxis. Die Linie Thurn und Taxis war in den 1700er Jahren in-volviert in den Skandal um den Illuminatenorden, der an verschiedenen Universitäten aktiv war und für Spionagezwecke gebraucht wurde im Sinne Britanniens. Maier war dort in der Studentenverbindung Stuttgardia, wie auch der spätere CDU-Politiker Paul Binder, der im Dritten Reich bei der Dresdner Bank in Berlin die Zentralstelle für Arisierung“ jüdischen Vermögens leitete. Ab April 1944 machte Binder mit Ludwig Erhard und dessen „Institut für Industrieforschung“ Pläne darüber, wie das Raubgut auch nach einer möglichen Niederlage im Krieg weiter verwertet werden könne. Bei der Stutt-gardia war auch der NSDAP- und spätere CDU-Politiker Helmut Lemke; von 1964 bis 1971 Landesvorsitzender der CDU in Schleswig-Holstein und von 1963 bis 1971 Mitglied im CDU-Bundesvorstand. Reinhold Maier wurde 1924 in die Freimaurerloge „Zu den 3 Cedern in Stuttgart“ aufgenommen. Nach dem Krieg gründete er als Nachfolger die Sammelloge „Furchtlos und Treu“ mit, deren Name der Wahlspruch des Württembergischen Königshauses ist. Auf der entsprechenden Webseite wird erklärt:
Der damalige amerikanische Militärgouverneur Oberst Willliam W. Dawson, der selbst aktiver Freimaurer war, ebnete den Weg zur Genehmigung durch die seiner-zeitige Militärregierung.
Während der Zeit des Nationalsozialismus arbeitete er als Rechtsanwalt; seine Frau Gerta Goldschmidt floh mit den beiden Kindern nach England. Ein US-Informant bestätigte im Juni 1945 Maiers Anti-Nazi-Referenzen und lobte seine „hervorragenden administrativen und finanziellen Qualitäten“. Ein späterer CIC-Bericht stellte fest, dass Maiers jüdische Frau Gerta und seine Kinder während des Dritten Reichs nach Großbritannien geflüchtet waren und dass er „einen guten Ruf in alten demokratischen und parlamentarischen Kreisen“ genoss. Im August 1945 ernannte ihn die Militärregierung zum Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg und er führte das südwestdeutsche Bundesland für die nächsten acht Jahre. Von 1957 bis 1960 war Maier Bundesvorsitzender der FDP, anschließend bis zu seinem Tode Ehrenvorsitzender.
Theodor Heuss
Ein anderer Politiker, der seine Nachkriegskarriere mit Unterstützung des amerikanischen Heeresnachrichtendienstes startete, war Theodor Heuss. Als Reichstagsabgeordneter der Demokratischen Partei bis 1933 musste Heuss seine politische Karriere unterbrechen, als die Nazis an die Macht kamen. Während des Dritten Reiches veröffentlichte er einige unpolitische Artikel, hielt sich aber aus der Politik heraus. Sein Ein-trag auf der Weißen Liste beschrieb ihn als „kompromisslosen Demokraten“. John H. Boxer von der Abteilung für psychologische Kriegsführung suchte Heuss auf und die beiden wurden Freunde fürs Leben. Heuss sprach häufig mit CIC-Beamten, und wahrscheinlich arbeitete er zeitweise als Informant für die Stuttgarter Abteilung des Corps. Er trat als führender liberaler Politiker zunächst in der neu gegründeten Demokratischen Volkspartei und später in deren Nachfolgerin, der Freien Demokratischen Partei FDP, auf. Sein Parteifreund war der bereits erwähnte Reinhold Maier. Heuss hatte wesentliche Elemente der Verfassung geprägt. Im September 1949 wählte ihn der Bundestag zum ersten Bundespräsidenten der Bundesrepublik. Special Agent Edward W. Hoffer war zufrieden.
Thomas Dehler
In der FDP spielte auch der Jurist Thomas Dehler eine zentrale Rolle. Dehler wurde schon 1926 in die Freimaurerloge „Zur Verbrüderung an der Regnitz“ in Bamberg auf-genommen. Nach deren Verbot in der NS-Zeit gehörte er dann 1946 zu den Wiederbe-gründern der Loge, der er bis zu seinem Tod 1967 angehörte. Schon früh wurde Dehler so etwas wie ein Goldjunge des US-Geheimdienstes. Sein Eintrag auf der Weißen Liste vermerkte, dass seine Frau Irma Jüdin war und dass er
„oft unter großem persönlichen Risiko Juden und andere von den Nazis Verfolgte verteidigte. Wegen seiner Aktivitäten wurde er mehrfach von den Nationalsozialis-ten festgenommen, gab aber im Gefängnis den Forderungen hoher Parteifunktio-näre nicht nach. Auf ihn ist uneingeschränkt Verlass.“
Die Wehrmacht berief ihn 1945 auf verschiedene Ämter, in der neu gegründeten FDP stieg er schnell an die Spitze und wurde 1949 erster Justizminister Westdeutschlands.
Eugen Gerstenmaier
Während des Krieges kontaktierte der US-Geheimdienst OSS, Vorläufer der CIA, Eugen Gerstenmaier, einen evangelischen Theologen und überzeugten Gegner des Dritten Reiches. Wegen Beteiligung an einer Anti-Nazi-Verschwörung ins Gefängnis geworfen, wurde er im April 1945 von amerikanischen Truppen in Bayreuth befreit. So heißt es in einem Schreiben Heydrichs an Außenminister von Ribbentrop vom 2. April 1942:
„Bei dieser Gelegenheit [einer Balkanreise mit Dienstpass des AA] versuchte Dr. Gerstenmaier, den ökumenischen Patriarchen bzw. den Vatikan dazu zu bewegen, auf die britische Regierung für die Lieferung von Getreide aus ägyptischen Häfen nach Griechenland [für die hungernde Bevölkerung] einzuwirken.
1942 lud Helmuth James Graf von Moltke den Theologen Gerstenmaier in seine Widerstandsgruppe ein, den sogenannten Kreisauer Kreis. Als Mitglied dieser Gruppe be-suchte Gerstenmaier im Sommer 1942 Schweden, traf dort Bischof Yngve Torgny Brilioth und informierte diesen über die deutschen Widerstandspläne. Wir sehen also typische, uralte Netzwerke, über die Informationen und Pläne bewegt wurden. Nach dem Krieg unterstützte er deutsche Flüchtlinge aus dem Osten und trat der CDU bei. 1954 wählte ihn der Bundestag zum Präsidenten. Unterdessen subventionierte die CIA heimlich sein Hilfswerk der Evangelischen Kirche in Deutschland, die Wohlfahrtsorganisation der lutherischen Kirche mit Verbindungen zu Protestanten in Ostdeutschland. In der Ostzone versuchte die SED-Partei, die Kirche unter Kontrolle zu bekommen mit Hilfe der Stasi und Theologen wie Horst Kasner, der Vater der späteren Bundeskanzle-rin Angela Merkel. Es besteht der dringende Verdacht, dass Kasner nicht wirklich primär der DDR zuarbeitete, sondern uralten kirchlichen Netzwerken. Der stellvertreten-de Stationsleiter der CIA in Berlin, Peter M. F. Sichel, bezeichnete Gerstenmaier als wichtigen Verbindungsmann und guten Freund:
„Er arbeitete noch viele Jahre mit der CIA zusammen.“
Kurt Schumacher
Die US-Militärregierung hatte auch ein nüchternes Arbeits-Verhältnis zur SPD und ihrem Vorsitzenden Kurt Schumacher, der in der Zwischenkriegszeit ein sozialistischer Organisator und SPD-Mitglied im Reichstag gewesen war. Es sind bislang keine Akten freigegeben worden oder durchgesickert, die belegen dass er direkt vom US-Militärgeheimdienst rekrutiert worden war; auch wenn die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass es in irgendeiner Form eine klassische Rekrutierung gegeben hat durch die Amerikaner oder die Briten. Schumacher war ein entschiedener Gegner der Nazis und hatte rund zehn Jahre in verschiedenen Konzentrationslagern verbracht. Dass er zuerst zum Vorsitzenden der SPD in Hannover in der britischen Zone wurde, deutet auf den Einfluss des britischen Geheimdienstes hin, der ohnehin frühzeitig tief eingedrungen war in linke Seilschaften, die über Ländergrenzen hinwegreichten. Bald führte er die gesamte SPD an und grenzte diese äußerst scharf ab zu der Kommunistischen Partei Deutschlands und gegenüber Russland. Ende 1946 besuchte Schumacher auf Einladung der britischen Labour Party London, um sich mit den dortigen Sozialdemokraten zu treffen. Dem amerikanischen Geheimdienst CIC war es gelungen, einen per-sönlichen Bekannten Schumachers als Informanten zu rekrutieren. Laut dieser Quelle mit dem Codenamen Chicago war Schumacher aus London zurückgekehrt und hatte behauptet, die Briten hätten zugestimmt, ihm dabei zu helfen, die SPD zur dominierenden Partei in Deutschland zu machen. Wie genau diese Hilfe aussehen sollte, wird nicht verraten. Der SPD-Chef, so Chicago, sei „sehr antiamerikanisch“. Die Geheimdienstabteilung des Pentagon erkannte aber bereits im Oktober 1945, dass eine starke sozialdemokratische Partei in Deutschland „eine mächtige Kraft bei der Eindämmung der Ausbreitung des Kommunismus sein könnte“. Somit betrachtete die amerikanische Führung also die SPD als kontrollierbares Sammelbecken und in einem gewissen Um-fang waren auch antiamerikanische Töne bei der SPD sehr wohl miteinkalkuliert und stellten keine Gefahr dar, solange jemand wie Schumacher auf die Briten hereinfiel und die UdSSR mehr fürchtete als die USA. Als Schumacher nach Berlin reiste, traf er sich gelegentlich mit dem stellvertretenden Stationsleiter der CIA, Peter Sichel, um antikommunistische und antisowjetische Taktiken zu besprechen. Schumachers enger Helfer bei dem Wiederaufbau der SPD war ein gewisser Waldemar von Knoeringen aus einer uralten adligen Familie die bis zu den Kreuzzügen zurückreicht. Waldemar hatte sich am organisierten Widerstand gegen die Nazis beteiligt und flüchtete zu Kriegsbeginn nach England, wo er für verschiedene Propaganda-Radiosender arbeitete, die in Europa zum widerstand aufriefen. Dahinter stand das „Political Intelligence Department“ (PID), eine Geheimabteilung des britischen Außenministeriums. Ende 1945 kehrte Knoeringen als Major der britischen Armee nach Deutschland zurück und wurde eine der einflussreichsten Personen in der SPD. In Schumachers engem Umfeld agierte auch Fritz Heine, ein glühender Gegner der Nazis der die Kriegsjahre in London ver-bracht hatte, wo er dem britischen Geheimdienst half, mit deutschen Doppelagenten fertig zu werden. Nach dem Krieg kehrte Heine in seine Geburtsstadt Hannover zurück und wurde der SPD-Presse- und Propagandachef sowie enger Vertrauter Schumachers. Er sprach fließend Englisch und diente als Verbindungsmann zu den britischen Besatzungsbehörden sowie zu den Amerikanern. Im September 1947 begleitete Heine Schumacher zu einem offiziellen Besuch in die Vereinigten Staaten. Irgendwann baute die CIA eine vertrauliche Beziehung zu ihm auf, und Heine wurde zum inoffiziellen Kontakt der SPD mit der CIA. Bei der Bundestagswahl 1949 wurde Kurt Schumacher als Abgeordneter des Wahlkreises Hannover-Süd mit 55,1 % der dort abgegebenen gülti-gen Stimmen in den ersten Deutschen Bundestag gewählt.
Franz-Josef Strauß und die CSU
Der junge stellvertretende Landrat aus Schongau in Oberbayern, Franz Josef Strauß, nannte den Beamten der Abteilung für öffentliche Sicherheit, Lt. David B. Trott „einen jüdischen Anwalt und notorischen Deutschenhasser“. Er hatte dennoch das Vertrauen der Amerikaner. Laut Akten aus verschiedenen Geheimdiensten soll Strauß dem amerikanischen OSS während dem Krieg geheime Informationen über die Luftverteidigung einiger süddeutscher Städte, darunter Würzburg, übergeben haben. Zudem heißt es, die USA seien im Besitz weiterer kompromittierender Erkenntnisse gewesen – auch aus dem sexuellen Bereich – über Strauß, um dessen Widerstand gegen den Atomwaffensperrvertrag zu überwinden. Im Juni 1945 wurde er zum stellvertretenden Landrat ernannt. Von dort stieg er als zentrale Figur der CSU in der bayerischen und bundes-deutschen Politik auf, Höhepunkte seiner Karriere waren unter anderem das Amt des Verteidigungsministers unter Konrad Adenauer 1956 und des Ministerpräsidenten von Bayern 1978. Beamte der Militärregierung verweigerten der Bayerischen Volkspartei aus der Vorkriegszeit und einer geplanten monarchistischen Partei die Lizenz. Laut einem amerikanischen Informanten gefiel das Verbot den CSU-Führern, weil sie Wahlkonkurrenz von der politischen Rechten befürchteten. Als einzige zugelassene konservative Partei hatte die CSU nun das Monopol auf die ländliche katholische Wähler-schaft. Der bayerische Geheimdienst prognostizierte, dass die CSU bei den ersten Nachkriegswahlen zum bayerischen Landtag am 1. Dezember 1946 mindestens 45 Prozent gewinnen würde. Tatsächlich gewann die Partei landesweit mehr als 52 Prozent und erzielte in den konservativsten Landkreisen deutlich höhere Ergebnisse Mit-tel- und Südbayern. Angesichts der überragenden Bedeutung der CSU in der bayerischen Politik widmeten die Geheimdienste der US-Armee erhebliche Ressourcen der Überwachung der Partei und ihres Personals. Die Zivilzensurstelle hatte die Post und Telefonate zahlreicher bayerischer Politiker abgehört, darunter auch die von und zur CSU-Zentrale in München. Mehrere Stellen setzten Informanten ein. So hatte Annelore Ehard, die Ehefrau von Ministerpräsident Hans Ehard, einem Mitarbeiter des Referats Informationskontrolle zahlreiche Berichte über die Innenpolitik der CSU vorgelegt. Und ein hochrangiger Beamter des bayerischen Kultusministeriums, Otto Graf, versorgte den CIC mit einer Fülle von „politischem Material“ zur bayerischen Lage.
Josef Müller
Seit seiner Studentenzeit war er Mitglied der Katholischen Studentenverbindungen K.St.V. Ottonia München und Isaria Freising im KV. Er pflegte Kontakte zu den Widerstandskämpfern Canaris, von Dohnanyi und Oster. Special Agent Joe B. Cox vom amerikanischen CIC lobte später Müllers Anti-Nazi-Referenzen und begleitete ihn persönlich zurück nach München. Er wurde Gründungsmitglied der CSU, erster Vorsitzender der Partei und eine herausragende Persönlichkeit der bayerischen Politik. In der Zwischenzeit pflegte er sorgfältig seine Verbindungen zum US-Geheimdienst. Laut einem CIC-Bericht aus dem Jahr 1946 kannte Müller den Chef des OSS, William Donovan, persönlich. Im Sommer 1947 nahm der CIC Müllers Privatleben genauer unter die Lupe. Special Agent Walter Dreifuss ließ Müllers Frau Maria von zwei Informanten ausspionieren. Sie entdeckten einige „höchst peinliche“ Informationen. Nach Angaben der beiden Agenten war Frau Müller „betäubungsmittelabhängig . . . in eine Liebesaffäre verwickelt“ mit einem lokalen Bildhauer.
Ludwig Erhard
Laut dem Historiker Werner Abelshauser erstellte Erhard einst Gutachten für Regierungsstellen des NS-Staats, unter anderem zu der Frage, wie man das besetzte Polen am besten ausbeutet. Am Ende des Krieges hatte eine Abteilung der US-Militärregierung Erhard zum Wirtschaftsberater in Nürnberg ernannt, und eine nachrichtendienstliche Untersuchung ergab, dass er vom Dritten Reich politisch nicht kompromittiert war. Er wurde erster Wirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland und leitete die kritischen Anfangsjahre der wirtschaftlichen Erholung des Landes nach dem Krieg. 1963 folgte er Adenauer als Kanzler nach. Die Amerikaner hatten allen Grund zur Freude. Ein Eintrag in Erhards CIC-Akte beschrieb ihn als „extrem pro-amerikanisch“. Ludwig W. Erhard wurde das Gesicht des Wirtschaftswunders. Von 1963 bis 1966 diente er als zweiter Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Mit seinem Außenminister Gerhard Schröder zählte Erhard zu den Atlantikern, die den Beziehungen zu den USA gegenüber denen zu Frankreich Vorrang gaben.
Herbert Frahm alias Willy Brandt
Der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher ermutigte Willy Brandt, in die deutsche Politik einzutreten und ihn in Berlin zu vertreten. 1947 stellte Brewster H. Morris den aufsteigenden Brandt dem CIC in Berlin vor. Special Agent George D. Swerdlin, der Brandt persönlich überprüfte und sein erster Führungsoffizier wurde, beschrieb ihn als „einen intelligenten, tatkräftigen Mann, der als Freund der Westmächte angesehen werden kann“. Swerdlin bemerkte auch, dass Brandt „einen für einen echten Sozialisten typischen Hass auf den Kommunismus“ hatte und jener glaubte, die CIC sei ein Dienst, der sich aktiv im Kampf gegen den Kommunismus engagiert.“ Brandt verschaffte dem CIC sowohl Informationen als auch Zugang. Er diente als Verbindungsmann zwischen der Schumacher-Zentrale in Hannover und der illegalen Organisation der SPD in der Sowjetischen Besatzungszone, dem sogenannten Ostbüro. In dieser Position leitete er zahlreiche Berichte von Agenten im Osten an das CIC weiter. Außerdem fungierte er als Verbindungsmann zur SPD-Führung im Westen. Als Brandts Bedeutung in Berlin stieg, stieg auch sein Wert als amerikanische Geheimdienstquelle. Im Januar 1950 rekrutierte das CIC Brandt offiziell als „O-Typ“ oder „Ermittlungsinformant“ – das heißt, eine Quelle, die Informationen aus Aufzeichnungen oder Behörden lieferte, zu denen sie Zugang hatten. Er erhielt die Bezeichnung „O-35-VIII“, und auf einer Zuverlässigkeitsskala von „A“ bis „F“ vergab das Corps die zweithöchste Note: „B“ oder „in der Re-gel zuverlässig“. Brandt erhielt einen monatlichen Vorschuss von 250 DM (DM) sowie eine Aufwandsentschädigung. Im September ersetzte Special Agent Gustav Bard Swerdlin als Brandts Führungsoffizier, und die beiden trafen sich regelmäßig in einem sicheren Haus in der Hagenstraße im US-Sektor von Berlin. Die Amerikaner investierten viel in ihren Informanten. Am 27. Juli 1950 trafen sich Brandt – inzwischen SPD-Abgeordneter für West-Berlin im Bundestag – und Hans E. Hirschfeld von der West-Berliner SPD heimlich mit US-Beamten im Zimmer 115 des IG-Farben-Hauses in Frank-furt. Mit einer Warnung, die folgende Transaktion „streng vertraulich“ zu behandeln, stellten die Amerikaner den beiden Männern 200.000 DM politische Unterstützung zur Verfügung. In den nächsten Jahren schleusten sie weitere 106.000 DM nach Hirschfeld. Shepard Stone, ehemaliger Geheimdienstoffizier der Armee und Mitglied der Information Control Division, hatte diesen Deal arrangiert, um die SPD in Berlin gegen kommunistische Übergriffe zu stärken. 1954 reiste Brandt im Rahmen einer vom Außenministerium organisierten Goodwill-Tour für westdeutsche Beamte in die Vereinigten Staaten. Die CIA wollte diese Gelegenheit nutzen, um Brandt zu kontaktieren und frag-te ihre CIC-Kollegen, ob sie Einwände hätten. In dem Versuch, Brandt vor den Vorstößen der CIA abzuschirmen, forderte der CIC, dass „keine Anstrengungen unternommen werden, sich an SUBJECT zu wenden“. Laut dem ehemaligen CIA-Offizier, Victor L. Marchetti, ignorierte die CIA diesen Wunsch. Ob Brandt tatsächlich ein CIA-Agent wurde, ist sehr wahrscheinlich, aber es gibt keine Akten, die uns bequemerweise vorliegen, um das zu bestätigen. 1969 wurde er zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt.
Dauerhaft
Es gab einen dauerhaften Rechtsrahmen, der es den Amerikanern erlaubte, auch nach 1949 aggressiv verdeckte Operationen im Herzen Europas zu betreiben. Das Besatzungsstatut wurde im Rahmen des Status of Forces Agreement fortgeführt, das die Rechte der US-Streitkräfte in Deutschland noch lange nach dem Ende der militärischen Besetzung festlegte. Das US-Heer plante seit 1942 die Überwachung des zivilen Nachrichtenverkehrs bzw. die zivile Zensur im besetzten Deutschland. Dieses Programm forderte die Kontrolle aller Formen und Arten des postalischen, telegrafischen und telefonischen Nachrichtenverkehrs sowie der Reisedokumente erhalten militärische, politische und wirtschaftliche Informationen. Das CIC hatte die Aufgabe, die Loyalität des deutschen Personals an Repeater-Stationen sicherzustellen, die kritische Teile der Kommunikationsinfrastruktur und bequeme Zugangspunkte für Abhörbemühungen waren. In Gebieten unter amerikanischer Kontrolle übernahm das U.S. Army Signal Corps die verbleibende Kommunikationsinfrastruktur. Die Bombenangriffe der Alliierten hatten einen Großteil davon zerstört, sodass das Signal Corps mehr als 900.000 Meilen Feldkabel verlegen und Funk- und Fernschreibnetze wieder aufbauen musste. Frankfurt wurde zum Zentrum dieses von Amerika kontrollierten Kommunikationssystems. Wer damals als Gegner der deutschen und amerikanischen Regierung dachte, er könne unauffällig wirkende, codierte Briefe senden oder Telefongespräche führen, um irgendwelche Aktionen zu koordinieren, der unterschätzte den Überwachungsapparat. Die sogenannte „schwarze Liste“ der Besatzer wurde wahrscheinlich fortgeführt und kontinuierlich erweitert. Es heißt in der neuen Studie des US-Militärs:
Wenn der Verdacht besteht, dass ein Telefongespräch eine versteckte Nachricht enthält, wird ein Protokoll erstellt und zur Analyse an die Forschungsabteilung weitergeleitet. Da der Tonfall der Stimme und der Wortabstand oft sehr wichtig sind, kann es für das Forschungspersonal in einigen Fällen wünschenswert sein, sich die Aufzeichnung des Gesprächs anzuhören.
Im Juli 1945 erhielt die Zensurbehörde die Erlaubnis, 3.500 deutsche Staatsbürger ein-zustellen. Unter den Neuzugängen waren zahlreiche jüdische Emigranten und Holocaust-Überlebende, die als politisch verlässlicher galten als der durchschnittliche Deutsche. Man kann sich die Motivation vorstellen, mit der extremistische Personen ausgehorcht wurden. Die Zensurabteilung arbeitete eng zusammen mit mehreren militärischen Regierungsorganisationen, der CIC, der U.S. Constabulary und der CIA. Man konnte die Überwachung bestimmter Personen oder Organisationen beantragen, indem man einfach einen Einreichungsschein ausfüllte. Es gab dabei keine hohen rechtlichen Hürden zu überwinden. Am 10. November 1947 richtete das European Command die „Communications Intelligence Service Detachment“ ein. Die Abteilung mit Hauptsitz in Frankfurt entsandte lokale Zensurteams und Abhöreinheiten zu den Kommunikationszentren in Berlin, Bremen, Frankfurt, München, Nürnberg und Stuttgart.
Der Adel in der Bundesrepublik
Es fiel nicht groß auf, wie der Adel in der neuen Bundesrepublik in wichtige Posten gelangte. Im Deutschen Bundestag vom Herbst 1949 waren von den 518 Abgeordneten nur elf Adelige. Aber sieht man genau hin, findet man sie überall; in Parteivorstän-den, wichtigen Ministerposten, in der Diplomatie usw.
Heinrich von Brentano
Er sicherte sich 1955 den Posten des Außenministers. Von 1961 ab diente er als Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Sein Großvater Gustav Brentano war seit 1864 Thurn- und Taxis´scher Postmeister in Friedberg (Hessen). Gustavs Söhne ließen sich in Rom ihren italienischen Adelsstatus bestätigen und das Großherzogtum Hessen erkannte dies an. Heinrichs ältester Bruder Clemens bekam den Botschafterposten in Rom und der zweitälteste Bruder wurde deutscher Konsul in Lille. Nach Paris schickte man Herr von Maltzan.
Heinrich Herwarth von Bittenfeld
Als deutscher Chefdiplomat nach London ging Hans Heinrich Herwarth von Bittenfeld, der schon im Krieg ein Informant geworden war für die Briten und Amerikaner. Von 1931 bis 1939 war er Attaché und Legationssekretär in der deutschen Botschaft in Mos-kau. In dieser Zeit lernte er die in Moskau ansässigen US-Diplomaten wie Charles W. Thayer kennen. An diese Beziehungen konnte Herwarth nach 1945 anknüpfen, denn Thayer wurde 1945 zum Leiter des US-Geheimdienstes OSS in Wien ernannt. Weiterhin hatte Herwarth in Moskau einen engen Kontakt zu dem britischen Diplomaten Fitzroy Maclean, der ein Agent des MI6 war. Nach Abschluss des deutsch-sowjetischen Nicht-angriffspaktes spielte er den US-Diplomaten das geheime Zusatzprotokoll des Paktes zu, welches die Aufteilung Polens im Kriegsfall regelt. Im Herbst 1940 verriet Bittenfeld alias „Johnny“ dann auch die geheimen Angriffsplanungen der Wehrmacht auf die Sowjetunion an die Alliierten und leistete somit einige der Beiträge zur Sabotage der nationalsozialistischen Kriegsanstrengungen.
Hans-Joachim von Merkatz
Er wurde Bundesjustizminister. Vom 27. April 1967 bis zum 26. Juni 1969 war von Merkatz Vorsitzender des Untersuchungsausschusses zu dem Skandal um den Schützenpanzer HS 30. Dabei ging es primär um eine illegale Parteienfinanzierung für die CDU. Nach Aussagen des Zeugen Werner Plappert (CDU), der 1974 tot im Bodensee aufgefunden wurde, soll die CDU im Zusammenhang mit der HS-30-Beschaffung 50 Millionen DM für die Finanzierung des Bundestagswahlkampfes 1957 entgegengenommen haben. 1967 wurde Hans-Joachim von Merkatz als Nachfolger von Richard Nikolaus Graf von Coudenhove-Kalergi Präsident der deutschen Paneuropa-Union.
Botho Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein
Bundestagsabgeordneter aus einer uralten Familie. Die Grafschaft Sayn-Wittgenstein grenzte an Hessen-Darmstadt und Grafschaft Nassau.
Casimir Johannes Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg
Mitbegründer und langjähriger Präsident des World Wildlife Fund (WWF) in Deutschland. Mitglied des Vereins Atlantik-Brücke. Von 1976 bis 1998 war er Landesschatzmeister der hessischen CDU. Er hatte im Jahr 1983 gemeinsam mit dem späteren Bundesinnenminister Manfred Kanther und dem Finanzberater der Bundes-CDU Horst Wey-rauch 20,8 Millionen Mark auf geheime Konten in der Schweiz geschafft. Anfang der 1990er Jahre wurde das Vermögen auf das Konto einer Liechtensteiner Stiftung mit dem Decknamen „Zaunkönig“ transferiert. Mehrfach ließ Sayn-Wittgenstein-Berleburg Millionenbeträge aus dem Ausland zurück in den Haushalt der hessischen CDU fließen. Von wo das Geld ursprünglich stammte, konnte bis heute nicht geklärt werden. Eine Vermutung ist, dass es sich um Gelder der „Staatsbürgerlichen Vereinigung“ handelt. Die Verfahren wurden aus „gesundheitlichen Gründen eingestellt“. Der Verein ermöglichte es Unternehmen und Verbänden, anonym und ohne Versteuerung Geld an politische Parteien zu spenden. Da der Verein als gemeinnützig anerkannt war, konnten die Spender aus der Wirtschaft die Beträge voll von der Steuer absetzen. Die Spender blieben anonym. Die Spendengelder flossen vor allem an die CDU, aber auch an FDP und CSU und in den 1970er Jahren auch an die SPD. Insgesamt handelte es sich um einen Betrag von bis zu 214 Millionen DM zwischen 1960 und 1980.
Knut Freiherr von Kühlmann Stumm
FDP, dann CDU. War im Zweiten Weltkrieg zeitweise Begleitoffizier des Generalfeldmarschalls Erwin Rommel. Am 5. November 1963 wurde er zum Fraktionsvorsitzenden der Liberalen gewählt.
Richard von Weizsäcker
Der sechste Bundespräsident. Der Vater wurde im Dritten Reich Leiter der politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes unter Konstantin Freiherr von Neurath und 1938 zum Staatssekretär unter Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop. Brigadeführer der Allgemeinen SS. Weizsäcker war mit seiner SS-Aufnahme dem persönlichen Stab Himmlers zugeteilt. Diesem SS-Hauptamt unterstanden vor allem die privaten Organisationen „Lebensborn“, „Freundeskreis Reichsführer SS“, „Ahnenerbe“ und die Wewelsburg.
Franz Ludwig Graf Schenk von Stauffenberg
Politiker der CSU. Am 25. Mai 1965 heiratete er in Guttenberg Elisabeth Freiin von und zu Guttenberg, Tochter von Karl Theodor zu Guttenberg.
Dr. Otto Graf von Lambsdorff
FDP. Seit 1972 gehörte Lambsdorff dem FDP-Bundesvorstand an, seit 1982 auch dem Präsidium der FDP. Vom 8. Oktober 1988 bis zum 11. Juni 1993 war er Bundesvorsitzender und seit 1993 Ehrenvorsitzender der FDP. Von 1991 bis 1994 war Lambsdorff Präsident der Liberalen Internationale. Am 7. Oktober 1977 wurde er als Bundesminis-ter für Wirtschaft in die von Bundeskanzler Helmut Schmidt geführte Bundesregierung berufen. Im Zuge der sogenannten Flick-Affäre hob der Bundestag am 2. Dezember 1983 die Immunität des amtierenden Bundeswirtschaftsministers Lambsdorff auf, der dann, als die Anklage zugelassen wurde, am 27. Juni 1984 zurücktrat. Der Prozess vor dem Landgericht Bonn zog sich rund anderthalb Jahre hin. Am 16. Februar 1987 wurde Otto Graf Lambsdorff gemeinsam mit dem Flick-Manager Eberhard von Brauchitsch sowie dem vormaligen Bundeswirtschaftsminister Hans Friderichs wegen Steuerhinterziehung rechtskräftig verurteilt.
Eberhard von Brauchitsch
Er war Geschäftsführer der Flick KG sowie einer der Hauptbeteiligten an der Flick-Affäre. Aus seiner Familie stammten viele preußische Militärs. Walther von Brauchitsch war ein deutscher Generalfeldmarschall und in der Zeit des Nationalsozialismus von 1938 bis 1941 Oberbefehlshaber des Heeres. Die Familie hat Verbindungen zu Britannien. Von 1971 bis 1973 war er Generalbevollmächtigter des Verlegers Axel Springer und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender im Axel-Springer-Verlag in Berlin.
Gerhard Graf von Schwerin
Er war ein deutscher General der Panzertruppe im Zweiten Weltkrieg. Sein Vater war ab 1895 Polizeipräsident in Hannover. Er wurde 1950 zum „Berater für Militär- und Sicherheitsfragen“ verpflichtet. Ihm kommt eine Schlüsselrolle in der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland unter Konrad Adenauer zu. Er gehörte dem Adelsgeschlecht von Schwerin an, einer Familie des mecklenburgischen und pommerschen Uradels mit langer militärischer Tradition. Die Dienststelle Schwerin trug die Tarnbezeichnung „Zentrale für Heimatdienst“ (ZfH). Die Aufgaben der ZfH übernahm dann das Amt Blank. Schwerin war in dieser Zeit als CIA-Agent in Westdeutschland tätig.
In der Diplomatie
Hier diente z.B. Bernhard Ernst von Bülow. Ins Auswärtige Amt holte er vier Familien-angehörige dazu. Die Bundesregierung war in den 70er Jahren in den USA fast nur von Adligen vertreten. Botschafter in Washington war Berndt von Staden, UNO-Botschafter Rüdiger Freiherr von Wechmar, Generalkonsul in Boston Hans Werner Graf Finck von Finckenstein. Usw.
Der Adel in der Wirtschaft
Bei den größten und wichtigsten deutschen Industrieunternehmen fanden sich überall Adelige als Besitzer, Teilhaber, Aufsichtsräte, Geschäftsführer und Generalbevollmäch-tigte.
Dietrich von Menges war im Aufsichtsrat von Ferrostaal, bei der MAN, AEG. Er nahm von 1939 bis 1945 am Zweiten Weltkrieg teil, zuletzt als Hauptmann und Gene-ralstabsoffizier.
Karl von Winckler im Aufsichtsrat der Hessischen Berg- und Hüttenwerke, Vor-stand Buderus Eisenwerke.
AEG hatte Eduard von Schwartzkoppen und Dietrich von Menges im Aufsichtsrat.
Thyssen-Hütten AG hatte Wolf Baron von Buchholtz.
Bei der Friedrich Krupp AG war Gerd von Heydekamp. Der diente im Dritten Reich als Wehrwirtschaftsführer. 1942 wechselte er zu Henschel & Sohn nach Kassel. Dann Vorsitz der Panzerkommission des Ministeriums für Rüstung und Kriegsproduktion. Die Übernahme NSUs durch Volkswagen und die Fusion mit der VW-Tochter Auto Union zur Audi NSU Auto Union AG im Jahr 1969 wurde von Stieler von Heydekampf voran-getrieben.
Konrad Henkel, Konzernchef von Persil, forschte unter den Nazis zu Giftgas. War Schwiegervater eines Prinzen von Sachsen-Coburg und eines Freiherrn von Braun.
Rudolf von Benningsen war an der Spitze der VEBA, das größte deutsche Energieunternehmen der damaligen Zeit. Den namengebenden Stammsitz Bennigsen, heute eine Ortschaft der Stadt Springe in der Region Hannover, erhielten sie von den 1640 ausgestorbenen Grafen zu Schaumburg als Lehn. Levin Adolph von Bennigsen wurde 1679 herzoglich braunschweigischer Schlosshauptmann und Schatzrat des Stifts Hildesheim. Friedrich Hermann von Bennigsen war 1709 Kurbraunschweiger Oberst und Schlosshauptmann, sein Bruder Wolf Erich von Bennigsen wurde kursächsischer Rat und Hofrichter zu Wittenberg. Die Verbindungen zu Welfen sind also deutlich.
Unter Peter von Siemens war Herr von Oertzen aus dem mecklenburgischen Landadel Personalchef und holte ein Dutzend Adelige hinzu.
Bei Telefunken arbeitete Georg Graf von Arco. Arco war Beiratsmitglied in der Abraham-Lincoln-Stiftung, einer deutschen Zweigstiftung der Rockefeller Foundation.
Bei der Robert Bosch AG hatte die Generalvollmacht Hasso Freiherr von Falken-hausen. Alexander von Falkenhausen war General der Infanterie im Zweiten Weltkrieg sowie von 1940 bis 1944 Chef der Militärverwaltung von Belgien und Nordfrankreich und ein Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus. Er hatte inzwischen feste Verbindungen zum deutschen Widerstand hergestellt und war mit Helmuth James Graf von Moltke, Ulrich von Hassell und Carl-Heinrich von Stülpnagel eng befreundet.
Bei den Bayer-Werken waren Herr von Hansen, Kurt von Kessel, Erik von Davidson.
Die Schering-Werke hatten im Aufsichtsrat Eduard von Schwartzkoppen.
Otto Wolf von Amerongen war bei der Otto Wolff AG. Er galt als „Wegbereiter des Osthandels“ und „heimlicher Osthandelsminister“. Er wurde 1971 als erster Deutscher in das Führungsgremium des US-amerikanischen Exxon-Konzerns (Rockefeller) berufen. Mitglied des Verbandes der Deutschen Wirtschaft in der Russischen Föderation. Er gehörte dem inneren Kreis der Bilderberg-Gruppe an und war Mitglied des Präsidiums der Europa-Union Deutschland. Das deutsch-sowjetische Erdgas-Röhren-Geschäft – ein sogenanntes Barter-Geschäft – gilt als sein größter Erfolg.
Eberhard von Kuenheim war Vorstandsvorsitzender der BMW AG. Christopf Graf von Preising war bei BMW. In Bonn bei BMW war Christoph Graf von Preysing.
Bei Mercedes im Aufsichtsrat arbeitete die Fürstin Christine von Urach. Ihe Linie heiratete ein in die Häuser von Monaco, Thurn und Taxis usw.
Bonner Vertreter von Opel war Prinz Heinrich XI. Reuss.
Bei FIAT in Deutschland arbeiteten Dietrich von Berlichingen und Konrad Prinz von Bayern.
Die Flugzeugfirma Messerschmitt Bölkow-Blom in München hatte Freiherr von Freyberg und den Ritter von Srbik
Rudolf Graf von Buquoy war bei Klöckner Humboldt Deutz.
Magnus Freiherr von Braun aus dem Uradel arbeitete an wichtigen Bauteilen für das Nazi-Raketenprogramm. Sein Bruder war der berüchtigte Wernher von Braun. Magnus wurde im Rahmen der Operation Overcast für die Weiterarbeit in den USA gewonnen und ging schließlich 1946 an die Raketenversuchsanstalt Fort Bliss in Texas.
Die Fürst von Thurn und Taxis Bank
Die Deutsche Bank hatte viele Adelige im Aufsichtsrat.
Es gab mehrere Adlige bei der Dresdner Bank.
Wichtige Adlige arbeiteten bei den Versicherern Allianz (Vicco von Bülow), Colonia (Freiherren von Oppenheim), Mannheimer, usw.
Casimir Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg war Vorstandsvorsitzender der Metallgesellschaft in Frankfurt.