spot_img

„Warntag“ in Deutschland zeigt, wie unvorbereitet die Bevölkerung ist

Datum:

Christoph Unger, Präsident des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, will im SPIEGEL-Interview zum aktuellen Anlass des „Warntags“ in Deutschland, wo Sirenen und die Notfall-App NINA flächendeckend getestet werden, nicht wirklich herausrücken, was theoretisch so alles passieren kann. Der Frage nach großen Cyberangriffen auf die Stromversorgung, durch die die App NINA nutzlos werden würde, weicht er fast komplett aus. Er salbadert lieber über Sturzbäche wegen Klimawandel oder Giftwolken von Chemie-Unfällen oder ganz allgemein von „Terrorlagen“. Er spricht über begrenzten Kleinkram, mit dem seine Behörde noch fertig werden würde.

Wer eine gruselige, unzensierte und realistische Sicht haben möchte auf das Niveau des Zivilschutzes in Deutschland, der muss nur bestimmte Bücher des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz lesen. Der neue Chef der Behörde kennt entweder die Forschung aus seinem eigenen Haus nicht, oder er ignoriert sie.

at anscheinend soeben die Empfehlung für individuelle Lebensmittelvorräte heruntergekürzt von 14 auf 10 Tage. Warum? Weil in den Supermärkten ohnehin nicht genug da ist momentan?

Empfohlen wird dabei ein Vorrat, der für zehn Tage ausreicht: “Wichtig ist, dass alle Menschen sich darüber Gedanken machen und zumindest für ein paar Tage Vorräte haben – am besten wäre natürlich ein Zeitraum von zehn Tagen.

Warum nur zehn Tage und warum die Kürzung der bisher immer wieder empfohlenen 14 Tage? Kennt der aktuelle Behördenchef überhaupt die Forschungen seiner eigenen Behörde?

Weiter rät Unger: “Der Staat wird den Menschen immer helfen, es kann nur in manchen Situationen etwas länger dauern. […] So oder so muss aber niemand davor Angst haben, zu Hause nicht versorgt zu werden. Wir sind auf Extremsituationen vorbereitet.”

Was genau meint er mit “etwas  länger” und was versteht er unter einer Extremsituation?

Panik ist natürlich nie eine gute Idee, aber prinzipiell kann laut der Forscher-Gemeinschaft jederzeit ein weiterer Virus auftauchen und dieser könnte gefährlicher sein. Niemand kann auch ausschließen, dass zeitgleich eine Cyberattacke Europa trifft. Amerikanische Sicherheitskreise befürchten seit Jahren einen solchen Doppelschlag.

Der Vorgänger im Amt des BKK-Chefs war übrigens von der SPD, also eine Partei, die traditionell und heute noch stärkere Russensympathien hat. Trotzdem warnte er in der WELT Online vor Blackouts durch nicht näher genannte Cyber-Angreifer, die bereits in der Ukraine zugeschlagen hätten. Gemeint kann er nur Russland haben.

Die neuesten Aussagen des deutschen BKK verwundern zusätzlich, weil eben jene Behörde hatte noch 2011 ein dickes, wissenschaftliches Buch veröffentlicht mit dem umständlichen Titel „Empirische Untersuchung der Realisierbarkeit von Maßnahmen zur Erhöhung der Selbstschutzfähigkeit der Bevölkerung“. Es geht schlicht darum, wie man die Bevölkerung endlich dazu animieren kann, die eigene krasse Verwundbarkeit zu verringern. In verblüffendem Detail hat man genauestens analysiert, wie schlecht die Bürger vorbereitet sind und wie man diesen Zustand beheben kann. Die Politik hat anscheinend die Ratschläge nur sehr zögerlich behandelt.

In dem Unterkapitel „Kapazitätsgrenzen professioneller Hilfe“ heißt es:

Dies gilt umso mehr, als dass bei großen und ungewöhnlichen Schadenslagen die Ressourcen der Rettungskräfte schnell an ihre Grenzen stoßen und den Katastrophenschutz überfordern können. Eine Überforderung war laut Grothmann (2005: 12) bei der Elbe-Flut des Jahres 2002 klar erkennbar, und zwar „sowohl in finanzieller als auch in organisatorischer Hinsicht.“ Die Bevölkerung hat es in solchen Situationen unter Umständen nicht nur mit einer vergleichsweise kurzen Isolationsphase vor dem Anlaufen direkter staatlicher Hilfe zu tun.

Es werden alle möglichen Gefahrenquellen aufgezählt, von Beinahe-Katastrophen in schwedischen Atomkraftwerken über Vulkanausbrüche in der Eifel bis hin zu Epidemien. Wegen „Zeiten relativer Ruhe“ wurden jahrelang die Mittel für den Zivilschutz zusammengestrichen und man verhinderte eine Behandlung des Themas im Schulunterricht.

„Das Phänomen, dass Menschen allgemein dazu neigen, wenig Vorsorge für Ereignisse geringer Wahrscheinlichkeit, aber möglicherweise fatalem Schadensausmaß zu treffen, ist durch die (vor allem US-amerikanische) Katastrophenforschung hinreichend dokumentiert.“

Die Menschen unterschätzen Gefahren, nicht zuletzt wegen des jahrelangen Ignorierens des Themas durch staatliche und private Medien, und daher ist „die Persönliche Notfallvorsorge für die meisten Menschen nicht relevant.“

„Das gilt auch für Bewohner von stark gefährdeten Gebieten, die – wie Kunreuther zeigte – erschreckend wenig Vorkehrungen gegen die Bedrohungen vor der eigenen Tür getroffen hatten und deren Wissen in Bezug auf die Gefahr erstaunlich begrenzt war.“

Katastrophen müssen sich wegen der Vollkasko- und Blaulichtmentalität in der Bevölkerung immer erst ereignen, bevor sie zum öffentlichen Thema werden. Falls in den nächsten paar Jahren die Russen das Baltikum oder die gesamte Ukraine überfallen, sind wohl auch die letzten Zweifel am Selbstschutz beseitigt. Die staatliche Forschung hält fest, dass es vieler verschiedener Vorbereitungsmaßnahmen bedarf, während die meisten Menschen sich gerade einmal um Versicherungen, Brandmelder und Feuerlöscher kümmern. Rund ein Drittel der Befragten hat nur eine einzige Vorsorgemaßnahme getroffen, knapp 20% können zwei Maßnahmen verbuchen, 6% der Menschen haben in drei Bereichen vorgesorgt. Weniger als ein Prozent kommt auf vier Vorsorgemaßnahmen. Sieben bzw. acht Maßnahmen haben nur 0,07% der Menschen ergriffen. Eine Studie aus dem Münsterland kam zu dem Ergebnis, dass Haushalte in Deutschland nur drei bis fünf Tage selbstständig überbrücken können. Prinzipiell bereiten sich die Menschen vor auf wahrscheinlichere Probleme, die aber weniger gefährlich sind. Je gefährlicher und seltener die Krise, umso weniger Vorbereitungen gibt es.

Das Buch „Schutz Kritischer Infrastrukturen – Studie zur Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln“ des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe erklärt:

„Zwischen dem Ernährungssektor und den meisten anderen Sektoren bestehen gegenseitige Abhängigkeiten: Eine unzureichende Nahrungsversorgung beeinträchtigt die Funktionsfähigkeit aller Sektoren. Umgekehrt ist aber auch die Lebensmittelversorgung von der Funktionsfähigkeit anderer kritischer Sektoren abhängig. Dies gilt insbesondere für technische Infrastrukturen oder das Geld- und Finanzwesen, ohne die weder automatisierte Herstellungsverfahren noch reibungslose logistische Abläufe denkbar sind.“

Ein Großteil der Deutschen bezieht Lebensmittel ausschließlich oder fast ausschließlich über Supermärkte, die sogenannten „Discounter“. Dadurch liegt die deutsche Lebensmittelversorgung in den Händen weniger verschlossener Milliardärs-Familien und Stiftungen. Die Katastrophenforschung bezweifelt stark, dass die Discounter und deren Zentrallager bei etwas größeren Krisen in der Lage sind, eine Notversorgung aufrechtzuerhalten. Im Ernstfall entscheiden diese Multimilliarden-Konzerne über Leben und Tod der Bevölkerung. In der Zivilschutz-Forschung, bezahlt von dem zuständigen Ministerium für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, wird eindringlich geschildert, wie das Netz aus Zentrallagern und Filialen der Discount-Supermärkte in der Lage sei, in kleineren, lokal begrenzten Krisen die Versorgung mit Lebensmittel aufrechtzuerhalten, bei größeren Krisen allerdings schnell in ernste Nöte geraten würde. Gibt es zudem Probleme mit der Stromversorgung und der Datenverarbeitung, käme die Versorgung u.U. zum Erliegen.

„Um die Größe des Sicherheitspuffers zu erfassen, wurde der durchschnittliche Lagerbestand in Tagen voller Lieferfähigkeit unter der Annahme eines normalen Warenabflusses erfragt. Bei Lebensmitteln ohne besondere Klimatisierungsansprüche wie z.B. Süßwaren, Konserven, Nährmittel und Babynahrung reichten die Angaben von gut 7 Tagen bis zu 30 Tagen (Durchschnitt 18 Tage).“

Wenn die Datenverarbeitung und der Strom funktionieren, wenn also günstige Umstände vorherrschen, reichen die Bestände in den Zentrallagern rund zwei bis drei Wochen. Ohne Strom und EDV reden wir von nur wenigen Stunden bis zu einer Woche. Die Lager und die zu beliefernden Discounter-Märkte sind mit Stift und Papier kaum einsatzfähig. Wenn die ausländischen Lieferungen für Düngemittel und Tierfuttermittel ausfallen oder stark reduziert werden, wenn sich neue Resistenzen bilden in den Pflanzen gegen Schutzmittel, wenn Seuchen über Lebensmittel oder Futtermittel aus dem Ausland eingeschleppt werden, dann kann es gehörige Engpässe geben.

AlexBenesch
AlexBenesch
Senden Sie uns finanzielle Unterstützung an: IBAN: DE47 7605 0101 0011 7082 52 SWIFT-BIC: SSKNDE77 Spenden mit Paypal an folgende Email-Adresse: [email protected]
spot_img
spot_img
spot_img
spot_img
spot_img
spot_img
spot_img

Related articles

Geheimdienste sollen verdeckte russische Finanzierung für Politiker in Europa aufgedeckt haben

Kommentar "Voice of Europe" schien wie eine typische, pro-russische Nachrichtenseite im Internet mit entsprechenden Beiträgen und Interviews mit europäischen...

Recentr LIVE (26.03.24) ab 19 Uhr: Dunkelfeld

Wir leben in einem Zeitalter, in dem die Menschen die falschesten Vorstellungen von den drei Supermächten besitzen. https://youtu.be/Q87IgKxwsQo

Islamischer vs. westlicher Globalismus

Propaganda aus der muslimischen Welt enthält viele Elemente, die auch westliche Sozialisten verwenden, und solche, die bei westlichen...

ISIS-K ist Russlands nächstes Problem

Kommentar Russland unter den Zaren träumte davon, das ottomanisch-islamische Kalifat zu zerstören und zu übernehmen. In der sowjetischen Phase...