2002 antwortete die rot-grüne Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ursula Lietz, Hans Raidel, Paul Breuer,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU zur „Handhabung der B-Waffen-Thematik in der Bundesrepublik Deutschland“. Kurz zuvor geschahen die Anschläge von 9/11 und die Versendung von Milzbrand-Briefen.
Die Ereignisse des 11. Septembers 2001 belegen nochmals, dass es auch nach dem Ende des kalten Krieges tragfähiger Strukturen des Zivil- und Katastrophenschutzes zur Bewältigung von Gefahrenlagen bedarf, seien deren Ursache nun Naturereignisse, Unfälle oder terroristische Anschläge. Das B-Waffenübereinkommen von 1972 erlaubt Aktivitäten zur Weiterentwicklung der Fähigkeiten zum Schutz vor biologischen Waffen.
Die Fragesteller erhofften sich anscheinend eine robustere und ausführlichere Forschung in Deutschland.
Angesichts der in den letzten Jahren erheblich gestiegenen Gefahr eines konventionswidrigen Einsatzes solcher Waffen sind derartige Aktivitäten nach Ansicht der Bundesregierung nicht nur zulässig, sondern notwendig. In der Natur kommt eine Vielzahl von verschiedenen Mikroorganismen und an deren biologischen Agenzien vor, die als biologische Kampfstoffe missbraucht werden könnten.
Solche Mikroorganismen brauchen nicht unbedingt im Labor weiterentwickelt werden, so wie Ebola oder Smallpox, aber es gibt eben auch solche, die man etwa per Gentechnik weiterentwickeln muss, damit die Erreger zuverlässig zwischen Menschen übertragbar ist und eine signifikante Tödlichkeit aufweist.
Aus der Natur isolierte Referenzstämme, die nicht weiter für offensive Zwecke aufbereitet worden sind, oder Referenzsubstanzen, die in nicht offensivnutzbaren Kleinstmengen für erlaubte Schutzforschung notwendig sind, werden im Rahmen dieser Kleinen Anfrage nicht als „biologische Kampfstoffe“ verstanden.
Sicherlich kann man die Arbeit an Kleinstmengen von Smallpox nicht als Produktion oder Entwicklung offensiver biologischer Waffen bezeichnen. Aber es ist klar, dass man eine breite Reihe an Forschungen an vielen verschiedenen Erregern braucht, um sich vor künftigen Bedrohungen zu schützen. Auch das Basteln neuartiger Erreger gehört dazu; die sogenannte „Funktionsgewinn-Forschung“.
Von den Fragestellern heißt es:
Werden ungeachtet der Unterzeichnung der B-Waffenkonvention durch die Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig biologische Agenzien, die auch zu biologischen Kampfstoffen entwickelt werden können, in Deutschland vorgehalten? Wenn ja, wo und zu welchen Zwecken?
Die Antwort scheint eindeutig und umfassend zu sein, allerdings hängt alles davon ab, ob man die Ergebnisse von Funktionsgewinn-Forschung als biologische Waffe bezeichnet oder nicht.
Die Bundesrepublik Deutschland hat sich nach den Pariser Protokollen zum Brüsseler Vertrag vom 23. Oktober 1954 und nach dem B-Waffenübereinkommen vom 10. April 1972 international dazu verpflichtet, sich in keiner Weise aktiv mit biologischen Waffen zu befassen. Darüber hinaus gibt es national im Kriegswaffenkontrollgesetz ein entsprechendes strafbewehrtes Verbot. Entsprechendes Wissen und Können ist daher in der Bundesrepublik Deutschland nicht entstanden. Forschung und Entwicklung zur Herstellung von biologischen Waffen wurden und werden durch die Bundesregierung nicht vergeben, gefördert oder sonst in irgendeiner Weise unterstützt.
In Deutschland gibt es eine breite Reihe an Forschern und Instituten, die sehr wohl in der Lage sind, neuartige Erreger zu bauen. Was (anscheinend) fehlt, sind Produktionsanlagen. Da Deutschland auch keine eigenen Atomwaffen besitzen darf, sondern die Amerikaner in Deutschland Atomwaffen vorrätig halten, überrascht die folgende Frage nicht:
Besitzen verbündete Streitkräfte in Deutschland biologische Kampfstoffe?
Die Antwort ist ein schlichtes „Nein“. Es hätte lauten müssen: „Fragen Sie andere NATO-Staaten“. Als nächstes heißt es direkt:
Welche konkreten Forschungsvorhaben im Bereich der Entwicklung und der Herstellung von biologischen Kampfstoffen betreibt das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) zurzeit?
Antwort:
Das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) betreibt keine Projekte mit dem Ziel einer Entwicklung oder Herstellung von biologischen Waffen.
Dann:
Mit welchen befreundeten Staaten betreibt die Bundesrepublik Deutschland kollegiale Forschung und welche Projekte betrifft dies? Die Bundesrepublik Deutschland betreibt keine Projekte mit dem Ziel einer Entwicklung oder Herstellung von biologischen Waffen und beteiligt sich an solchen, auch nicht im Rahmen von kollegialer Forschung.
Antwort:
Im Rahmen der NATO existieren keine Forschungsprogramme mit dem Zieleiner Nutzung von potenziellen biologischen Kampfstoffen zu offensiven Zwecken.
Immerhin wird erklärt:
Innerhalb des Nordatlantischen Verteidigungsbündnisses werden auf verschiedenen Ebenen Informationen über die Bedrohung durch, die Wirkungsweisen von und Schutzmaßnahmen gegen Massenvernichtungsmittel ausgetauscht. Innerhalb der Bundeswehr werden im Institut für Mikrobiologie der Sanitätsakademie der Bundeswehr und am Wehrwissenschaftlichen Institut für Schutztechnologien-ABC-Schutz der Bundeswehr Vorhaben zu diesem Zweck durchgeführt. Darüber hinaus vergibt die Bundeswehr auch Forschungs- und Entwicklungsvorhaben in den zivilen Bereich, hier vorzugsweise an Universitäten.
Frage:
Wie verteilen sich die Forschungsvorhaben in Bezug auf biologische Angriffs- und Abwehrforschung? Inwieweit ist offensive und defensive B-Waffen-Forschung überhaupt zu trennen?
Antwort:
Die Bundesregierung ist sich der kontroversen und zum Teil weltanschaulich-ideologisch geprägten Diskussion um eine „Dual-Use Problematik“ bewusst. Biotechnologische Grundfertigkeiten und Fachkenntnisse ermöglichen es grundsätzlich jedem, der über sie verfügt – wie bei allen anderen Fachkenntnissen/Technologien auch – einen missbräuchlichen Einsatz.
Dann wird die rot-grüne Bundesregierung gefragt:
Hat die Bundesrepublik Deutschland bzw. die Bundeswehr von der ehemaligen Nationalen Volksarmee der DDR biologische Kampfstoffe übernommen, und falls ja, was ist damit geschehen?
Die Antwort lautet „Nein“. B-Waffen wären wohl rechtzeitig nach Russland gebracht worden.
Sind nach dem Abzug der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte biologische Kampfstoffe gefunden worden, und falls ja, was ist damit geschehen?
Auch hier wird verneint.
Welche gentechnischen Projekte werden bei der Bundeswehr oder im Auftrag außerhalb der Bundeswehr im Zusammenhang mit der B-Waffen-Forschung zurzeit betrieben?
Antwort:
Die Bundeswehr betreibt keine B-Waffen-Forschung. Im Rahmen der Forschung und Entwicklung der Verbesserung des Schutzes vor den Wirkungenvon biologischen Waffen finanziert das BMVg auch Projekte, in denen gentechnische Arbeitsmethoden zum Einsatz kommen.
Ist Funktionsgewinn-Forschung gemeint? So wie im Wuhan-Labor? Man befürchtete offenbar in Deutschland Unfälle, Spionage und Terror:
Welche Maßnahmen wurden bei den Sicherheitslabors getroffen bzw. welche Mechanismen gewährleisten, dass gerade an den Schnittstellen zwischen militärischer und Auftragsforschung der Zugang zu biologi-schen Kampfstoffen durch Unbefugte oder durch Terroristen angeworbene und bezahlte Wissenschaftler vermieden werden kann?
Antwort:
Die Institute derBundeswehr, die sich mit Forschung und Entwicklung zum Schutz vor den Wirkungen von biologischen Waffen befassen, befinden sich ausnahmslos innerhalb militärischer Liegenschaften, die nicht frei zugänglich sind. Durch bauliche und organisatorische Maßnahmen ist sichergestellt, dass Unbefugte keinen Zugang zu den sicherheitsrelevanten Teilen dieser Anlagen haben.
Es folgt die Frage nach den Kapazitäten der Russen:
Welche personellen und materiellen Fähigkeiten besitzen die Streitkräfte der Russischen Föderation oder anderer Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion zurzeit auf dem Gebiet der Abwehr von biologischen Kampfstoffen sowie auf den Gebieten Impfstoffe, Früherkennungssys-teme und Schnellnachweismethoden?
Antwort:
Die russischen Landstreitkräfte sowie die Landstreitkräfte der Nachfolgestaatender Sowjetunion haben ihre Abwehrfähigkeiten auf dem Gebiet der A-, B- undC-Waffen in den „Chemischen Truppen“ zusammengefasst. Diese Truppenteilehaben neben der ABC-Abwehr auch den Auftrag, Flammenwerfer und Nebel-Generatoren einzusetzen. Die Trupppenteile sind mit ABC-Spürsystemen(Spürpanzer und Spürfahrzeuge) zur Feststellung von ABC-Kontaminationenausgestattet. Insgesamt haben die russischen Landstreitkräfte etwa 180 dieserFahrzeuge. Das Kriegs-Soll der chemischen Truppen beträgt 30 000 Soldaten, hiervon sind gegenwärtig etwa 10 000 Soldaten im Dienst. Inwieweit die Truppenteile derzeit auch zu einer Entseuchung biologischer Kampfstoffe befähigtsind, ist nicht bekannt. Detaillierte Erkenntnisse zur ABC-Abwehrfähigkeit der anderen Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion sowie über die Einfüh-rung von Früherkennungssystemen und Schnellnachweismethoden liegen nichtvor.
Dann wird es konkreter:
Besitzt die Bundesregierung Erkenntnisse über Abwanderungen von mit biologischer Forschung befassten Wissenschaftlern aus dem Bereich der ehemaligen Sowjetunion in Drittländer, die B-Waffen-Programme aufbauen bzw. unterhalten?
Antwort:
Gesicherte Erkenntnisse über eine Abwanderung von mit biologischer Forschung befassten Wissenschaftlern aus dem Bereich der ehemaligen Sowjetunion in Drittländer, die B-Waffen-Programme aufbauen bzw. unterhalten, liegen nicht vor. Allerdings gibt es auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunionweiterhin ein großes Potenzial an B-Waffen relevantem Know-how. Zudem fördert die schlechte wirtschaftliche Lage die Gefahr eines Abflusses dieses Know-hows an möglicherweise interessierte Staaten. Der nach dem Zerfall der früheren Sowjetunion (UdSSR) befürchtete Massenexodus von B-Waffenexperten ist aber bisher ausgeblieben. Dies liegt sicherlich nicht zuletzt an den umfangreichen Projekten und der finanziellen Unterstützung der Konversion ehemaliger sowjetischer B-Waffen-Einrichtungen durch die westliche Staatengemeinschaft.