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Daten-Leak zeigt den Umfang der russischen Internetüberwachung

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Mehr als 700 Gigabyte an Aufzeichnungen aus Roskomnadzors Zweigstelle in Baschkortostan wurden im März von einer Aktivistengruppe, DDoSecrets, die sich gegen den Krieg in der Ukraine stellt, online öffentlich zugänglich gemacht.

Roskomnadzor wurde 2008 in mäßigem Tempo aufgebaut, um den wachsenden Internetverkehr zu überwachen, was sich mit dem Aufgabenbereich des traditionellen Inlandsgeheimdienst FSB überschneidet. Die New York Times baute eine Software und ein Suchwerkzeug, um die russischsprachigen Dokumente, Tabellenkalkulationen, Videos und Regierungspräsentationen zu analysieren. Die 160.000 Datensätze zeigen, wie es auch im Rest des Landes zugeht.

Alles wird zunächst grob eingeteilt in die Kategorien „regierungsfreundlich“, „regierungsfeindlich“ oder „unpolitisch“. Roskomnadzor hat auch daran gearbeitet, die Personen hinter regierungsfeindlichen Nutzerkonten zu enttarnen und den Sicherheitsbehörden detaillierte Informationen über die Online-Aktivitäten von Dissidenten zur Verfügung gestellt. Alles Mögliche ist bereits längst gesetzlich verboten und es werden immer bei Bedarf neue Gesetze nachgeschoben, wie etwa gegen Corona-Maßnahmen-Aktivismus oder gegen alles, was den Ukraine-Krieg als Krieg bezeichnet und kritisiert.

Einige Bürger wurden von der Polizei festgenommen und monatelang festgehalten. Andere sind aus Angst vor Strafverfolgung aus Russland geflohen. Ab 2012, dem Jahr, in dem Herr Putin die Präsidentschaft wiedererlangte, erstellte Roskomnadzor eine schwarze Liste mit Websites, die die Netz-Unternehmen blockieren mussten. Diese Liste, die ständig wächst, umfasst jetzt mehr als 1,2 Millionen gesperrte URLs.

In den letzten zehn Jahren hat die Behörde auch Google, Facebook, Twitter und Telegram abgestraft.
Man sammelte Informationen über Regierungskritiker und identifizierte wechselnde politische Meinungen in den sozialen Medien. Taucht irgendwo eine Kampagne auf, die auf Anklang stoßen könnte, wird sofort eingegriffen.

Wladimir Voronin, ein Anwalt, der von Roskomnadzor angegriffene Aktivisten und Mediengruppen vertreten hat, sagte, die Behörde sei auch dem Bundessicherheitsdienst (FSB) näher gekommen. Der FSB betreibt ein Spionagesystem namens System for Operative Investigative Activities, das zur Überwachung von Telefonanrufen und Internetverkehr in Russland verwendet wird.

Einer der weltweit größten Anbieter von Internetdatenverkehr teilte einigen russischen Firmen mit, dass er ihnen den Zugang abgeschnitten habe. Cogent Communications Holdings Inc. teilte großen russischen Internetdienstanbietern, darunter Rostelecom, mit, dass sie ihren Dienst einstellen würden.

„Angesichts der ungerechtfertigten und nicht provozierten Invasion der Ukraine beendet Cogent alle Ihre Dienste mit Wirkung zum 4. März 2022 um 17:00 Uhr GMT“,

sagte das Unternehmen. Cogent schätzt, dass es zeitweise bis zu einem Viertel der Daten durch das globale Internet transportiert. Die Trennung von Verbindungen zu russischen Netzbetreibern könnte datenintensive Videodienste beeinträchtigen. Etwas derartiges ist bislang noch nicht passiert. Folgen weitere Backbone-Konzerne, ist der Zugriff auf internationale Inhalte in Russland wie vor 20 Jahren.

Russische Behörden und große Internetanbieter übten bereits, das Land im Rahmen eines geplanten Experiments vom Internet zu trennen. Der Grund für das Experiment bestand darin, Erkenntnisse zu sammeln und Feedback und Änderungen zu einem im Dezember 2018 im russischen Parlament eingeführten Gesetzesvorschlag zu geben.

Ein erster Gesetzesentwurf sah vor, dass russische Internetanbieter die Unabhängigkeit des russischen Internetraums (Runet) im Falle einer ausländischen Aggression sicherstellen sollten, um das Land vom Rest des Internets zu trennen.

Darüber hinaus müssten russische Telekommunikationsunternehmen „technische Mittel“ installieren, um den gesamten russischen Internetverkehr zu Austauschpunkten umzuleiten, die von Roskomnazor, Russlands Telekommunikationswächter, genehmigt oder verwaltet werden.

Roskomnazor wird den Datenverkehr überprüfen, um verbotene Inhalte zu blockieren und sicherzustellen, dass der Datenverkehr zwischen russischen Benutzern im Land bleibt und nicht über Server im Ausland umgeleitet wird, wo er abgefangen werden könnte.

Auf der Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlichte Dokumente zeigen, wie Telekommunikationsanbieter mit dem Staat Hand in Hand arbeiten. Die 34 als „Russia Spy Files“ bezeichneten Dokumente beschreiben die Zusammenarbeit der russischen IT-Firma „Peter-Service“ mit dem Inlandsgeheimdienst FSB. „Peter-Service“ behauptet demnach, Zugang zum Großteil der Telefondaten und des Internetverkehrs in Russland zu haben und diene sich dem Geheimdienst förmlich als Partner bei der Überwachung an, so Wikileaks. Die Aktivitäten sollen über die von der strikten Überwachungsgesetzgebung in Russland vorgegebenen Maßnahmen deutlich hinausgehen.

Im Jahr 1995 wurde „SORM-1“ für die Telefonüberwachung eingeführt, in 1999 mit „SORM-2“ auf Internetverkehr ausgedehnt und das heute aktive „SORM-3“ umfasst auch soziale Medien. Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte Russlands Überwachungsapparat 2015 nach der Klage des russischen Journalisten Roman Sacharow.

In der russischen Verfassung, die traditionsgemäß nur dafür taugt, leichtgläubige und ahnungslose ausländische Bürger über die schockierende Realität hinwegzutäuschen und der Regierung einen legalen Anstrich zu liefern, wird das Recht auf Privatsphäre, insbesondere der Kommunikationen garantiert, es sei denn natürlich ein Gericht stellt einen Durchsuchungsbeschluss aus.

Wie schnell das geht? Es reicht bereits wenn sie an einer Demonstration teilnehmen, in der gegen die Ausweitung der Befugnisse des Sicherheitsapparats protestiert wird. Oder wenn sie irgendwas anderes kritisieren. Oder wenn sie mit einer „verdächtigen“ Person kommuniziert haben.

Ein spezieller Regierungs-Router, nennen wir ihn einfach „KGB-Box“, kann sämtlichen Internetverkehr eines Providers über eine gesonderte, speziell geschützte unterirdische Hochgeschwindigkeitsleitung an den Geheimdienst übertragen. Benutzt der ausspionierte User irgendwelche halbwegs effektiven Verschlüsselungstechnologien, hat er bereits ein Gesetz gebrochen. Der Provider hat keinen Zugriff auf die KGB-Box, er muss nicht bei einer Abhöraktion informiert werden und er darf auch den Durchsuchungsbeschluss nicht sehen. Der oberste russische Gerichtshof verkündete, dass sich die Häufigkeit der „legalen“ Abhöraktionen in den vergangenen fünf Jahren schrittweise auf eine halbe Million p.a. vergrößert hat. Wieviele Wiretaps ohne Richter passieren, kann man nur schätzen.

Sind sie eine Privatfirma und wollen z.B. einen Konkurrenten ausspionieren, schmieren sie einfach einen Beamten wie General Alexander Bulbow mit umgerechnet 50.000 $ pro Opfer.

AlexBenesch
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