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Lebenslang für Zschäpe im NSU-Urteil – Geheimdienste halten dicht

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Kommentar

Es dauerte 438 Prozesstage, um Beate Zschäpe als Mitglied der Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ wegen zehnfachem Mord zu verurteilen. Der deutsche Staat, dessen Behörden den NSU jahrelang jagten, aber über V-Männer gleichzeitig ausstaffierten, will nun Stärke demonstriert haben. Ein milderes Urteil hätte ganz mies ausgesehen und die Türken in Deutschland in Rage versetzt. Niemand erwartete ernsthaft etwas anderes als die Verurteilung und die Attestierung besonderer Schwere der Schuld.

Wenn man nun die Beweislage gegen sie für dünn hält und den festen Eindruck hat, dass die Behörden wichtige Informationen vertuschten, muss man sich Gedanken machen über alternative, widerspruchsfreie Szenarien. Was könnte tatsächlich vorgefallen sein?

  • Vielleicht waren die drei nach kriminellen Handlungen in ihrer Frühzeit als Radikale von einem deutschen Geheimdienst auf schlampige Weise als Spitzel rekrutiert worden und das Trio besaß Beweismaterial für ihre eigene Rekrutierung und für eine Beteiligung von Geheimdienstlern an Verbrechen. Die drei hätten aus dem Untergrund heraus dem Geheimdienst drohen können, Beweismaterial zu veröffentlichen. Mit erpresstem Geld vom Geheimdienst, das über V-Männer an das Trio geflossen war, finanzierte das Trio seine Aktivitäten. Die deutschen Behörden suchten (in diesem hypothetischen Szenario) Amtshilfe durch die britischen und amerikanischen Geheimdienste. Die angloamerikanischen Geheimdienste spüren das Trio auf, ermorden die beiden Uwes und platzieren inkriminierende Gegenstände am Tatort und in der Zwickauer Wohnung
  • Vielleicht wurde das Trio die ganze Zeit über genau observiert in der Hoffnung, an Hintermänner heranzukommen. Irgendwann gelang dies oder das Risiko wurde zu hoch und die Uwes wurden umgebracht
  • Vielleicht hatten die Uwes Hilfe durch Geheimdienste, die glaubwürdige rechtsterroristische Strukturen aufbauen wollten, um politisches Kapital daraus zu schlagen und/oder Agenten in hohe internationale rechte Kreise einschleusen zu können
  • Vielleicht war das türkische organisierte Verbrechen für die Morde (mit-)verantwortlich und die Uwes agierten als Auftragskiller, damit die Auftraggeber geschützt waren.

Es fallen einem weitere Szenarien ein, die natürlich nie von einer Staatsanwaltschaft in Betracht gezogen werden.

Warum war Zschäpe nicht geflüchtet, als sie die Gelegenheit dazu hatte, sondern stellte sich den Behörden? Sie konnte es vergessen, weiterhin im deutschen Untergrund zu leben und irgendwie von Banküberfällen zu leben und von Spenden aus der rechten Szene, die total von Spitzeln der Geheimdienste unterwandert waren. Warum ist sie nicht ins Ausland geflohen? Dies wäre immer noch attraktiver gewesen, als in einem deutschen Gefängnis zu landen dort nach zehn Jahren auf einer Bananenschale auszurutschen und plötzlich zu sterben. So wie mehrere Zeugen ins Gras bissen.

Sobald man sich in die Beweislage einliest, steht man vor einem Papierberg. Alleine die Anklageschrift ist mit 480 Seiten so lang wie ein Roman. Die Ermittlungsergebnisse der Bundesanwaltschaft füllen 650 Aktenordner; also etwa 100 Regale voll. Bereits im Juli 2014 waren die Verfahrensakten auf über 486.000 Seiten Papier angestiegen. Würde ein Mensch pro Tag rund 500 Seiten davon lesen, bräuchte er rund 1000 Jahre, um damit fertig zu werden. Die Untersuchungsausschüsse produzierten nochmal hunderttausende Seiten.

Der Senat und die Bundesanwaltschaft hielten Zschäpe auf Grund dieses Papierbergs für ein aktives Mitglied des NSU. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die eigentlich immer den Abzug betätigt haben sollen, starben unter höchst seltsamen Umständen bei angeblichen Selbstmorden. Wie hätte der Prozess mit den beiden ausgesehen? 1000 Prozesstage und 3 Millionen Seiten Papier? Dann hätten wir uns schon in Dimensionen bewegt, die sonst nur von Events wie dem JFK-Attentat oder 9/11 erreicht werden.

Die Beweislage zu Zschäpe aus dem Papierberg ist auffällig dünn. Der Mitangeklagte Holger Gerlach, der Pässe beschafft und Geld gebunkert haben soll, sagte aus, dass Zschäpe „durchsetzungsstark“ gewesen sei. Sein Eindruck wurde auch von Gutachtern bestätigt, wobei einer davon eine dependente Persönlichkeitsstörung bei Zschäpe diagnostizierte. Das beschreibt aber nur ihre Persönlichkeit und sagt uns praktisch nichts zu den Morden. Der Rest der Beweislage sind nur Indizien. An keinem der Tatorte fanden sich DNA-Spuren oder Fingerabdrücke. Es gibt keine eindeutigen Aufnahmen von Überwachungskameras, keine eindeutigen Augenzeugenberichte.

Die Belastung von Böhnhardt und Mundlos basierte nur auf den Gegenständen, die im ausgebrannten Wohnmobil und im Schutt der ausgebrannten Zwickauer Wohnung gefunden wurden. Im Prinzip hätten diese Gegenstände in einen Rucksack hineingepasst. Überzeugender sind die Mietfahrzeuge im Tat-Zeitraum. Aber selbst das ist noch nicht eindeutig, wer den Abzug betätigt hat und warum.

13 Mitarbeiter von Verfassungsschutzbehörden, vor allem aus Thüringen und Hessen, wurden vor Gericht angehört, sowie 8 V-Personen des Verfassungsschutzes. Die Bundesanwaltschaft wollte nur einen V-Mann befragen, nämlich den berüchtigten Tino Brandt, der großzügig mit Geld beworfen wurde, um rechte Strukturen aufzubauen. Abgelehnt wurden die Anträge, die V-Männer Michael See (Deckname „Tarif“) und Ralf Marschner (Deckname „Primus“) vorzuladen.

Andere Angeklagte kamen nun auffällig mild davon, obwohl sie theoretisch auch als Mittäter hätten verurteilt werden können, statt als Unterstützer.

AlexBenesch
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