spot_img

Die Auslieferung von Julian Assange an die USA rückt näher

Datum:

Kommentar

Ein britischer Richter hat am Mittwoch die Auslieferung von Julian Assange an die Vereinigten Staaten wegen Spionagevorwürfen offiziell genehmigt. Der Fall wird nun dem britischen Innenminister zur Entscheidung vorgelegt, und der WikiLeaks-Gründer hat dennoch weitere Rechtsmittel, die er versuchen kann. Irgendwann gibt es kein Gericht mehr in Europa, an das er appellieren kann, sondern er muss sich an dem amerikanischen Rechtssystem versuchen.

Warum er überhaupt erst auf dem Höhepunkt der Wikileaks-Veröffentlichung nach Großbritannien eingereist war, ist nach wie vor ein bizarres Rätsel, das auch seine Fans nicht erklären können. Immerhin war sein Auslieferungsrisiko in Britannien viel höher als in Schweden, Frankreich oder der Schweiz.

Der Oberste Gerichtshof des Vereinigten Königreichs hatte Assange im vergangenen Monat die Erlaubnis verweigert, gegen die Entscheidung eines niedrigeren Gerichts Berufung einzulegen, dass er ausgeliefert werden könnte. Die USA haben die britischen Behörden gebeten, Assange auszuliefern, damit er wegen 17 Anklagen wegen Spionage und einer Anklage wegen Computermissbrauchs vor Gericht stehen kann. Amerikanische Staatsanwälte sagen, Assange habe der Geheimdienstanalytikerin der US-Armee, Chelsea Manning, unrechtmäßig geholfen, geheime diplomatische Depeschen und Militärakten zu stehlen, die später von WikiLeaks veröffentlicht wurden, wodurch Menschenleben gefährdet wurden.

Assanges Anwälte sagen, dass ihm bis zu 175 Jahre Gefängnis drohen, wenn er in den USA verurteilt wird, obwohl die amerikanischen Behörden sagten, dass die Strafe wahrscheinlich viel niedriger sein wird. Assange wird seit 2019 im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London festgehalten. Davor verbrachte er sieben Jahre in der ecuadorianischen Botschaft in London, um einer Auslieferung nach Schweden zu entgehen, wo ihm Vergewaltigung und sexuelle Übergriffe vorgeworfen wurden.

Die Menschen lieben einfach gestrickte Fälle und ein simples Gut-Böse-Schema. Dementsprechend gilt er entweder als ideologisch-politisch verbrämter Verräter der amerikanischen Sicherheitsinteressen, oder als klassischer Whistleblower-Held. In Wirklichkeit ist der Fall kompliziert und wesentlich interessanter.

Das Leaken von Datenbanken, die gerade einmal als „SECRET“ eingestuft waren, hatte nie das Potenzial, etwas Wesentliches zu verändern. Dafür waren die Datenbanken über die Kriege in Afghanistan und im Irak viel zu stark von vorneherein bereinigt. Whistleblowing ist nur geschützt, wenn spezifisches, eng umrissenes Material zu rechtlich verbotenen oder umstrittenen Vorgängen auszugsweise veröffentlicht wird. Das winzige Team von Wikileaks war nicht in der Lage, das ganze Material wirklich zu sichten und auszuwerten. Ausgewählte Massenmedien übernahmen diese Arbeit und sponnen daraus Narrative, die die Bush-Administration weitestgehend in Schutz nahmen. Trotzdem sah man einen übertriebenen Hype um Wikileaks und die Veröffentlichung von Daten.

Vor der Berühmtheits-Phase hätten Assange und sein deutscher Sidekick Daniel Berg bereits in Schwierigkeiten mit den Amerikanern geraten können wegen der Veröffentlichung einer Militärdatenbank, die den Gegnern nützlich hätte sein können. Ein paar Telefonanrufe in der Szene hätte sofort ergeben, dass die beiden bei der Großveranstaltung des Chaos Computer Clubs in Berlin ihr Projekt frühzeitig vorgestellt hatten.

Assange hatte in den 1990er Jahren mit der australischen Polizei kooperiert und erhielt bald darauf eine äußerst milde Geldstrafe für Anklagen wegen schwerwiegenden Hacking-Aktionen.

Die Anklagepunkte drehen sich bisher grob gesagt um Spionage, allerdings wurde in den USA mit Hilfe von Wikileaks-Material teilweise erheblich in Wahlkämpfe eingegriffen. Wenn eine Ablenkung benötigt wurde, kamen plötzlich neue Veröffentlichungen wie etwa die E-Mails von John Podesta. Es ist nach wie vor ungeklärt, inwiefern beispielsweise Roger Stone verwickelt war in die Koordination und welche Rolle Alex Jones von Infowars spielte. Letzterer äußerte öffentlich, dass Assange rekrutiert worden sei von hohen konservativen Kreisen. Gleichzeitig wurden Stone und Jones aufgefordert, auszusagen über den Sturm auf das Kapitol. Auch Steve Bannon könnte wegen Wikileaks und dem Kapitolssturm massiver Ärger drohen. Hatte man tatsächlich krumme Dinger gedreht, wäre der Fallout für einige Personen und die Republican Party signifikant. Auch generell würden andere Zeiten anbrechen für Whistleblowing online. Es ist eine Sache, wenn man gezielt Informationen leakt, die ein Verbrechen beweisen oder stark nahelegen und es keinen anderen passablen Weg gab, die Sache zu behandeln. Es ist etwas anderes, riesige Datenbanken zu leaken, die man gar nicht wirklich überschauen kann. Es ist erst recht etwas anderes, quasi wie auf Bestellung einen Skandal zu liefern gegen eine bestimmte amerikanische Partei; vor allem wenn Wikileaks als Zwischenhändler/Lieferant von Nicht-US-Bürgern geführt wird. Julian Assange war schon immer ein schwarzes Loch, ein Minenfeld, ein riskantes Pokerspiel. Der erhoffte Siegeszug für Online-Aktivismus kann schnell in einer krachenden Niederlage enden wegen diesem einen Mann. Seit Jahren gibt es eine sehr aggressive Ermittlung im Fall Wikileaks und die US-Behörden werden kaum etwas anbrennen lassen, um sich nicht vor Gericht zu blamieren. Nach wie vor ist geheim, inwiefern die geleakten Datenbanken echten, messbaren Schaden verursacht haben, also ob Informanten der USA im Irak und Afghanistan deswegen enttarnt und ermordet werden konnten inklusive ihrer Familien, ob Soldaten der USA oder der Koalitionspartner getötet wurden, oder ob wichtige Missionen abgebrochen oder verzögert werden mussten. Vor Gericht müssen längst nicht alle Fakten auf den Tisch gelegt werden wegen der Geheimhaltung. Aber sobald irgendwelche Toten (vor allem Kinder) nachweisbar sind, ist das Spiel für Assange aus. Spionage mit gravierenden Sicherheitsfolgen für die USA. Der Hammer fällt.

Roger Stone

In einer älteren Anklageschrift gegen Roger Stone heißt es:

Später an diesem Tag, am oder um den 4. Oktober 2016 herum, wurde STONE von dem mit der Trump-Kampagne befassten Unterstützer per SMS gefragt, ob er „noch etwas aus London gehört hätte“. STONE antwortete: „Ja – ich will auf einer sicheren Leitung sprechen – hast du Whatsapp?“ STONE erzählte dem Unterstützer anschließend, dass mehr Material veröffentlicht werden würde und dass es der Clinton-Kampagne schaden würde.

Roger Stone arbeitete direkt für Infowars und Alex Jones, wie auch Jerome Corsi. Die beiden schrieben sich gegenseitig E-Mails, die sich anhörten wie eine Koordination zwischen Wikileaks und der Trump-Kampagne mitten im Wahlkampf. Jones deutete an, vorab Zugang bekommen zu haben zu dem Wikileaks-Material, das im Wahlkampf ablenkte von dem peinlichen „Pussy-Tape“ von Trump, das an die Presse gelangte.

Im Oktober 2016 schien Donald Trumps Präsidentschaftskamapgne am Ende: Aufnahmen liefen im Fernsehen wie er abfällig und arrogant über Frauen sprach: “You can do anything. Grab them by the pussy”. Weniger als eine Stunde später veröffentlichte Wikileaks einen Haufen gestohlene E-Mails von den Democrats und schaffte damit ein Ablenkungsmanöver. Jerome Corsi, ein schräger Investigativautor, erklärte dass der trickreiche Roger Stone ihn an jenem Tag frühzeitig darauf gedrängt hätte, seinem “Kumpel” Julian Assange zu sagen, dass jener loslegen soll. Auch weitere Kommunikationen erwecken den Eindruck, Corsi und Stone koordinierten mit Wikileaks.

Assange selbst prahlte in einer Email von 2007, dass seine Organisation heimlich Daten kopieren würde, die von Hackern gestohlen wurden, darunter auch die “russische Phishing Mafia die überall Daten abzieht.”

Sowohl Corsi als auch Stone arbeiteten eng mit Infowars zusammen, wo die Leaks ausgiebig benutzt und teils auch noch fantasievoll weitergesponnen wurden. Alle im Umfeld von Infowars geben sich völlig ahnungslos. Keiner hätte Assange gekannt, niemand hätte wirklich gewusst was passieren wird. Das alles sei nur eine Verschwörungstheorie der Democrats. Am 21. August 2016 schrieb Stone auf Twitter:

 “Trust me, it will soon the Podesta’s time in the barrel.”

Corsi erzählt, dass Stone ihn später kontaktiert hätte mit der Bitte, einen Weg zu finden, den Eindruck zu vermeiden, dass es Vorwissen gab zu dem Podesta-Leak. Corsi hätte dann schnell ein Memo über Podestas Geschäfte zusammengeschustert, um Stone eine Ausrede zu verschaffen. Stone meinte dann ärgerlich, Corsi erzähle groben Unsinn, weil er Angst habe vor den Mueller-Ermittlungen.

Corsi beharrt immer noch darauf, dass er einfach nur irgendwie erraten hätte, dass Podesta-Leaks kommen würden. Desweiteren sei die Mueller-Ermittlung eine gemeine Hexenjagd. Inzwischen sind aber Corsis eigene Emails geleakt und es sieht sehr schlecht für ihn aus. Am 2. August 2016 schrieb er an Stone:

“Word is friend in embassy plans 2 more dumps. One shortly after I’m back. 2nd in Oct. Impact planned to be very damaging.”

Der “friend in embassy” ist niemand anderes als Julian Assange, der über Jahre hinweg in der ecuadorianischen Botschaft in London festsaß. Dass Corsi und Stone nicht exklusiv über verschlüsselte Kanäle kommunizierten, überrascht. Aber selbst verschlüsselte Kommunikationsmethoden wären kein Problem für die NSA. Wenn also Assange selbst über die geplanten Veröffentlichungen haarige Statements machte in verschlüsselten Chats, kann das bei den Ermittlern landen und üble Konsequenzen haben. Bekanntermaßen gab es in Wikileaks mindestens einen ernsthaften Spion, der ganze Festplatten voll mit internem Material an das FBI lieferte. Wird Assange an die USA ausgeliefert und gesteht russische Kontakte oder eine russische Agenda bzw. ist die Beweislast erdrückend, wäre dies ein Skandal, der größte internationale Auswirkungen hätte.

Assange selbst ist höchst suspekt und könnte theoretisch auch (indirekt) für westliche Geheimdienste gearbeitet haben, um die Russen in größtmöglichen Ärger zu verwickeln. In den 1990er Jahren erhielt Assange eine verblüffend milde Strafe in Australien für schwerste Hacking-Verbrechen und wir erfuhren, dass er vor dem Urteil mit der Cybercrime-Abteilung der australischen Polizei gearbeitet hatte.

Dieses Desaster hat längst das Infowars-Büro erreicht. Alex Jones wurde gezwungen, Kommunikationen mit Jerome Corsi offenzulegen und er erwartet, dass er ebenfalls angeklagt wird.

Die Washington Post veröffentlichte einen Artikel, in dem verschiedene Aussagen zitiert sind zu der Frage, ob Corsi einen Vertrag mit Infowars von 15.000$ pro Monat als eine Art Schweigegeld erhalten hatte, um keine heiklen Aussagen zu tätigen. Und die Aussagen von Alex Jones, Corsi, Stone und Jones’ Vater passen nicht wirklich zusammen.

AlexBenesch
AlexBenesch
Senden Sie uns finanzielle Unterstützung an: IBAN: DE47 7605 0101 0011 7082 52 SWIFT-BIC: SSKNDE77 Spenden mit Paypal an folgende Email-Adresse: [email protected]
spot_img
spot_img
spot_img
spot_img
spot_img
spot_img
spot_img

Related articles

Alexander Benesch bei „konsequent frei“ über die Stile der Imperien

Alex Benesch bei "konsequent frei" über Russland und die unterschiedlichen Stile der Imperien. https://youtu.be/WJJ4Me-cXxE

Alex Benesch zu Gast live bei Irfan Peci (19.04.24) ab 20 Uhr

Die Themen: Adel & MachtstrukturenInfluencer wie Alex Jones, Tucker Carlson, Jordan Peterson: Wie sinnvoll ist deren Arbeit und was...

Zwei Deutschrussen verhaftet wegen mutmaßlichen Sabotage-Vorbereitungen im Auftrag Russlands

Kommentar Generalbundesanwalt Jens Rommel hat nach Presseberichten zwei mutmaßliche Agenten festnehmen lassen, die im Auftrag des russischen Geheimdiensts Sabotageaktionen...

Israel wählt anscheinend Bodeninvasion von Rafah statt größeren Angriff gegen Iran

Laut einem Bericht der katarischen Zeitung The New Arab vom Donnerstag haben die USA einer möglichen israelischen Rafah-Operation...