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Die Weltsicht der Hamas fußt auf Desinformation der britischen Geheimdienste

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Bild: Hoheit/CC BY-SA 2.0 de

In ihrer am 18. August 1988 veröffentlichten Gründungscharta bezog sich die Hamas auf die „Protokolle der Weisen von Zion.“ In Artikel 22 erklärt die Charta, die Protokolle seien echt, die Freimaurer, der Lions Club und der Rotary-Club arbeiteten insgeheim „im Interesse der Zionisten“. Die Juden seien für die Französische Revolution, den „westlichen Kolonialismus“, den Kommunismus und die Weltkriege verantwortlich:

„Es gibt keinen Krieg, wo sie nicht ihre Finger im Spiel haben…“

Dies entspricht 1:1 der gewöhnlichen Verschwörungsliteratur im Westen und in Russland. Es handelt sich um ein komplett verkehrtes Geschichtsbild, das gezielt gestreut wurde, um die Aufmerksamkeit weg vom Hochadel des britischen Kolonialreichs zu lenken und hin auf ein Phantom.

Das wesentliche Fundament der Desinformation ist die Vorstellung, dass der Adel seine Macht verloren hätte an eine winzige Gruppe jüdischer Kleinfamilien wie die Rothschilds, Schiffs und Warburgs. Absolut zentral ist der Rothschild-Waterloo-Mythos, laut dem Nathan Rothschild als erster den Ausgang der berüchtigten Schlacht erfahren hätte und mit diesem Wissensvorsprung den Aktienmarkt in Britannien gnadenlos abzocken konnte. Mit diesem Reibach sei die Übernahme des Finanzbezirks „City of London“ und der Zentralbank „Bank of England“ gelungen. Nichts davon ist wahr. Ansonsten sollen sich Monarchen und Aristokraten noch leichtsinnig bei jüdischen Geldverleihern verschuldet haben und in Abhängigkeit geraten sein. Das mächtige, weitverzweigte britische Empire des Welfen-Adels soll sich im Prinzip ein paar jüdischen Kleinfamilien unterworfen haben. Einfach so. Ohne irgendeine erkennbare Gegenwehr. Kein Rothschild wurde verhaftet, enteignet oder fiel einem Attentat zum Opfer.

Diese Darstellung ist völlig absurd und unterstellt, dass die Welfen keine ausreichenden geheimdienstlichen Kapazitäten besaßen, um sich zu schützen, und dass im Gegenzug jüdische Kleinfamilien geheimdienstliche Wunder vollbracht hätten und bald darauf dieses Wunder in den USA noch einmal wiederholen konnten.

Es handelt sich um ein geschlossenes geistiges System, das sich endlos im Kreis dreht mit zirkulärer Argumentation: Die jüdische Weltverschwörung sei real, weil es die Protokolle von Zion so besagen. Dass die Protokolle eine Fälschung sind aus älteren Text-Fragmenten, gilt als bedeutungslos, weil ja das 20. Jahrhundert bewiesen hätte, was in den Protokollen steht. Wie aber interpretieren die Verschwörungstheoretiker das 20. Jahrhundert? Naja, gemäß den Protokollen von Zion. Und die Protokolle müssen stimmen, weil die Rothschilds ja damals nach der Schlacht von Waterloo die britische Börse abgezockt hatten und danach gleich die City of London und die Bank of England übernahmen, ohne irgendwie aufgehalten zu werden. Was sind die Beweise dafür, dass die Rothschilds derartig das britische Empire übernehmen konnten? Naja, die Protokolle von Zion eben. Und die klassischen Bücher der Verschwörungsliteratur. Was sind die Quellen dieser Verschwörungs-Bestseller-Bücher? Ältere Verschwörungsbücher und die Protokolle von Zion. Und was sind die Quellen dieser älteren Verschwörungsbücher? Noch ältere Verschwörungsbücher. Und was sind die Quellen dieser noch älteren Verschwörungsbücher? Fakes von Leo Taxil, Fakes von anderen Urhebern, nicht genannte angebliche Illuminati-Insider, sowie öffentlich bekannte und wenig aussagekräftige Infos.

Nach dem Ersten Weltkrieg war die deutsche Bevölkerung sehr wütend auf Britannien und interessanterweise sahen wir genau dann eine Propaganda-Offensive, die den Eindruck erweckte, die jüdische Verschwörung an der Spitze Britanniens und Amerikas hätte den Krieg gegen die Deutschen forciert gegen den Willen des britischen Adels. Zusätzlich hieß es, dieselbe jüdische Verschwörung hätte die Kommunistische Revolution in Russland vollzogen und den Romanow-Adel beseitigt, der mit dem britischen Thron engstens verwandt war. Dieses propagandistische Ablenkungsmanöver entwickelte eine dermaßen starke Dynamik, dass die chaotischen 1920er Jahre und auch die Weltwirtschaftskrise von einem gewichtigen Teil der deutschen Bevölkerung interpretiert wurde als eine jüdische Kampagne der Zersetzungsmaßnahmen.  

Die “Protokolle der Treffen der gelehrten Alten von Zion” sind ein zusammengefälschter Text aus Russland ungefähr aus dem Jahr 1900, der etwas später von einflussreichen Amerikanern und Briten einem Massenpublikum zugänglich gemacht wurde und die Literatur über Verschwörungen bis heute stark beeinflusst. Die Autoren der Protokolle wiederum waren selbst beeinflusst worden durch ältere Verschwörungsliteratur und hatten sich nicht einmal die Mühe gemacht, sich den ganzen Text auszudenken, sondern übernahmen Teile aus einer Satire von Maurice Joly, aus dem Roman Biarritz und aus Theodor Herzls „Der Judenstaat“.

Der Text an sich ist ein Durcheinander und lahmes Gefasel, das praktisch von jeder Person hätte verfasst werden können, die vertraut war mit der gängigen antisemitischen Literatur. Im Prinzip sind die Protokolle so konstruiert worden, dass sie als Gegenstück und scheinbare Bestätigung der vorherigen Verschwörungs-Literatur wirkten.

Die einzelnen „Protokolle von Zion“ sind weder thematisch noch sonst irgendwie stringent geordnet, sondern wiederholen nur das immergleiche Gerede, wie man die Presse und die Finanzwelt und Politik kontrollieren würde. Protokoll #1 besteht nur aus allgemeinen Phrasen zum Thema Macht versus Freiheit und wie manipulierbar die Masse der Bevölkerung sei. Protokoll #2 verlautbart, dass die Judenverschwörung die Kontrolle über die Presse und über Gold besäße. Protokoll #3 dreht sich um die Vernichtungsabsicht gegenüber Nichtjuden. Protokoll #4 ist mehr allgemeines Gerede. Protokoll #5 handelt davon, wie die Nichtjuden zu zerstritten seien, um eine Koalition gegen die Judenverschwörung zu bilden. Außerdem würde man Verwirrungstaktiken benutzen, damit die Leute Politik nicht richtig verstehen können. Protokoll #6 redet davon, dass die Aristokratie keine politische Macht mehr besäße, sie aber wegen ihrem Reichtum immer noch eine potenzielle Bedrohung darstellt. Genau dieser Gedanke verleitete auch die Nationalsozialisten zur Kooperation mit den Welfen. Protokoll #7 beschreibt, dass man problematische Länder automatisch in Kriege mit den Nachbarstaaten verwickeln möchte. Antisemiten lasten prinzipiell jeden bedeutenden Kriegsausbruch der Judenverschwörung an. Protokoll #8 handelt von der Juristerei und Ökonomie, die die Judenverschwörung für ihre Zwecke benutzen will. Protokoll #9 enthält diverse Punkte, die bereits in vorherigen Protokollen mehrfach abgehandelt wurden. Protokoll #10 ist noch mehr schwammiges Gerede darüber, wie man gezielt das „Gift des Liberalismus“ ausgebracht habe, um Staaten und Gesellschaften zu zersetzen. Politiker, die man erpressen kann, würden gezielt gefördert werden. Protokoll #11 verspricht, nach all dem Gerede über den Ist-Zustand der jüdischen Weltverschwörung aus den ersten 10 Protokollen, endlich die Strategie zu offenbaren für die Zukunft, um endgültig und unwiderruflich die Weltherrschaft zu sichern. Aber man erfährt nichts, was nicht schon zuvor behandelt wurde. Protokoll #12 dreht sich wieder um Kontrolle über die Presse. Irgendwelche tieferen Einblicke erhält man nicht. Es geht immer so weiter bis einschließlich Protokoll #24. Für eine Fälschung ist die Qualität hundsmiserabel und es ist offensichtlich, dass man sich damit keine Mühe gegeben hat. Es war vielmehr die Aura, die man um die Protokolle herum schuf, die die Wirkung ausmachte; nicht der eigentliche Text. Die Protokolle verraten kein einziges, tatsächlich nachprüfbares Geheimnis, keine einzige geheime Technik oder Methodik, es lässt damit kein einziger jüdischer Agent enttarnen und keine einzige konkrete Operation. Der nachrichtendienstliche Wert dieser „Enthüllung“ ist also Null, was eben typisch ist für eine komplette Fälschung. Wenn wir die Protokolle vergleichen mit Victor Ostrovskys Enthüllungsbuch über den israelischen Geheimdienst Mossad, dann erkennen wir, dass Ostrovsky tatsächlich geheime Operationen, Namen und Methoden verrät. Bei einer guten Fälschung sind interessante Geheimnisse enthalten, die verraten werden. Die Protokolle sind leer und hohl. Deshalb wurden auch in verschiedenen Print-Editionen so viele Vorwörter, Kommentare und ausführliche Schlusswörter angefügt, sowie vermeintlich neu entdeckte Zusatz-Protokolle, um die Fälschung irgendwie interessanter und überzeugender aussehen zu lassen. Es ist der typische Effekt der Echokammer und Filterbase, wenn jemand nur noch antisemitische Texte liest und in der Welt dann überall scheinbare Bestätigungen sieht. 1919 veröffentlichte die amerikanische Zeitung Philadelphia Public Ledger übersetzte Auszüge aus den Protokollen unter dem Titel „Rote Bibel“, die etwas umgeschrieben wurden, damit es aussah, wie ein Dokument der russischen Bolschewisten. Der verantwortliche Carl W. Ackerman bekam später ausgerechnet den Chefposten bei der Journalismus-Fakultät der elitären Columbia University, die ursprünglich von dem britischen König George II. gegründet worden war. Der Besitzer der Zeitung war der unglaublich reiche Cyrus H. K. Curtis und von 1918 bis 1921 war auch der ehemalige US-Präsident William Howard Taft ein Autor. Taft war Mitglied der gefährlichen Geheimorganisation Skull&Bones, die sich rege beteiligt hatte an der bolschewistischen Revolution in Russland und der Versorgung des neuen sowjetischen Regimes mit westlichem Geld und westlicher Technologie. Skull&Bones wurde später vom Historiker Antony Sutton entlarvt anhand von Originaldokumenten. Skull&Bones geht zurück auf den Einfluss der britischen Krone. Hier hatten wir also „Journalisten“ aus einem Milieu, das mit geheimdienstlichen Methoden Russlands Zarenherrschaft beendete und den Sowjetkommunismus unterstützte, und genau diese Journalisten verbreiteten als Ablenkungsmanöver die gefälschten Protokolle von Zion über eine jüdische Weltverschwörung zur Etablierung des gottlosen Kommunismus und zur Auflösung von Nationen. Jedes Mal also, wenn das britische Imperium irgendwo auf der Welt eine bedeutende Geheimoperation für den Umsturz einer bestehenden Ordnung vornahm, lancierten die britischen Geheimdienste gleichzeitig in der Öffentlichkeit verlogene Bücher und Pamphlete, um die Aufmerksamkeit auf jemand anderen zu lenken. Harris A. Houghton, ein Mitglied des amerikanischen Militärgeheimdienstes, ließ 1920 eine komplette englische Übersetzung der Protokolle anfertigen und verbreiten. Zu diesem Zweck schuf er die Tarnfirma „The Beckwith Company“ und verlegte auch noch Bücher wie Nesta Websters „Boche and bolshevik“. Das Geld für Houghtons Verlagsaktivitäten kam wahrscheinlich von der Organisation „American Defense Society“, deren Ehrenpräsident der ehemalige US-Präsident Theodore Roosevelt war. Als Vorsitzender diente Richard Melancthon Hurd, Absolvent der Universität Yale und Mitglied der Geheimorganisation Skull & Bones. In Großbritannien erschien die erste englische Ausgabe der Protokolle 1920 und es gab eine ausführliche Berichterstattung in der Zeitung „The Morning Post“ in London. Daraus entstand noch das Buch „The Cause of World Unrest“, an dem Nesta Webster, George Shanks und die Hälfte der Angestellten der Zeitung mitarbeiteten. Shanks hatte die allererste Übersetzung der Protokolle vom Russischen ins Englische vorgenommen, möglicherweise mit der Hilfe von Graf Tscherep-Spiridowitsch, der unter den Zaren als General gedient hatte. Der Graf schrieb auch das Buch “Secret World Government or The Hidden Hand” in dem er 300 jüdische Familien als den Kern der Verschwörung benannte und das wohl eine Inspiration war für die Legende vom „Komitee der 300“ und das entsprechende Werk von John Coleman.

Laut Lord Alfred Douglas haben einflussreiche Männer wie Henry Ford und Zeitungen wie die Financial Times dem Grafen geholfen, eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen.

Die Morning Post wurde geleitet von Lilias Borthwick, die Frau von Seymour Henry Bathurst, 7th Earl Bathurst (ein Deputy lieutenant des Königshauses). Unter ihrer Führung war die Zeitung erzkonservativ, imperialistisch, protektionistisch, militaristisch und antisemitisch. Am 7. April 1924 wurde die Zeitung an den umtriebigen antisemitischen Verschwörungs-Publizisten Alan Percy, den 8. Herzog von Northumberland (Träger der höchsten britischen Orden), und ein Konsortium prominenter Konservativer verkauft. Victor E. Marsden war bei der Zeitung der Russlandkorrespondent gewesen und soll ebenfalls bei der Übersetzung geholfen und sich zeitweise mit dem Prinzen von Wales getroffen haben. In der Veröffentlichung der Protokolle von Marsden finden wir ein Nachwort des Adeligen Lord Sydenham, der mit mehreren der höchsten britischen Orden ausgezeichnet war, in dem es für bedeutungslos erklärt wird, dass der Text von anderen Quellen abgekupfert worden war. Sydenham verwendet das Argument, dass die Protokolle mit „tödlicher Genauigkeit“ die kommenden Geschehnisse unter anderem bei der kommunistischen Revolution in Russland vorausgesehen hätten. Dies bedeutet aber, dass er die kommunistische Revolution wiederum gemäß der Protokolle interpretiert. Er dreht sich also argumentativ im Kreis, obwohl ein gebildeter Mann wie er eigentlich hätte verstehen müssen, dass eine zirkuläre Argumentation Unsinn ist.

Der Text der Protokolle ist extrem schwammig und ungenau, aber Sydenham erklärt, dass die Vorhersagen „auf den Buchstaben genau“ eingetroffen wären. Er bedankt sich bei dem amerikanischen Autobauer Henry Ford für dessen „hervorragende“ weitere Enthüllungen als Ergänzung zu den Protokollen. Ford unterstützte aber nicht nur das nationalsozialistische Regime, sondern baute interessanterweise auch in der Sowjetunion, also dem vermeintlichen Moloch der jüdischen Illuminaten, kriegswichtige Fabriken. Einem Massenpublikum in Amerika wurden die Protokolle bekannt durch Ford, denn er bezahlte den Druck von zahllosen Exemplaren und machte zudem noch den deutschen Nazis schöne Augen. Natürlich dienten ihm die Protokolle als Ablenkungsmanöver und lenkten die Aufmerksamkeit auf eine vermeintliche jüdische Weltverschwörung. Um den Effekt zu verstärken, veröffentlichte Ford gleich noch das Buch „Der internationale Jude“, welches auf den Protokollen aufbaut. Praktisch alle negativen Entwicklungen werden einer jüdischen Verschwörung, nicht jedoch dem angloamerikanischen Imperium zugeschrieben. Die zahlreichen Leser der Protokolle verdächtigten in aller Regel Familien wie die Rothschilds, die Pläne aus den Protokollen umzusetzen. Dass die bedeutenden jüdischen Clans vom britischen Imperium genauso aufgebaut worden waren wie nichtjüdische Raubbarone, erfuhr das Publikum nicht. Nachdem eine britische Zeitung in den 1920er Jahren aufgedeckt hatte, dass die Protokolle eine Fabrikation waren, fielen die Reaktionen unterschiedlich aus. Eines der am häufigsten genannten Argumente, welches sich auch bei Henry Ford, sowie in späterer Verschwörungsliteratur findet, lautet, dass es egal sei, ob die Protokolle gefälscht wurden oder nicht, weil die darin enthaltenen Pläne von den jüdischen Verschwörern genau wie beschrieben in der Welt umgesetzt worden wären. In manchen späteren Verschwörungsbüchern wurden die Protokolle in veränderter Form abgedruckt, wobei Begriffe wie „Juden“ und „Goyim“ (Nichtjuden) ersetzt wurden durch „Illuminaten“ und „Untertanen“. Milton William Cooper druckte in seinem Bestseller „Behold a Pale Horse“ 1991 den gesamten Text im Original ab mitsamt dem Kommentar, man müsse das Wort „Juden“ jedes Mal durch „Illuminaten“ ersetzen.

„Der internationale Jude“

Einflussreiche Antisemiten aus Amerika und britische Hochadelige besaßen genügend Möglichkeiten, um nach konkreten Beweisen für tatsächliche kriminelle Handlungen jüdischer Individuen und Netzwerke zu suchen, und mit Hilfe von Anwälten und sympathisierenden Staatsfunktionären gegen diese Individuen und Netzwerke vorzugehen. Stattdessen wurden lediglich hohle und zahnlose Pamphlete gedruckt, die keine gerichtsverwertbaren Beweise enthielten, mit denen man auch nur einen einzigen lausigen Durchsuchungsbefehl hätte erwirken können oder gar eine Verurteilung vor Gericht. Nur in Europa entwickelten die Pamphlete durch die Nazis eine verheerende Wirkung, bis hin zum Holocaust.

Henry Fords Publikation „Der internationale Jude: Ein Weltproblem“ von 1920 basierte auf den Protokollen und wurde in verschiedenen Sprachen in hohen Auflagen veröffentlicht. Es handelt sich um die Zusammenstellung von 91 Artikeln verschiedener Autoren. 1922 erschien die deutsche Übersetzung im Leipziger Hammer-Verlag des antisemitischen Verlegers Theodor Fritsch, ein Verkaufserfolg in der völkischen Szene und bei der NSDAP. Gleich zu Beginn widmet sich der erste Aufsatz der Frage, wie es überhaupt Juden gelungen sein soll, die Finanzmacht in den USA zu übernehmen. Eine Aufschlüsselung mit verlässlichen Quellen, wieviel Finanzmacht Juden denn angeblich im Jahr 1920 besessen haben sollen, gibt es nicht. Stattdessen der Verweis, dass die einflussreichen amerikanischen Juden einfach zu den europäischen Juden gehörten, die bereits ultra-reich gewesen seien. Welche europäischen Juden sollen das sein? Wir erfahren es nicht. Was auch fehlt, ist eine überzeugende Antwort darauf, warum der jüdische Durchmarsch in den USA nicht aufgehalten wurde, wenn doch so wenige jüdische Familien existierten, die zu den Superreichen gehörten. Im dritten Aufsatz fällt auf, dass die Amerikanische Revolution nicht als das Werk jüdisch-kommunistischer Illuminaten beschrieben wird, obwohl doch laut der gängigen Sichtweise die Revolutionäre mit Slogans über Freiheit und Gleichheit sich vom britischen Adel lossagten und die alte Ordnung zerstörten zugunsten von Demokratie und Kapitalismus. Europäische Juden sollen einfach amerikanische Juden finanziert haben, um die amerikanische Wirtschaft sukzessive aufzukaufen, ohne dass dieser Plot bemerkt und aufgehalten worden sei. Wie in zahllosen anderen Verschwörungs-Texten wird der Eindruck erweckt, Nicht-Juden hätten geheimdienstlich völlig versagt, während Juden ungehindert geheimdienstliche Wunder vollbracht hätten. Es wird wieder das Argument benutzt, Juden hätten irgendwelche herausragenden geheimdienstlichen, verschwörerischen Fähigkeiten besessen. Es heißt weiterhin:

„Der Jude ist der einzige und ursprüngliche internationale Kapitalist.“

Diese Aussage ist vollständig falsch und irreführend. Auch die finanziellen Tricks und Kniffe, die genannt werden, gehören zum Standardrepertoire unzähliger Gruppen und wurden nicht von Juden erfunden. Juden würden in besonderem Umfang nicht-jüdische Strohmänner verwenden, heißt es, ohne jedoch ein einziges Beispiel dafür zu nennen. Statt der behaupteten Diskretion sah man, wie beispielsweise die Rothschilds das Rampenlicht geradezu suchten, riesige Paläste bauten und Partys veranstalteten für die High Society. Es stand unzähligen Individuen und Gruppen, darunter natürlich auch dem Adel, frei, sich im Bankenwesen zu betätigen. Aus irgendeinem unerfindlichen, nicht genannten Grund, soll jedoch den Juden das Feld überlassen worden sein. Nachrichtendienstlich seien Juden immerzu schneller und besser informiert gewesen als andere, was wohl eine Anspielung ist auf den Rothschild-Waterloo-Mythos. Belege werden keine geliefert, sondern der Leser bekommt nur den Hinweis auf „viele Autoren im Mittelalter“, die darüber geschrieben hätten. Antisemitische Literatur verwendet also standardmäßig antisemitische Literatur als Quelle und betrachtet die schiere Masse an Veröffentlichungen innerhalb dieser Echokammer und Filterblase als eine Art Wissenschaftsfeld. Der britische Adel, so heißt es, hätte sich komplett verschuldet bei den jüdischen Geldverleihern, ohne Quellen oder eine Übersicht zu liefern und ohne Erwähnung des Rothschild-Waterloo-Mythos. Im zweiten Aufsatz geht es um die Zerfallserscheinungen in Deutschland, die selbstverständlich dem Judentum angelastet werden. Germanen und Juden seien grundverschieden und sich in Deutschland besonders fremd, wird erklärt, was eine komplette Verdrehung der Tatsachen ist, denn deutsche Juden (bzw. jüdisch-stämmige Deutsche) zählten zu den am meisten assimilierten Juden der Welt. Diejenigen Länder, wird erklärt, die am meisten unter jüdischem Einfluss standen (gemeint sind wohl die USA und Britannien) hätten Deutschland im Ersten Weltkrieg am schlechtesten behandelt. Mit dieser altbekannten Masche gelang es der angloamerikanischen Propaganda, rechte Kreise in Deutschland zu umgarnen und dafür zu sorgen, dass die Wut der Deutschen sich nicht gegen den Welfen-Adel richtete. Juden sollen „die einzigen Gewinner des Kriegs“ gewesen sein, so die groteske Einschätzung. Genau wegen diesem Unfug konnten Adelige die Nationalsozialisten manipulieren und den Eindruck erwecken, hohe Kreise in Britannien und den USA seien den Nazis gewogen und würden zulassen, dass Deutschland sich nach Osten ausbreitet und sogar gegen die (vermeintlich jüdisch dominierte) Sowjetunion kämpft.

AlexBenesch
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