Bild: kremlin.ru
Kommentar
Medien zu wichtigen Themen zu produzieren, ist schnell ein Verlustgeschäft. Wer nicht abdriften will in extremistische Gefilde, der muss wohl für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk arbeiten, meistens freiberuflich, oder für die großen Privatkonzerne. Ansonsten konkurriert man ja mit selbigen Giganten, und das ohne nennenswerte Budgets.
Als der SPIEGEL sich selbst demontierte mit Relotius, ein Reporter der weltweit in Hotelzimmern bahnbrechende Recherchen einfach erfand und in den Laptop tippte, waren die Standards im Mainstream längst verkommen. Viele Reporter wurden abgespeist mit ein paar hundert Euro für eine Reportage und rächten sich damit, dass sie immer mehr Fakes ablieferten.
Julie K. Brown war beim Miami Herald zum Abschluss ihrer Recherche zu Jeffrey Epstein so pleite, dass sie sich kaum die Bagels leisten konnte, um mit Kollegen zu feiern.
Bei den Russen rollte lange Zeit der Rubel, während die Journalisten bei uns sich abkämpften und doch nie wirklich eine sichere berufliche Perspektive hatten.
Hubert Seipel, der ehemalige deutsche Star-Journalist, der mit einem Sponsoring-Vertrag aus der russischen Sphäre mit 600.000€ für ein einzelnes Buchprojekt erwischt wurde, hatte eine Erklärung parat: Die Massenmedien zahlten nicht genug.
Vorab-Recherchen seien überhaupt nicht bezahlt worden und meistens habe er für einen fertigen Film „selten mehr als 25.000 Euro erhalten“. Sein schamloses Putin-Porträt, bei dem er ganz nahe an den Diktator herandurfte, brachte 50.000 Euro ein.
Wenn er innerhalb eines Jahres nur einen oder zwei Filme schaffte, und sich dann noch im Hintergrund seine Bücher verkauften, hätte er „bei Weitem nicht das Einkommen eines Lehrers“ gehabt.
Das Angebot des Oligarchen Alexej Mordaschow, das er mit 63 Jahren 2013 dann annahm, beschreibt Seipel als Gelegenheit, überhaupt ernsthaft weiterhin als Journalist zu arbeiten. Wie hoch seine Rentenansprüche waren, ist unklar.
„Wenn ich die Zusammenhänge wirklich recherchieren und kapieren will, muss ich permanent reisen, muss ich nicht nur in Russland präsent sein, hinfliegen, mit sehr unterschiedlichen Leuten reden.“
Um die geopolitische Lage und die Ambitionen Russlands zu dokumentieren, war die Fliegerei aber nicht wirklich notwendig. Seine Arbeiten waren so kremlfreundlich, dass sich der Sinn der ganzen Aktion aus herkömmlicher Sicht nicht mehr erschließt. Das Sponsoring wäre wohl nie passiert, wenn er kremlkritisch gewesen wäre.
Das von Mordaschow erhalten Geld habe er im Zuge der Recherchen angeblich komplett aufgebraucht. Ist das deutsche Finanzamt davon überzeugt? Braucht jemand 600.000 Euro, um ein Buch zu schreiben, das sich an altbackenen pro-russischen Leitlinien orientiert? Muss man für ein Vermögen herumreisen, um ein paar O-Töne zu bekommen, die man auch per Telefon erhalten kann und die sowieso in den meisten Fällen schon irgendwo veröffentlicht wurden?
Mir kommt es vor, als könnte ich selbst so ein Buch in zwei Wochen eintippen für 1000 Euro.
„Ja, ich hätte das Geld ablehnen können.“
„Dann bin ich unschuldig bis zum Ende meines Lebens, komme aber leider nicht an die Informationen, die ich für mein Projekt brauche.“
Er setzt noch eins drauf:
Fehler wurden mir trotz aller heftigen Kritik nicht nachgewiesen, sondern nur eine andere, also falsche Sicht der Dinge.
Wenn er in der Vergangenheit gelogen hatte, kein Geld aus Russland zu nehmen, wieso sollen wir ihm glauben, dass er alles aus pragmatischen Gründen getan hätte?
Hubert Seipel spielte jahrelang den großen Enthüllungs-Journalisten auf der Jagd nach Korruption. Westlicher Korruption wohlgemerkt.
Russlandkritische Autoren wie Jürgen Roth verdienten Kleingeld und mussten sich herumplagen mit Gerichtsprozessen gegen deutsche Politiker, die sich verunglimpft fühlten. Vor Catherine Beltons Buch über Putin und dessen Umfeld waren Investigativautoren reihenweise gescheitert vor britischen Gerichten, weil reiche Ost-Oligarchen ihre Anwälte eingeschaltet hatten.
Seipel hatte in der Vergangenheit empört reagiert auf die Frage, ob er Geld aus Russland bekommt.
Es war eine völlig legitime Frage, die Seipel interpretierte als fiese Attacke.
Wie viele andere frustrierte Autoren, Filmemacher und Blogger gab es im deutschen Raum, die frustriert waren über ihre schlechte finanzielle Lage? Die sich ärgerten über die Milliarden-Konkurrenz durch den öffentlichen Rundfunk und Privatkonzerne?
Gab es für die meisten überhaupt noch eine andere Perspektive als Russenstuss und/oder Rechtsextremismus?