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Atomwaffen oder Nordkoreaner: Was kann Putins Krieg noch retten?

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Kommentar

Der konventionelle Kampf Russlands in der Ukraine ist vorerst gescheitert und es bleibt nur noch das immer höhere Pokern mit immer schlechteren Optionen. Aktuell sind etwa 20.000 russische Soldaten am Nordufer des Dnipro abgeschnitten, weil die Brücken zerstört wurden. Die Kriegsgefangenschaft wäre ein episches Desaster, aber selbst das Zurücklassen des schweren Geräts ist nicht einfach zu ersetzen. Ein Teil der russischen Soldaten hat Verträge unterschrieben, die nun auslaufen. Kaum jemand will nachrücken in diesen Krieg. Die Ukrainer haben im Februar bereits mobilgemacht und können bald wohl 700.000 Mann aufbieten, die hochmotiviert sind und Heimvorteil haben, während Putin bei sich immer noch von einer Spezialoperation spricht und das Volk von der Realität abschirmen will, um Normalität vorzutäuschen. Um wirklich etwas zu reißen, müsste er mindestens eineinhalb Millionen Soldaten aufbieten.

Was tun? Eine einzelne Atombombe als Drohung abfeuern, und sei es auf unbewohntem Gebiet, wäre keine magische Lösung, weil es als Bluff interpretiert werden kann. Ein richtiger Atomkrieg mit einer zweistelligen Zahl kleiner Sprengköpfe hätte erhebliche Folgekosten, weil dann jedwede Möglichkeit versiegt, die internationale Diplomatie und den Handel zu normalisieren.

2009 trainierten insgesamt 33.000 russischen Soldaten bei den Manövern „Ladoga 2009“ und „Zapad 2009“, allerdings geriet die Sache zu einem völligen Fiasko: Nichts funktionierte wie erhofft und man war nur zu verhältnismäßig kleinen Scharmützeln fähig ohne den Einsatz kleinerer, sogenannter „taktischer“ Atomwaffen. Wikileaks veröffentlichte die geheime Einschätzung der NATO:

„Die Übung demonstrierte, dass Russland nur begrenzte Fähigkeiten zu gemeinsamen Operationen mit der Luftwaffe hat und weiterhin abhängig von alter und mangelhafter Ausrüstung ist.“

Exakt diese Schwachpunkte zeigten sich nun auch im Jahr 2022 in der Ukraine. Die inoffizielle russische Reserve besteht aus bis zu 2 Millionen nordkoreanischen Soldaten, von denen man einen erheblichen Teil aufbieten könnte.

Russlands Atomkriegsdoktrin nach 1991 wurde mit dem paradoxen Begriff „Eskalation zur Deeskalation“ beschrieben. In der Flucht liegende Truppen würden eine Atomwaffe abfeuern, um einen Angreifer zum Rückzug oder zur Unterwerfung zu drängen. Moskau übte die Taktik wiederholt in Feldübungen. So simulierte 1999 eine Großübung einen Nato-Angriff auf Kaliningrad, die russische Enklave an der Ostsee. Die Übung sah die russischen Streitkräfte solange im Chaos, bis Moskau Atomwaffen auf Polen und die Vereinigten Staaten abfeuerte.

Dr. Kühn von der Universität Hamburg sagte, die defensiven Trainingsübungen der 1990er Jahre hätten sich in den 2000er Jahren in Richtung Offensive gewendet, als die russische Armee etwas von ihrer früheren Stärke zurückerlangte.

„Die Chancen sind gering, aber steigend“,

sagte Ulrich Kühn, Nuklearexperte an der Universität Hamburg und dem Carnegie Endowment for International Peace.

„Der Krieg läuft nicht gut für die Russen“,

stellte er fest,

„und der Druck aus dem Westen nimmt zu.“

Putin könnte eine kleinere Atomwaffe auf ein unbewohntes Gebiet abfeuern, so Dr. Kühn. In einer Studie aus dem Jahr 2018 entwarf er ein Krisenszenario, in dem Moskau eine Bombe über einem abgelegenen Teil der Nordsee zündete. Generalleutnant Scott D. Berrier, Direktor der US Defense Intelligence Agency, war gegenüber dem House Armed Services Committee am Donnerstag pessimistisch, weil eben das ganze Options-Menu den Russen zur Verfügung steht. Präsident Biden reist diese Woche zu einem Nato-Gipfel nach Brüssel, um über die russische Invasion in der Ukraine zu sprechen. Es wird erwartet, dass die Agenda beinhalten wird, wie das Bündnis reagieren wird, wenn Russland chemische, biologische, Cyber- oder Atomwaffen einsetzt.

Eine von Experten der Princeton University entwickelte Simulation beginnt damit, dass Moskau einen nuklearen Warnschuss abfeuert; Die NATO antwortet mit einem kleinen Streik, und der darauf folgende Krieg fordert in den ersten Stunden mehr als 90 Millionen Opfer. Es kann jedoch bereits nach den Warnschüssen Schluss sein.

Rüstungskontrollverträge regeln die kleineren Sprengköpfe nicht, die manchmal als taktische oder nicht-strategische Atomwaffen bekannt sind. Das beliebte russische Trägersystem ist die Iskander-M, die erstmals 2005 eingesetzt wurde. Die mobile Trägerrakete kann zwei Raketen abfeuern, die sich ungefähr 300 Meilen weit bewegen. Die Raketen können sowohl konventionelle als auch nukleare Sprengköpfe tragen. Russische Zahlen beziffern die kleinste nukleare Explosion dieser Raketen auf etwa ein Drittel derjenigen der Hiroshima-Bombe.

Die reduzierte Sprengkraft machte es „vorstellbarer“, das nukleare Tabu zu brechen, warnte damals General James E. Cartwright, stellvertretender Vorsitzender der Joint Chiefs of Staff unter Obama. Es ist unklar, wie Biden auf den Einsatz einer Atomwaffe durch Putin reagieren würde. Atomkriegspläne sind eines der am tiefsten gehüteten Geheimnisse.

In der Studie „Limited Nuclear War: The 21st Century Challenge for the United States“ von JOHN K. WARDEN heißt es:

Die Vereinigten Staaten müssen überdenken, ob [bei dem Einsatz nuklearer Waffen] die Verteidigung eines Verbündeten die möglicherweise katastrophalen Kosten wert ist und es könnte die Entscheidung getroffen werden, dass es sich nicht rechnet.

An genau diesen Punkt nähern wir uns nun an in der Ukraine.

Ein Gegner beginnt, einen konventionellen Konflikt zu verlieren, und greift auf Atomwaffen zurück, um die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten zum Einlenken zu zwingen. Die Vereinigten Staaten müssen entscheiden, wie sie darauf reagieren, einschließlich der Frage, ob sie sich mit einem Atomschlag rächen wollen.

Der Aufbau von Atomwaffen-Arsenalen ist nicht billig; aber weitaus günstiger als riesige konventionelle Streitkräfte.

Aus der Perspektive der Wirtschaftlichkeit der Investitionen und der Wirtschaftlichkeit der Kräfte waren Atomwaffen weitaus attraktiver als konventionelle Alternativen.

Zunächst setzte man auf Abschreckung durch die Androhung eines totalen Atomkriegs. Dann änderte sich die Ausrichtung:

Die Vereinigten Staaten passten ihre Strategie in den 1960er und 1970er Jahren an, um „flexible Reaktion“ gegenüber massiven Vergeltungsmaßnahmen zu betonen.

Das US-Verteidigungsministerium argumentiert, dass russische Fähigkeiten, Übungen und öffentlich zugängliche Strategien und Doktrinen auf eine Bereitschaft hindeuten, begrenzte Atomschläge in einem breiteren Spektrum von Umständen in Betracht zu ziehen, möglicherweise früh in einem Konflikt.

Befindet sich ein Akteur in einer schwachen Position, verliert auf dem Schlachtfeld oder spürt er eine Verschiebung des militärischen Gleichgewichts, hat er einen viel stärkeren Anreiz, eine Eskalation anzustreben.

So können Nuklearstreitkräfte den Mangel an verfügbarer Feuerkraft ausgleichen. Wenn sich ein Konflikt entwickelt, kann es dem Gegner an konventionellen Schlagoptionen mangeln, entweder weil die Munitionsvorräte erschöpft sind oder der Standort und die Disposition seiner konventionellen Streitkräfte ungünstig sind.

Für die USA ergibt sich der erhebliche Nachteil, dass die Ukraine kein NATO-Mitglied ist. Sobald Russland Atomwaffen einsetzt, können die USA nicht selbst mit Atomwaffen gegen Russland zurückschlagen, weil dies unverhältnismäßig wäre und genauso wenig könnten die USA Atomwaffen an die Ukraine liefern. Russland hat die Option, sich selbst „unter falscher Flagge“ zu attackieren mit einem alten Sprengkopf aus Sowjetzeiten, der vielleicht einmal in der Ukraine gelagert war, oder mit einer Koffer-Atombombe kleinen Ausmaßes. So könnte der Kreml die Opfer-Rolle behaupten und sich gerechtfertigt sehen, mit Atomwaffen die Ukraine anzugreifen. Putin war erst dann als Präsident populär geworden, als die Bombenanschläge auf Wohnblöcke geschahen. Vieles deutet darauf hin, dass Putins FSB-Geheimdienst dahinter steckte. Auch US-Präsident Bush wurde erst durch 9/11 von einer lahmen Ente zum populären Feldherren und konnte zwei Kriege führen.

Russland zum Beispiel könnte erfolgreich in einen oder mehrere baltische Staaten einmarschieren und sie erobern und dann in begrenztem Umfang Atomwaffen einsetzen, um die Vereinigten Staaten und die NATO zu zwingen, das Ergebnis zu akzeptieren. Russland versteht wahrscheinlich, dass es mit einer voll mobilisierten NATO nicht mithalten kann, daher könnte ein begrenzter Einsatz von Atomwaffen zur Verhinderung der Mobilisierung als attraktives Mittel angesehen werden, um die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten zu zwingen, sich zurückzuziehen und verlorenes Territorium aufzugeben. In einem anderen Szenario wird eine nordkoreanische Invasion Südkoreas abgewehrt, aber Nordkorea entfesselt dann Atomschläge, um die Vereinigten Staaten und Südkorea davon zu überzeugen, den Status quo der Vorkriegszeit zu akzeptieren, anstatt einen Regimewechsel anzustreben.

In Bezug auf Russland erklärt General Paul Selva, stellvertretender Vorsitzender der US Joint Chiefs of Staff: „Es gibt zwingende Beweise dafür, dass mindestens einer unserer potenziellen Konkurrenten in diesem Bereich glaubt, dass er damit davonkommt, uns mit einer schwachen Waffe zu treffen.“ Wenn Russland in einem regionalen Konflikt Waffen mit geringer Sprengkraft einsetzt, könnten die Vereinigten Staaten zögern, als Reaktion darauf Waffen mit hoher Sprengkraft einzusetzen, da diese Optionen unverhältnismäßig und daher zu eskalierend erscheinen würden.

https://cgsr.llnl.gov/content/assets/docs/CGSR_LP4-FINAL.pdf

AlexBenesch
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