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„Illegale Annexion und Besatzung“: Russland will die DDR zurück

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Bild: igor kisselev/Shutterstock.com

Im neuen Geschichtsbuch für Elftklässler an russischen Gymnasien auf Seite 77 steht:

„Im Oktober 1990 fand der Anschluss der Bundesrepublik an die Deutsche Demokratische Republik statt.“

Der für Anschluss genutzte Begriff аншлюс kann auch Annexion bedeuten. Damit auch wirklich keine Missverständnisse aufkommen, heißt es weiter:

„Im August 1990 fasste die Volkskammer der DDR ohne Durchführung einer Volksabstimmung den rechtswidrigen Beschluss, die Verfassung der DDR abzuschaffen, ihre Staatsorgane abzuschaffen und der Bundesrepublik Deutschland beizutreten.“

Eine direkte Volksabstimmung war aber gar nicht nötig. 93,4 Prozent der Bürger wählten die Abgeordneten der DDR-Volkskammer die dann den Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland beschlossen. Die Sache war von den beiden Supermächten ausgehandelt worden und die Russen unterschrieben den Der „Zwei-plus-Vier-Vertrag“.

Der Leiter der russischen Verwaltung in der Region Saporischschja, Wladimir Rogow, meinte kürzlich, Deutschland solle erst einmal die Truppen aus dem 1990 „besetzten“ Gebiet Ostdeutschlands abziehen. Es sei nötig, die DDR von der „Besatzung der Bundesrepublik Deutschland“ zu „befreien“.

Der Publizist Jürgen Elsässer vom COMPACT-Magazin propagierte kürzlich die Vorstellung eines neuen „Deutschen Demokratischen Reichs“, also eine neue DDR mit nationalistischen Elementen.

Bereits in den 1990er Jahren diskutierten Kommunisten, wie sie mit dem Verlust der DDR umgehen sollen und wie man möglicherweise die Kontrolle zurückerlangen kann.

1996 veröffentlichten die beiden im konkret-Verlag „Vorwärts und vergessen? Ein Streit um Marx, Lenin, Ulbricht und die verzweifelte Aktualität des Kommunismus“. Gleich zu Beginn nennt sie die Wiedervereinigung einen „Anschluss der DDR“ durch den Sieger des Kalten Kriegs. Für Wagenknecht trat die „bürgerliche Macht“ als „Besatzungsmacht“ auf gegenüber der DDR. Sie benutzt Begriffe wie „Annexion“ und „Fremdverwaltung“.

Elsässer sah ein großes Problem bei dem Plan, die ehemalige DDR wiederaufleben zu lassen: Die sozialistische Regierung hatte versucht, „Antifaschismus mit Deutschnationalismus zu kombinieren“. Durch typisch deutsche Tugenden durfte der „häßliche Deutsche“ weiterexistieren. Die aus dem Osten stammende Wagenknecht nimmt die SED in Schutz und proklamiert, dass der Kurs pragmatisch und alternativlos gewesen sei.

Sie selbst war durchaus offen für eine Verbindung von Sozialismus und Nationalismus:

Die deutsche Kulturgeschichte als Bewegung hin zum Faschismus darzustellen, heißt doch faktisch, die perfide Usurpation dieser kulturellen Tradition durch die deutschen Faschisten im nachhinein zu legitimieren und für rechtmäßig zu erklären.

Ihr Nationalbolschewismus nahm also spätestens 1996 Form an. Die konservativen Mächte und die USA sollen nicht die gewöhnlichen Leute wegfischen, sondern die Kommunisten sollen die Leute abwerben. Russland hatte dies auch früh erkannt und benutzt historische Argumente aus der Zarenzeit. Putin selbst sprach im Bundestag vier Jahre später vom russischen Hochadel aus Linien wie Hessen und Schleswig-Holstein.

Überzeugte Kommunisten und/oder Anhänger des Putin-Regimes betrachten hingegen die Wende oft als Verschwörung, bei der Gorbatschow sich eingelassen hätte auf die US-Imperialisten und die DDR verraten hätte, die es nun zu re-etablieren gelte. Gorbatschow war von KGB-Ikone Andropow gezielt aufgebaut worden als jemand, den man später einmal der Welt präsentieren konnte als Reformer. Die USA und die UdSSR verhandelten bereits in den 1980er Jahren über die Zukunft und weder die Bürger der BRD noch der DDR hatten dabei etwas zu melden.

Letztendlich lag die Kontrolle über die Geschehnisse nicht bei Ostberlin, sondern Moskau und so wurde bereits ab 1984 eine deutsch-deutsche Annäherung vorangetrieben. Die Wunsch-Option war zunächst, dass die DDR ein eigenständiger Staat bleibt und die Bundesrepublik blockfrei wird. In diesem Fall hätten die amerikanischen Truppen abziehen müssen, während die Russen nur ihre Divisionen um ein paar hundert Kilometer nach Osten verschieben brauchten. Bis zum heutigen Tage sind die Linken in Deutschland zutiefst verärgert über den Verrat Moskaus, der zum Verlust der geliebten DDR führte. Aus der Sicht des Kremls jedoch ergab alles einen gewissen Sinn: Der strategische Rückzug und der dramatisch inszenierte Fall des Kommunismus würde dafür sorgen, dass die Amerikaner und Briten ihre Militärpräsenz in Europa reduzieren, das wiedervereinigte Deutschland würde massiv abrüsten, die westlichen Märkte sollten sich für Russland öffnen und man behielt ein massives Netz an Spionen in den gesamten ehemaligen Satellitenstaaten. Gerade die Pflege des Agentennetzes war von unschätzbarem Wert.

Die Bundesrepublik war ohnehin schon kräftig unterwandert und kaum in der Lage, eine angemessene Spionageabwehr zu schaffen, und dann sollte auch noch eine Wiedervereinigung Hals über Kopf über die Bühne gebracht werden: Millionen neue Bundesrepublikbürger, Migranten, Spätaussiedler, Beamte usw. Moskaus offensichtlichste Vorgehensweise war, möglichst wertlose Horden an Stasi-Agenten und Zuträger aufzugeben, die besten zu behalten und natürlich auch die Agenten des KGB, GRU und anderer Ost-Geheimdienste weiterzuführen. Selbst der spätere russische Präsident Putin erklärte in einem Buch, dass während der Wende bei seinem KGB-Außenposten in Dresden das wichtigste Material nach Moskau ging und der Rest verbrannt wurde. Es dauerte bis zum Jahr 1999, als endlich digitale Datenträger der Hauptverwaltung Aufklärung der Stasi mit Informationen über geliefertes Material des Agentennetzes entschlüsselt werden konnten, was doch stark überrascht angesichts der Fortschritte in der Technik. Den Fund teilte man mit den Amerikanern, die nach der Wende die Zentralkartei der HVA der Stasi mit Agentennamen und Klarnamen in die Hände bekommen hatten.

Die USA einigten sich mit den Russen auf eine Art entmilitarisierte Zone zwischen Europa und Russland. Nicht nur die DDR war dann frei von russischen Truppen, sondern auch Länder wie Polen oder Ungarn. Auch der Vertrag von 1997 für die NATO-Osterweiterung sah ganz klar vor, dass die neuen NATO-Mitglieder keine nennenswerten Streitkräfte aufbauen durften.

Der Staatsminister Philipp Jenninger, der im Bonner Bundeskanzleramt in den frühen 80er Jahren diente, erklärte:

„Ich gehe fest davon aus, daß die DDR ihre Schritte in Richtung Westen, in Richtung Bundesrepublik, mit der sowjetischen Regierung abgestimmt hat. Im Warschauer Pakt macht die Sowjetunion jetzt offensichtlich Politik nach dem Motto: Seid alle ruhig! Jetzt reden wir mit den Vereinigten Staaten, stört diese Gespräche nicht, die auf der Ebene der Großmächte stattfinden.“

Interessanterweise sah man nach dem Ende der Sowjetunion 1991 einen regelrechten Kollaps der Bundeswehr. Die Schwäche der deutschen Streitkräfte wurde immer deutlicher und umfasste sämtlich Waffengattungen, was nicht mehr nur mit einem Sparkurs erklärt werden kann, mit einer neuen Lust am Pazifismus, und mit schlechter bürokratischer Verwaltung. Es ist sehr wahrscheinlich, dass das Zugrunderichten der Bundeswehr zwischen der NATO-Führung und Moskau ausgehandelt worden war.

Alois Mertes, der damalige deutsche Staatsminister im Auswärtigen Amt, meinte dass Russland auch weiterhin eine „langfristige expansive Gesamtstrategie“ verfolge und Bonn auf die Erfüllung bestimmter Wünsche dränge im Bereich Sicherheit. In der DDR standen eine halbe Million sowjetische Soldaten und die NVA-Armee war auf eine Invasion Westdeutschlands zugeschnitten. In dem Buch „Der Preis der Wende“ heißt es:

Es besteht kein Zweifel, daß George Bush in dem damals noch geheimen Drehbuch, dem „Masterplan“ für den Systemwechsel in der Sowjetunion eine der wichtigen Seiten mitgeschrieben und dabei der Art und Weise, wie die Privatisierung des Staatsvermögens stattfinden sollte, zugestimmt hat.

AlexBenesch
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