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Bund-Länder-Pakt für Zivilschutz, neue EU-Vorgaben und „Rückkehr der Bunker“

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Bild: AxelHH, Wikimedia, gemeinfei

Bundesfinanzminister Christian Lindner hat für das zuständige Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe BBK bisher lediglich Zusatzausgaben von zehn Millionen Euro vorgesehen. Insgesamt käme die kleine Behörde damit auf rund 240 Millionen Euro. Bisher sind nicht einmal Grundfunktionen gegeben, wie ein flächendeckendes Warnsystem, ausreichende Notbrunnen, Notstrom und ein schneller Helikoptertransport von lebenswichtigen Gütern.

So zeigte sich beim Warntag 2020, dass die digitalen und analogen Warn-Systeme aktuell nicht aufeinander abgestimmt sind. Beim Hochwasser kamen Warnungen sehr spät an und das digitale Funksystem versagte.

Die Rettungskräfte im Rhein-Sieg-Kreis stellen mitten in der Unwetternacht fest, dass sie über das digitale Funknetz, das für Milliarden Euros aufgebaut worden war, keine Verbindungen herstellen konnten. Der Blindflug ist so ziemlich das Schlimmste, was in einer Katastrophensituation wie dem Hochwasser noch obendrauf kommen kann. So kommen Lagemeldungen aus Orten wie Rheinbach und Swisttal in der Leitstelle nicht mehr an. So ähnlich wie im Golfkrieg 1991, als die USA Saddam Husseins Kommunikations-Infrastruktur lahmlegten, mussten die Behörden beim Hochwasser motorisierte Kundschafter mit Stift und Papier hin und herschicken. Niemand hatte anscheinend noch gewöhnliche analoge Funkgeräte herumliegen, die auf VHF und UHF senden, oder wenigstens PMR Walkie Talkies oder CB-Geräte.

Die Fluten zerstörten Basisstationen des digitalen Funknetzes, Stromleitungen und die Verbindungsleitungen zu den Vermittlungsstellen. BOSnet funktioniert ähnlich wie ein Mobilfunknetz und mietet sich teilweise sogar in die gewöhnliche Infrastruktur ein. Selbst da, wo Verbindungen noch möglich waren, gab es eine Netzüberlastung. Beim alten Analogfunk konnte man einfach die Sprechtaste drücken und Funksprüche wiederholt absetzen, bis jemand diese Funksprüche hört. Beim BOSnet scheiterte der Verbindungsaufbau und man war im Prinzip stumm.

Schon in der Corona-Pandemie zeigte sich, dass der Bund keine Atemschutz-Masken vorrätig hatte. Für eine Nationale Reserve Notstrom sieht der Plan der Grünen 200 Millionen Euro vor. Es ist insbesondere dafür gedacht, wenn es durch hybride Angriffe auf Stromversorger zu langanhaltenden, flächendeckenden Stromausfällen käme. Einsatzfähig wäre diese Nationale Reserve allerdings erst in fünf Jahren, was durchaus zu spät sein kann.

Bei der Sonder-Innenministerkonferenz in Brüssel legte der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius einen Vorschlag für einen “Bund-Länder-Pakt für den Zivil- und Katastrophenschutz” vor. Ein Betrag von etwa zehn Milliarden Euro solle aufgewendet werden. Selbst ein Sirenen-Förderprogramm würde Jahre dauern und eine Milliarde Euro extra brauchen. Zudem sieht das Papier einen Ausbau des modularen Warnsystems MoWaS, der NINA-Warn-App und Cell Broadcast vor. Kostenpunkt 400 Millionen Euro.

Zusätzlich fordert der Innenpolitiker für die Sicherstellung und Aufrechterhaltung der Staats- und Regierungsfunktionen eine geschützte Kommunikationsfähigkeit sowie eine Infrastruktur für Ausweichsitze relevanter Behörden für vier Milliarden Euro. Also atomwaffensichere Bunker. Für die Bevölkerung sollen zumindest mehr Schutzräume verfügbar sein.

Die deutsche Struktur sei im europäischen Durchschnitt sehr niedrig. Bis die geplante Wasser-Notbevorratung abgeschlossen ist, könnten fünf Jahre vergehen.

Ausweichsitz

Im Kalten Krieg existierte rund 25 Kilometer südlich von Bonn der sogenannte „Ausweichsitz der Verfassungsorgane des Bundes im Krisen- und Verteidigungsfall zur Wahrung von deren Funktionstüchtigkeit“.2 Die mehr als 17 Kilometer lange Bunkeranlage entstand unter großer Geheimhaltung in den 1960er Jahren, um insgesamt 3.000 Regierungsbeamten ein Ausharren von mindestens 30 Tagen zu ermöglichen. Alle zwei Jahre übte man darin im Rahmen der NATO-Pläne den Verteidigungsfall. 2008 wurde bekannt, dass die Anlage nur einer kleinen Atombombe hätte standhalten können und gar nicht den modernen Anforderungen entsprach. Der Auslandsgeheimdienst der DDR war außerdem über den spionierenden Handwerker Lorenz Betzing bestens informiert.

Hätten die Sowjets also tatsächlich angegriffen, wäre die Bundesrepublik sehr schnell handlungsunfähig im Chaos versunken. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war das Interesse an Zivilschutz fast vollständig erlahmt und erst ab der Wirtschaftskrise 2008 kam wieder neuer Schwung in die Angelegenheit, wobei die Presse sich regelmäßig lustig machte über die „Untergangspropheten“, Pessimisten und Profiteure des „Geschäfts mit der Angst“.3 Im Fernsehen zeigte man bevorzugt skurrile Außenseiter, die ihre Keller zu Bunkern umfunktionierten und einsam auf den Untergang warteten.4 Die deutsche Regierung beschwichtigt, dass es keinen konkreten Anlass gegeben habe, das Konzept für Zivile Verteidigung zu modernisieren.

In den vergangenen Jahren hat die staatliche deutsche Zivilschutzforschung wichtige und teils dramatische Publikationen veröffentlicht, die praktisch kaum einem Bürger bekannt sind. Die Wissenschaftler haben bis ins kleinste Detail ergründet, dass die Deutschen sehr schlecht auf Krisen vorbereitet sind und im Ernstfall nur drei bis fünf Tage alleine durchstehen könnten. Die Zentrallager der Discount-Supermärkte sind in rund zwei Wochen leer, es sei denn, Stromausfälle, IT-Probleme und Plünderungen legen den Betrieb schon vorher lahm. Die staatliche Lebensmittelreserve des Bundes muss zu weiten Teilen erst bei Bedarf verarbeitet und transportiert werden. Außerdem ist die staatliche Reserve nur als kurzfristige Überbrückung gedacht.

In anderen Ländern, wo die Bevölkerung mit Hurrikans, Erdbeben oder Ähnlichem rechnen muss, hat Zivilschutz eine viel stärkere Tradition. Kennen Sie das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe? Wahrscheinlich haben Sie noch nie bewusst zur Kenntnis genommen, dass es existiert und was es so alles treibt. Kennen Sie den Wust aus behördlichen Krisenübungen, Gefahrenabschätzungen, Analysen, Berichten, Empfehlungen, Stresstests, Koordinationseinrichtungen, Kommandostrukturen und komplexen Verbindungen zum Bundesministerium des Inneren und dem Bundesministerium für Verteidigung? Wohl kaum. Wussten Sie, dass das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) eine eigene Handy-App namens NINA für Notfall-Informationen anbietet?5 Ist Ihnen bekannt, dass es auch ein regelmäßiges, vom Staat herausgegebenes „Bevölkerungsschutz-Magazin“ gibt? Wie viele Bürger wissen von all diesen staatlichen Zivilschutz-Portalen und bürokratischen Analysen und Empfehlungen und mächtigen vernetzten Einrichtungen? Fast niemand.

Die neue Konzeption Zivile Verteidigung hält fest, dass sich das „sicherheitspolitische Umfeld verändert hat“, ohne dabei zu erwähnen, wie deutsche Rüstungsfirmen den Russen ganze Ausbildungszentren für zehntausende Soldaten pro Jahr verkauft haben oder wie die erneuerte Aufrüstung der russischen Streitkräfte ohne den schwunghaften Handel mit dem Westen kaum möglich gewesen wäre.6

„Die KZV folgt deshalb der Bedrohungseinschätzung der Bundesregierung, wie sie im „Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr“ beschrieben ist. Das Weißbuch legt einen Schwerpunkt auf das veränderte Sicherheitsumfeld und die daraus folgenden Herausforderungen für die Landes- und Bündnisverteidigung. Besonderes Augenmerk mit Blick auf die Landesverteidigung erhielten dabei hybride Bedrohungen sowohl durch staatliche als auch nichtstaatliche Akteure.“

Das heißt im Klartext, dass gefährliche Akteure bereits hier in unserem Land leben und vom Ausland gesteuert bzw. unterstützt werden. Man geht davon aus, dass Saboteure und feindliche Kämpfer die Infrastruktur attackieren würden, um Deutschland in die Knie zu zwingen und eine neue Ordnung zu etablieren.

Es gibt praktisch keinen Bereich, der nicht eingebunden wird in die neuen Schutzplanungen; ob nun die Lebensmittelindustrie, die Infrastruktur, Versorgungsunternehmen, Transport, IT oder Kommunikation. Dies liegt daran, dass der Ausfall auch nur eines einzigen Bereichs alle anderen Bereiche erheblich beeinträchtigen kann. Eine Seuche beispielsweise führt dazu, dass viele wichtige Arbeiter und Beamte gar nicht mehr zur Arbeit gehen würden. Ein Ausfall der Stromversorgung lähmt genauso alle anderen Bereiche. Eine Nahrungsmittelknappheit oder Trinkwassermangel würden dazu führen, dass alle Menschen sich fast nur noch auf die Beschaffung dieser grundsätzlichen Dinge konzentrieren. Nicht einmal die Bundeswehr hat genügend Mampf für den Kampf:

„Seitens der Streitkräfte besteht lediglich eine begrenzte Vorhaltung von Verpflegung für die Durchführung von Einsätzen, die eine durchhaltefähige Versorgung der Kräfte der Bundeswehr insgesamt nicht sicherstellt.“

Krieg kann auf alle möglichen Arten und auf allen möglichen Ebenen geführt werden, von unbekannten und inoffiziellen Kräften ohne Kriegserklärung:

„Als Konfliktformen vorherrschend zu erwarten sind nach aktueller Einschätzung sogenannte hybride Konflikte mit sowohl staatlichen als auch nichtstaatlichen Konfliktparteien und Gegnern, die symmetrische und asymmetrische Mittel einsetzen; zugleich bleiben angesichts vorhandener Potenziale und laufender Rüstung konventionelle Angriffe grundsätzlich möglich. Die wachsende Verwundbarkeit der modernen Infrastruktur und die Ressourcenabhängigkeit moderner Gesellschaften bieten vielfältige Angriffspunkte.“

Deshalb wird dem Zivilschutz auch eine gleichrangige Bedeutung wie den Streitkräften eingeräumt. Eine moderne Studie zeigt, dass man als Zivilist im Krieg genauso gefährdet ist wie als Soldat und dass fast zwangsläufig kriegsführende Parteien auf die gegnerische Zivilbevölkerung abzielen.

Kann man sich nun mit ein paar Kästen Mineralwasser und Dosenbohnen zurücklehnen, angesichts des vielen „Bürgerschutzes“ der von den Behörden betrieben wird? Mitnichten. Die japanischen Bürger gingen bis zu dem Fukushima-Desaster davon aus, dass der mächtige Staat zusammen mit der Atomindustrie alles im Griff hat. Dann versank das Land im Chaos. Hätte es bei der Tschernobyl-Katastrophe 1986 in der Ukraine eine massive weitere Explosion des Reaktors gegeben, was beinahe der Fall war, so hätte man nach heutigen Einschätzungen ganz Westeuropa evakuieren müssen. Selbst in Amerika, mit noch viel größerem Budget für Bürgerschutz und ausreichend Vorwarnungen, brach trotzdem nach Hurrikan Katrina das Chaos aus. Aufgrund der Versorgungskrise wollte man in den Staaten Louisiana und Mississippi den Ausnahmezustand auszurufen und das Kriegsrecht verhängen, was jedoch nur im tatsächlichen Kriegsfall erlaubt wäre. Dennoch wurde in der Stadt New Orleans am 1. September 2005 das Kriegsrecht verhängt und die Gouverneurin von Louisiana hatte die Nationalgarde aufgefordert, Plünderer zu erschießen. Der für Notfälle durch Hurrikane vorbereitete „Comprehensive Emergency Management Plan“ wurde vom Bürgermeister in New Orleans nicht aktiviert. Mehrere hundert Schulbusse, die bereitstanden, um zehntausende Bürger zu evakuieren, blieben ungenutzt stehen. Mehrere hundert kommunale Polizisten verließen einfach ihre Posten und waren somit für den Zusammenbruch der Sicherheitslage mitverantwortlich, in Einzelfällen beteiligten sie sich sogar an Plünderungen. Der Chef der Katastrophenschutzbehörde FEMA musste zurücktreten, weil er der Lage nicht Herr wurde, obwohl eigentlich Jahre vorher bekannt gewesen war, wie sich ein derartig starker Hurrikan auswirken würde. Solche Beispiele beschreiben nur die Folgen von Unfällen und Unwettern. Eine ganz andere Kategorie sind gezielte Attacken auf die Infrastruktur durch feindliche Cyberkrieg-Einheiten, biologische Kriegsführung in Form von Seuchen, die Zerstörung von Satelliten, nukleare Attacken und konventionelle kriegerische Auseinandersetzungen. Trotz der Flut an staatlichen Projekten, Behörden und Publikationen über den Bevölkerungsschutz ist äußerst fraglich, wieviel davon im Ernstfall wirklich funktioniert. Wichtiger als Bürgerschutz ist dem Staat nämlich der Staatsschutz. Der Staat ist sich selbst immer am wichtigsten. Komischerweise leisten die Deutschen sich einen aufgeblasenen Apparat an öffentlich-rechtlichen Medien im Umfang von mehreren Milliarden Euro, aber gesendet werden nur seichte Unterhaltungsprogramme und politisches Gelaber. Erst dann, wenn wirklich ein gravierender Ernstfall eintritt, wird ein System namens SatWaS aktiviert, von dem kaum ein Bürger weiß:

„Die Warndurchsagen der Zivilschutzverbindungsstellen oder der Warnzentrale in Bonn werden mit höchster Priorität an den Rundfunk übertragen. Die Warndurchsage beinhaltet die Aufforderung an den Redakteur, die laufende Sendung zu unterbrechen und den Text der Warndurchsage sofort über den Sender weiterzugeben. Die erste Aufbauphase wurde im Oktober 2001 abgeschlossen. […] Heute sind alle wesentlichen privaten Rundfunkbetreiber an das SatWaS angeschlossen. Ebenso wurden große Presseagenturen in das System integriert, die dann wiederum die amtlichen Gefahrendurchsagen an Ihre Medien- und Pressekunden weiterleiten.“ 

Es gab bereits Fälle, in denen die staatliche Lebensmittelreserve tatsächlich eingesetzt wurde: So verteilte man zum Beispiel 1986 nach der Katastrophe von Tschernobyl 1.000 Tonnen unbelastetes Milchpulver für deutsche Kleinkinder. Während der Osterfeiertage 1999 gelangten einige Hundert Tonnen der im Rahmen der zivilen Notfallreserve gelagerten Waren durch die Bundeswehr und verschiedene Hilfsorganisationen in das Kosovo, um dort bedürftige Flüchtlinge schnell und unbürokratisch mit Grundnahrungsmitteln zu versorgen.

Quellen:

[1] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/2016/konzeption-zivile-verteidigung.pdf?__blob=publicationFile

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Regierungsbunker_(Deutschland)

[3] http://cicero.de/kapital/video-das-geschaeft-mit-der-angst

[4] http://channel.nationalgeographic.com/doomsday-preppers/

[5] http://www.bbk.bund.de/DE/NINA/Warn-App_NINA.html

[6] https://de.rbth.com/wirtschaft/2014/03/10/rheinmetall_modernisiert_russlands_armee-ausbildung_28395

AlexBenesch
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