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Dirty Campaigning, belastendes Material und Leaks am Beispiel der NSDAP

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Eines der extremsten Beispiele für schmutzige Polit-Tricks war die NSDAP und wie in den allermeisten Fällen sorgen Dirty Campaigning und andere solche Taktiken zu einem anfänglichen Höhenflug und einer folgenden Implosion.

So ziemlich alles aus den Handbüchern für das Führen revolutionärer Aufstandsbewegungen wurde aufgeboten, von der SA-Truppe bis hin zum Terror unter falscher Flagge mit dem Reichstagsbrand. Weniger gemeinhin bekannt, sind die Häufigkeit von schmutzigen Tricks innerhalb der NSDAP, mit denen Konkurrenzkämpfe ausgefochten wurden. Denn damals sammelten viele wichtige Parteifunktionäre belastendes Material übereinander und benutzten es als Versicherung oder offensiv zum Karrieresprung. Wie schnell in diesem Klima wichtiges Material im Ausland landete, ist eine interessante Frage.

In der NSDAP galt lange Zeit die inoffizielle Leitlinie, dass das Privatleben eines Funktionärs niemanden etwas angehe und Homosexualität geduldet sei, solange nichts davon an die Öffentlichkeit und die politischen Gegner dringt. Hitler pflegte seine engen Männerbünde, genauso wie der homosexuelle Ernst Röhm die Schaltstellen seiner SA mit Homosexuellen besetzte und eine Weile lang schien dieses System zu funktionieren, aber interne Machtkämpfe der Nationalsozialisten wurden von Anfang an ausgetragen mit Erpressungsmaterial über homosexuelle Beziehungen. 1924, kurz nach dem gescheiterten Putsch, der Hitler zu einer international bekannten Figur machte, jammerte er, dass durch seine Gegner sein „Leben durchprüft wird bis in die Zeit meiner […] Jugend“ und dass in die „geheimsten Familienangelegenheiten“ hineingeschnüffelt wird, in der Hoffnung, ihm den Garaus zu machen. Aber auch seine vermeintlichen Freunde wie der Gestapo-Chef Rudolf Diels oder Ernst „Putzi“ Hanfstaengl sammelten fleißig kompromittierendes Material und brachten dieses sogar ins Ausland.

Die vielen Datenlecks waren aber auch mit Hilfe der diktatorischen Befugnisse nach der Machtergreifung 1933 nicht mehr unter Kontrolle zu bringen, denn belastende Akten reichten zurück bis in Hitlers Dienstzeit im Ersten Weltkrieg und sogar noch weiter zurück. Zu viele Figuren hatten Frühzeitig Akteneinsicht und die Motivation, gegen Hitler etwas in der Hand zu haben, wobei die persönliche Absicherung nur dann gegeben war, wenn das heikle Material im Ausland gebunkert wurde.

Den größten Wert für Erpresser und für ausländische Geheimdienste hätten Fotoaufnahmen besessen, die Hitler unzweifelhaft bei sexuellen Handlungen zeigten und die nicht als Fälschungen oder Nacktbaden in der Natur abgetan werden konnten. Es gab viele Gelegenheiten, um solche Fotos verdeckt zu schießen, was eine typische Vorgehensweise von Geheimdiensten ist, und natürlich besteht auch die Möglichkeit, dass ein ausländischer Geheimdienst solche Fotos gekauft hatte von Individuen aus der Schwulenszene.

Dass die bekannten Historiker wie Kershaw die Frage nach einer möglichen Spionagetätigkeit Hitlers oder anderer prominenter Nazis überhaupt nicht stellen, ist entlarvend und peinlich genug, aber auch die Weigerung, Hitlers Sexualität auf den Grund zu gehen, ist eine Art Schutzmauer, denn wenn Hitler schwul war, dann war er mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit mehrfach kompromittiert. Die Frage nach der Sexualität geht direkt über in die Frage nach einer möglichen Spionage.

1913 kam die Enttarnung des österreichischen Geheimdienstchefs Alfred Redl als Homosexueller und Spion, der Kriegspläne an ausländische Mächte verkauft hatte, um seinen Luxus zu finanzieren. Danach intensivierten sich die Bemühungen, Listen mit Homosexuellen zu erstellen und verdeckt vorzugehen, weil Homosexuelle generell als Sicherheitsrisiko betrachtet wurden.

Nach dem Ersten Weltkrieg Krieg schlugen sich Hitler und Schmidt, die im Krieg laut Zeugen eine Beziehung hatten, gemeinsam in München durch, wobei Hitler dann bald auf den schwulen Hauptmann Ernst Röhm stieß und dessen Spitzel wurde. Der Sicherheitsdienst von Heinrich Himmler soll ebenfalls einen Fall dokumentiert haben, bei dem Hitler während dem Krieg in Frankreich einem Offizier nackt Modell gestanden hätte und mit diesen ins Bett gegangen sei. Interessanterweise landete auch diese Info in den Händen eines Briten. Laut Rauschning gab es auch ein Verfahren im deutschen Militär gegen Hitler wegen sexuellen Handlungen. Sobald Hitler also unter der Schirmherrschaft von Röhm begann, in der Politik Fuß zu fassen, war er eigentlich bereits untragbar und mehrere Leute besaßen heikle Kenntnisse oder sogar dokumentarische Beweise, die ihn ruinieren konnten. Röhm konnte sich in der Folgezeit der Treue seines neuesten Zöglings gewiss sein, auf Grund von Geldern für die (NS)DAP aus einem Geheimfonds der Reichswehr, sowie durch belastende Informationen, aber sein Kontrollmittel der Information konnte bei einer undichten Stelle auch schnell das Kontrollmittel von jemand anderem werden. Spätestens nach dem gescheiterten Putschversuch galt Hitler im Inland und im Ausland als relevant und gefährlich, was auch den Marktwert für belastendes Material in die Höhe getrieben hätte.

Das Umfeld von Thule, in dem die (NS)DAP entstand, war wie bereits erwähnt, tief von Propaganda beeinflusst die mit Amerika und Großbritannien zusammenhing. Außerdem war der Chef der geheimen völkischen Loge Thule, Rudolf von Sebottendorf, ein mutmaßlicher britischer Agent. Es ist nicht weit hergeholt, dass Britanniens Spione in Deutschland ihre Quellen abklapperten nach Informationen zu Hitler, sobald dieser auf der politischen Bühne bedeutsam wurde. Gleichermaßen konnten Russlands Geheimdienste wahrscheinlich bei der Eroberung Münchens durch die Kommunisten Polizeiakten erbeuten und im Laufe der Zeit über Spionage verschiedene Quellen abschöpfen.

Erst als Hitler Reichskanzler wurde, konnte er die sechs Bände Polizeiakten aus München beschlagnahmen und vernichten, ohne dabei allerdings sicher zu sein, wer in den Jahren zuvor alles Zugang dazu hatte und Kopien anfertigen ließ. Der Reichswehrgeneral Otto von Lossow beispielsweise, der alles andere als begeistert war über Hitlers Putschversuch 1923, beschaffte durch „gute Freunde“ Akten vom Sittenamt bzw. vom Polizeipräsidium in der Ettstraße in München: Mehrere junge Männer hatten zu Protokoll gegeben, mit Adolf Hitler die Nacht verbracht zu haben, wobei meistens Hitler dafür auch noch Geld in Aussicht stellte. Sollte von Lossow oder seinen Offizieren etwas zustoßen, so musste Hitler damit rechnen, dass solche Akten automatisch im Ausland in der Presse landen würden. So etwas nennt man einen „Dead Man’s Switch“ und ist in der Welt der Geheimdienste ein gängiges Mittel. Hitlers Hass auf von Lossow ist gut dokumentiert und nie wagte es der Führer später trotz all seiner Machtfülle, von Lossow zu beseitigen. Für seinen Dead Man’s Switch brauchte der General aber Partner im Ausland, die vielleicht ihre ganz eigenen Pläne entwickelten für die Dokumente in ihrem Besitz.

Magnus Hirschfeld, der homosexuelle Arzt und Sexualwissenschaftler, sprach über Originalprotokolle über zwei Siebzehn- oder Achtzehnjährige samt Fotos, womit Hitler „einwandfrei festgelegt“ war, „im allerpersönlichsten Sinne“. Diese Protokolle habe er per Sonderkurier nach Moskau geschickt und was dort damit angestellt wurde, ist unbekannt. Zwar hätte Hitler nach seiner Machtergreifung peinliche Veröffentlichungen im Ausland als billige Fälschungen seiner Gegner abtun können, aber bei einer bestimmten Menge und Qualität des Materials und vor allem bei eindeutigen Fotoaufnahmen wäre das Spiel für ihn aus gewesen.

Ernst Röhm, der möglicherweise eine sexuelle Beziehung mit Hitler hatte, wird sich entsprechend abgesichert haben und irgendwann vor der Beseitigung Röhms und dem Rest der SA-Führung könnte Material auch an andere Orte verbracht worden sein.

Ab November 1922 hielt der britische Generalkonsul Münchens namens William Seeds den Politiker Hitler zum ersten Mal für relevant und maß diesem eine größere Popularität im deutschen Volk zu als der General von Ludendorff verbuchen konnte. Ab da werden die britischen Spione wohl begonnen haben, Material zusammenzustellen über den neuen Star.

Aus dem Umfeld der rechten völkischen Thule-Gesellschaft stammte auch Rudolf Heß, mit dem Hitler seit 1924 eine äußerst enge Freundschaft verband, die auch eine sexuelle Komponente gehabt haben soll. Strasser outete Heß sogar öffentlich und Heß wurde auch von diversen hohen Parteifunktionären mit weiblichen Spitznahmen bedacht. Neben Hitler, Röhm, Eckart und Mayr traf Heß auch auf den Hochschullehrer Karl Haushofer, der das recht neue Feld der Geopolitik lehrte und in die Köpfe von Hitler und Heß eindrillte, dass Deutschland unbedingt eine enge Partnerschaft mit Großbritannien bräuchte. Diese politische Lehre Haushofers passte zu der kursierenden völkischen Propaganda über die gemeinsame nordische Rasse von Briten und Deutschen und passte zudem auch noch zu den Täuschungsmanövern britischer Geheimdienste, die weit bis in den Zweiten Weltkrieg hinein reichten und Nazideutschland vorgaukelten, die britische Elite (eine inoffizielle „Peace Party“) wolle eine Partnerschaft. Wegen dieser scheinbaren Absicherung über geheimdiplomatische Kanäle entschied sich Hitler später gegen den Willen seiner Generäle, die Sowjetunion anzugreifen und Heß machte seinen berühmten Flug nach Schottland. Der Sohn von Haushofer wurde gar ein Verräter und stellte sich auf die Seite seines britischen Kontakts mit dem er eventuell eine Liebesbeziehung hatte.

Nie und nimmer werden Historiker wie Kershaw oder die Rechtsrevisionisten die Spionagefrage bei Hitler und seinem nahen Umfeld stellen.

Der gescheiterte Putschversuch, bei dem die völkischen Nationalisten mit ihrem Frontmann Hitler die Regierungsgewalt in München an sich reißen und als nächstes einen Marsch auf Berlin durchführen wollten, hätte eigentlich das Ende von Hitlers Karriere und der noch recht jungen NSDAP bedeuten müssen. Eine lange Haftstrafe und die darauffolgende Ausweisung aus Deutschland wären eigentlich selbstverständlich gewesen, aber die Popularität Hitlers in der Bevölkerung hätte angeblich zu starke Proteste ausgelöst. Am schlauesten wäre es gewesen für die bayerische Regierung, eine Mischung zu nutzen aus Erpressung und Unterstützung, was wahrscheinlich auch so zum Einsatz kam. In der Haftzeit im Landsberger Gefängnis bewohnte Hitler eine Art Suite mit modernem Badezimmer, endlos heißem Wasser und der Möglichkeit, seine höchstwahrscheinlich schwulen Gefährten wie Heß zu empfangen. Alles was notwendig gewesen wäre, um Hitler künftig komplett kontrollieren zu können, war eine versteckte Foto- oder Filmkamera hinter einem Spion-Spiegel im Bad. Eine solche Aktion ist für Geheimdienste das Normalste der Welt und hätte bestes Material geliefert.

Der ebenfalls inhaftierte Heß schrieb begeistert an seine Mutter über die wunderbare „Einrichtung des uns immer zur Verfügung stehenden heißen Bades im modernen, nur für uns bestimmten Badezimmer“. Es fehlte nur noch die Minibar. Der Anstaltsleiter ermahnte sogar die Häftlinge, dass „Nacktkultur“ nur im gemeinsamen Vorraum gestattet sei, was vielleicht bedeutete, dass genau dort die versteckte Kamera war. Heß war zwar mit einer Frau verheiratet, allerdings war diese recht erstaunt darüber, dass sie wie eine Konfirmandin oder Klosterschülerin behandelt wurde.

2013 tauchten Aufzeichnungen auf von einem US-amerikanischen Militäroffizier, der nach dem Zweiten Weltkrieg Hitlers Ärzte Morell und Brandt befragt hatte. Hitler sei homosexuell gewesen und habe sich auch weibliche Hormone verabreichen lassen.

Ein amerikanischer Geheimdienstbericht von 1943 sammelte Aussagen von Leuten aus Hitlers Umfeld, laut denen er impotent sei bei Frauen und einen masochistischen Fetisch hätte für Erniedrigungen und Exkremente, den er mit seiner eigenen Nichte Geli Raubal auslebte, bevor diese sich 1931 selbst umbrachte oder ermordet wurde. Geli wollte von der Berühmtheit ihres Onkels profitieren, während Hitler sie gezielt benutzte, um Gerüchte von einer gemeinsamen, heterosexuellen Beziehung zu streuen. Viel eher vergnügte er sich aber mit seinem Chauffeur und persönlichen Assistenten Emil Maurice, in den sich ausgerechnet Geli verliebte. Es kam zum Streit zwischen Hitler und Maurice, wobei letzterer sogar erwogen haben soll, Reportern der Frankfurter Zeitung die Wahrheit zu erzählen. Geli wurde zu einer Art Gefangenen und starb durch eine Kugel aus Hitlers Revolver.

Auch die Schauspielerin Renata Müller berichtete von masochistischen Anwandlungen, wie etwa die Aufforderung an sie, ihn zu treten während er vor ihr kniet. Schließlich verstarb auch Müller urplötzlich. Selbstmord durch Sprung aus einem Fenster, hieß es, wobei natürlich auch Mord in Frage kommt. Hitler ließ, um Gerüchten über seine sexuelle Orientierung entgegenzutreten, attraktive Schauspielerinnen einladen und erotische Tänzerinnen bestellen aber dabei wurde nur geredet und geguckt, niemals wirklich Hand angelegt. Beobachter berichten später von einem gemeinsamen Bett mit Eva Braun, die allerdings auch mehrfach Selbstmordversuche unternahm. Augenzeugen, die eindeutig Sex zwischen den beiden gehört oder gar gesehen haben wollen, gibt es nicht. Nach Gelis Tod erklärte Hitler, wegen dem tragischen Verlust und seinem zeitintensiven Kampf für Deutschland von Frauen fernzubleiben, was alles andere als überzeugend war, da er als Diktator vor dem Zweiten Weltkrieg in seinem Berghof und in anderen privaten Domizilen einige Stunden Freizeit täglich zubrachte mit Kinofilmen und nutzlosen Gesprächen. Es wäre also eigentlich jede Menge Zeit vorhanden gewesen für Beziehungen zu Frauen.

Ernst Röhm, der Chef der Sturmabteilung, machte aus seiner Homosexualität kein großes Geheimnis und soll versucht haben, Hitler mit Informationen über dessen Sexualität zu erpressen, worauf dann 1934 die berühmte Blitzaktion folgte, bei der Röhm und die SA-Führung eliminiert wurden. Röhm war kurz nach dem Ersten Weltkrieg mit dem Offizier Karl Mayr und anderen Militärs in der Organisation „Eiserne Faust“ tätig, während Hitler ein Spitzel (V-Mann) in der von Mayr geführten Politischen Abteilung des Nachrichtendienstes des Gruppenkommandos der Reichswehr war. In den verborgenen Schwulenszenen von München und Berlin soll Röhm seit 1924 verkehrt haben und vielleicht war es genau diese Münchner Szene gewesen, in der Hitler seit 1913 Erfahrungen sammelte und spitzelte.

Münchner Polizeiberichte aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, in denen junge Männer von Sex mit Hitler sprachen, wurden vor wenigen Jahren in Rom veröffentlicht von Eugen Dollmann, Himmlers Freund und Hitlers Übersetzer. Das Buch erschien aber nie in deutscher Sprache und kaum ein Historiker wagte sich daran, die Informationen einem deutschen Publikum zugänglich zu machen. Hitlers Favorit sei der hochgewachsene, gutaussehende Rudolf Hess gewesen, hinter dessen Rücken in Parteikreisen immer getuschelt wurde.

Hitler und Röhm holten hohe Adelige wie August Wilhelm von Preußen und Prinz Philipp von Hessen in die SA, die von äußerster Gefährlichkeit waren, aber nie groß Verdacht erregten. August Wilhelm war selbst schwul, gab sich gegenüber den führenden Nazis als naiv und leicht zu beeindrucken und machte bei öffentlichen Auftritten sehr bedeutsame Werbung für Hitler, den er skeptischen Deutschen als Wohltäter verkaufen konnte. Standesgemäß heiratete August Wilhelm seine eigene Cousine, Prinzessin Alexandra Viktoria von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg. Der verwandte britische Adel hatte ein Interesse daran, dass sich der erpressbare, manipulierbare und unfähige Hitler in Deutschland durchsetzen konnte.

Philipp wiederum war aus der Linie Hessen-Kassel des Hauses Hessen und als nationalsozialistischer Politiker Oberpräsident der preußischen Provinz Hessen-Nassau. Er heiratete 1925 Prinzessin Mafalda von Savoyen, deren Vater Viktor Emanuel III. König von Italien war und zunächst Mussolinis Faschismus stützte, später dann nach Beginn der alliierten Invasion Siziliens Mussolini absägte. Philipp hatte eine wichtige Vermittlerrolle zwischen den Nazis und Mussolini und diente an den offiziellen Kanälen vorbei als äußerst wichtiger Diplomat, bis er 1943 mit seiner Frau Mafalda inhaftiert wurde, als deren Vater sich gegen Mussolini stellte. Zu seinen Verwandten zählten natürlich auch Sachsen-Coburg und Gotha.

Die NSDAP war mit antisemitischer Propaganda über eine jüdische Weltverschwörung indoktriniert worden und deshalb versteifte man sich darauf, mit nachrichtendienstlichen Methoden Jagd zu machen auf Parteifunktionäre, die eventuell einen entfernten jüdischen Vorfahren hatten. Versäumt wurde es hingegen, eine grundlegende und professionelle Spionageabwehr aufzubauen. Auf diesem Gebiet waren die NSDAP-Bosse geradezu Anfänger und es wurde zunächst Röhm zum Verhängnis, denn linke Zeitungen veröffentlichten im März 1932 massenhaft die Inhalte von vertraulichen Briefen über seine Homosexualität, die er Jahre zuvor geschrieben hatte, sowie eine Auflistung von Vorstrafen diverser Anführer der SA. Ausgerechnet ein Mitbegründer der SA namens Helmuth Klotz hatte sogar Faksimile veröffentlicht, in denen Röhms Handschrift für jeden erkennbar war. 1933 floh er nach Frankreich, wurde sieben Jahre später geschnappt und gestand unter der Folter, dass Beamte des preußischen Innenministeriums hinter der Aktion steckten, von denen aber Rudolf Diels heimlich mit Hitler sympathisierte. Über diesen Umweg konnte Hitler an dem Stuhl des untragbar gewordenen Röhm sägen. Was sich zunächst anhört wie ein gelungenes Stück Spionage Hitlers und Diels, war allerdings von zweifelhaftem Wert für die NSDAP. Diels durfte danach zwar die Geheimpolizei aufbauen, sammelte aber allem Anschein nach belastendes Material über verschiedene Parteigrößen und bunkerte diese Informationen im Ausland. Dies war seine persönliche Absicherung, sein Dead Man’s Switch, wobei natürlich Vermutungen anzustellen sind, ob möglicherweise Kontaktpersonen von ihm im Ausland mit Zugriff auf dieses Erpressungsmaterial Käufer suchten unter den Geheimdiensten von Deutschlands Gegnern. Nach dem Krieg arbeitete Diels für die amerikanische Militärregierung. Ob er bereits während dem Krieg mit den Amerikanern kooperierte, ist natürlich theoretisch denkbar. Man sieht wieder einmal, dass die Nazis informationstechnisch so löchrig waren wie ein Sieb. Nicht nur Röhm und sein homosexuelles SA-Führungspersonal gerieten unter die Räder, sondern auch Hitler landete im Visier gut informierter Gegner wie etwa des Berliner Polizeipräsidenten Grzesinski, der im März 1933 in die Schweiz floh, dann nach Frankreich und schließlich in die USA. Die NSDAP wurde bei den vorgezogenen Reichstagswahlen 1932 die stärkste politische Kraft Deutschlands, aber die Partei war innerlich heftig zerstritten und an allen Ecken und Enden wurde für innerparteiliche Kämpfe belastendes Material gesammelt, das vielleicht auch den Weg ins Ausland fand und dort bei Geheimdiensten landete.

Um an Druckmittel gegen Hitler zu gelangen, kontaktierte Röhm seinen alten Kollegen, den Nachrichtendienstoffizier Karl Mayr, der Hitler nach dem Ersten Weltkrieg als Spitzel und Agitator ausgebildet hatte. Mayr war mittlerweile zum Lager der SPD übergewechselt und verfügte eventuell noch über belastendes Material über Hitler aus der Münchner Zeit. Kurt von Schleicher, der Reichswehrminister und der letzte Kanzler der Weimarer Republik gewesen war, besaß Hitlers Militärakte und konnte den Militärgeheimdienst „Abwehr“ für weitere Nachforschungen nutzen.

Auf einmal konnte Röhm zurückschießen und Hitler zu Zugeständnissen zwingen, was wiederum Hitlers Plan reifen ließ, einen überraschenden Enthauptungsschlag bei der SA durchzuführen und dabei rund 150 Personen erschießen zu lassen, die von Hitlers Homosexualität gewusst und Beweise besessen haben könnten. Nach dieser Säuberungsaktion, bei der allerhand Tresore aufgebrochen wurden, verschärfte Hitler die Gesetze gegen Schwule und gegen schädigende Äußerungen gegen den Führer.

Wie viele Opfer dieser Blitzaktion hatten aber vorgesorgt mit einem Dead Man’s Switch, der Lagerung von wichtigem Material im Ausland bei vertrauten Personen, die sich im Ernstfall sofort an die Presse wenden sollten? Es ist vollkommen belegt, dass Ernst Hanfstaengl und Kurt Lüdecke später noch aus dem Ausland glaubhafte Drohungen ausstießen und sich ihr Schweigen teuer bezahlen ließen. Auch Gestapo-Chef Diels ließ durchscheinen, dass seine Dossiers sicher im Ausland liegen. Hitlers Unternehmungen, um möglichst alle Informationslöcher zu stopfen, waren genauso sinnlos wie es heutzutage der Versuch wäre, ein peinliches Pornovideo oder ein Daten-Leak aus dem Internet zu tilgen.

Aber kein Historiker ist der Frage nachgegangen, ob ausländische Geheimdienste an ausreichendes Material gelangten und dieses auch tatsächlich einsetzten, um Hitler zu erpressen.

Der Historiker Lothar Machtan schreibt, dass Hitler bei seiner Rede im Reichstag am 13. Juli 1934 immer noch besorgt gewesen sein müsse, dass sich „irgendwo im Ausland Tresore öffnen und vernichtendes Material preisgeben könnten“. Hitlers dahingehende Befürchtungen seien nicht eingetroffen, hält Machtan fest, was aber nur zum Teil stimmt. Tatsächlich gab es keine öffentlichen Kampagnen im Ausland, die auf vernichtendes Material zurückgriffen, allerdings hätten die ausländischen Mächte von einer solchen offenen Kampagne abgesehen, weil sonst nach einem Sturz Hitlers und anderer NS-Größen die deutlich fähigeren deutschen Generäle die Macht übernommen hätten.

Die Karte hätte zunächst eher subtil und indirekt gespielt werden können, bei einem persönlichen Treffen, bei dem beispielsweise ein britischer Diplomat Hitler ein bisschen belastendes Material aushändigt und behauptet, dass man es in Großbritannien oder der Schweiz beschlagnahmt hätte bei dem Kontaktmann eines deutschen Hitler-Gegners. So hätten die Briten auf eine nicht feindselig wirkende Weise ihren Besitz von solchem Material zu erkennen gegeben und sich gleich noch als Freund und Helfer präsentiert.

Die Rollen von Ernst Hanfstaengl und Kurt Lüdecke haben hier besondere Bedeutung. Lüdecke arbeitete für Henry Ford, den amerikanischen Auto-Mogul, der einen eigenen Geheimdienst aufgebaut hatte, die NSDAP mit Geld und antisemitischer Propaganda versorgte und Fahrzeugfabriken in Deutschland etablierte, die später kriegswichtig wurden. 1922 brachte Lüdecke Fords Buch „Der internationale Jude“ mit nach Deutschland und konnte so Kontakte knüpfen zu hohe NS-Funktonären, trotz deren Misstrauen ihm gegenüber, und allerhand belastende Informationen sammeln mit denen er später aus dem Ausland ernstzunehmende Erpressungsversuche startete. Der Historiker Machtan geht davon aus, dass Lüdecke letztendlich mit Schweigegeld zufrieden war, stellt aber nicht die Frage, ob er sein Material einfach verkauft oder ausgehändigt hat an amerikanische Geheimdienste.

Hanfstaengl hatte an der Elite-Universität Harvard studiert und bahnte sich seinen Weg in das Umfeld des Führers, wobei er auch Belastendes sammelte und immer wieder versuchte, Hitler direkt zu Privatangelegenheiten zu befragen. Später pflegte er Kontakte zu dem amerikanischen Zeitungsmogul William Hearst und zu Lord Beaverbrook, dem das Blatt „Daily Express“ gehörte, wo Artikel erschienen mit gehässigen Andeutungen über Hanfstaengls und Hitlers Sexualität. Anstatt Hitlers Ruf effektiv zu schützen, bewirkten Hanfstaengls Aktivitäten eher das Gegenteil und er wurde untragbar für die Nazis, worauf er wie Lüdecke Erpresserbriefe schrieb und schließlich nach London flüchtete. Er machte zwar seine Drohung, sein Material an die Öffentlichkeit zu bringen, nicht wahr, vertraute sich aber spätestens 1942 dem amerikanischen Geheimdienst an. Davon überliefert sind nur Dinge, die er persönlich den amerikanischen Agenten erzählte aber man kann getrost davon ausgehen, dass er auch Akten oder sogar einschlägige Fotos lieferte. Hitler hatte bei Kriegsbeginn 1939 einen letzten erfolglosen Versuch gestartet, Hanfstaengl wieder zu kaufen und ihn zur Rückkehr nach Deutschland zu bewegen.

AlexBenesch
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