Im Februar 1945 war Solschenizyn wegen antisowjetischer Propaganda verhaftet und zu acht Jahren Lagerhaft verurteilt worden. Er hatte in Briefen an einen Freund Stalin kritisiert. . Als die Geheimpolizisten ab Mitte der 1960er Jahre von seinem Projekt „Archipel Gulag“ hören, suchen sie fieberhaft nach dem Manuskript. Aber die einzelnen Teile waren zu gut versteckt und gelangten ins Ausland.

1974 erschien das Werk und löste eine Schockwelle aus. Der Spiegel berichtete seinerzeit: Die Sowjetunion betrachtet Alexander Solschenizyn als Verräter am Sozialismus, weil er über das System der Gulag-Arbeitslager berichtet hatte. Den westlichen Geheimdiensten hätte das System spätestens bereits in den 1930er Jahren bekannt sein müssen und als Informationsquelle hätte es dafür nicht einen einzelnen Mann wie Solschenizyn gebraucht. Dessen Berichte zerstörten den sorgfältig gepflegten sozialistischen Mythos.

Damit wird »GULAG« zum Anti-Kommunistischen Manifest und Lenin, auf dessen Kult sich die Partei nach Stalins Enttarnung zurückgezogen hat, gleichfalls entthront.

Mit einem Schlag war das Selbstbild der westlichen Linken erschüttert.

Ohne die Zeit Lenins aber, ohne den bereits verdammten Stalin, ohne den wegen seiner Stalin-Kritik ignorierten Chruschtschow würde sich die Sowjet-Geschichte auf die neun Jahre unter Breschnew reduzieren.

Texte von Solschenizyn wurden unter der Hand in der Sowjetunion verteilt und westliche Radiosender strahlten Informationen in den Ostblock, woraufhin Störsender wieder in Betrieb genommen wurden. Man schätzte 34 Millionen Kurzwellen-Empfangsgeräte in der UdSSR und außerhalb der Großstädte waren die West-Programme dennoch empfangbar.

Radio Liberty sendete 30 Minuten täglich Auszüge aus „GULAG“.

In Frankreich entwickelte sich durch die neuen Erkenntnisse eine starke Ablehnung des linken Totalitarismus. So reagierten viele Intellektuelle entsetzt angesichts des Staatsterrors im Osten, wie der im Bundestag beschäftigte Historiker Volker Schütterle erinnert. Nicht wenige hätten dem Kommunismus abgeschworen.

In Westdeutschland hingegen tobte der radikale Wind der Studentenunruhen und Linke gaben sich völlig stur.

In der westdeutschen Linken blieben zum damaligen Zeitpunkt eine Solschenizyn-Rezeption und eine Diskussion darüber fast völlig aus. Eine Ausnahme stellte der Band Rudi Dutschke/Manfred Wilke (Hg.), Die Sowjetunion, Solschenizyn und die westliche Linke, Reinbeck bei Hamburg 1975 dar.

https://ediss.sub.uni-hamburg.de/bitstream/ediss/4118/1/Dissertation.pdf

Die Panik war, dass vor allem die Amerikaner das Gulag-Thema immer stärker benutzen, um den Sozialismus zurückzudrängen. Es wurden Werke gefördert wie George Orwells „1984“ in denen scharf abgegrenzt wird zwischen totalitärem Ost-Kommunismus und sanfter westlicher Sozialdemokratie.

Der ehemalige US-Geheimdienstler Philip Agee berichtete, wie bereits 1948 eine
weltweit ausgerichtete Medien-Operation zur Beeinflussung der politischen Meinungsbildung
begann.

Über 50 Zeitungen, Nachrichtendienste, Zeitschriften, Rundfunksender und andere Arten von
Massenkommunikationsmittel“, so Agee, „waren im Besitz der CIA oder wurden zu
irgendeinem Zeitpunkt von der CIA finanziell unterstützt.“

Aus Trotz, Panik und Fanatismus entschieden viele westeuropäische Linke, das Gulag-Thema zu ignorieren oder herunterzuspielen.

Am 22. Juni 1972, als der SPD-nahe Schriftsteller Heinrich Böll ein aussichtsreicher Kandidat für den Nobelpreis war, publizierte die zum Springer-Konzern gehörende Berliner Morgenpost unter dem Titel „Ausgerechnet Böll“ einen Artikel, in dem behauptet wurde, Heinrich Böll habe als Vorsitzender des Internationalen PEN „den verfemten sowjetischen Dichter und Nobelpreisträger Solschenizyn in beschämender Weise im Stich gelassen. Später ruderte die Zeitung zurück. Böll nahm Solschenizyn 1974 nach seiner Ausweisung in seinem Sommerhaus in der Eifel auf. Ab Mitte der 1950er-Jahre wurde Böll jahrelang über den Congress for Cultural Freedom vom US-Auslandsnachrichtendienst CIA als Quelle abgeschöpft.

Der tschechische Publizist Pelikán meinte:

„Erstaunlicherweise diskutiert man [im Westen] … wenig über das literarische Werk
dieses unbestritten größten lebenden russischen Schriftstellers. Dies überrascht besonders bei den Kommunisten, die … im Februar 1974 Solschenizyn zu einem ‚Reaktionär‘ nur
aufgrund seiner politischen Ansichten und ohne jedwede seriöse Analyse seines Schaffens stem-
pelten.

In der DDR symbolisiert Soschenizyns Name nach 1974 offiziell den Inbegriff des Verräters, des Volksfeinds und des Renegaten, der dem System gezielt Schaden zufügt.

Die DKP berichtete 1973:

Im Zusammenhang mit dem starken Aufschwung der Arbeiterbewegung in den letzten Jahren und der umfassenden Stärkung der fortschrittlichen Kräfte in der BRD versucht die Reaktion, mit verschärftem Antikommunismus die progressiven Kräfte zu schwächen und die Bewegung zu spalten. Besonders beliebt: Ablenkung von der Unterdrückung und Ausbeutung im eignen Lande durch Propagierung angeblicher Unterdrückungen im sozialistischen Lager. Wenn er nicht wirklich existierte, hätte ein Solschenizyn erfunden werden müssen, um von der politischen Unterdrückung in der BRD und vom faschistischen Putsch in Chile abzulenken.“

https://www.mao-projekt.de/INT/EU/SU/Sowjetunion_Alexander_Solschenizyn.shtml

http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2006/3427/pdf/WalenskiTanja-2006-07-13.pdf

https://www.spiegel.de/politik/milde-gegen-den-verraeter-solschenizyn-a-373fb705-0002-0001-0000-000041784041

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