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Die große Falle für die bürgerliche Klasse

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Der Normalbürger in westlichen Industrieländern ist konfrontiert mit steigender Inflation, Energiekrisen, der Sorge vor einem Atomkrieg und 100 weiteren Problemen. Selbst diejenigen, die sich zur normalen Mittelschicht zählen, haben inzwischen erhebliche Schwierigkeiten, für Heizung, Strom und Lebensmittel zu bezahlen. Währenddessen hantieren Hedge Fonds mit tausenden Milliarden Dollars, Offshore-Konzerne zahlen kaum Steuern und Oligarchen leisten sich Paläste und möchten als Hobby Astronauten sein. Die etwas besser gestellten Bürger wählen weiter konservativ oder marktliberal, weil sie hoffen, dass sie auch künftig ein paar Krümel vom Kuchen abbekommen werden. Aber es wird immer schwieriger und anstrengender, sich zwei Kinder, ein Eigenheim und ein schickeres Auto zu leisten. Einer radikalen Partei beizutreten, kommt für sie meistens nicht in Frage, und sie wollen sich auch nicht einlassen auf Verschwörungsaktivismus, weil dies zu einem sozialen Abstieg führen kann. Sie möchten auch nicht die Demokratie in der Tradition der historischen Aufklärungsbewegung zersetzen. Ein simples Reihenhäuschen in besserer Lage kostet heute rund 600.000 Euro. Zwei Kinder kosten bis zum 18. Lebensjahr laut statistischem Bundesamt 300.000 Euro. Die schlechteste Mercedes-C-Klasse liegt bei 41.000. Zusammen mit ein paar Extra-Ausgaben müsste man inzwischen Millionär sein für den bescheidenen Mittelschicht-Traum, auf lausigen 135 Quadratmetern zu leben mit etwas Grünstreifen, Nachbarn die direkt nebenan wohnen und der schlechtesten neuen C-Klasse in der Garage. Gibt es eine Scheidung, ist der Traum vorschnell vorbei und meistens sind die Männer dann diejenigen, die auf Sozialhilfe-Niveau leben und Unterhalt an die Frauen zahlen müssen.

Für viele ist der Traum von Haus, Hof und Hund zu Lebzeiten nicht erreichbar, egal wie sie sich anstrengen. Manche davon lassen sich einfangen mit sozialistischen Wunschträumen und Luftschlössern, dass von „den Reichen“ genommen wird, damit jeder in etwa den gleichen Lebensstandard bekommt. Andere fallen herein auf die gängige Verschwörungsideologie und wählen radikale Politiker, die diese Ideen teilen und warten auf große Umstürze. Es wurde beobachtet bei den Demonstranten, die das US-Kapitol stürmten, dass einige davon wirtschaftliche Schwierigkeiten durchgemacht hatten und dabei den Glauben an das System verloren. Manche hatten sich ein Haus und/oder eine eigene Firma erarbeitet und plötzlich fiel man auf der sozialen Leiter wieder hinab. Viele junge Amerikaner mit mäßigen Schulnoten aus einfachen Verhältnissen arbeiten in Mindestlohn-Jobs oder als Angestellter im Dienstleistungsgewerbe; die sogenannte „Gig Economy“ ohne jemals die Chance zu haben, auf ein Haus für ein paar hunderttausend Dollar und ein 40.000-Dollar-Auto und zwei Kinder. Egal wie sehr sie sich anstrengen und sie nach dem dem dritten Job noch einen vierten annehmen. Ohne Krankenversicherung und ohne das nötige Geld für gute Anwälte kann man schnell alles verlieren. Man fühlt sich wie im Mittelalter, wo die gesellschaftlichen Schichten unterschiedlicher nicht sein konnten.

Innerhalb der heutigen Oberschicht mögen sich die Leute häufig gegenseitig und ihre Kinder mögen ihre Peer Group. Das schlimmste wäre es für sie, von ihrer Peer Group verstoßen zu werden. Von Generation zu Generation bleiben diese Kreise sehr konstant. Im gewöhnlichen Bürgertum und Kleinbürgertum mögen sich die Leute meistens nicht gegenseitig und die Kinder mögen ihre gesellschaftliche Klasse auch überhaupt nicht. Manche wuchsen in finanziell stabilen Verhältnissen auf, aber sie spürten, dass das Bürgertum irgendwie kaputt ist, und sie rebellierten auf verschiedene Weise, verweigerten Leistung in der Schule oder wollten schlecht bezahlte Aktivisten werden, die das Klima retten. Hauptsache nicht so sein, wie die Eltern und die gesamte bürgerliche Klasse. Ein Leben lang für irgendwelche elenden Konzerne oder den Staat arbeiten, um sich ein paar Statussymbole leisten zu können, galt ihnen als Albtraum. Wenn sie studierten, dann irgendeinen Quatsch wie Philosophie oder Liberal Arts. Inzwischen ging die Wirtschaft allerdings den Bach runter und die Anforderungen für besser bezahlte Jons schossen nach oben. Viele verpassten den Anschluss. Und bei einigen platzte gar der bürgerliche Traum, den sie so verbissen verfolgt hatten. Nicht alle von diesen frustrierten Leuten ließen sich einfangen von sozialistischen Kreisen. Viele landeten stattdessen in dem Sammelbecken der gängigen Verschwörungsideologie.

In Deutschland erschoss ein 50-jähriger einen jungen Tankstellen-Kassierer, weil jener auf die Maskenpflicht bestanden hatte. Die Richterin verurteilte ihn zu lebenslanger Haft, da er als Corona-Leugner ein „Zeichen setzen“ wollte. Auf Telegram hatte er sich radikalisiert mit gängigem Verschwörungsinhalten und meinte auf Twitter:

„Ich freue mich auf den nächsten Krieg. Ja, das mag sich jetzt destruktiv anhören, aber wir kommen aus dieser Spirale einfach nicht raus.“

„Meine Muskeln sind gespannt, mein Geist geschärft. Gnade denen, welche diese Situation heraufbeschworen haben. Oder nein, Gnade wäre unrecht.“

Ein Zeuge vor Gericht war Geschäftsfreund des Angeklagten und zeichnete das Bild eines überforderten Mannes, beschreibt dessen unorganisierte Arbeitsweise, Beziehungsprobleme, Krisen und wie er ihm mit einem Finanzplan geholfen habe. Ein Zeuge ließ durchblicken, dass dem Angeklagten Aufträge entgingen, weil er eine Maske hätte tragen müssen. Impfungen kamen für ihn nicht infrage. Der Angeklagte hatte auf Telegram seinem in den USA lebenden Schwager geschildert, er sei sich sicher, dass die Wirtschaft und die Gesellschaft bald zusammenbrechen würden. Dafür verantwortlich machte der Angeklagte „eine Million Afrikaner, die bald herkommen“ sowie George Soros, der „bei dieser Invasion, die Hände mit im Spiel hat“. Die AfD fände er toll, aber politisch habe jene keine Chance. Weil er nicht an Merkel oder Spahn herankomme, musste eben der junge Tankstellenwart als Mitschuldiger der Verschwörung herhalten, um ein Zeichen zu setzen.

„Wenn ich hundert Männer mit Eiern zusammenkriege, würde ich eine Armee gründen und die Verantwortlichen ausschalten.“

Er meinte zu seinem Medienkonsum: „Wenn ich das alles nicht wüsste, wäre ich nie in diese Situation gekommen.“ In einem Video sprach er über ein Projekt bei seiner Arbeit, das ihm keinen Spaß mache wegen den Kollegen, er aber mit dem Geld aus „den Schulden rauskomme“. Besonders gerne schaute er die englischsprachigen Videos des sehr erfolgreichen amerikanischen Influencers Alex Jones. Jener wurde 2022 zu über 1 Milliarde Schadensersatz verurteilt, weil er jahrelang behauptet hatte, die Schießerei von Sandy Hook sei fake gewesen und die Eltern der getöteten Kinder nur Schauspieler im Auftrag des linken Deep State. Aktivisten hatten die Eltern verfolgt, bedroht und sogar angekündigt, man werde die Gräber öffnen. Jones lebte bisher in einem Luxus, den seine Follower niemals erreichen werden und er machte ab 2008 zunehmend Werbung für die Republikanische Partei.

Die Coronapandemie führte überall dazu, dass Firmen pleite gingen und Menschen ihre mühselig aufgebaute Existenz verloren. In diese Stimmung hinein platzten die Corona-Verschwörungs-Ideen, laut denen das Virus in Wirklichkeit harmlos sei. Den Verschwörern sei alles zuzutrauen und politische Teilnahme gegen jene hätte keine Wirkung. Im US-Bundesstaat Maryland erschoss ein Mann zwei Frauen, seinen Bruder und einen Apotheker. Der Angeklagte „wollte seinen Bruder damit konfrontieren“, dass „die Regierung Menschen mit Covid-Impfstoffen vergiftet“, heißt es in einem Dokument.

Russische TV-Sender hetzten in westlichen Ländern gegen Coronamaßnahmen, aber in Russland selbst wurden die Maßnahmen vehement verteidigt. Neue Gesetze sahen erhebliche Strafen vor, wenn ein Russe „Falschinformationen“ zur Pandemie verbreitet.  

Im Mai 2022 erschoss der 18-jährige Payton Gendron in Buffalo/New York in einem Supermarkt 10 Afroamerikaner und streamte die Tat live auf Twitch. Es war ein Protest gegen die Migration und den geplanten „Genozid“ an den Weißen. Aktuell ist es der Ukraine-Krieg, der zu einer Energiekrise geführt hat und die Verschwörungs-Influencer behaupten, dass die Democrats in den USA und (und letztendlich jüdische Banker) dahinterstecken würden. Es drohen Firmenpleiten, Arbeitslosigkeit und Energiepreise, die selbst für die gewöhnliche Mittelschicht zum existenziellen Problem werden.

Wahrscheinlich vergehen die Coronapandemie und die Energiekrise, ohne dass Horden von blutrünstigen Bürgern mit Mistgabeln und Fackeln überall die Regierungssitze stürmen und irgendwelche neuen Mikro-Republiken ausrufen. Man hat gesehen, wie dysfunktional und zerstritten die führenden Corona-Aktivisten waren. Nicht einmal kleine Organisationen konnten sie leiten. Amerikanische Gruppe wie die Oath Keepers oder Proud Boys zerfielen regelrecht. Der Kapitolssturm in den USA hätte nur in den Träumen von QAnon-Spinnern und MAGA-Sektierern und von Donald Trump dazu geführt, das Wahlergebnis zu kippen und eine Verhaftungswelle gegen Democrats einzuleiten. Die eigentlichen Verwalter des US-Empires mögen es, wenn die Bevölkerung gespalten und zerstritten ist, aber es bestand kein Interesse daran, das Zwei-Parteien-Kartell zu beenden. Verschiedene Behörden wussten vorab von der Gewaltbereitschaft, weil die entsprechenden Szenen gut überwacht sind die Aktivisten in aller Regel recht dumm agieren und nicht wirklich in einer Gruppe teamfähig sind.   

Schon der Oklahoma City-Bomber Timothy McVeigh war ein gewöhnlicher Konsument von Verchwörungsmedien gewesen, der den baldigen Großangriff gegen die Patrioten wähnte. Panzer der Vereinten Nationen würden mit blauen Fähnchen anrücken, die Patrioten entwaffnen und in Internierungslager stecken. Die allermeisten Aktivisten aus der Szene blieben eher passive Konsumenten von Verschwörungsmedien und warteten auf bessere Zeiten und auf größere Rettungsaktionen, die angeblich kommen werden durch einflussreiche rechte Figuren aus Staat und Wirtschaft. Es sind rund 30 Jahre vergangen, ohne dass der von McVeigh befürchtete Großangriff kam.

Das heutige Publikum von Verschwörungsmedien wird abermals mit Panik-Programm vollgedröhnt von Figuren wie Alex Jones, so als würden bald die Patrioten in Corona-Internierungslager gesperrt und die Democrats lösen bewusst einen Atomkrieg gegen die Russen aus. Der Kreislauf geht weiter: Die allermeisten Follower werden passiv bleiben, den  Verschwörungscontent konsumieren und weiter teilen und auf bessere Zeiten warten. Hin und wieder gibt es einen Amokläufer bzw. Terroristen, der einen überschaubaren Anschlag verübt. Dann passiert vielleicht wieder etwas wie der Kapitolssturm. Die QAnon-Sekte wird ohne Donald Trump weitermachen und sich auf jemanden beziehen wie einen neuen republikanischen Präsidenten wie Ted Cruz oder Ron DeSantis. Dann fühlen sich die Verschwörungsideologen wieder eine Weile lang sicherer. Nach vier oder acht Jahren sitzt wieder ein Democrat im Weißen Haus und die große Panik setzt wieder ein. Dann detoniert jemand genau wie Timothy McVeigh damals im Jahr 1995 eine Autobombe irgendwo und schwächt damit die Patriotenszene auf Jahre hinweg. Ebenjene Szene wird natürlich grummeln, der neue Bomber sei ein Agent des linken Deep States gewesen. Dann wird wieder ein Republican Präsident, der im Wahlkampf den Verschwörungsdideologen zugezwinkert hat. Der Kreislauf kann sich über Jahrzehnte hinweg weiterdrehen, ohne dass jemals eine Verbesserung eintreten wird für die Bevölkerung. Die Verschwörungsmedien dienen letztendlich also zur Bewahrung des Status Quo.

Alex Jones aus Texas wurde, wie bereits erwähnt, zu einer Milliarde $ Schadensersatz verurteilt, weil er die Schießerei von Sandy Hook als Fake und die Eltern als Schauspieler verunglimpft hatte. Die eigentliche Sensation ist nicht die Milliarde $ an Schadensersatz, sondern die Zeit und das Geld seiner Follower, die Alex Jones im Laufe seiner rund 25 Jahre währenden Karriere verschwendet hat. Sein Online-Shop mit überteuerten Nahrungsergänzungsmitteln als wichtigste Produkte hatte in nur drei Jahren einen Umsatz von 160 Millionen Dollar. Falls seine drei Millionen Stammhörer pro Tag nur eine Stunde mit seinen Sendungen vergeudeten, sind innerhalb eines Jahres rein rechnerisch eine Milliarde Stunden nutzlos verpufft. Besser kann es aus Sicht der Obrigkeit gar nicht laufen. Jones dröhnt seine Follower mit schlechtem Content voll, die auch nach Jahren des Konsums unfähig sind, das Wesen der Supermächte, deren Beziehung zueinander und deren Geheimoperationen wirklich zu verstehen und zu ergründen.

Will man aufsteigen in die oberen 10% der Gesellschaft, und sei es nur am untersten Rand dieser Oberschicht, muss man zum Beispiel ein begnadeter, teil-autistischer Programmierer sein, der morgens die Droge Adderall konsumiert, um durcharbeiten zu können. Oder bei einer WallStreet-Firma anfangen am Trading Desk und über 80 Stunden in der Woche arbeiten, bis man vom Dach des Gebäudes springen möchte. Oder einen Doktortitel in Jura machen mit Auszeichnung, um bei einer großen amerikanischen Kanzlei für 160.000 Dollar brutto jeden Tag bis 23 Uhr arbeiten zu dürfen. Oder herausragender Mediziner sein, der nur wenige Tage Urlaub in seinem Leben bekommt und mit Luxus-Limousine zur Arbeit hin- und dann wieder heimfahren kann. Und wehe, man lässt sich erwischen mit Drogen oder irgendwelchen anderen Straftaten. Dann kann man schnell wieder die mühevoll hochgekletterte soziale Leiter hinunterfallen. Bei dem großen Cum-Ex-Skandal hatten Anwälte und Investoren sich Steuern in Deutschland erstatten lassen, die gar nicht gezahlt worden waren. Die Polizei stürmte so manche Großstadt-Villa mit 15-Meter-Pool.

Viele, die einer Freimaurerloge beigetreten sind, taten dies nicht aus wohltätigen Motiven und wegen dem mystischen Brimborium, sondern weil sie sozial aufsteigen wollten. Gelangt man an eine der Elite-Universitäten und heiratet man jemanden aus höheren Kreisen, ergeben sich ganz andere Möglichkeiten, aber auch Verpflichtungen und Abhängigkeiten. Man hat eine neue Peer Group, der man generell nicht schaden will, denn ansonsten würde man verstoßen werden und müsste wieder in den Kreisen der gewöhnlichen Bürgerlichen leben und um einen bescheidenen Lebensstandard kämpfen.

Bürger, die aus instabilen Verhältnissen stammen, oder zumindest eine Wirtschaftskrise durchgemacht haben, sind anfällig für sozialistische Ideen und lassen sich in das entsprechende, politisch-ideologische Sammelbecken hineinziehen, wo sie letztendlich nur Stimmung machen für mehr Besteuerung und mehr Regulierung. An die Offshore-Megakonzerne kommt man sowieso nicht ran, also halst man der überdehnten Mittelschicht noch mehr Kosten auf. Die Bürgerlichen betrachten dann eher die unteren Schichten als Feind. Für überschaubare Geldbeträge konnten WallStreet-Banker bereits in den 1950er Jahren die linke Sphäre aufkaufen.

Und dann gibt es diejenigen, die sehr misstrauisch sind gegenüber der Obrigkeit, aber mit dem Sozialismus nichts anfangen können. Sie sind zu christlich und zu nationalpatriotisch um sich zu begeistern für sowjetische Verhältnisse. Für dieses Klientel schufen wohlhabende amerikanische Kreise für wenige Millionen Dollar die moderne Verschwörungsideologie. Sie dient als Dampfablass-Ventil, zur Überwachung der Follower, als Hinhalte-Taktik, zur Polarisierung und inzwischen immer direkter als Wahlwerbung für die Republican Party, also die eine Hälfte des Zwei-Parteien-Kartells.

Verschwörungsmedien sind weit mehr gewesen als nur eine Hinhalte-Taktik für frustrierte Konservative. Seit 200 Jahren wird es verwendet für massive Desinformationskampagnen, die mit Staatsstreichen und sogar Kriegen zu tun haben.

Britische, größtenteils adelige Geheimdienste hatten sich im Vorfeld der Französischen Revolution an der Destabilisierung des Erzfeindes beteiligt, unter dem Deckmantel aufklärerischer Ideen von Freiheit und Gleichheit. Bald darauf platzte eine Tarnorganisation des britischen Geheimdienstes auf deutschem Boden: Der bayerische Illuminatenorden. Deutschland war zu der Zeit ein Flickenteppich aus verschiedensten Fürstentümern, Mini-Königreichen und Grafschaften. Manche der dort herrschenden Adeligen zählten zu den Welfen, Wettinern und Reginaren, die fast 100 Jahre zuvor den britischen Thron erobert hatten. Das Versagen des Illuminatenordens hätte dazu führen können, dass weitere Tarnorganisationen und Strukturen entlarvt werden. Ein Ablenkungsmanöver musste her, in Form der ersten großen Bestseller-Bücher aus dem Verschwörungs-Genre in verschiedenen Sprachen. Nebulöse französische Logen und die deutschen Illuminaten wurden bezichtigt, die französische Monarchie gestürzt zu haben. Nicht eine einzige Spur in Richtung Britannien wurde in den Büchern verfolgt. Die vierbändige Reihe „Denkwürdigkeiten“ von Augustin Barruel zählte zu den meistverkauften Büchern der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es diente dazu, verschiedene Gruppen in der Französischen Gesellschaft nach der Revolution gegeneinander aufzuhetzen.

Als sich die Franzosen in der Folgezeit herumplagten mit politischen Säuberungsaktionen, den Versuchen eine Republik zu etablieren und Diktaturen wie mit Napoleon, startete eine weitere große Trendwelle der Verschwörungsliteratur: Frühsozialisten behaupteten, dass das Recht auf Privatbesetz, das noch gar nicht lange für den gewöhnlichen Bürger galt, der Ursprung allen Übels sei, und dass winzige jüdische Familien nach der Weltherrschaft streben. Nach ein paar Jahrzehnten ließen die Sozialisten diese antijüdischen Vorstellungen wieder fallen, die dann 1:1 übernommen wurden von dem stetig wachsenden völkischen Kreisen in Deutschland und Österreich. Britannien und die USA setzten auf Fortschritt, Industriekapitalismus und Wissenschaft, während völkische Meinungsführer im deutschsprachigen Raum Rückständigkeit preisten. Nach dem Ersten Weltkrieg sah man eine massive Kampagne von britischen und amerikanischen Kreisen, um die wütenden deutschen Kriegsverlierer von dem Unsinn zu überzeugen, Schuld an dem Krieg und an dem Sturz der russischen Zaren seien die „Weisen von Zion“ gewesen. Die Nazis übernahmen ihre Verschwörungs-Interpretation von dem älteren völkischen Lager, vernichteten Juden, und waren völlig infiltriert durch adelige Spione, die für Großbritannien arbeiteten. Hitler ging irrigerweise davon aus, viele Freunde in hohen britischen Kreisen zu haben.

Die Angloamerikaner kontrollierten durch das 20. Jahrhundert hindurch die wesentlichen Verschwörungs-Narrative. Machte man bestimmte Bücher zu Millionen-Bestsellern, stürzten sich die Copycats darauf und verbreiteten die Ideen in alle Windrichtungen.

Gewöhnliche Studien zu dem Thema verwenden schwammige und widersprüchliche Definitionen, die Forscher sind in aller Regel unqualifiziert für die Einschätzung geheimdienstlicher und imperialistischer Aspekte und sie sind abhängig von Fördergeldern des Staats oder von reichen Gönnern. Man begnügt sich damit, offensichtlichen Unsinn zu widerlegen und zu erklären, dass frustrierte Bürgerliche sich durch Verschwörungstheorien besser fühlen würden. Verschwörungsideologen sind oft, aber nicht immer, direkte Feinde der Aufklärung und möchten jene weitgehend rückgängig machen. Sie sind auch die Feinde des Sozialismus. Die großen Revolutionen wie in Frankreich oder Russland werden als Inszenierung von Illuminaten und jüdischen Verschörern betrachtet. Interessanterweise gilt aber die Amerikanische Revolution in der Verschwörungsliteratur seit 200 Jahren als absolut ehrlich.

AlexBenesch
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