spot_img

Hat Japan heimlich ein gigantisches Atomwaffenprogramm für einen Krieg gegen China? (Teil 1)

Datum:

Wolfgang Eggert
Chronos Medien Vertrieb GmbH
http://www.chronos-medien.de

Japan hat die drittgrößte Atomenergieproduktion nach den USA und Frankreich. Über 40% seiner Elektrizität werden mit Kernenergie gespeist. Weniger bekannt ist, dass Tokio damit auch in den Besitz bedeutender Mengen von Plutonium gelangt; bereits im Dezember 1995 belief sich der Bestand auf 4.7 Tonnen. Dieser Zusammenhang birgt einigen Zündstoff, denn Japan besitzt in Rokkasho auch einen Betrieb zur Anreicherung von Uran – einer von zwei Wegen zum Bau von Atomwaffen.
Plante das Land in Fernost den Schritt zur militärischen Nuklearmacht, so stünden die dafür notwendigen ballistische Trägersysteme Gewehr bei Fuß: Denn Japan entwickelte zeitgleich mit der Errichtung der Aufbereitungsanlage im Rahmen eines 15 Billionen Yen-Programms die dreistufige Rakete M-V (auch M-5 und Mu-5). Bislang zivil zur Einbringung von Satelliten in den Orbit genutzt, wären die Raketen auch im Rahmen der Streitkräfte leicht umrüstbar. [1] Festtreibstoffraketen wie die M-V sind bei militärischen Verwendungen das „Mittel der Wahl“, da sie über lange Zeiträume gelagert und im Bedarfsfall ebenso unverzüglich wie verlässlich gestartet werden können. Stimmigerweise verwiesen japanische Abgeordnete auf Erfordernisse der nationalen Sicherheit, als 2003 im Zuge der Transferierung der Entwicklungsgesellschaft Institute of Space and Astronautical Science ISAS in die Japan Aerospace Exploration Agency zugleich die Umrüstung auf Flüssigbrennstoffbeladung zur Diskussion stand. Yasunori Matogawa, ISAS-Chef für außerbetriebliche Angelegenheiten, kommentierte in diesem Zusammenhang:

Es hat ganz den Anschein, daß die Hardliner zu Fragen der Nationalen Sicherheit im Parlament ihren Einfluss ausweiten, ohne dabei auf große Kritik zu stoßen. … Ich denke, wir bewegen uns in einen sehr gefährlichen Zeitabschnitt. Wenn Sie die gegenwärtigen äußeren Umstände in Betracht ziehen und die Bedrohungslage durch Nordkorea, so ist das beängstigend.“ [2]

[1] Matsuura, Shinya (28.August 2009).
[2] Detroit Free Press, 11. Juli 2003, Japan ponders nuclear weapons

Die Atomfrage ist in Japan das wahrscheinlichste sensibelste politische Thema. Das Land war gegen Ende des Zweiten Weltkriegs der erste und bis heute offiziell einzige Staat, der mit Kernwaffen angegriffen wurde. An den Folgen der amerikanischen Bombeneinsätze gegen die Städte Hiroshima und Nagasaki starben binnen kurzer Zeit eine Viertelmillion Menschen. Der desaströsen Erfahrung wegen ließ sich Tokio bisher erfolgreich in den Verzicht derartiger Waffensysteme drängen. Gleicher Grund, anderer Spin, konträre Entwicklung: Die Befürchtung, noch einmal einem solchen Angriff schutzlos ausgeliefert zu sein ließ in der politischen und militärischen Führung des Inselstaats immer wieder die Forderung nach nuklearem Abschreckungspotenzial laut werden. Gerade die atomare Aufrüstung der kommunistischen Nachbarn China und Nordkorea wurden als tickende Zeitbombe verstanden, der sich Tokio früher oder später zu stellen hatte.

„Pläne und Know How für eine japanische Atombombe existieren ohne Zweifel, erst recht Bestände von mehr als 20 Tonnen Plutonium – ausreichend für 4000 nukleare Sprengköpfe“,

textete am Vorabend von George W. Bushs Wüstenstürmen im Jahr 2003 die deutsche „Welt“. Rokkasho und das M-V Programm waren beredte Zeugen dieser Feststellung. [3]

[3] Welt-Online, 13. Januar 2003, George W. Bush wird wegen Koreakrise zunehmend kritisiert

Dass die Zeichen der Zeit erkannt wurden, offenbarte zwei Jahre später ein „offener Brief“, mit dem sich Spitzenvertreter aus der militärisch-politischen Welt Amerikas an ihren asiatischen Hauptverbündeten wandten. Überschrift

„Japan: der Atomwaffensperrvertrag braucht Verstärkung. Ein Aufruf an Japan den Atomwaffensperrvertrag durch unbefristete Aufschiebung des Betriebs der Wiederaufbereitungsanlage Rokkasho zu kräftigen.“ [4] Text:

Am 1. Dezember 1997 erklärte Japan, sein nuklearer Brennstoffkreislauf basiere auf „dem Prinzip ´keine Plutoniumanhäufung´. Demgegenüber war Japans Plutoniumarsenal bis Ende 2003 von 24,1 auf 40,6 Tonnen gewachsen – genug für 5000 nukleare Sprengköpfe (5,4 Tonnen lagern gegenwärtig in Japan, der Rest wird für Japan in französischen und britischen Wiederaufbereitungsanlagen bereit gehalten). Ungeachtet der Existenz dieses enormen Plutoniumbestands, planen Japans nukleare Werke für 2007 die Betriebsaufnahme einer neuen Wiederaufbereitungsanlage in Rokkasho und einen Testlauf mit verbrauchtem Kernbrennstoff im Dezember 2005. Wenn die Anlage von Rokkasho („die erste Wiederaufbereitungsanlage in einem Atomwaffenfreien Land, die über industrielle Maßstäbe verfügt“) nach Plan läuft, so werden dort 8 Tonnen Plutonium im Jahr generiert werden, genug, um 1000 Bomben herzustellen. Der Betrieb von Rokkasho ist darauf angelegt, Japans heimischen Plutoniumbestand erheblich zu steigern, und in Japan die Ausführung des konstatierten Ziels „kein Plutonium Mehrertrag“ auf Jahre hinausschieben. Schlußendlich würde der Betrieb von Rokkasho angesichts der großen japanischen Vorräte an überschüssigem Plutonium ernsthafte Zweifel an Japans Verpflichtung wecken, den Atomwaffensperrvertrag zu stärken.

Dass der Schlusssatz „Sinn und Zweck“ des Papiers war, dass Washington hier gespielt oder echt seine Sorge darüber zum Ausdruck brachte, dass die Japaner heimlich an der Atombombe arbeiteten, demonstriert die Überschrift ebenso wie die Namen der Unterzeichner. Abgesehen von einigen wenigen unabhängigen Idealisten entstammen sie alle dem amerikanischen Regierungsapparat. Kompetenzfokus: Militärstrategie, Geheimdienste, Rüstungskontrolle, Sicherheit, Technologie, Verteidigung, Abrüstung, Einhaltung des Atomwaffensperrvertrags. Die scheinbare Dringlichkeit des Aufrufs wird durch die Hochkarätigkeit der Unterzeichner zusätzlich gestützt. So finden wir Namen wie Ashton Carter, Stellvertretender Verteidigungsminister (Spezialgebiet Internationale Sicherheitspolitik) unter Clinton, Staatssekretär im Aussen- und Verteidigungsministerium unter Bush II und Obama Robert McNamara, nach Donald Rumsfeld der US-Verteidigungsminister mit der längsten Amtszeit und der Verteidigungsminister mit der längsten Amtszeit an einem Stück. Weltbankpräsident unter Nixon, Ford und Carter
William J. Perry, unter Carter Staatssekretär für Verteidigungsforschung und -entwicklung, unter Clinton Verteidigungsminister, Henry S. Rowen, unter Reagan Vorsitzender der Geheimdienstzentrale National Intelligence Council, unter Bush sr im Verteidigungsministerium Staatssekretär für internationale Sicherheitspolitik.

[4] Japan: Strengthen the Non-Proliferation Treaty, 5. Mai 2005

Ein demonstrativer Aufruf in dieser öffentlichen Form ist ein Schritt beyond diplomacy. Die Art des Vorgehens legt nahe, Pressionen hinter den Kulissen hätten nicht gefruchtet, und Washington sei auf dem herkömmlichen, direkten Botschaftsweg durch die Japaner frustriert worden. Und dass man sich daher entschieden habe, den ersten Schritt zu einem öffentlichen branding zu gehen. Für politisch unbeleckte Betrachter mag sich das alles noch recht unspektakulär lesen, doch Diplomaten und Regierungsvertreter, die mit den Usancen ihres Berufsstands vertraut sind, wittern hinter der „Besorgnis“, die das Papier zum Ausdruck bringen soll, zwangsläufig eine gehörige Portion „Verärgerung“ der Gegenseite. Und in ihr eine Folgenkette. Zwar findet sich nirgends eine direkte Drohung, aber die militärische Schlagseite der Unterzeichner soll nichts anderes als Druck vermitteln. Eine ganze Reihe der Unterzeichner war in der Vergangenheit zentral in die Vorbereitung und Durchführung von Kriegen involviert, welche die USA führten, weil sie ihre Interessen tangiert sahen. Sie repräsentieren das „starke Amerika“, den Weltpolizisten, der seine Einflußclaims global gesteckt hat und bereit ist, dafür notfalls auch mit Gewalt einzustehen. Hierzu ergänzt sich passgenau das „japanische Profil“, nach dem die Signatare offenkundig ausgewählt wurden. Robert McNamara, der vielleicht namhafteste unter ihnen, entwickelte im Zweiten Weltkrieg mathematische Modelle für die Bombardierungen rein ziviler japanischer Städte mit Brandbomben mit dem angestrebten Effekt, deren Wirkungskraft bei gleichbleibenden Kosten zu erhöhen. Andere arbeiteten zur selben Zeit in Leitfunktionen am Bau jener Atombomben, die, nachdem Tokio bereits Kapitulationsfühler ausgestreckt hatte, Hiroshima und Nagasaki in Schutt und Asche legten. Selbst wenn man in Betracht zieht, dass McNamara sich später in der Atomdebatte vom Saulus zum Paulus entwickelte, so zeichnete er dennoch in seiner Amtszeit als Verteidigungsminister für die nukleare Hochrüstung der USA hauptverantwortlich. Von wenigen Ausnahmen abgesehen zeigt der offene Brief eine Phalanx von kalten Kriegern, die sich in der Vergangenheit bereit gezeigt hatten, ihre Konkurrenten mit weitgreifenden Mitteln niederzuwerfen und Amerika mit Massenvernichtungswaffen zu rüsten, um dann zu „erkennen“, dass diese Waffen beschränkt gehören – aber natürlich nur in den Arsenalen anderer Mächte. Aus dem Blick jedes gewöhnlichen Japaners muss sich hierüber das Bild eines zu Boden Geschossenen aufdrängen, dem der Schütze verwehrt, selbst zur Waffe zu greifen, mit der Begründung, dass ein solches Vorgehen ja doch verwerflich sei.

Alles in allem ein klarer Affront, der deutlich zu machen scheint, Washington habe hier einen „deutlichen Schuss gegen den Bug“ setzen wollen. Der aber verwirrender Weise gleichsam nahelegt, die Führungsmacht Nr.1 sei bar jeglichen Verständnisses für Geschichte (mit Blick auf die Vorgeschichte von Pearl Harbor sogar die eigene) und Nationenpsychologie; ist doch ein Vorgang wie dieser im ehrversessenen Japan, wo Gesichtsverlust an Selbstmord grenzt, am allerwenigsten dazu angetan, befolgt zu werden.

Dies zumal das Pentagon hier geradezu herausfordernd zweierlei Maß anzulegen schien. Während es einem jahrzehntelangen Verbündeten, der in diversen Krisensituationen Amerika mit Material, Soldaten oder Finanzmitteln zu Seite stand [5], nukleares Rüstungspotential „verwehrte“, ließ es zur gleichen Zeit konfliktanheizend zu, dass dessen kommunistischen Nachbarn – erst China und dann Nordkorea – sich exakt dieselben Waffensysteme zulegten. Der „offene Brief“ an Tokio stammt vom Sommer 2005. Im Oktober 2006 zündete Pjöngjang nach jahrelangen Vorarbeiten (von der die Vereinigten Staaten wie auch Japan zweifelsohne wussten) seine erste Atombombe: Regional eine mehr als zweitrangige Bedrohung. Die Vereinigten Staaten, die, mit einem atomaren Schutzschild versehen, jede Interkontinentalrakete vor ihren Grenzen abfangen können, mag ein stalinistisch-militaristischer Atomstaat am anderen Ende der Welt nicht schrecken. Doch die koreanische Halbinsel liegt lediglich Kilometer von Japan entfernt. Ein hier permanent mit dem Säbel rasselnder „Großer Führer“, der sich nuklear rüstet, während er seine zivilen und militärischen Raketen mit Vorliebe über japanischem Luftraum testet, erzwing selbst in einer Harakiriaffirmen Nation eine gleichgestellte Gegenreaktion. Das wissen Strategen nicht nur außerhalb der USA.

[5] …und sich sogar bereit gezeigt hatte, die Bestimmungen des Atomwaffensperrvertrags zu unterlaufen, wenn es im Interesse der amerikanischen Militärs lag. So erlaubte Tokio wiederholt nuklear bestückte US-Kriegsschiffen, japanische Häfen anzufahren.

Am 9. Oktober 2006 führte Nordkorea seinen unterirdischen Atomtest durch. Am 10. Oktober zitierte Südkoreas Nachrichtenagentur Yonhap einen nordkoreanischen Regierungsmitarbeiter: „Wir hoffen, dass die Lage geklärt ist, bevor es zu einem unglücklichen Zwischenfall kommt und wir eine Atomrakete abfeuern.“ http://de.wikipedia.org/wiki/“ l „cite_note-37 [6] 

[6] Welt-Online, 10.Oktober 2006, Wenn die Bombe mit dem Frachtschiff kommt

Japans Antwort erfolgte postwendend:

„Wenn ein Nachbarland Atomwaffen hat, kann man es nicht ablehnen, die Frage der nuklearen Bewaffnung in Erwägung zu ziehen“ zitierte die Nachrichtenagentur AP den Außenminister (und späteren Premier) Taro Aso aus Tokio.  [7] 

[7] Taipeh Times, 19. Oktober 2006, Despite non-nuclear policy, Japan is willing to debate. The Japan Times, 19. Oktober 2006, Aso keen to explore nukes but Abe says debate is finished.

Nun ist die nukleare Eigenbewaffnung unter der japanischen Bevölkerung alles andere als ein populäres Thema, was mit auf den Umstand zurückzuführen ist, dass die Öffentlichkeit nach dem Weltkrieg mittels eines schulisch und medial verordneten Re-Education-Programms erfolgreich dazu erzogen wurde, „nationale Stärke“ als Gefahr (also Schwäche) wahrzunehmen. Die Führung musste daher ihre Ambitionen früher oder später einem breiteren Orientierungsprozess zuführen. Die politischen Rahmenbedingungen hierzu erschienen mit dem Nordkoreaschock geradezu ideal.

Am 15.Oktober meldete das deutsche Nachrichtenmagazin Focus, dass der Vorsitzende des Ausschusses für politische Grundsatzfragen der japanischen Regierungspartei LDP, Shoichi Nakagawa, in einer Fernsehsendung die Diskussion darüber gefordert hatte

ob sich das Land nach Nordkoreas Atomtest selbst mit Nuklearwaffen schützen sollte. „Wir müssen eine Lösung finden, die verhindert, dass Japan angegriffen wird“, sagte Shoichi Nakagawa. Es gebe Argumente, dass Atomwaffen eine Option dafür wären.  … Japans pazifistische Verfassung schließe eine solche Option nicht aus.

Link [8] 

[8] Focus, 15.Oktober 2006, Nordkorea. Japan denkt über Atombombe nach

Am Folgetag schob das gleiche Blatt – in der Tradition der deutschen Lizenzpresse, die offizielle Linie US-amerikanischer Außenpolitik selbst unter Aufbietung von Absurditäten mitzutragen – angesichts  der gerade gezündeten Nordkoreabombe hinterher:

Am Sonntag machte Japan seinen Nachbarn mal wieder Angst vor einem nuklearen Rüstungswettlauf in Ostasien. … Wie groß ist die Gefahr einer Atommacht Japan wirklich?

Die Antwort vorweg: Technisch ist der Schritt für Japan kein Problem, denkbar ist er auch – aber nicht sofort. Die Angst vor der Atommacht Japan ist keineswegs neu. Seit Jahrzehnten schon sorgen sich China und Korea, dass die zweitgrößte Volkswirtschaft ihr riesiges ziviles Atomprogramm zum Bombenbau nutzen könne.

“Technisch ist das keine Frage von Monaten, sondern Wochen”,

bekennt ein hochrangiger Bürokrat. Denn Japan hat seit dem Start seines zivilen Atomprogramms in den 60er-Jahren nicht nur mehr als 40 Tonnen Plutonium angehäuft, aufbereitet in Europa. Nun hat sich das Land sogar als erster Nicht-Atomwaffenstaat eine atomare Wiederaufbereitungsanlage gegönnt. Mit der Fabrik im nordjapanischen Rokkasho kann Nippon bald selbstständig jährlich acht Tonnen Plutonium herstellen.

„Die Produktionsmenge reicht für 1000 Atomsprengköpfe von der Größe der Bombe, die Nagasaki zerstört hat“,

rechnet Atomgegner Hideyuki Ban vor, Generalsekretär der Bürgerinitiative Citizens´ Nuclear Information Center.

Doch bisher versicherte die Regierung der Welt, dass Japan seine drei nuklearen Prinzipien nicht zu ändern gedenke. Seit Jahrzehnten gelobt das einzige Land der Welt, das jemals mit Atombomben angegriffen wurde, keine nuklearen Waffen zu besitzen, herzustellen, noch ins Land zu lassen. Vorbildlich meldet Japan seine radioaktiven Isotope der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien.

Dennoch misstrauen die Nachbarn der Botschaft, schließlich ist die wirtschaftliche Boomregion alles andere als stabil. „Dies ist die Welt von Bismarcks Europa im 19. Jahrhundert“, warnte schon zur Jahrtausendwende der ehemalige Oberkommandierende der US-Pazifikflotte, Admiral Dennis C. Blair. Wie vor dem Ersten Weltkrieg wächst in Asien nicht nur die wirtschaftliche Integration, sondern auch die nationalstaatliche Konkurrenz um die Macht.

Kollektive Sicherheitsmechanismen oder Bündnisse, wie sie in Europa in den letzten Jahrzehnten das nukleare Inferno verhindert haben, gibt es hingegen nicht. Erst kurz vor Nordkoreas Spiel mit dem nuklearen Feuer warnte daher Südkoreas stellvertretender Außenminister Yu Myung-hwan, Japan könne einen Test als Vorwand für eigene Forderungen nach einer atomaren Aufrüstung nutzen.

Zudem erschüttert Japan den Glauben in die offiziellen Versprechen selbst. „Wir müssen diese Option offen halten”, bekennt offenherzig ein ehemaliger hochrangiger Offizier und militärischer Vordenker zum Flirt mit der Bombe. Und erst Anfang September goss kein geringerer als Japans ehemaliger Ministerpräsident Yasuhiro Nakasone Öl ins Feuer.

Japan müsse angesichts atomar bewaffneter Nachbarn und der unsicheren Zukunft des Sicherheitsbündnisses mit den USA die Entwicklung von Atombomben untersuchen, stärkte der Großmeister der japanischen Politik und Mentor des neuen Ministerpräsidenten Shinzo Abe Gleichgesinnten den Rücken. 

Link [9] 

[9] Focus, 16.Oktober 2006, Japans Flirt mit der Bombe.

Das Bundeswehrnahe Periodikum informationen zur sicherheitspolitik/isp aus Bonn schlägt in dieselbe Kerbe:

„Mit guten Beziehungen zu den Nachbarmächten China, Russland und zu Südkorea sowie weiteren verlässlichen Gemeinsamkeiten mit Amerika, um damit geschlossen Nordkorea Einhalt zu gebieten, ist Japans Schutz allemal besser gedient als mit destabilisierendem Nuklearwaffenehrgeiz.“

Kein Wort, daß Tokio mit jeder neuen Atombombe in seiner Nachbarschaft an diplomatischem Gewicht verliert. Die Empfehlung, die sich aufbauende Macht mit Hilfe von Bündnisanbahnungen (die in so einem Fall immer Geld kosten) zu unterlaufen, ist darüber hinaus frivol. Wie Japan zuletzt ausgerechnet den kommunistischen Bruderstaat (und japanischen Erzfeind) China in eine Einflusszone gegen Nordkorea bringen soll, entzieht sich zuletzt jedweder Logik.

Heinz-Eberhard Maul, Japan: Nuklearmacht der Zukunft?

Alles in allem ein die politische Wirklichkeit auf den Kopf stellender Artikel, der die transatlantische Gefolgschaft kaum versteckt. Tokio – so mahnt der noch für weitere bündnistreue Medien wie „Die Welt“ und „Financial Times Deutschland“ schreibende Journalist Martin Koelling – müsse gegenwärtigen, den Griff zur Atombombe teuer zu bezahlen: Dieser sei „nur gegen den Willen des Sicherheitsgaranten USA durchzusetzen“. Auch würde „Japans Außenpolitik durch den 180-Grad-Schwenk jede Glaubwürdigkeit verlieren“.

Verkehrte Welt. Während das gleiche Presseunternehmen dem Weißen Haus für seine Kriegspläne gegen die am anderen Ende der Welt aufstrebende Zivilnuklearmacht Iran Beifall zollt (Begründung: Bedrohung) schwillt der bloße Weg Japans zur Defensivrüstung gegen eine überaus reelle Atommacht in der unmittelbaren Nachbarschaft zu einem Lackmustest für Glaubwürdigkeit. Und: ein Verbündeter, der seelenruhig zusieht, wie ein grenzwahnsinniger Diktator eine veritable A-Bombe entwickelt und probezündet, wird derweil in die Position eines „Sicherheitsgaranten“ erhoben. Es drängt sich die Frage auf, wohin manche Journalisten ihren Geist entlassen, während sie zur Feder greifen.

Bleiben folgende Erkenntnisse: 1.Japan denkt 2006 an den Bau der Bombe 2. Die USA verkünden, dass sie als „Paktleader“ strikt dagegen sind. Was aber 3. Japan nicht anficht, da es die Zukunft des „Sicherheitsbündnisses“ (angesichts der Vorgänge in Nordkorea völlig nachvollziehbar) als „unsicher“ betrachtet.

Das Lavieren zwischen Schulterschlussbestreben und Konfrontationsbereitschaft spiegelt in abgeschwächter Weise das Verhalten Japans am Vorabend von Pearl Harbor, als die USA das Land vorsätzlich konfliktionierten, um ein Ausbranden des Zweiten Weltkriegs zum eigenen Gunsten zu provozieren. LINK

[10] Robert B. Stinnett, Pearl Harbor: Wie die amerikanische Regierung den Angriff provozierte und 2476 ihrer Bürger sterben ließ, Zweitausendeins, 2003. Als dem Weissen Haus der genaue Angriffstermin- und Ort des japanischen Angriffs bekannt wurde, notierte der damalige Verteidigungsminister Henry Stimson zwei Wochen vor Pearl Harbor in sein Tagebuch: „Die Frage war“, schreibt er über die Japaner, „wie man sie in eine Position manövrieren könnte, in der sie den ersten Schuss abgeben würden, ohne dass uns allzu viel passiert […] es war wünschenswert, sicherzustellen, dass die Japaner dies wären (die den ersten Schuss abgeben), sodass niemand auch nur den geringsten Zweifel haben könnte, wer der Aggressor war.“

Fakt ist, dass Tokio seine militärischen Interessen im Zeitfenster von 2006 erstmals seit Ende des Weltkriegs nachhaltiger und halbwegs eigenbeweglich „wahrzunehmen“ begann. Nur Tage vor der Nordkoreanischen Provokation kam in Tokio mit Shinzô Abe ein japanischer Premierminister ins Amt, der – als „Falke“ apostrophiert – bereits bei der Ankündigung seines Regierungsprogramms eine Änderung der Verfassung erwähnt hatte, insbesondere des nach der Weltkriegsniederlage auf amerikanisches Diktat hin festgeschriebenen „Friedens-Artikels“ (Art. 9, Verzicht auf Androhung oder Ausübung von militärischer Gewalt als ein Mittel zur Regelung internationaler Streitigkeiten). Mit ihrem – bereits seit November 2005 vorliegenden – Verfassungsentwurf soll die japanische Regierung auch das Recht erhalten, unter dem Vorwand eines individuellen wie auch eines kollektiven Verteidigungsrechts Truppen in die ganze Welt zu entsenden. Abe und sein Umfeld vermittelten, dass eine Neustrukturierung des Paragraphen das Bündnis mit den USA nur stärke, da sich Tokio danach intensiver an militärischen Engagements der Amerikaner beteiligen könne. Japan positionierte sein Begehren geschickt in die Abläufe des jüngsten Irakkriegs und fand sofort – möglicherweise sogar voranlaufende – Unterstützung innerhalb der US-Regierung: So sprach Anfang 2004 Richard Armitage, seinerzeit stellvertretender US-Außenminister, davon, dass das Pazifismusgebot ein Störfaktor des japanisch-amerikanischen Bündnisses sei.

In Hinblick auf die Atomfrage sah Shinzo Abe auch ohne entsprechende Gesetzesnovellen Bewegungsspielraum. „Die Verfassung Japans“, zitierte die Deutsche Welle den Ministerpräsidenten, erlaube es „durchaus, Atomwaffen in kleinem Umfang zur Selbstverteidigung zu besitzen.“ [11] Und  konnte gleich eine erste Reaktion der Weltgemeinschaft mitvermelden:

Die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen und die Überwachung des Atomwaffensperrvertrags – das sind die kardinalen Anliegen und Aufgaben der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO). Dass der Direktor und Friedensnobelpreisträger Mohammed El Baradei sich einmal genötigt sehen könnte, ausgerechnet das pazifistische Japan an dessen Verpflichtung zur Atomwaffenfreiheit zu erinnern, wäre noch vor kurzem absurd erschienen. Doch bei seiner sechstägigen Visite vom 29. November bis 4. Dezember soll El Baradei auch mit Außenminister Taro Aso zusammenkommen, dem prominentesten Politiker unter den Tabubrechern

[11] Deutsche Welle, 29.November 2006, Atomwaffen im Friedensstaat. Neue Debatte einer atomaren Bewaffnung Japans. 

Stellt sich die Frage: Was ist das Interesse der Amerikanischen Fernostpolitik? Und vor allem: warum ließ man Nordkorea gewähren? Das Land, das 1985 auf Druck der UdSSR dem Atomwaffensperrvertrag beitrat und nach dem Abzug der amerikanischen Atomwaffen aus Südkorea der Einrichtung einer atomwaffenfreien Zone auf der koreanischen Halbinsel zustimmte, arbeitete nachgewiesenermaßen seit 1993 an seiner Nuklearwaffe. In diesem Jahr verweigerte Pjöngjang Inspektoren der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) den Zutritt zur Kerntechnischen Anlage Nyongbyon und drohte mit dem Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag. Damals noch handelte die Regierung Clinton, indem sie Nordkorea zur Aufgabe seines Atomwaffenprogramms sowie zum Verbleib im Atomwaffensperrvertrag und zur Fortführung der Kontrollen durch die IAEO verpflichtete. (Drei Monate vor dem Nachgeben starb Diktator Kim II-sung an einem „Herzinfarkt“). Doch bereits 2002 wurde die Wiederaufnahme der Entwicklungsarbeiten ruchbar. Pjöngjang versteckte sich nicht einmal, erklärte auf entsprechende Verdächtigungen, dass es aufgrund der „amerikanischen Aggression“ prinzipiell berechtigt sei, ein militärisches Nuklearprogramm zu verfolgen, trat 2003 aus dem Atomwaffensperrvertrag aus, bezeichnete das Abkommen mit Südkorea über eine atomwaffenfreie koreanische Halbinsel für Null und Nichtig.

Und diesmal trat die Regierung George W. Bush dem nicht wirksam entgegen. Sie hätte, wie die vorangegangene Administration, den Gang der Entwicklung – zumindest über ihre Beziehungen zu China – neuerlich im Keim ersticken können, aber sie tat es nicht. Warum? Man kann dieses Vorgehen nur erklären, wenn man zugrundelegt, dass der Schritt Nordkoreas im amerikanischen Interesse lag.

Übte der weltweit größte Dollarreservehalter China, bei dem die USA inzwischen mit über einer Billion Dollar in der Kreide stehen, damals bereits finanziellen Druck aus? In diesem Falle wäre die Rolle Washingtons eine passive. Oder erkaufte sich die Bush-Regierung mit ihrem „grünen Licht“ nach Nordkorea das Stillhalten Chinas im zweiten Angriffskrieg gegen den Irak? Diese Möglichkeit drängt sich vom Zeitfenster her geradezu auf, und sie passt auch zur Erklärung Pjöngjangs, der zufolge die „amerikanische Aggression“ es sei, welche den Griff zur Atombombe prinzipiell berechtigten.

Ein derartiges Quid Pro Quo wäre ganz sicher durch die Chinesen als ein strategisch-psychologischer Prestigegewinn verbucht worden. Sie mussten dabei aber berücksichtigen, dass eine nukleare Aufrüstung Nordkoreas eine entsprechende Gegenreaktion Japans begünstigen würde. Diese ließ sich aber nur mit Hilfe des Bündnisvorgesetzten, also der USA verhindern. Wenn es ein entsprechendes Agreement im Vorfeld von Bushs Wüstensturm gab, dann mussten sich die Amerikaner damals ebenfalls dazu verpflichtet haben, Japan von einem atomaren Contra abzuhalten. Und genau das ist die Politik, die Washington seit 2005 so demonstrativ gegenüber seinem nominellen Hauptpartner in Asien betreibt, dass dieser mittlerweile bereits Zweifel an der Zweckmäßigkeit dieses Bündnisses anmeldete.

Hier sind wir an dem vielleicht neuralgischem Punkt von Amerikas mysteriöser Asienpolitik angelangt: Der Frage, ob Washington Tokios Nuklearpläne wirklich ausbremsen wollte. Was sind die geopolitischen und strategischen Erfordernisse des Weltpolizisten, der zur Jahrtausendwende noch als „letzte Supermacht“ betitelt wurde? Lesen wir hierzu eine neue Richtlinie zur Verteidigungsplanung, die der damalige Verteidigungsminister – und Vizepräsident unter Bush jr. – Dick Cheney, am 18.2.1992 fertigstellte. Die New York Times veröffentlichte Auszüge aus diesem „Defense Planning Guidance (DPG)“ betitelten, geheimen Pentagonentwurf. Text:

Unser wichtigstes Ziel ist es, das Wiederauftauchen eines neuen Rivalen, ob auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion oder anderswo, zu verhindern, der eine Bedrohung ähnlicher Ordnung wie die frühere Sowjetunion darstellen könnte. Dieser Gedanke bestimmt grundlegend die neue regionale Verteidigungsstrategie. Dies erfordert, daß wir jegliche feindliche Macht daran hindern, eine Region zu dominieren, deren Ressourcen es ihr bei genügender Kontrolle erlauben würden, globale Macht zu erlangen. Bei den in Frage kommenden Regionen handelt es sich um Westeuropa, Ostasien, das Gebiet der früheren Sowjetunion und Südwestasien.“ Umgesetzt in die praktische Politik bedingt das drei Aufgabenstellungen: „Erstens müssen die USA den Führungsstil zeigen, der nötig ist, um eine neue Ordnung einzuführen und zu sichern, eine die verspricht, potenzielle Konkurrenten davon zu überzeugen, dass sie erst gar nicht zu versuchen brauchen, eine größere Rolle zu spielen oder eine aggressivere Haltung einzunehmen, um ihre legitimen Interessen wahrzunehmen. Zweitens müssen wir in den nicht-militärischen Bereichen die Interessen der fortgeschrittenen Industrienationen (also insb. die EU-Staaten und Japan – W.E.) ausreichend berücksichtigen, um sie davon abzuhalten, unsere Führungsrolle in Frage zu stellen, oder zu versuchen die bestehende politische und wirtschaftliche Weltordnung zu kippen. Und schließlich müssen wir die Mechanismen pflegen, die potenzielle Konkurrenten davor abschrecken, eine bedeutendere regionale oder globale Rolle auch nur anzustreben. [12]

[12] New York Times,8. März 1992. Dt. siehe Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 4/92, Seite 429f. sowie Der Spiegel, 16. März 1992

Der mainstreamige Betrachter mag hier einwenden, diese Direktive sei unter Bush sr. entwickelt worden und gebe damit lediglich eine rechte bzw. republikanische Sicht der Dinge wieder. Er übersieht dabei jedoch, dass Staaten bleibende Interessen haben, die auch wechselnde Regierungen überdauern und durchgängig verfolgt werden. Tatsächlich machte sich Cheneys „demokratischer“ Amtsnachfolger William J. Perry die Direktive bruchlos zu eigen. Wikipedia schreibt in seiner Biografie:

Perry übernahm „Präventivverteidigung“ als seine Richtschnur in der Politik Nationaler Sicherheit in der Nach-Kalter-Krieg-Welt. Während des Kalten Kriegs hatten die USA eher auf Abschreckung, denn auf Verhütung als Zentralprinzip ihrer Sicherheitspolitik vertraut. Perry stellte drei grundlegende Grundsätze einer Präventivstrategie heraus:
Verhindere wachsende Bedrohung; hindere jene, die aktuell wachsen und falls Vorsorge und Abschreckung versagen; bekämpfe die Bedrohung mit militärischer Gewalt.
In der Praxis vertraute diese Strategie auf Bedrohungsreduktionsprogramme (Reduzierung der Nuklearkomplexe der früheren Sowjetunion), Antiproliferationsanstrengungen, die NATO-Partnerschaft für den Frieden und die Ausweitung der Allianz sowie die Aufrechterhaltung militärischer Macht und die Kampfbereitschaft von Waffensystemen, falls nötig.

Trotz etlicher Euphemismen (Präventivverteidigung, Sicherheitspolitik, Verhütung, Bedrohungsreduktion, Partnerschaft für den Frieden) gibt der Wikipediaeintrag Cheneys Planungsmodell gut wieder. Zu „vitalen“ Interessenspunkten herrscht parteiübergreifender Konsens. In vielen Dingen bis auf den heutigen Tag. Der Amtsabtritt Bush jr. brachte zwar so oder so einen tonalen Wechsel im Oval Office, Washington wählt heute vielleicht andere Mittel und sucht in verstärkter Weise den Dialog mit seinen Verbündeten. An Amerikas militärischer Präsenz im Milliardenschweren Öl- und Mohngürtel des Mittleren Ostens – sei es durch reguläre Soldaten oder Payroll-Söldner – hat das jedoch wenig geändert. Im Gegenteil wurde die US-Präsenz in Afghanistan zwischenzeitlich noch verstärkt, während das Folterlager in Guantanamo nach wie vor seinen schmutzigen Arbeiten nachkommt. „Change“ sieht anders aus.

AlexBenesch
AlexBenesch
Senden Sie uns finanzielle Unterstützung an: IBAN: DE47 7605 0101 0011 7082 52 SWIFT-BIC: SSKNDE77 Spenden mit Paypal an folgende Email-Adresse: [email protected]
spot_img
spot_img
spot_img
spot_img
spot_img
spot_img
spot_img

Related articles

Covid und die Zukunft der Biosicherheit

Neue Auflage von 2024, Softcover, 306 Seiten Klicken Sie hier für das Buch im Recentr Shop Die verschiedenen Staaten wussten...

Neue erweiterte Version von „Das Böse entschlüsselt“

Die neue, erweiterte Version von "Das Böse entschlüsselt" von 2024: Klicken Sie hier für das Buch im Recentr Shop Die...

10% Rabatt auf ausgewählte Vorräte bis 17. März 2024 im Recentr Shop!

Der Rabatt wird im Warenkorb automatisch abgezogen! LINK: Vorräte im Recentr-SHOP

Recentr LIVE (12.03.24) ab 19 Uhr: No-Brainer

Die erweiterte, dritte Version von "Das Böse entschlüsselt" ist erschienen. Außerdem gibt es einen Recap der letzten Sendung...