Kommentar
Die Corona-Quertreiber haben eine neue Strategie für sich entdeckt: Man bezeichnet Impfungen nicht mehr nur als massive Gefahr für den Geimpften, sondern vor allem auch als Bedrohung für die Nicht-Geimpften. Die Geimpften würden durch sogenanntes „Shedding“ von giftigen Partikeln andere Menschen akut gefährden, als seien sie Aussätzige, die es zu meiden gilt. Die Geimpften seien die wahre Pandemie, die es einzudämmen gilt. Zudem würden die Geimpften ja auch nicht die „leicht zu verstehende“ Manipulation anerkennen bei PCR-Tests und Totenstatistiken. Dies macht die Geimpften zu einer doppelten Bedrohung; physikalisch und geistig.
Boris Reitschuster wurde nun wegen solcher „Shedding“-Propaganda auf Twitter gesperrt. Er wähnt natürlich die große Weltverschwörung dahinter. Eine der Schlagzeilen auf seiner Webseite lautete: „Kinder können an Spike-Protein von Geimpften sterben“. Genauso könnte man eine Schlagzeile bringen: „Kinder können in Swimming Pools ertrinken“. Die würde aber niemand anklicken.
In Wirklichkeit gibt es keine nennenswerten Informationen, die diese Panikmache zu „Shedding“ stützen würden.
Worauf stützen diese Autoren ihre Behauptung, dass Spike-Protein pulmonale Hypertonie verursachen kann? Sie zitieren die dürftigsten Beweise, und nicht mal sehr viele davon. Eine Studie der Autoren, zwei Beobachtungen, eine mit Spike-Protein und eine mit tatsächlicher Virusinfektion, sowie eine alte Studie mit SARS-Spike-Protein. Ich sage dies, weil betont werden muss, dass es sich bei dem, was die Autoren berichteten, um Patienten handelte, die an einer Infektion mit dem gesamten Virus SARS-CoV-2 starben. Sie müssen die Auswirkungen einer vollständigen Infektion und die Wirkung vom Spike-Protein allein trennen, und die Autoren haben dies nicht getan, außer als Auftakt zu Spekulationen, dass Spike-Protein allein pulmonale Hypertonie verursachen könnte.
Weitere von Corona-Aktivisten zitierte Papers sind ebenso nichtssagend.
Wenn es nach mehr als einer Viertelmilliarde verabreichten Impfstoffdosen allein in den USA ein Sicherheitsproblem aufgrund von Spike-Protein gegeben hätte, hätte es angesichts der beispiellos intensiven Bemühungen zur Überwachung der Impfstoffsicherheit, die mit der Einführung von Impfstoffen einhergingen, inzwischen eine Sicherheitswarnung gegeben über diese Impfstoffe.
Mit der nüchternen Faktenlage kann man aber keine Schock-Schlagzeilen schreiben so wie bei Reitschuster und anderen. Man kann sich nicht vermarkten als investigativer Journalist, Aufdecker, Held und Retter der Menschheit. Wieviel Spenden und Klicks würde eine Schlagzeile bringen wie: „Vereinzelte Papers legen nahe, dass es in seltenen Fällen vielleicht zu Komplikationen kommen kann mit Spike-Proteinen von Corona-Impfstoffen“?
Reitschusters Autor Euler kommt nun sensationsgeil mit einer „Studie“ daher, die behauptet: „Die Covid-19-Impfung erhöht die Sterblichkeit von ungeimpften Kindern in Europa.“
Der zitierte/erwähnte Forscher Seligmann will in den Sterbezahlen auf Euromomo erkannt haben, dass sich die Gesamtmortalität bei den ungeimpften Kindern seit Beginn der Corona-Impfungen erhöht hat. In über 20 europäischen Ländern mit insgesamt 60 Millionen Kindern unter 15 Jahren meint er, dass eine Zunahme von 1% der Impfungen zusammenhinge mit dem Tod von insgesamt 29 Kindern. Ob das wirklich am sogenannten Shedding liegt, weiß er nicht. Es heißt:
Bei den Kindern sind die Sterberaten sehr niedrig. Eine wöchentliche Zunahme der Impfungen um 2 % bedeutet 58 zusätzliche Todesfälle bei 60 Millionen Kindern unter 15 Jahren, etwa 1 Kind pro Million. Eine volle Extrapolation dieses Effekts auf die Impfung würde 5 Tote auf 100000 Kinder aufgrund indirekter Impfwirkungen bedeuten.
1 Kind pro Million? Und er kommt nicht auf den Gedanken, dass vielleicht ein paar alte Leute, die sich impfen lassen mit Astra Zeneca, ein bis zwei Tage grippe-ähnliche Nebenwirkungen haben und deshalb vielleicht schlechter auf kleine Kinder aufpassen können, die dann in den Pool fallen? Ist es so undenkbar, dass dies in einem von einer Million Fälle auftritt?
Der Forscher Seligmann bedankt sich am Ende seines Textes bei Haim Yativ von nakim.org. Aus genau dieser Richtung kam bereits ein dickes Fake: Es hieß, eine Analyse anhand von Daten des israelischen Gesundheitsministeriums zeige, dass Geimpfte angeblich „eine 40 Mal höhere Mortalität als Ungeimpfte“ hätten. Das israelische Gesundheitsministerium hatte diesen Blödsinn zurückgewiesen. Die Quelle der Behauptung ist ein Text von Haim Yativ, der am 15. Februar auf der Webseite Nakim.org auf Englisch und Hebräisch erschien. Haim Yativ ist einem Bericht von Israel National News zufolge Ingenieur. Yativ hatte den Text offenbar mit Hilfe von Hervé Seligmann geschrieben. Mit absonderlichen Berechnungen sorgte man für die Steilvorlage, die von diversen Corona-Aktivisten als Sensation verkauft wurde. Nun soll es einen zusätzlichen Todesfall pro Million Personen geben; angeblich wegen Shedding durch Impfungen. Seligmanns Forschungspartner haben fast allesamt entweder chinesische oder russische Namen. Es tauchen sogar eine „Shi Chen“ und ein Lianrong Wang auf von der Wuhan University!
https://www.intechopen.com/profiles/118814/herve-seligmann
Für den durchschnittlichen Reitschuster-Leser hört es sich einfach mordsmäßig seriös an, wenn ein Forscher ein Paper veröffentlicht, laut dem Shedding bei Corona-Geimpften irgendwelche Kinder umbringt. Seligmann hat eine Reihe an Papers rausgehauen zum Thema COVID-Pandemie:
https://www.researchgate.net/profile/Herve-Seligmann
So hat er erst im Mai 2021 einen Text veröffentlicht (basierend wieder einmal auf Haim Yativ) zu Corona-Impfungen, der auch in einer Petition landete beim israelischen Obersten Gerichtshof. Seligmann sei selbst israelischer und luxemburgischer Staatsangehörigkeit. Es ist pure Panik-Propaganda, die so ziemlich jedes Querdenker-Element enthält, ob nun die vermeintliche Tödlichkeit der Impfungen, über die angebliche Steigerung von Infektionen durch die Impfung über das Einbauen von Spike-Erbgut ins menschliche Erbgut. Er wirkt wie ein Aktivist mit Feuer und Flamme und scheint sich nicht die Bohne zu interessieren für die Gefährlichkeit von SARS-Cov-2.
In der großen Fachpublikation The Lancet gibt es zum Beispiel eine Übersicht, wie viele Corona-Tote jünger als 15 Jahre es in einem größeren Zeitraum in den USA gegeben hat: 134. In allen beobachteten Ländern kommt man auf eine Sterblichkeit von 0,17 per 100.000. Das ist nicht viel, aber auch nicht nichts.
https://www.thelancet.com/journals/lanchi/article/PIIS2352-4642(21)00066-3/fulltext
In Brasilien, wo die Regierung einen laxeren Umgang mit der Pandemie angeordnet hatte und wo das Gesundheitssystem demjenigen der USA und in Europa hinterherhinkt, starben in über einem Jahr Pandemie rund 1300 Babys, oftmals an multi-system inflammatory syndrome (MIS) als Folge einer Corona-Infektion.
https://www.bbc.com/news/world-latin-america-56696907
Die offiziellen Zahlen liegen wohl stark unterhalb der Realität:
Aber Dr. Marinho schätzt, dass mehr als doppelt so viele Kinder an Covid gestorben sind. Ein ernstes Problem der Unterberichterstattung aufgrund fehlender Covid-Tests führt zu einem Rückgang der Zahlen, sagt sie. Dr. Marinho berechnete den Überschuss an Todesfällen durch nicht näher bezeichnetes akutes Atemwegssyndrom während der Pandemie und stellte fest, dass es zehnmal mehr Todesfälle durch ungeklärtes Atemwegssyndrom gab als in den Vorjahren. Indem sie diese Zahlen hinzufügt, schätzt sie, dass das Virus tatsächlich 2.060 Kinder unter neun Jahren getötet hat, darunter 1.302 Babys.
Viel wichtiger Kontext fehlt also in der Story bei Reitschuster oder wird nur am Rande erwähnt. Sogleich folgt beim Scrollen der großflächige Hinweis an den Leser, doch bitte Geld zu spenden für solche Berichte. In den Kommentaren bricht der Hass durch gegen die Geimpften:
- „Das Gros der Bevölkerung ist dümmer, gestern behauptete glatt einer, die Mutationen würden von den ungeimpften ausgehen“
- „Meine Erfahrung nach über einem Jahr hat gezeigt…. alles Reden nützt nichts! Man kann Leute noch so gut aufklären, sie sagen dann zwar ja… das stimmt schon was du sagst. Man selbst denkt dann (die haben es gerafft! Die werden sich jetzt wahrscheinlich nicht impfen lassen)… ein paar Wochen später haben sich wirklich alle dieser Personen impfen lassen mit absolut dummen Begründungen….“
- „Das solltest Du aber haben, sogar eine Riesenangst, nämlich vor den Geimpften. Das perfide an der Sache ist ja, die bilden diese Spike-Proteine usw. selbst und sondern den Dreck dann durch Atmung, husten, niesen usw. an die Umwelt ab. Angeblich sind die ja relativ geschützt, aber Ungeimpfte werden dann infiziert, geh Geimpften, so Du denn weisst, es sind welche, in weitem Bogen aus dem Weg…“
- „Traue mich kaum das jetzt zu schreiben, aber zum Schutz der Ungeimpften könnten die Sch…-Masken vielleicht am Ende doch noch sinnvoll sein (Maskenpflicht nur für Geimpfte, das wäre der Brüller).“
Auf Reitschuster erfährt man noch, dass der „Erfinder der mRNA-Impfung“ Robert Malone kürzlich gewarnt hätte, das SARS-CoV-2-Spike-Protein sei zytotoxisch. Erstens lieferte er nur frühe Grundlagen im Jahr 1989 und nicht etwa die erste echte mRNA-Impfung. Zweitens wechselte dann das Forschungsgebiet und die Welt hat sich inzwischen 30 Jahre lang weitergedreht. Würde Reitschuster den relevanten Kontext liefern, hätte er keine Schock-Meldungen und keine Spenden.
Reitschuster und ähnliche Figuren können natürlich in simple Schwarz-Weiß-Malerei verfallen und unterscheiden zwischen der „Meinungsdiktatur“ auf der einen Seite und seinem „Investgativjournalismus mit unterdrückten Meinungen“ auf der anderen. Nach dem Motto: Wenn die anderen einseitig sind, dann darf ich das auch. Es ist kein Verbrechen, aus halbgaren Papers und umstrittenen Meinungen Schock-Schlagzeilen zu basteln und dafür Spendengelder zu kassieren, weil das Publikum denkt, Reitschusters Zeug könnte Leben retten oder die Pandemie beenden. Aber er macht es dadurch den Social-Media-Firmen leicht, ihn zu sperren und zu löschen.
