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Oppenheimer, die Bombe und die Geheimdienste hinter der Wissenschaft

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Hollywood veröffentlicht seit Jahren einige bedeutende Filme über die Geschichte von Kriegen und Schlachten. Es ist wie eine Reihe an (selektiv aufbereiteten) Geschichts-Lektionen für ein Publikum, das keine Bücher mehr liest. Angesichts der Spannungen zwischen den drei Supermächten sollen sich die Menschen anscheinend darüber bewusst werden, was passieren kann.

Das neue Megaprojekt ist Christopher Nolans „Oppenheimer“, basierend auf dem Buch „American Prometheus“ aus dem Jahr 2005. Der Plot zeigt die Entstehung der Atombombe während des Zweiten Weltkriegs aus der Sicht des Projektleiters J. Robert Oppenheimer.

Was der Film sicherlich nicht oder nur ansatzweise zeigen wird, ist die geheimdienstliche Ebene in den Wissenschaftskreisen und die uralten Netzwerke, die ab den frühen 1700er Jahren für das britische Kolonialreich die Wissenschaft vereinnahmten im Rahmen der Royal Society. Regisseur Christopher Nolan vergöttert die Briten und die Wissenschaft. Er ist ein „Commander“ des britischen Imperiums. Die Ära der „Aufklärung“ beendete nicht den klassischen Imperialismus, sondern brachte ihn auf das nächste Level. Die Royal Society ist die Schwesterorganisation des britischen Freimaurertuns, was fast niemand weiß und in den ursprünglichen Statuten der Logen selbst liegt der Fokus auf Wissenschaft. Britanniens DNA ist die Geheimdienstkultur und die alten Netzwerke sammelten die besten Forscher, bewegte sie von Deutschland nach Britannien und dann in die USA.

Die Oppenheimers waren stammten aus Hessen, also der Adelshochburg deren Mitglieder u.a. führend wurden im britischen Kolonialreich. Juden hatten einen äußerst schwachen Rechtsstatus, was sie kontrollierbarer machte, und sie waren bekannt für enge, familiäre Familienbande. Der Adel war es gewohnt, Untertanen zu rekrutieren und über Generationen hinweg auf Loyalität zu prüfen.

Samuel Oppenheimer (1630-1703) wurde zum Oberhoffaktor ernannt und zum Hofjuden Ludwigs von Baden. Das Haus Baden näherte sich im Laufe der Zeit Hessen an: Kurfürst Karl Friedrich von Baden heiratete Karoline Luise von Hessen-Darmstadt. Der bayerische Illuminatenorden war eine Tarnorganisation adeliger Geheimdienste und sollte mehr Gewicht in Bayern verschaffen. Die Prinzen Karl von Hessen und Ferdinand von Braunschweig sowie die Herzöge Ernst von Sachsen-Gotha und Carl August von Sachsen-Weimar waren Mitglieder des Ordens. Der Landgraf von Hessen-Kassel rekrutierte Mayer Amschel Rothschild, nutzte ihn als Strohmann und vermittelte ihn weiter an die britische Krone. Ausgerechnet der britische Geheimdienst und die Royal Society starteten die moderne Verschwörungsliteratur über Autoren wie John Robison. Im Laufe der 1800er Jahre züchtete man das Märchen der jüdischen Weltverschwörung und ließ es so aussehen, als sei der Adel dumm und naiv gewesen. Familien wie Oppenheimer oder Rothschild hätten ohne große Schwierigkeiten die Kontrolle übernommen in Britannien. In Wirklichkeit war Britannien eine Kryptokratie geworden, eine Herrschaft durch Geheimdienste, und schuf mit geheimdienstlichen Standardmethoden Tarnfirmen und politische Tarnorganisationen. Samuel Oppenheimers Sohn Simon Wolf Oppenheimer übersiedelte nach Hannover, das Zentrum des Welfen-Adels, und gründete ein Bankhaus.

Die britisch-adeligen Geheimdienste konnten zurückgreifen auf Strukturen, die über Jahrhunderte hinweg auf deutschem Boden etabliert worden waren, vor allem auch an den Universitäten.

1922 begann Robert Oppenheimer sein Studium an der Harvard-Universität. Anschließend kam er ans Cavendish Laboratory der Cambridge University unter Leitung von Baron Ernest Rutherford, Präsident der Royal Society und „Vater der Atomphysik“. Rutherford machte bahnbrechende Entdeckungen zusammen mit Hans Geiger („Geigerzähler) und Ernest Marsden (Royal Society). Im Jahr 1912 schloss sich Rutherford Niels Bohr an. Rutherford starb zu früh, um Leó Szilárds Idee kontrollierter nuklearer Kettenreaktionen verwirklichen zu können.

Als Doktorand in Göttingen an kam es zum Gedankenaustausch zwischen dem jungen Oppenheimer und den großen Atom-Wissenschaftlern der Zeit, Werner Heisenberg, Pascual Jordan, Niels Bohr, Wolfgang Pauli, Enrico Fermi, Paul Dirac und Edward Teller. Oppenheimer ging, wie viele andere Forscher, in die USA. Einige Forscher deutsch-jüdischen Hintergrunds hatten kommunistische Tendenzen. Manche spionierten für die UdSSR.

Oppenheimer übernahm 1942 die ihm angebotene wissenschaftliche Leitung des Manhattan-Projekts. Am 6. August 1945, also 21 Tage nach dem Trinity-Bombentest, wurde Little Boy über Hiroshima abgeworfen. Drei Tage später, am 9. August 1945, warfen die Amerikaner Fat Man über Nagasaki ab.

Wegen seinen Kontakten zu Kommunisten wurde ihm am 29. Juni 1954 die Sicherheitsberechtigung entzogen. Mehrere Forscher waren als Spione der UdSSR enttarnt worden. Seltsamerweise fügte der britische Geheimdienst im Vorfeld viele offensichtliche Informationen nicht zusammen.

Der Regisseur Christopher Nolan ist begeistert von Britannien und der Royal Society was sich insbesondere gezeigt hat in seinem Film Interstellar und in Dunkirk. Er wurde ausgezeichnet mit dem Most Excellent Order of the British Empire. Sein Onkel arbeitete bei der NASA an Steuerungssystemen für die Apollo-Raketen.

Nolan erhielt seine Ausbildung an Haileybury and Imperial Service College und University College London. Er erhielt die Auszeichnung Order of the British Empire, in der Variante „Commander“, also eine Stufe unterhalb eines vererblichen Adelstitels.

Nerds und Nukes

Vor Rudolf Peierls und Otto Frisch war eine Atombombe noch ein umstrittenes Konzept mit unzähligen Fragezeichen: Aus welchem Material müsste die Bombe bestehen, wie groß müsste sie sein, wie würde sie aussehen und wie stellt man überhaupt genügen purifiziertes, spaltbares Material her? Würde es tatsächlich eine Explosion geben und falls ja, mit wie vielen tausend Tonnen TNT wäre die Sprengkraft vergleichbar? Sind die Kosten einigermaßen realistisch oder handelt es sich dabei um ein Geldgrab? Peierls hatte an mehreren deutschen Universitäten studiert, woraufhin er dann durchgereicht wurde an die Rockefeller-Stiftung und die britische Universität Cambridge unter dem Mentor Ralph Fowler, ein Mitglied der Royal Society, der Ausnahmetalente wie Paul Dirac, Werner Heisenberg und Nies Bohr zusammenbrachte. Das Cavendish Laboratory an Cambridge fand heraus, wie man Plutonium herstellt. Normalerweise ist das angloamerikanische Empire sehr vorsichtig, wenn es darum geht, Geheimnisse zu hüten und es gab ab einem gewissen Punkt wohl kaum etwas Wichtigeres als die Kernphysik. Der Vater von Peierls hatte eine Kabelfabrik von AEG verwaltet. Angeblich lernte Rudolf auf einer Wissenschaftskonferenz im sowjetischen Odessa die Physikerin Eugenia Kannegiesser kennen. Diese Darstellung konnte nie wirklich verifiziert werden und es handelt sich womöglich um eine konstruierte Legende. Es besteht die Möglichkeit, dass sie eine Sowjet-Agentin war, die auf ihn angesetzt wurde und auf ihn maßgeschneiderte Anbahnungsversuche unternahm. Der KGB benutzte dermaßen oft solche Lockvögel, dass man als halbwegs bedeutende Person bei einem Besuch im Ostblock fast schon damit rechnen musste, von einer Agentin oder einem Agenten angebaggert zu werden. Ihre Familie galt als berühmt, denn ihr Cousin hatte den Chef der Leningrader Geheimpolizei ermordet. Rudolf war schüchtern und ihr gelang es, dass er sich in ihrer Gesellschaft sofort wohlfühlte. Laut einer Akte der US-Bundespolizei FBI, die auch mit der Abwehr von Spionage beauftragt war, galt sie als sehr verdächtig.2

Eugenia pflegte Beziehungen zu allen möglichen Top-Physikern Britanniens und lud diese regelmäßig zu Partys ein. Manche der Wissenschaftler waren jüdisch und vor den Nationalsozialisten geflüchtet. Manche hatten gewisse (naive) Hoffnungen, dass der Sozialismus und die Sowjetunion vielleicht doch ein besseres, neues System hervorbringen würden. Jeder Historiker, der sich mit Geheimdiensten des 20. Jahrhunderts auseinandergesetzt hat, weiß ganz genau, dass sich an Universitäten alle möglichen Geheimdienstler tummeln, um neue Agenten oder Quellen anzuwerben. Möglicherweise handelte es sich bei Eugenia um eine Spionin für Britannien, die den Auftrag hatte, Wissenschaftler auszuhorchen. Erbeutete Dokumente zeigen eine Person mit dem Nachnamen Kannegiesser als Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Es zirkulierte das Gerücht, Eugenia sei Mitglied der Britischen Kommunistischen Partei. Das FBI bemängelte, dass man nicht wirklich rekonstruieren konnte, wie sie bei Rudolf Peierls gelandet war und wie sie heirateten. Laut manchen Geheimdienstquellen wären sie sich auf einer Konferenz in Moskau begegnet, statt in Odessa, wie es anderswo hieß. Eine Reihe an Atomforschern hatte sich zu einer Art Aktivistengruppe zusammengeschlossen, der kommunistische Umtriebe nachgesagt wurden.

Die CIA meinte 1952, dass Peierls seine Zugangsberechtigung für geheime Informationen und geheime Projekte in Großbritannien erhalten hatte durch den Einfluss einer Person (der Name ist in der Akte geschwärzt), die ein codiertes Telefongespräch führte mit dem Sowjetspion Donald McLean, bevor letzterer aus England flüchtete. Laut der CIA hätte Eugenia sogar zugegeben, Kommunistin zu sein, und wollte nicht, dass Britannien in den Zweiten Weltkrieg eingreift, bevor Russland teilnimmt. Peierls hatte Umgang mit Personen, die verdächtigt wurden, technische Spionage zu betreiben für den Ostblock. Wegen seinem jüdischen Hintergrund kehrte er nach Hitlers Machtergreifung 1933 nicht mehr nach Deutschland zurück. Er war letztendlich verantwortlich für die Rekrutierung von Klaus Fuchs, der später zweifelsfrei enttarnt wurde als Sowjetspion und die wichtigsten Geheimnisse über Atomwaffen verriet. Peierls durfte Mitglied der Royal Society werden und wurde zum Ritter geschlagen. 1938 legte der britische Geheimdienst MI5 eine Akte über ihn an wegen einer Reise nach Russland. Als jüdisch-deutscher Migrant galt er zunächst nicht als vertrauenswürdig genug, um an dem britischen Radarprogramm zu arbeiten, worauf er sich bei Sir William Bragg, dem Präsidenten der Royal Society, bitter beschwerte. Man steckte ihn in die Kernphysik, die noch als recht theoretisches Experimentierfeld galt, aber 1939 begann er, über die Grundlagenforschung hinauszugehen und tatsächlich das Konzept für Atomwaffen zu entwickeln mit Hilfe seines aus Deutschland geflüchteten, jüdischen Kollegen Otto Robert Frisch, der ebenfalls Mitglied der Royal Society wurde. Die beiden berechneten als Sprengkraft einer kleinformatigen Kernbombe das Äquivalent von tausenden Tonnen TNT, und sie entwickelten ein Konzept für Uran-Anreicherung. Die beiden Männer zeigten auf dem Papier, dass es aller Wahrscheinlichkeit möglich war, einen Sprengsatz zu bauen, mit dem sich im Umfeld von Kilometern alles ausradieren ließe. Ihr Vorgesetzter reichte den Bericht weiter nach oben und es wurde totale Geheimhaltung angeordnet. Nicht einmal die beiden Forscher durften zugegen sein bei der Plankommission, die zu dem britischen „Tube Alloys-Projekt“ und dem amerikanischen Manhattan Project führte, das letztendlich die Test-Bombe Trinity erfolgreich zündete. Peierls durfte totz all der Sicherheitsbedenken dem Trinity-Test beiwohnen. Bei ihrem Heureka-Moment im Labor hatten Peierls und sein Kollege noch nicht einmal eine offizielle Zugangsberechtigung für geheime Informationen und Projekte, sodass ihr Vorgesetzter mit ihnen auf eine ungelenke Weise kommunizieren musste, um nicht das Official Secrets-Gesetz zu verletzen. Die Forscher hätten sofort unter komplette Überwachung gestellt werden müssen und auch deren Angehörige. Peierls bekam trotz seines fragwürdigen Hintergrundes und trotz seiner ominösen Frau seine Zugangsberechtigung für weitere Arbeiten am Atomprogramm. Er forderte einen Assistenten und holte sich verhängnisvollerweise Klaus Fuchs, den Sowjetspion.

Ausgefuchst

Klaus Fuchs war der SPD beigetreten und dann sogar der Kommunistischen Partei, um Straßenkämpfe gegen die Faschisten zu führen. Der sowjetische Diktator Stalin hätte theoretisch ein Bündnis zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten forcieren können, um maximalen Widerstand zu leisten gegen die Machtübernahme der NSDAP. Es gehört zu den ganz großen Geheimnissen, warum er stattdessen die Kommunistische Partei zur Zurückhaltung verdonnerte und die SPD vergraulte. Den besorgten KPD-Funktionären wurde bei Besuchen in Moskau erklärt, dass das Nazi-Regime in wenigen Jahren kollabieren werde und dann erst die Stunde des Kommunismus käme. Würde man jetzt gleich auf Biegen und Brechen die linke Revolution forcieren, hätte das keinen Bestand. Der Historiker Robert C. Tucker, der neun Jahre als Attaché bei der US-amerikanischen Botschaft in Moskau gedient hatte, vermutete, dass Stalins Hoffnung darin bestand, dass Deutschland seine Nachbarn Frankreich und Britannien in einen sinnlosen Krieg verwickelt, sodass der Kommunismus in Ruhe in der Sowjetunion aufgebaut werden kann. Die Nazis seien keine „Westler“ gewesen, also inkompatibel mit den Angloamerikanern. Es verblüfft, dass jemand wie Tucker so etwas schreibt. Er sollte doch wissen, dass in den Vorstellungen Hitlers und weiterer führender Nazi-Ideologen Britannien und Amerika nur befreit werden mussten von dem Einfluss der vermeintlichen jüdischen Weltverschwörung. Es gab bei den Angloamerikanern genügend einflussreiche Kreise, die deutsch-britischer oder „nordischer“ Abstammung waren. Die Quellenlage zeigt erhebliche politische Kontakte und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Anglos und den Nazis vor dem Krieg. Tucker ist die geheimdienstliche Ebene unangenehm, wenn es um seine öffentlichen Forschungen geht. Er lästerte sogar über die Arbeit von Edward Ellis Smith, laut der Stalin ein Agent des Zarengeheimdienstes gewesen war; obwohl Smith als langjähriger Agent der CIA mit direkter Erfahrung in Russland gedient hatte.3

Nach dem Reichstagsbrand gelang Klaus Fuchs knapp die Flucht, während seine Geschwister verhaftet wurden. Mit Hilfe seiner kommunistischen Genossen gelangte er zunächst nach Frankreich und reiste dann weiter nach England zur reichen und ominösen Familie Gunn, bei der man sich fragen muss, ob sie womöglich für die Sowjets oder die Briten spionierte. Fuchs bekam nur eine temporäre Aufenthaltsgenehmigung und falls er den Behörden allzu negativ aufgefallen wäre, hätte man ihn nach Deutschland ausweisen können, was sein Todesurteil gewesen wäre. Fuchs‘ Kommunisten-Vergangenheit war bekannt und sein neuer Kollege Herbert Skinner bemängelte, dass er weiterhin in linken Zirkeln verkehrte. Skinners Frau hatte eine Affäre mit Fuchs. In Deutschland galt der junge Wissenschaftler noch als selbstbewusst und extrovertiert, aber in England war er sehr verschlossen, wenn er sich nicht gerade unter Gesinnungsgenossen befand. Sein Talent brachte ihm eine Carnegie Fellowship für Arbeit in Edinburgh ein, während seine Geschwister mitten im Chaos auf dem europäischen Festland steckten und einer nach dem anderen in Haft landete oder getötet wurde. Als der Zweite Weltkrieg eskalierte, war Fuchs in Britannien automatisch als potenziell „feindseliger Ausländer“ eingestuft und man verschiffte ihn in ein Internierungslager nach Kanada, wo er auf den kommunistischen Agenten Hans Kahle traf. Die Royal Society machte Druck für seine Freilassung und erwirkte seine Rückkehr nach England, wo er den Kontakt zu Kahle wiederaufnahm. Die Auflagen von Fuchs‘ Freilassung besagten, dass er jede Reise vorab anmelden musste, was im Prinzip eine Maßnahme war gegen Spionage und Sabotage. Auf einer angemeldeten Reise nach London soll er sich dreist mit Colonel Simon Kremer getroffen haben, ein Geheimdienstler an der sowjetischen Botschaft. Kremer hatte sich die perfekte Tarnung eines Englishmans zugelegt und diverse Tarnnamen. Fuchs hatte zu diesem Zeitpunkt noch keinen Zugang zu brisanten Informationen zur Kernforschung. Die Nazis versuchten, die Briten zu umwerben für ein Bündnis und übergaben dem britischen Geheimdienst MI5 ein Dossier über kommunistische Netzwerke. Der MI5 gab sich etwas beeindruckt über die Zerschlagung der linken Kreise, hielt aber die verwendeten Methoden für viel zu plump und die Organisation für zu schlecht. Die Warnung über Klaus Fuchs sei bei den Briten nicht ernstgenommen worden und eine Verkettung aus weiteren Fehlgriffen und Fehlkommunikationen hätte laut Historikern dazu geführt, dass er nicht rechtzeitig aus dem Verkehr gezogen wurde, sondern ins Atomprogramm gelangte. Jede Ausrede wurde im Nachhinein verwendet, um das vielleicht größte Geheimdienstversagen der modernen Geschichte zu erklären. Der MI5 habe zu wenig Personal gehabt und auch Scotland Yard bzw. Special Branch konnten dies nicht aufwiegen.

Es gab aber nur ein einziges Atomprogramm mit einer überschaubaren Anzahl an bedeutenden Wissenschaftlern, auf die man die geheimdienstlichen Ressourcen zur Überwachung hätte konzentrieren müssen. Fuchs erfüllte praktisch alle Warnzeichen, die es gibt. Darüber hinaus war der britische Geheimdienst ja nicht nur im Inland aktiv, sondern auch in der UdSSR, wo man theoretisch Informationen abgreifen konnte über Atomspionage. Neben den offiziellen britischen Beamten gab es noch inoffizielle Spionagenetzwerke, über die sich Historiker ausschweigen. Für das britische Tube Alloys-Projekt verantwortlich war Sir John Anderson, der 1st Viscount Waverley, Mitglied im Kronrat und der Royal Society und behangen mit den höchsten Orden des Empires. Es war bekannt, dass ein ganzes Nest an Sowjetspionen in der Lawn Road in Hampstead existierte. MI5-Leute waren sich sicher, dass Hans Kahle, mit dem Fuchs zu tun hatte, ein direkter Agent Moskaus war. Der MI5 wusste auch, dass Jürgen Kuczynski ein Sowjetagent und dessen Schwester verdächtig war. Der MI5 hatte Infos über Fuchs’s Geschwister, die Kommunisten waren. Peierls wollte unbedingt Fuchs als Forschungspartner haben, was wiederum eine Zugangsberechtigung für geheime Informationen erforderte, was wiederum eine erneute Überprüfung der Aktenlage zu Fuchs nötig machte. Ausgerechnet Eugenia Peierls ließ Fuchs bei sich wohnen und behandelte ihn wie einen Sohn. Nachdem Hitler die Militäroperation Barbarossa gegen Russland startete, soll Fuchs die  Kommunisten aus seinem Umfeld informiert haben, was er an Geheiminformationen beschaffen könne. Die Anbahnung wurde weitergeleitet an den sowjetischen Geheimdienst GRU, der die formelle Rekrutierung von Fuchs anordnete, der als Amateur galt ohne nennenswerte Erfahrung mit „Tradecraft“, also dem verdeckten Übermitteln von Informationen. Der GRU machte es zur Priorität, Daten aus dem britischen und amerikanischen Atomprogramm zu erbeuten und es ist sehr wahrscheinlich, dass die Russen eine Kopie beschafft hatten von dem sensationellen Frisch-Peierls-Memo zur Machbarkeit einer Bombe. Der legendäre Verräter John Cairncross hatte ebenfalls die Sowjets informiert.

Milicent Bagot, die Top-Expertin der Briten beim MI5 für Sowjetangelegenheiten, wurde angesetzt auf Fuchs. Ein Undercover-Agent mit dem Decknamen KASPAR belastete sogar Fuchs, ohne dass dies nennenswerte Konsequenzen hatte. Der MI5 hatte auch brisante Infos über Klaus Fuchs‘ Kommunistenbruder, aber angeblich wurde die Verbindung der beiden in dem Bürokratie-Dschungel übersehen. Es gab im Nachhinein Spekulationen über einen sowjetischen Maulwurf beim britischen Geheimdienst, der Fuchs beschützt haben könnte, aber man muss auch mit der Möglichkeit rechnen, dass höchste britische Kreise die Beschützer waren. Fuchs sei sogar einmal fahrlässigerweise zur Sowjetbotschaft gegangen in London, um noch mehr Daten zu übergeben und anzufragen, was die Wirkung sei des bisher gelieferten Materials. Es sei Glück gewesen, dass der MI5 ihn dabei nicht erwischt habe. Es gab aber noch viel mehr knappe Situationen: Ein britischer Agent infiltrierte den kommunistischen 70 Club in Birmingham, machte die Sekretärin betrunken und bekam eine Kopie der Mitgliederliste mit dem Namen Klaus Fuchs darauf. Der Kurier, der extra auf Klaus in Britannien und dessen Bruder in Prag angesetzt war, hätte die Info angeblich nur an die Tschechen weitergereicht, nicht aber an die Briten.

Da die Amerikaner mehr Geld und Platz hatten für ein Atomprogramm, und weit vom Kriegsschauplatz in Europa entfernt waren, verlagerten auch die Briten einige Ressourcen und Wissenschaftler in die USA. Der Kontakt der Russengeheimdienste zu Fuchs riss ab und ihm blieb nichts anderes übrig, als Kommunisten in seinem Umfeld anzusprechen, über die er sich nicht vollständig sicher sein konnte. Jürgen Kuczynski bekam mit, wie Fuchs herumfragte und offenbar neue Kontaktwege zum Geheimdienst suchte. Jürgens Vater war Politikwissenschaftler an der London School of Economics mit Kontakten ins Parlament. Jürgens Schwester war Spion für den GRU. Der MI5 erfuhr, dass der ohnehin schon suspekte Fuchs nun an allerwichtigsten Arbeiten beteiligt war und in Amerika weiterforschen sollte, was dazu führte, dass erneut die Akten hervorgekramt wurden und man seine Post abfing. In Chicago baute der legendäre Enrico Fermi einen Testreaktor. General Groves und die Polizeibehörde FBI waren verantwortlich für die Sicherheit, allerdings waren ihre Möglichkeiten begrenzt, die anreisenden britischen Wissenschaftler zu überprüfen, von denen manche ursprünglich aus Deutschland stammten. Die britischen Behörden versicherten dem Amerikanern hoch und heilig, dass Fuchs kein Risiko sei. Auch Peierls hatte sich persönlich dafür eingesetzt, dass Fuchs lange in den USA bleiben durfte. Fuchs folgte einfach den Instruktionen des sowjetischen Geheimdienstes, trabte (angeblich ohne dabei observiert zu werden) zum vereinbarten Treffpunkt und erkannte seine neue Kontaktperson Harry Gold an zwei Paar Handschuhen. Beim zweiten Meeting brachte Fuchs schon Dokumente mit. Der Treffpunkt an der Madison Avenue war nahe seines Apartments und der KGB hatte ihn mittlerweile vom GRU übernommen. Golds Tradecraft ließ Einiges zu wünschen übrig, denn er wählte lustlos Treffpunkte und schien sich keine große Mühe zu geben bei Sicherheitsvorkehrungen, was für Fuchs Lebensgefahr bedeutete, denn solange er sich in den USA aufhielt, drohte ihm bei einer Entdeckung die Hinrichtung mit dem elektrischen Stuhl.

Der Oak Ridge Tenessee Komplex sollte die Anreicherung von spaltbarem Material übernehmen und der Los Alamos Komplex den Bau der Bombe. Man entschied sich für die zweigleisige Strategie einer Uranbombe und Plutonium-Bombe. Harry Gold vom KGB tauchte sogar dreist bei Fuchs‘ Schwester Kristel in Cambridge auf, weil der Kontakt zu Fuchs zeitweise abgerissen war. Alle drei trafen später in ihrer Wohnung zusammen, was ein eklatanter Bruch von Sicherheitsregeln im Spionagegewerbe darstellte. Es ist schwer genug, einen Spion zu identifizieren, aber noch viel schwerer, ihn gerichtsfest zu verurteilen; es sei denn, man erwischt ein ganzes Nest an einem Fleck mit einem Stapel an Geheimdokumenten. Fuchs übergab den extrem wichtigen Plan für eine Plutoniumbombe. Enrico Fermi war da schon am nächsten großen Ding dran: Der Wasserstoffbombe. Jemand der im kanadischen Ottawa für die Sowjets Geheimbotschaften codierte und decodierte, lief über und verriet die Existenz eines Rings an Atomspionen, worauf Leute wie Israel Halperin verhaftet werden konnten. In seinen Unterlagen hatte er eine Liste mit Kontakten, u.a. Fuchs und dessen Schwester. Angeblich wurde auch dieser Umstand dem MI5 nicht bekannt und die Serie an vermeintlichen Pleiten, Pech und Pannen nahm astronomische Dimensionen an. Fuchs kam unbeschadet zurück nach Britannien, aber sein neuer Vorgesetzter wurde nervös, woraufhin sich der MI5 dazu genötigt sah, zum gefühlt zehnten Mal seine Akten durchzuprüfen. Ein sowjetischer Code wurde schließlich gebrochen und die Amerikaner wussten, dass ein britischer Wissenschaftler ein Verräter war und eine Schwester hatte. Diese Erkenntnisse ließen sich dann beim besten Willen nicht mehr vertuschen durch angebliche Patzer bei dem Abgleich der Akten. Wohlgemerkt: Erst nachdem die Russen hatten, was sie brauchten, wurde Fuchs verhaftet. Das „Venona-Projekt“ fing sowjetische Geheimdienstberichte ab und entschlüsselte diese. So bekam man Hinweise auf die Identität mehrerer Spione in Los Alamos und anderswo. Wir wissen also, dass die Spionage der Amerikaner und der Briten nicht klein und hilflos war, und darüberhinaus war auch genügend Geld vorhanden, um nach feindlichen Agenten zu fahnden. Fuchs wurde in Großbritannien festgenommen und dort vor Gericht gestellt, wo er wesentlich bessere Aussichten hatte im Vergleich zu den USA und dem elektrischen Stuhl. Lord Goddard verurteilte ihn zu vierzehn Jahren Haft, der Höchststrafe für die Verletzung des Official Secrets Act. Er wurde aber am 23. Juni 1959 freigelassen nach nur neun Jahren und vier Monaten Haftstrafe, und durfte nach Dresden in die DDR, wo er weiter forschte. Wäre es denn so schwierig gewesen, ihn unter einem Vorwand in den USA zu halten, ihn verdeckt zu konfrontieren und ihm die Todesstrafe anzudrohen, um ihn „umzudrehen“, also für den US-Geheimdienst anzuwerben, um den Sowjets künftig Falschinformationen anzudrehen? In seinem Buch „Trinity: The Treachery and Pursuit of the Most Dangerous Spy in History“ aus dem Jahr 2019 behauptet Frank Close, dass „es vor allem Fuchs war, der es den Sowjets ermöglichte, die Amerikaner einzuholen“ im Rennen um die Atombombe.

Bedeutend waren auch Julius und Ethel Rosenberg – Amerikaner, die an der Koordinierung und Rekrutierung eines Spionagenetzwerks beteiligt waren, zu dem Ethels Bruder David Greenglass gehörte, ein Maschinist im Los Alamos National Lab4. Julius und Ethel Rosenberg wurden wegen Verschwörung zur Begehung von Spionage vor Gericht gestellt. Die Rosenbergs bestritten alle Vorwürfe, wurden jedoch in einem Prozess verurteilt, in dem der Staatsanwalt Roy Cohn später sagte, er stehe in täglichem geheimem Kontakt mit dem Richter Irving Kaufman. Beide Rosenbergs wurden 1953 auf dem Höhepunkt des Koreakrieges hingerichtet. Roy Cohn gilt als ein wichtiger Mentor für Donald Trump und es gibt Hinweise darauf, dass er mit der CIA Programme für Sex-Fallen betrieb, um vermutete Kommunisten und Sympathisanten einzufangen. Wissenschaftler aus der Sowjetunion hatten wichtige frühe Arbeit geleistet über Kernspaltung und wurden später für ihre Beiträge ausgezeichnet mit Preisen. Sowjetische Wissenschaftler wie Igor Kurchatov, L. D. Landau und Kirill Sinelnikov trugen dazu bei, die Idee eines spaltbaren Atoms zu etablieren und dessen Existenz zu beweisen. Es fehlte dem Sowjetregime aber der Ehrgeiz, die Finanzierung, die technischen Fähigkeiten, die Führung und letztendlich die Fähigkeit, um ein Atomprogramm durchzuführen wie die Amerikaner. Das Manhattan-Projekt hatte 24.000 Facharbeiter. Das in den Kinderschuhen steckende sowjetische Äquivalent bestand aus nur fünfzig Wissenschaftlern und zwei Mathematikern, die versuchten, die Gleichungen für die Teilchenkaskade auszuarbeiten. Die Erforschung und Entwicklung von Techniken zur Herstellung von ausreichend angereichertem Uran und Plutonium gingen über den Rahmen und die Bemühungen der sowjetischen Gruppe hinaus. Die Nachkriegsordnung hätte sehr einseitig verlaufen können mit den USA als einziger Atommacht. Sobald Atomsprengköpfe mit kompakten Maßen montiert werden konnten auf Flugzeugen und Raketen, wäre der Imperialismus so einfach geworden, wie eine Pizza zu bestellen. Der US-Präsident und der Generalstab hätten ohne allzu große Schwierigkeiten eine politische Absicherung gefunden, um solche Angriffe zu ordern über die spezielle Telefonleitung und die Autorisierungscodes, die das Staatsoberhaupt ständig bei sich trägt. Nach imperial-militärischer Logik hätten die USA die Sowjetunion angreifen müssen, um zu verhindern, dass der Rivale aufsteigen kann zu einer veritablen Atommacht. Seltsamerweise blieb ein solcher Angriff aus, obwohl Planungen dafür ausgefertigt waren. Es scheint, als hätten die Angloamerikaner regelrecht Russlands Sprung nach vorne geduldet.

Quellen:

1: Trinity: The Treachery and Pursuit of the Most Dangerous Spy in History. Von Frank Close

2 : FEDERAL BUREAU OF INVESTIGATION FREEDOM OF INFORMATION/PRIVACY ACTS SECTION Subject: RUDOLPH and EUGENIA PEIRLS https://vault.fbi.gov/Rudolph%20and%20Eugenia%20Peierls/Rudolph%20and%20Eugenia%20Peierls%20Part%201%20of%201

3: https://oac.cdlib.org/findaid/ark:/13030/kt8p303667/entire_text/  Inventory of the Edward Ellis Smith papers Finding aid prepared by Kayla Anderson Hoover Institution Library and Archives Stanford University

4: Der elektrische Stuhl machte die Atom-Spione zum Mythos. Von Sven Felix Kellerhoff. WELT. Veröffentlicht am 19.06.2021 https://www.welt.de/geschichte/kopf-des-tages/article231938597/Julius-Ethel-Rosenbergs-Der-elektrische-Stuhl-machte-sie-zum-Mythos.html

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