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Russlands Militär war abhängig von Konzernen aus NATO-Staaten der EU und von der Ukraine

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Bild: Mikhail Leonov/Shutterstock.com

Westliche Geheimdienste stehen angesichts der Ukraine-Invasion unter Druck. Inwiefern und wann rechneten sie mit dem Krieg? Inwiefern schätzen sie ab, ob Russland gleichzeitig das Baltikum und Polen überfällt?

Wenn das Kind erst einmal in den Brunnen gefallen ist, spricht man im Westen häufig von einem Geheimdienstversagen. So soll man versagt haben, trotz erheblicher internationaler Warnungen vorab, die Terror-Pläne für den 11. September 2001 zu vereiteln. Es sei ein Versagen gewesen, irrtümlich davon auszugehen, dass Saddam Hussein an 9/11 beteiligt gewesen sei und zudem mit bereitstehenden Massenvernichtungswaffen den Westen bedrohte.

Nun können westliche Geheimdienste erklären, dass man nicht so ohne Weiteres Spionageringe in Russland etablieren kann, weil es sich um eine geschlossene Diktatur handelt. Die digitale Spionage der NSA könne leider nicht in Putins Kopf hineinblicken. Dennoch gab es einen Berg an Informationen, zumeist sogar aus frei verfügbaren öffentlichen Quellen, den man kontinuierlich auswerten konnte, um Russlands Pläne als Supermacht abzuschätzen. Ein hochkompliziertes Militär braucht einen hochkomplexen militärisch-industriellen Komplex. Und solch ein Komplex erzeugt Unmengen an Daten. Russland hätte in Schulen investieren können und in eine freiere, lebendigere Gesellschaft. Stattdessen ging es um die Frage, wie man möglichst schnell neue Panzer, Helikopter, Atomwaffen, Kampfschiffe und die Unmengen an benötigten Bauteilen heranschaffen kann.

Das European Union Institute for Security Studies veröffentlichte im Dezember 2017 einen Bericht mit dem Titel „Defence industries in Russia and China: Players and Strategies“. Darin ist eine Beschreibung enthalten, wie Russland gewaltig ins Schlingern kam mit der eigenen Herstellung von Bauteilen und kompletten Rüstungsgütern ohne die Importe aus der Ukraine und EU-Ländern. Das komplette Ausmaß der Schwächen im militärisch-industriellen Komplex Russlands ist selbstverständlich geheim, da man sich nicht in die Karten schauen lassen möchte. Dementsprechend liefert der Bericht des „Institute for Security Studies“ kein vollständiges Bild. Dennoch lassen sich interessante Zusammenhänge herauslesen, die bei der aktuellen Invasion der Ukraine von Bedeutung sind. Ohne komplexe Produktionsketten und die Organisation wäre Russland heute gar nicht in der Lage, eine Invasion durchzuführen. Und es besteht der dringende Verdacht, dass die Invasion primär überhaupt deswegen stattfindet, weil Russland dringend die Industriekapazitäten der Ukraine braucht und die benötigten Güter nicht selbst herstellen kann in einem vernünftigen Zeitraum.

Die Erfahrungen aus der Zeit vor 2014, als die Zusammenarbeit mit dem Westen noch nicht begrenzt war, zeigten, dass das russische Militär nicht nur bestimmte Materialien und Komponenten, sondern auch fertige Plattformen benötigte. Dies war der Grund für die Anschaffung von Eurocopter AS350 (AS550) und AS355 (AS555) Leichthubschraubern, Mistral-Amphibien-Angriffsschiffen und gepanzerten Fahrzeugen der MRAP-Klasse Iveco 65E19WM (LMV). In den letzten beiden Fällen waren in Russland keine massenproduzierten Analoga erhältlich.

Russland bestellte von Iveco 350 gepanzerte Fahrzeuge und visierte über 1400 solcher Fahrzeuge an.

Russland versuchte parallel dazu, eigene Modelle wie den GAZ TIGR zu entwickeln. Aber dazu benötigt es eben viele einzelne Bauteile von vielen Zuliefererbetrieben.

Eine ähnliche Situation hat sich bei der Versorgung mit elektronischen Bauteilen entwickelt, wo die Abhängigkeit von Importen nicht abzunehmen scheint. Dieses Problem war im Zeitraum 2010-2014 im militärisch-industriellen Bereich am akutesten, da bei der Herstellung einer erheblichen Anzahl russischer Kampfsysteme importierte Komponenten, Einheiten oder Materialien verwendet wurden. Dementsprechend stellte der Entzug des Zugangs Russlands zu diesen die Durchführbarkeit des damals bestehenden staatlichen Rüstungsprogramms für den Zeitraum 2011-2020 in Frage.

Die Eroberung der Krim sowie der Ostukraine durch Russland verschaffte Zugang zu essentiellen Rüstungsbetrieben. Darauf hin kamen die Sanktionen und die Exportbeschränkungen der Ukraine und der EU, was den Druck auf Russland erhöhte, weitere Eroberungen zu machen, um nicht völlig ins Schlingern zu kommen mit den Zeitplänen für die Rüstung.

Das Gesamtbild zeigte sich im Sommer 2015 – laut Verteidigungsministerium sollen zwischen 2014 und 2025 mindestens 826 ehemals von ausländischen Anbietern zugekaufte Arten von Waffen und Rüstungsgütern selbst hergestellt werden.

In sowjetischen Zeiten war es bereits üblich gewesen, „Reverse Engineering“ zu betreiben; also westliche Güter zu kopieren. Die Schwierigkeit war die Massenproduktion der kopierten Güter, weil in der Sowjetunion eben keine Vielfalt bestand an flexiblen (Zulieferer)-Betrieben.

Gemäß dem Ende 2010 verabschiedeten staatlichen Rüstungsprogramm für 2011 bis 2020 sollte Russland große Mengen brandneuer Hardware und Ausrüstung entwickeln und produzieren. Das Ziel war undurchführbar, da es auf der Nutzung ausschließlich russischer Ressourcen und Fähigkeiten beruhte. Paradoxerweise vertiefte sich die Abhängigkeit von Importen mit jedem Jahr der Umsetzung des GPV-2011, als die Versorgung der Truppen mit neuer Ausrüstung zunahm.

Hierin lieg wohl einer der wesentlichen Gründe für die Eroberung der Krim und der Ostukraine. Viele rüstungsrelevante Betriebe fielen in russische Hand. Zuvor war man noch auf Einkaufstour in Europa gegangen.

Es ist schwierig, das Volumen der europäischen Lieferungen nach Russland abzuschätzen. In Bezug auf die Rüstung wurde das Vertragsvolumen zwischen Russland und den EU-Ländern im Zeitraum 2011-2013 auf 75 Millionen Euro geschätzt, und die Exporte von Gütern und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck waren viel größer – etwa 20 Milliarden Euro pro Jahr.

„Doppelter Verwendungszweck“ heißt, dass ein Bauteil beispielsweise in zivilen und militärischen Gütern verwendet werden kann.

Anfang 2014, kurz bevor die russisch-ukrainischen und russisch-westlichen Beziehungen den Tiefpunkt erreichten, importierte Russland schätzungsweise etwa 700 verschiedene Arten von Produkten und Komponenten aus der Ukraine und weitere 860 Komponenteneinheiten aus NATO-Staaten. Die schwierigste Situation betraf den Ersatz ukrainischer Produkte.

Wie wichtig die ukrainische Produktion war, insbesondere für das russische Atomwaffenarsenal, zeigt ein Bericht aus Norwegen.

2012 beliefen sich allein die Ukraine-Exporte von Raketen- und Raumfahrtausrüstung auf 260 Millionen Dollar. Die Zahl der importierten Flugzeugtriebwerke in den Jahren 2010-2014 stieg von 404 auf 653 Einheiten, d. h. die Summe der Lieferungen betrug mehr als 500 Millionen US-Dollar.

Es wurde zwar versucht, die Produktionsausfälle wegen der Ukraine-Krise zu kompensieren, aber dies war nicht möglich.

2014 ordnete Verteidigungsminister Sergei Shoigu die einheimische Produktion von 695 Arten von Waffen und Ausrüstung aus den 1.070 Artikeln an, die zuvor gemeinsam mit ukrainischen Unternehmen entwickelt wurden. Einige Zeit später wurden jedoch andere Zahlen bekannt gegeben. Im ersten Halbjahr 2015 wurden nur 57 ukrainische Komponenten von insgesamt 102 geplanten ersetzt. Dies entsprach 55 % des Jahresziels.

Gleichzeitig waren die Ergebnisse für die Produktion von Gütern, die zuvor aus NATO- und EU-Ländern kamen, nicht ermutigend: Im gleichen Zeitraum wurde nur für sieben der 127 geplanten Typen eine Importsubstitution für den gesamten Zyklus durchgeführt.

Man muss den Kontext beachten: Bus zum Jahr 2020 wollten vielen verschiedene Länder ihre Streitkräfte erneuern. Es drohen Brandherde im Iran, mit Nordkorea, Taiwan usw. Russland muss an verschiedenen Orten gleichzeitig einsatzbereit sein, auch in Koordination mit China, um nicht Unmengen an Planungen durcheinanderzubringen.

Die Jamestown Foundation berichtete über die russische Interkontinentalrakete SS-18:

Es erscheint jedoch unwahrscheinlich, dass die SS-18 bis zu diesem Zeitpunkt einsatzbereit bleiben, da das Werk Yuzhmash – als Folge des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine seit 2014 – nicht mehr an der Wartung dieser Interkontinentalraketen beteiligt ist. Die Wartung wurde stattdessen an Academician V.P. Makeyev Space Rocket Center übertragen (dieses befindet sich in Miass, Oblast Tscheljabinsk, Russland). Laut Yuzhmash kann die russische Einrichtung diese Aufgabe jedoch nicht bewältigen, da sie unter anderem keinen Zugang zu den Konstruktionsunterlagen der Rakete hat (Gazeta.ru, 11. März 2015).

https://jamestown.org/program/russian-icbms-aging-mixed-arsenal/

Bei der Rakete SS-19 Stiletto stammen die Navigations-/Lenksysteme aus der Ukraine.

Heute besteht Russlands nukleare Abschreckung laut einer Quelle zu 70 Prozent aus den Strategic Rocket Forces; aber dieser Wert könnte bis etwa 2020 auf 35 Prozent zurückgehen, wenn die älteren Interkontinentalraketen im Bestand nicht betriebsbereit gehalten werden können. Und in diesem Zusammenhang muss auch die Entwicklung der anderen Teile der russischen Nuklear-Triade berücksichtigt werden – einschließlich der Modernisierung der strategischen Bomberflotte, der Einführung des Stealth-Bombers Tupolev PAK DA sowie der Lieferung von Borey-Klasse-Raketen-U-Booten. Daher sieht sich Moskau für eine gewisse Zeit dem sehr realen Risiko einer abnehmenden Zahl von Trägersystemen für sein strategisches Nukleararsenal gegenüber.

https://jamestown.org/program/russian-icbms-aging-mixed-arsenal/

Berichten zufolge drohte ein ukrainischer Industriekomplex 2014 den Russen, relevante Codes, Frequenzen und andere technische Geheimnisse der Atomwaffen an die NATO zu übermitteln. Bis zu 85% des russischen Atomarsenals seien dadurch potenziell kompromittiert.

AlexBenesch
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