Kommentar
In einem Interview mit der Schweizer Zeitung Blick sprach Björn Höcke über die Argumentationslinie von Putin aus dessen alter Rede vor dem Bundestag von 2001:
„Deutsche Technologie und russische Rohstoffe. Zusammen wären wir unschlagbar.“
Damit klingt er wie x-beliebige deutsche Politiker von CDU und SPD in der Ära vor 2014. Auch der EU-Chef van Rompuy wollte eine starke Annäherung der EU an Russland.
Was Höcke weglässt, sind Putins damalige enge Beziehungen zu Britannien und den USA. Russisches Vermögen, das dem Volk zustand, wurde schubkarrenweise an die City of London gebracht, um das russische Imperium transformieren zu können. Putin half US-Präsident Bush bei dessen Kriegen und bekam im Tausch mehr Zugang zu der westlichen Wirtschaft.
Wie kommt Höcke darauf, dass den Russen Deutschland wichtiger sei als die Anglos? In seiner Bundestagsrede meinte Putin:
„Erinnern Sie sich zum Beispiel an die Tochter Ludwigs IV., des Fürsten von Hessen-Darmstadt: Sie ist in Russland als Fürstin Elisabeth bekannt. Sie hatte ein wirklich tragisches Schicksal. Nach dem Mord an ihrem Mann gründete sie ein Nonnenkloster. Während des Ersten Weltkrieges pflegte sie russische und deutsche Verletzte. Im Jahre 1918 wurde sie von Bolschewisten hingerichtet. Ihr galt eine allgemeine Verehrung. Vor kurzem wurde ihr Wirken anerkannt und sie wurde heiliggesprochen. Ein Denkmal für sie steht heute im Zentrum Moskaus.
Die neuere Forschung zum Ersten Weltkrieg von Historikern wie Christopher Clark von Cambridge enthüllt, dass die Deutschen gar keine Ambitionen hatten, sondern die Realität sehr gut kannten, dass Russland mit britischem und französischem Geld hochrüstete wie verrückt, bis zu 1,5 Millionen Soldaten, und dann die Generalmobilmachung anordnete. Die Allianz Frankreich-Britannien-Russland zertrümmerte Deutschland.
Die von Putin genannte Fürstin war eine Enkelin der britischen Königin Victoria, die formell eines der brutalsten Kolonialreiche der Welt anführte.
Vergessen wir auch nicht die Prinzessin von Anhalt-Zerbst. Sie hieß Sophie Auguste Friederike. Sie leistete einen einzigartigen Beitrag zur russischen Geschichte. Einfache russische Menschen nannten sie Mutter. Aber in die Weltgeschichte ging sie als russische Zarin Katharina die Große ein.“
Militärisch konnte die Zarin erhebliche Siege verbuchen gegen die Türken und den Zugang zum Schwarzen Meer sichern. Auch ein Teil Polens sowie die Halbinsel Krim konnten an Russland angliedert werden. Der Plan war, ihren Sohn Paul von der Thronfolge auszuschließen, was ihr aber nicht gelang. Sie fand für ihn als Frau die deutsche Welfen-Prinzessin Wilhelmina Luisa von Hessen-Darmstadt (die sich fortan Natalia nannte), Tochter des Landgrafen Ludwig IX. von Hessen-Darmstadt. Der einzige praktikable Ersatzkandidat für den Thron war Konstantin, dieser war aber eine recht instabile Person und seine Ehe mit Juliane von Sachsen-Coburg Saalfeld (umbenannt in Anna) war eine Katastrophe. Julianes bzw. Annas Bruder Leopold heiratete Prinzessin Charlotte, die Anwärterin auf den britischen Thron. Leopold wurde König von Belgien und sein Neffe Prinz Albert von Sachsen Coburg heiratete die britische Königin Victoria. Der berühmte preußische Politiker Otto von Bismarck bezeichnete Coburg später spöttisch als die Pferdezucht für den Adel Europas. Aus Sachsen-Coburg-Saalfeld entwickelte sich im Laufe der Zeit das Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha, das nahtlos an das Haus Hannover den Britischen Thron fortführte.
Wer soll die Anglos und die Russen künftig davon abhalten, gemeinsam Deutschland auszubeuten? Höcke mit Helm auf dem Kopf? Die Bundeswehr? Wenn es nicht funktioniert mit der erträumten Hilfe für die Russen an Deutschlands Rechte, was bleibt dann noch übrig von Höckes strategischem Gesamtkonzept? Nichts.
In der Geschichte verhielt es sich prinzipiell so: Entweder führte Russland Krieg gegen Deutschland oder bereitete den nächsten Krieg gegen Deutschland vor. Sich heute von den Russen zu erwarten, dass Deutschland ein Imperium werden darf, ist ungefähr so, wie sich von Charles Manson einen Benimm-Ratgeber schreiben zu lassen.
Höcke hat anscheinend gar keine Ahnung wovon er spricht. Was er auftischt, kKlingt wie billigster Agitprop aus dem Internet, wie man ihn von Daniele Ganser und zig austauschbaren Figuren gehört hat:
„Dieser Krieg [Ukraine] hat einen langen Anlauf. Die Schuldfrage zu beantworten, wird Aufgabe der Historiker sein.“
Hat Höcke sich gefragt, warum die Russen trotz ihrer massiven Spionage es bis heute nicht geschafft haben, irgendwelche hochtrabenden Informationen zu veröffentlichen, die ihren Angriffskrieg besser aussehen ließen? Russland liefert seinen Fanboys im Ausland NIE wirklich wertvolle Informationen. Das war schon zu Sowjetzeiten so, das war nach 9/11 so, das war bei den US-Kriegen in Afghanistan und Irak so, und nicht einmal bei der Nordstream-Sprengung bekamen wir eine Sensation, sondern nur das Schwabulieren von Seymour Hersh.
„Ich weiß, dass westliche Medien Putin zum neuen Hitler aufbauen wollen. Aber man muss erkennen, dass es eine jahrzehntelange Fehlentwicklung im Vorfeld des Krieges gegeben hat.“
Es sind die Russen, die seit 2022 verstärkt die Nazi-Keule schwingen gegen die Ukraine und alle Weißen im Westen. Höcke sollte sich doch eigentlich in Geschichte auskennen. Seit Alexander Newski sind die Weißen das Feindbild Nummer eins für die Russen: Deutschritter, Nazis, Anglos. Alles Nazis. Chrupalla von Höckes eigener Partei tauchte kürzlich auf bei der russischen Botschaft, um den Sieg der Sowjets mitzufeiern gegen die Nazis. Für Russland ist der Sieg immer noch elementarer Teil des Staatskults.