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Alle Ideologien sind Opium fürs Volk

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Es ist eine böse Ironie, dass der Sozialismus zum „Opium des Volkes“ (bzw. der Unterschicht) geworden ist und damit den Platz einnimmt, den in mittelalterlichen Gesellschaften die Religion hatte. Die Leibeigenen damals mussten auf dem Acker eines Adeligen schuften, ohne ihre Situation wirklich verändern zu können, und die korrupten Geistlichen versprachen, dass Armut edel sei und man später einmal im Himmelreich belohnt wird. Heute schuftet die niedrigste Arbeiter-Kaste für gierige Konzerne zum Mindestlohn und soll darauf zählen, dass eines fernen Tages die Konzerne enteignet werden und der Geldsegen per Gießkanne auf die Menschen regnet. Viele Beobachter des real existierenden Sozialismus in Regimen des Ostblocks bemerkten, dass Karl Marx, Lenin und andere Figuren viele Elemente der Religion abgekupfert hatten. Die kommunistische Partei wurde zu einem absolutistischen Ober-Gremium, das „immer Recht hatte“ und Abweichler gnadenlos verfolgte mit den Methoden der Inquisition. Der versprochene Endzustand des Staates, das Paradies auf Erden, sollte der vollendete Kommunismus sein. Alle wichtigen Lebensereignisse des Untertans waren begleitet von Ritualen des Staates. In der Plattenbausiedlung, oder in der Schlange vor einem Laden mit spärlichem Sortiment, oder bei der Zurechtweisung in der Schule bei der Äußerung eines kritischen Gedankens, dämmerte es dem Untertan, dass das ganze Staats- und Ideologiekonstrukt nur ein Betrug ist.  

Schon die Philosophen aus der Antike wie Kritias (ein Onkel Platons) oder wie Lukrez, witterten, dass organisierte Religionen eine groß angelegte Täuschung waren. Solche Gedanken wurden während des Mittelalters gnadenlos unterdrückt. Die herrschenden Klassen waren im Prinzip paranoide Verschwörungstheoretiker, die wie Spürhunde auf die Jagd gingen nach Abweichlern und Rebellen. Die Vorstellungen, von der Obrigkeit nach Strich und Faden hereingelegt zu werden, bahnten sich ihren Weg in der Phase der sogenannten „Aufklärung“. Es hieß, die katholische Kirche sei ein tyrannischer Verein, der die Leute dumm halten will und der Adel habe seinen „gottgewollten“ Herrschaftsanspruch nur erfunden. Das ganze System, das über Jahrhunderte existierte und von den Reichen der Antike zuvor abgekupfert worden war, sei nichts anderes als eine große Verschwörung. Man könnte mit etwas Sarkasmus sagen, die Aufklärungsbewegung bestand aus „Verschwörungstheoretikern“ aber sie lagen mit ihrer grundlegenden Einschätzung natürlich richtig. Die Anhänger der alten Ordnung in Frankreich nach der Revolution zeterten, dass die Aufklärer die Verschwörer gegen Gott und die gottgewollte Ordnung seien und sich wie Verbrecher und Teufelsanbeter in geheimen Logen organisiert hätten. Einige der erfolgreichsten Bücher der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren Verschwörungsbücher wie etwa die Reihe „Denkwürdigkeiten“ des Jesuiten Augustin Barruel. Auch die Anhänger der alten Ordnung, so könnte man mit etwas Sarkasmus sagen, waren Verschwörungstheoretiker. Die Aufklärung führte zu neuen Imperien wie dem französischen Ersten Kaiserreich unter Napoleon, zu den Vereinigten Staaten von Amerika, oder der „konstitutionellen Monarchie“ des britischen Kolonialreichs. Genossen die Bürger dann jeweils „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“? Nicht wirklich. Allesamt blieben die neuen Systeme im Wesentlichen Imperien und orientierten sich an der Tradition des Römischen Reichs. Insofern kann sich die historische Aufklärung anfühlen wie ein Betrug, auch wenn man die Werte der Aufklärung auf dem Papier, also die individuellen Freiheiten und die politische Repräsentierung innerhalb verfassungsrechtlicher Grenzen, vehement befürwortet.

In unseren Schulen, vor allem den Gymnasien, werden die Aufklärung und die griechisch-römische Tradition glorifiziert, ohne all das wirklich tiefgreifend zu hinterfragen und auf gravierende Mängel hin zu untersuchen, die es dringend zu beheben gilt. Einige Gymnasien sind sogar benannt nach Dichtern, Denkern und Musikern der Aufklärung, die damals großzügig gefördert worden waren durch bestimmte Adelslinien. Die bedeutenden Universitäten entstammen noch der Adelszeit und befinden sich in historischen Gebäuden. Will man wirklich Karriere machen, reicht es nicht, sehr gute Noten zu haben, sondern man muss ausgewählt werden für eine der uralten Studentenverbindungen, die einem später weiterhelfen, einen möglichst guten Job zu finden beim Staat oder einem Großkonzern.

Die Aufklärungsbewegung hatte den europäischen Imperialismus nicht abgebremst, sondern in vielerlei Hinsicht sogar verschlimmert. Es konnte, durfte natürlich nicht sein, dass wir Menschen in alle Ewigkeit unter dem Joch von Königen und Päpsten darben. Aber die gesteuerten Entwicklungen der Aufklärung dienten dazu, Bürger von den Kartoffel- und Weizenfeldern wegzubringen und in die Fabriken und Schulen zu stecken, um die Waffen und anderen Technologien und Güter hervorzubringen für die Imperien. Im Mittelalter waren kriegsführende Armeen zumeist nur ein paar zehntausend Mann in bunten Jacken, die auf den Äckern aufeinander schossen mit schlechten Gewehren. Die Zivilbevölkerungen, die die mageren Getreide-Überschüsse als Steuern an den Staat abführen mussten, wurden durch Kriege natürlich schwer belastet. Die umherziehenden Soldaten haben mangels moderner Logistik meistens die Bauern bestohlen, um sich zu versorgen. Sobald aber die Aufklärung mit der modernen Wissenschaft zu besseren Gewehren, Kanonen und Schiffen führte, wurden die Kriege immer größer und verheerender.

In Europa ist es offensichtlich gewesen, dass althergebrachte Verhältnisse und Klassenbewusstsein nicht so verschwunden sind, wie wir es gerne hätten. Ein deutscher Realschüler, der nach seinem Abschluss eine Lehre beginnt bei einer Supermarktkette hat wenig gemeinsam mit dem Studenten der britischen Universität Oxford, dessen Vorfahren bereits dort studiert hatten, der sich die Schultern reibt mit zukünftigen Premierministern, und der nach seinem Studium Millionen verdient. In den USA wurden die allermeisten Bürger mit britischen Vorfahren immer weniger britisch und es gab ein vergleichsweise hohes Maß an Freiheit, aber von Anfang an lag die Kontrolle in den Händen derer, die die Revolution angeleitet hatten in den damals noch recht kleinen „13 Kolonien“ an der Ostküste. George Washington war schon als Handlanger der Briten unglaublich korrupt und brutal gewesen. Als Präsident der neuen Vereinigten Staaten kopierte die neue Elite flugs einige der britischen Entwicklungen wie das neuartige Zentralbankensystem und die Politik drehte sich um die Frage, wie sehr man Britannien kopieren und wieviel Republik man wagen solle. Die „Gründerväter“ teilten sich die besten Regierungsposten und Wirtschaftssegmente untereinander auf und wurden über Generationen hinweg eine eingeschworene Community, zu der der Normalbürger keinen Zutritt hatte. Für den ein oder anderen gewöhnlichen Steuerzahler wurde der „amerikanische Traum“ durchaus wahr, durch Cleverness, harte Arbeit und etwas Glück zu Wohlstand zu kommen. Für die meisten reichte es nur zu bescheidenen Zielen und einige scheiterten komplett. Die Vorstellung, dass sogar ärmliche Migranten wie Johann Jakob Astor zu den reichsten Männern des Landes werden und Dynastien formen konnten, mag typisch amerikanisch wirken. Aber hinter solchen Erfolgsgeschichten kann sich mehr verbergen. Die Oberschicht hatte kein Interesse daran, Marktanteile zu verlieren an Emporkömlinge, besaß das meiste Kapital und hatte die Hand auf der Wissenschaft über die Universitäten. Was lag näher, als Firmen zu gründen und jemanden auf dem Papier als Besitzer zu präsentieren, der gar nicht wirklich der Besitzer war? Wenn einflussreiche Kreise zu offensichtlich vorgegangen wären, um ganze Industrien unter sich aufzuteilen, hätte es eine große Gegenwehr aus der gewöhnlichen Bevölkerung gegeben.

Die Menschen innerhalb der Oberschicht mögen sich häufig gegenseitig; die Kinder mögen ihre Eltern und ihre Peer Group und die Wertvorstellungen ihrer gesellschaftlichen Klasse. Von Generation zu Generation bleiben diese Kreise sehr konstant. Im gewöhnlichen Bürgertum und Kleinbürgertum hingegen mögen sich die Leute meistens nicht gegenseitig, die Kinder mögen ihre Eltern oft nicht und die Wertvorstellungen ihrer gesellschaftliche Klasse erst recht nicht. Die Kinder wuchsen in finanziell relativ stabilen Verhältnissen auf, aber sie spürten deutlich, dass das Bürgertum ziemlich zerrüttet ist, und sie rebellierten auf verschiedene Weise, verweigerten zum Beispiel Leistung in der Schule oder wollten schlecht bezahlte Aktivisten werden, die das Klima oder sonst irgendwas retten. Hauptsache nicht so sein, wie die Eltern und die gesamte bürgerliche Klasse. Ein Leben lang für irgendwelche elenden Konzerne oder den Staat arbeiten, um sich ein paar Statussymbole leisten zu können, galt ihnen als Albtraum. Wenn sie studierten, dann irgendeinen Quatsch wie Philosophie oder Liberal Arts.

Der amerikanische Traum ist heute weitgehend ausgeträumt und die Menschen fragen sich, woran das liegt. Einfach nur gegen Sozialisten zu wettern, greift zu kurz, denn die Republican Party, die sich als marktliberal und konservativ vermarktet, steht traditionell auf der Seite von Großkonzernen, die sich offshore aufstellen und Steuern vermeiden. Unter der Bush-Administration wurden zwei unglaublich teure Kriege gestartet, bei denen Billionen $ im Laufe der Jahre aus den Taschen der Steuerzahler in die Hände von Rüstungskonzernen landeten. Auch republikanische Präsidenten sind bekannt dafür, die Staatsverschuldung und den Staatshaushalt aufzublähen, sowie Berge an neuen Gesetzen zu verabschieden.

Während der Administration von George W. Bush waren die Konsumenten von traditionellen Verschwörungsmedien felsenfest überzeugt davon, dass die Republicans die Anschläge von 9/11 inszeniert hatten und ein diktatorisches Regime anstrebten. Unter dem Banner der Vereinten Nationen würde man die Patrioten im Volk entwaffnen und in Internierungslager stecken. Hinter all dem stünden bestimmte Clans wie die Rockefellers und die jüdischen Rothschilds. Schließlich gewann Barack Obama die Präsidentschaftswahlen und die Konsumenten traditioneller Verschwörungsmedien standen immer noch mit leeren Händen da. Es war nicht gelungen, neue Politiker und Parteien zu etablieren. Die Republicans zwinkerten immer mehr den Verschwörungsaktivisten zu, weil jene als Wähler gebraucht wurden. Der Sender FOX News, der unter Bush noch Zweifel an der offiziellen Darstellung von 9/11 als Landesverrat bezeichnete, sendete plötzlich Berichte, dass Barack Oabams Geburtsurkunde wahrscheinlich gefälscht sei. Als Donald Trump zum Präsidentschaftskandidaten erkoren wurde, erzählte man dem Publikum, was dieses laut Meinungsforscher hören wollten: Den korrupten „Sumpf austrocknen“ in Washington D.C., Hillary Clinton ins Gefängnis befördern wegen ihrem Email-Skandal, eine Mauer an der mexikanischen Grenze errichten usw.

FOX News und neuere Sender wie OAN und Newsmax beteiligten sich dabei, allerhand Verschwörungs-Narrative in den Mainstream zu tragen. Der Wahlsieg von Joe Biden wurde so interpretiert, dass Hersteller von Wahlcomputern im Zusammenspiel mit dem kommunistischen China Millionen Wählerstimmen gefälscht hätten. Dies war das vorläufige Finale einer Saga, die vier Jahre lang angewachsen war. Immer dann, wenn Trump seine Versprechungen nicht halten konnte, alteingesessene Funktionäre wie John Bolton in seine Administration holte und die Entwicklungen dahinplätscherten wie unter einem beliebigen anderen Präsidenten, hieß es: Der „linke Deep State“ habe ihm die Tour vermasselt. Egal, wie viele MAGA-Mützen seine Anhänger trugen und Aktivismus machen; die Democrats hielten in etwa 50% des Gewichts in der politischen Sphäre. Ausgerechnet die Patrioten, die sich mit dem aufklärerischen Geist von George Washington und 1776 schmückten, verloren den Glauben an die Aufklärung und die Demokratie. Es funktionierte nicht, wie man es gerne hätte, also steigerten sich die Wünsche und Hoffnungen auf einen rechten Staatstreich, eine Diktatur, wie man sie unter Bush noch gefürchtet hatte. Aus Marketing-Gründen  wurde das Erlöser-Märchen genährt, eine geheime Truppe um Trump herum würde zum großen Befreiungsschlag ausholen. Für immer mehr Bürger wurden die Qanon-Bewegung, MAGA und Narrative, die auf alte Verschwörungsbücher zurückgehen, zu einer neuen Ideologie oder Volksreligion. Es wurde beobachtet bei den radikalen Demonstranten, die das US-Kapitol stürmten, dass einige davon ernste wirtschaftliche Schwierigkeiten durchgemacht hatten und dabei den Glauben an das System verloren.

https://www.bostonglobe.com/2021/02/10/nation/majority-people-arrested-capitol-riot-had-history-financial-trouble/

Rund 60% der festgenommenen Randalierer hatten innerhalb der 20 Jahre zuvor Insolvenzen erlebt, Räumungs- oder Zwangsvollstreckungsankündigungen, waren überschuldet oder hatten unbeglichene Steuerforderunen von bis zu 40.000 US-Dollar. 25% waren von Gläubigern verklagt worden und 20 Prozent waren einmal mit dem potenziellen Verlust ihrer Häuser konfrontiert. 40% besaßen eigene Firmen oder hatten besser bezahlte Jobs. Die im Kapitol erschossene Ashli Babbitt hatte Schwierigkeiten, ihre Poolfirma in der Nähe von San Diego am Laufen zu halten und 2017 wurde sie von einem Gericht verdonnert, 23.000 US-Dollar an einen Gläubiger zu begleichen. Ein Strafrechtsanwalt kostet im Schnitt 200$ pro Stunde und bei schweren Anklagepunkten auf Bundesebene und länger gezogenen Verhandlungen werden die Kosten schnell sechsstellig. Die Motivationen, unrechtmäßig in das Kapitol einzubrechen, waren vielfältig. Sicherlich wurden die leeren Behauptungen über massiven Wahlbetrug bis zu einem gewissen Maß tatsächlich geglaubt, aber man muss davon ausgehen, dass auch die Aussicht bestand, in irgendeiner Form direkt finanziell zu profitieren. Wenn die Bilder des „QAnon-Schamanen“ um die Welt gingen, oder man sich an Nancy Pelosis Schreibtisch fotografieren ließ, kam die Verlockung auf, Spendenaktionen auf Social Media zu starten. Zudem wurde damit gerechnet, dass die Aktion insgesamt ein Erfolg wird und man Begnadigungen erhält durch Trump in einer Zweiten Amtszeit. Die Reaktion der rechtskonservativen Verschwörungsmedien nach den geplatzten Umsturzfantasien war zunächst, die Randalierer als verkleidete Kommunisten der Antifa zu bezeichnen, die nur so aussahen wie Rechtskonservative. Es ist immer der gleiche Reflex, die Opfer-Rolle zu beanspruchen, eine Verschwörung zu behaupten und alles als fake zu bezeichnen, was den eigenen Interessen zuwiderläuft. Enttäuschte Kapitolsstürmer fühlten sich hinterher betrogen. Der ganze Hype sei nur ein Ego-Trip für Trump gewesen. Ist die ganze Verschwörungsideologie am Ende auch nur ein organisierter Betrug?

AlexBenesch
AlexBenesch
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