Victor Rud
Folgende Statements hört man nicht nur von Russlands Regierung oder deren Sprachrohren, sondern auch in westlichen Medien, bei westlichen Akademikern, Politikern und Kommentatoren: Die Ukraine und Russland würden angeblich „tiefe geschichtliche und kulturelle Wurzeln teilen“, die „tausendjährige russische Geschichte hätte in Kiew begonnen“, die Ukraine sei eigentlich „Klein-Russland“, die Ukraine wäre „Teil von Russland“ und so weiter.
Alle diese falschen, irreführenden Behauptungen sind Teil der russischen dezinformatsia und Geschichtsfälschung.
Was ist die Ukraine?
Die Ukraine ist das flächenmäßig größte Land in Europa, durch das viele Menschen hindurchgegangen waren um sich im restlichen Europa niederzulassen. Im Mittelalter war das Reich der Kiewer Rus-Dynastie die größte politische Entität in Europa und glänzte mit intellektuellem Diskurs, Wissenschaft und kulturellem Leben. Die Stadt Kiew übertrumpfte selbst Paris und London.
Ein „Russland“ gab es zu der Zeit nicht. Finnisch-ugrische Stämme, die sich getrennt voneinander im Norden entwickelten, lehnten die Herrschaft der Kiewer ab, waren die Ursprünge des späteren Russlands und nutzen die Gelegenheiten zum Angriff auf Kiew. Später zerstörte eine Horde Mongolen Kiew.
Die Kiewer Herrscher wehrten sich gegen die Mongolen und zogen Richtung Westen ihres Reiches. Die nördliche Peripherie kooperierte mit den Mongolen und galten fortan als“ Russland“.
Die Moskoviten oder Russen expandierten ihr Reich, die Ukraine wurde erobert und besetzt, die religiösen und kulturellen Schätze gestohlen und in russischen Museen als russische Wertgegentände ausgestellt.
1608 half der Ukrainer Ivan Bohdan dem Briten John Smith dabei, Jamestown in der neuen Welt zu gründen. Jahre zuvor war Smith bei dem Kampf gegen die Türken einer Gefangennahme entkommen und in die Ukraine geflüchtet.
Später im 17. Jahrhundert spielten ukrainische Kosaken eine wichtige Rolle bei der Niederschlagung des türkischen Angriffs auf Wien. Das ottomanische Imperium konnte so nicht nach Europa vordringen. 1710 bot die Ukraine der Welt eine Verfassung für eine demokratische Republik mit Gewaltenteilung, 77 Jahre vor der amerikanischen Verfassung.
Nach dem ersten Weltkrieg erklärte die Ukraine sich unabhängig vom russischen Imperium und warnte den Westen über die neue Bedrohung aus Moskau. Trotzdem kam keine Hilfe aus Europa oder den USA. Die Ukraine hatte alleine gegen vier Invasoren gekämpft. Die Siegermächte teilten die Ukraine in vier Teile und gaben Moskau den Löwenanteil. Die Ukraine musste zum wirtschaftlichen Zugpferd der Sowjetunion werden, Massenmord und Kriegsverbrechen ertragen. Millionen wurden absichtlich 1932 und 33 auf Anweisung Moskaus zu Tode gehungert.
Am 31. Mai 1933 berichtete Gradenigo, der italienische Konsul in der ukrainischen Stadt Kharkiv, der italienischen Botschaft in Moskau über seine Unterhaltung mit einem hohen Offizier der sowjetischen OGPU-Geheimpolizei. Dieser empfahl, dass 10 bis 15 Millionen Hungertote notwendig seien um das „ethnographische Material“ der Ukraine zu zähmen.
Außerdem wollte man sicherstellen, dass Russen die Mehrheit der Bevölkerung in der Ukraine stellen. Dies ist die „gemeinsame Geschichte“ der Ukraine und Russland. Die Ukraine hat mehr gegen die Nazis verloren als die Russen. Dennoch jagten amerikanische und britische Truppen zusammen mit Stalins NKWD die Überlebenden des Ukrainer Hunger-Genozids in Europa und brachten diese zu Stalin zurück, wurden daraufhin ermordet oder landeten im Gulag.
Der immer wieder widerholte Nonsens über die „gemeinsamen Wurzeln“ der Ukraine und Russland ist Teil der russischen dezinformatsia und Geschichtsfälschung.
