spot_img

Geheimakten des Verfassungsschutzes: Mutmaßlicher Lübcke-Mörder hatte viele Kontakte mit Neonazi-Guru Thorsten Heise

Datum:

Es scheint keinen rechtsextremen Vorfall von Bedeutung zu geben, bei dem nicht der Verfassungsschutz gut im Bilde ist über die beteiligten Personen und seine Informationen schützen will. Der mutmaßliche Lübcke-Mörder Stephan Ernst hatte laut Geheimakten des Verfassungsschutzes über ein Jahrzehnt hinweg häufige Kontakte zu dem NPD-Bundesvizechef Thorsten Heise, eine der bekanntesten Szenegrößen. Die Unterlagen des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz soll laut WELT zur Ermittlungsakte gehören. Der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke (CDU) soll der anklage zufolge von Stephen Ernst erschossen worden sein.

Ernst und Heise hätten sich auffällig oft miteinander getroffen. Früher war Ernst noch relativ offen aktiv in der Szene; später will er sich zurückgezogen haben, wobei vermutet wird, dass er verdeckt aktiv blieb. Ob in Kassel bei Stammtischen der NPD, Meetings von Kameradschaften, Sonnenwendfeiern, im Bus oder bei Demos; ständig war man zusammen. Die letzte Begegnung sei im Juni 2011 gewesen. Keiner der Beteiligten wollte die Angelegenheit kommentieren.

Bei der Lektüre der Dokumente bekommt man den Eindruck, dass Heise für Ernst eine Art Mentor war.

WELT

Bereits in den Ermittlungsakten zur Terrorbande vom NSU, die neun Migranten und eine Polizistin umgebracht hatte, wurde sein Name ständig erwähnt. Es gab Kontakte zwischen Heise und dem wichtigen V-Mann Tino Brandt, der den thüringischen Heimatschutz aufgebaut hatte.

Im Antrag des AfD-Parteiausschlussverfahrens gegen Björn Höcke vor dem Landesschiedsgericht Thüringen schrieb der Anwalt des Bundesvorstandes im April 2017, anhand der vorliegenden Indizien seien vernünftige Zweifel daran, Höcke habe unter der Bezeichnung Landolf Ladig heikle Texte in Thorsten Heises Magazinen veröffentlicht, nicht mehr möglich. Wenn, rein hypothetisch gedacht, irgendjemand Heise kontrolliert, dann könnte derjenige auch die wahre Person hinter dem Pseudonym Ladig kontrollieren. Heise ist wegen seinen zahlreichen Vorstrafen sehr verwundbar.

Heise ist mehrfach vorbestraft wegen schwerer Körperverletzung, Landfriedensbruchs, Nötigung und Volksverhetzung sowie Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. 1989 versuchte er einen libanesischen Flüchtling mit dem Auto zu überfahren. Zum anstehenden Prozess 1991 tauchte er unter, wurde jedoch kurz darauf in Berlin gefasst. 1990 führte er einen Angriff von 80 Neonazis auf das Jugendzentrum Innenstadt (JUZI) in Göttingen an. Nachdem er 1994 Schüler auf einer Abiturfeier mit einer Gaspistole beschossen hatte, wurde er zu einer achtmonatigen Haftstrafe verurteilt. Hinzu kommen Verstöße gegen das Versammlungsgesetz wie z.B. 1996 eine Geldstrafe in Höhe von 2.700 DM, da er beim „Rudolf-Heß-Gedenkmarsch“ im August 1993 in einer verbotenen Uniform auftrat. 2000 musste er erneut für eineinhalb Jahre ins Gefängnis, weil er 1997 anlässlich einer „Vatertagstour“ Polizeibeamte tätlich angegriffen hatte. Im Februar 2006 wurde er zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Bisher war Heise wegen schwerer Körperverletzung, Nötigung und Landfriedensbruchs vorbestraft. Im Juli 2007 wurde er vom Landgericht Mühlhausen erneut zu sechs Monaten Haft auf Bewährung wegen Volksverhetzung verurteilt. Im Oktober 2007 durchsuchten etwa 100 Polizisten die Räume von Heise und zwei weiterer NPD-Mitglieder, wegen Herstellung und Verbreitung rechtsextremer Musik. Im Mai 2008 wurden durch das Oberlandesgericht Braunschweig zwei Fälle von Volksverhetzung bestätigt.

Nachdem er bereits im Dezember 2007 erstinstanzlich verurteilt wurde, erging die Verurteilung im August 2008 aufgrund einer Volksverhetzung wegen des Vertriebs von CDs, die „zu Hass gegen bestimmte Volksgruppen“ aufstacheln. Der Richter sagte, es seien „schlimme, widerliche Texte“, und Heise sei „unbelehrbar“. Die Strafe betrug elf Monate Haft auf Bewährung, zweihundert Sozialstunden Arbeit und 15.000 € Geldstrafe, die er mit den CDs verdient haben soll. Dies ist seine insgesamt zwölfte Verurteilung. Nach einer Vernehmung durch das BKA im Dezember 2012 steht Thorsten Heise auf einer Liste „mit nachgewiesenen Kontakten zu Tätern oder Beschuldigten“ im NSU-Prozess. So wurden bei Heise während einer Hausdurchsuchung einschlägige Adressbücher, Tonbänder und eine E-Mail-Adresse des Ku-Klux-Klan-Mitglieds Thomas Richter gefunden.

wikipedia

Der Anwalt der Lübcke-Angehörigen, Holger Matt erklärte:

Wir wollen alle Umstände zur Mordtat erfahren: Planung, Durchführung, Täter, Teilnehmer, Mitwisser, Beweggründe. Wir wollen mit allen Möglichkeiten unseren Beitrag leisten, an der Aufklärung des Verbrechens und an der Verurteilung der Beschuldigten mitwirken.

Es habe sich um „ein kaltblütiges, heimtückisch geplantes Mordverbrechen aus übelsten Beweggründen“ gehandelt. Weiter betonte der Anwalt: „Wir sind auf alles vorbereitet.“ Ob er auf den Wust an Spitzeln in der rechtsradikalen Szene vorbereitet ist?

Der Mitangeklagte Markus H. war mit Stephan Ernst befreundet. Der Verfassungsschutz hat nach Recherchen des NDR Erkenntnisse zu rechtsextremistischen Aktivitäten des mutmaßlichen Helfers im Mordfall Lübcke, Markus H. nicht weitergeleitet. So konnte der Neonazi legal Waffen besitzen. Hätte der Verfassungsschutz der Waffenbehörde “aktuelle Hinweise auf rechtsextreme Umtriebe” gemeldet, hätte H. natürlich erkannt, dass er auf dem Radar ist.

Wir erfuhren auch, dass Ermittlungsunterlagen des Polizeipräsidiums Mittelfranken den früheren Verfassungsschützer Andreas Temme belasten, der ohnehin schon skandalös in den NSU-Fall verwickelt war. Das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) beruft sich dabei auf einen alten Aktenvermerk.

Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) musste einräumen, dass Temme mit dem mutmaßlichen Lübcke-Mörder Stephan E. vor 2006 „dienstlich befasst“ war.

Der Mitarbeiter einer Kasseler Sicherheitsfirma namens Jürgen S. sagte aus, er habe Temme gekannt, beide hätten in Kreisen von Motorrad-Gangs verkehrt und Schießübungen gemacht. Jürgen schoss mit einem Revolver der Marke „Rossi“, Modell 27, Kaliber 38 Spezial, also eine sehr ähnliche Waffe, mit der dreizehn Jahre später Lübcke erschossen wurde.

Das beruflich genutzte Handy von Jürgen S. war fest mit seinem Geldtransporter verbunden und diese  Nummer tauchte zweimal in Funkzellenabfragen der Ermittler auf, und zwar zeitgleich in unmittelbarer Nähe zu den NSU-Morden vom 15. Juni 2005 in München sowie sechs Tage zuvor in Nürnberg. Ein Zufall ist nicht ganz ausgeschlossen, aber recht unwahrscheinlich.

V-Mann-Führer Temme war praktisch zeitgleich am 6. April 2006 in dem Kasseler Internetcafé, in dem der  21-jährige Halit Yozgat erschossen wurde.

Temme gestand, auch den Präsidenten der Kasseler Hells Angels zu kennen dank der Vermittlung von Jürgen S. Solche Gangs stehen unter Verdacht, hessischen Neonazis Waffen besorgt zu haben. In den USA stellte sich heraus, dass die Bundespolizei FBI u.a. die Hells Angels stark infiltriert hatte.

Autoren der WELT erzwangen per Gericht Auskunft darüber, was über den mutmaßlichen Lübcke-Attentäter Stephan Ernst in einem Bericht des hessischen Verfassungsschutzes steht, der ursprünglich 120 Jahre lang geheim bleiben sollte, weil er den NSU-Fall und den V-Mann-Führer Temme berührt, der zur Tatzeit im Internet-Café eines NSU-Mordes zugegen war. Ergebnis: Stephan wird im Abschlussbericht zur Aktenprüfung von 2013 an 11 Stellen genannt. Das ist auffällig viel, wenn man bedenkt, dass Stephan angeblich seit Ewigkeiten nichts mehr mit der Szene zu tun hatte.

Der Bericht gibt Auskunft über die Jahre 1992 bis 2012 und durfte nur in stark geschwärzter Fassung in einem Geheimraum von Mitgliedern des hessischen NSU-Ausschusses gelesen werden.

Ab Frühjahr 2010 habe der Verfassungsschutz laut der eigenen, offiziellen Darstellung das Interesse an Ernst verloren. Warum? Bekannt ist, dass einem der Spitzel von V-Mann-Führer Temme, einem gewissen Gärtner, ein “Stephan” in der Szene geläufig war. Das Gericht hat festgestellt, dass die Presse kein Recht hat zu erfahren, was genau in den Berichten zu den Personen Ernst, Temme und Gärtner.

Gärtner, alias “Gemüse” berichtete 2002, dass vier Rechtsextreme, darunter seiner Ansicht auch der spätere mutmaßliche Lübcke-Mörder Stephan Ernst und Mike S., sich in “Kassel, Holländische Straße / Ecke Henkelstraße“ getroffen hätten, um eine Wohnung von Linksextremisten anzugreifen.

Nur 60 Meter entfernt befindet sich das Haus, in dem rund vier Jahre später Halit Yozgat in dessen Internetcafé erschossen wurde, einer der umstrittensten Morde, die dem Nationalsozialistischen Untergrund zugerechnet werden. Zur Tatzeit befand sich in dem Internetcafé der Agentenführer des hessischen Verfassungsschutzes Andreas Temme, der sogar als Tatverdächtiger galt.

2002 hatte Temme die Führung des Spitzels Gemüse übernommen, also nur kurz nach dem Überfall auf die Wohnung von Linksextremisten, und er erstellte nicht von jedem Treffen mit dem Spitzel einen Bericht.

Die Anwälte der Familie des ermordeten Yozgat haben den Verdacht, der NSU habe nicht alleine gehandelt, sondern Helfer aus dem rechtsextremen Millieu hätten das Internetcafé vor dem Mord observiert und zum Tatzeitpunkt abgesichert. Es ist noch nicht einmal gesichert, wer eigentlich geschossen hat.

Wenn Temme den Mord an Yozgat begangen hätte, wäre dies eine absurde Dummheit gewesen, denn Temme war regelmäßiger Gast des Internetcafés und hätte nicht ausschließen können, dass bei der Tat Zeugen hereinplatzen. Jeder andere Tatort wäre besser gewesen. Die These von Temme als Mörder ergibt nicht viel Sinn. Die alternative These, basierend auf einem Telefonmitschnitt, lautet dass Temme von dem Mordplan zumindest informiert gewesen sei und sich deshalb in dem Internetcafé aufgehalten hätte. Genauso stellt sich hier die Frage, warum Temme regelmäßiger Gast dort war, anstatt einfach aus sicherer Distanz das Internetcafé von außen zu beobachten. Die neueste These, dass auch noch weitere Neonazis beteiligt gewesen seien und das Internetcafé irgendwie abschirmten, ist es zwar wert, untersucht zu werden, aber angesichts der Menge an V-Personen stellt sich dann wieder die Frage, warum der Plan nicht vorher aufflog.

Stephan Ernst machte dann eine neue Aussage beim Lübcke-Fall: Sein Kumpel Markus H. sei dabei gewesen, man habe Lübcke gar nicht umbringen, sondern nur einschüchtern wollen. Da hätte sich leider ein Schuss gelöst. Je nachdem, was die Forensik sagt, und was Markus H. sagt, könnte diese Strategie funktionieren. Die Hürden für eine Mordanklage, geschweige eine Verurteilung, sind sehr hoch.

AlexBenesch
AlexBenesch
Senden Sie uns finanzielle Unterstützung an: IBAN: DE47 7605 0101 0011 7082 52 SWIFT-BIC: SSKNDE77 Spenden mit Paypal an folgende Email-Adresse: [email protected]
spot_img
spot_img
spot_img
spot_img
spot_img
spot_img
spot_img

Related articles

Russland will unbedingt einen Bürgerkrieg in den USA

Kommentar Es gehörte immer zu der sowjetischen Strategie, Chaos in westlichen Ländern zu schüren, um genügend Menschen rekrutieren zu...

Israel attackierte Irans Verteidigungsanlagen für das Atomprogramm

Major Ofer, Israeli Air Force, CC BY 4.0 Berichten zufolge umfassten die israelischen Angriffe Schlüsselelemente der iranischen Verteidigungsinfrastruktur, wie...

Friends & Enemies (04/21/24) The beginning of the Cold War

Image: Shutterstock.com Jeff Nyquist and Alex Benesch document the beginning of the Cold War and the Soviet strategy to...

Russland will Stalins Plan fortsetzen und Finnland zurückerobern in den Grenzen des Zarenreichs

Jukka Salo/Shutterstock.com 1939 hatte die sowjetische Militärführung einen umfassenden Plan für die Besetzung Finnlands formuliert. Josef Stalin war jedoch...