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Hatemail von Reichsbürgern

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Kommentar

Wir von Recentr sind außerordentlich patriotisch gesinnt; haben allerdings nicht unsere Kinder Fritz und Alraune genannt, wir sind Befürworter einer Republik, und wir halten die Handlungsempfehlungen der Reichsbürger-Szene für kontraproduktiv, unüberlegt, sachlich falsch und letztendlich verheerend für jede nationalkonservative Agenda. Obwohl wir seit Jahren auf populärwissenschaftlichem Niveau die Interesse der Deutschen vertreten, dazu noch zwei postkarten-klischee-blonde Kinder großziehen, Arbeitsplätze schaffen und andere Menschen tatsächlich weiterbringen, mögen uns viele Reichsbürger anscheinend nicht. Denn sie messen Patriotismus anscheinend nicht an realen Maßstäben, sondern am Grad des Reichsbürger-Glaubens. Sie haben viel größere Sympathien für einen arbeitsunwilligen Hartz4-Schmarotzer, der Copy & Paste in Facebook macht, als für uns. Der Glaube an die Reichsbürger-Märchen ist das alles entscheidende Kriterium für sie.

Wütende Reichsbürger reagieren auf unsere sinnvolle Kritik und Ablehnung wie typische Sekten-Angehörige: Drohungen, Schwarz-Weiß-Malerei („entweder Reichsbürgertum oder die BRD iD GmbH“) und Paranoia („du arbeitest für den Geheimdienst!“).

Heute erreicht uns die E-Mail von jemandem, der zwar zumindest die bekannten Internet-Figuren der Szene ablehnt, aber uns dennoch vorwirft, überhaupt keine Ahnung zu haben und der Mainstream-Propaganda nach dem Mund zu reden. Stattdessen, so der Schreiber, habe er den totalen Durchblick, nämlich das Wissen um die sogenannten „gelben Scheine“. Das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz (RuStAG) in seiner Fassung vom 22. Juli 1913 sei nämlich unverändert gültig und wer sich so ein Ding holt, der habe den ersten Schritt getan in die Souveränität und raus aus der Staatenlosigkeit. Weil die BRD halt nicht gültig sei.

§ 1 RuStAG lautet folgendermaßen:

„Deutscher ist, wer die… unmittelbare Reichsangehörigkeit… besitzt.“

Allerdings enthalten die Gesetzestexte folgende Fußnote:

„Die Bedeutung der Begriffe „Reichs- und Staatsangehörigkeit“ im Sinne dieses G hat sich geändert. An die Stelle der „Reichsangehörigkeit“ ist gem. § 1 V v. 5.2.1934 102-2, Art. 116 Abs. 1 GG 100-1 die deutsche Staatsangehörigkeit getreten.“

Das heißt, dass die Definition „wer die unmittelbare Reichsangehörigkeit besitzt“ längst abgeändert worden ist. Es gibt also keine tolle Stelle im RuStAG, auf die man sich berufen kann für einen besonderen gelben Schein, der dich aus einer angeblichen Staatenlosigkeit herausholt.

Bei dem neueren § 1 StAG findet sich folgende Formulierung:

„Deutscher im Sinne dieses Gesetzes ist, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt“.

Der Käse ist längst gegessen. Es hilft auch nicht, zirkuläre Logik anzuwenden und zu meinen, die Bundesrepublik hätte gar nicht die Legitimation gehabt, etwas zu verändern. Freilich wurde den Deutschen das Konstrukt BRD von den Besatzern aufgedrängt, aber sowas passiert nun einmal, wenn man einen Krieg verliert. Ein Franzose kann heute auch nicht auf seinem Garten ein Schild aufstellen, wo draufsteht, dass auf diesem Grundstück die alte königliche Ordnung von vor der Französischen Revolution gilt. Ein Texaner kann nicht alt-mexikanisches Recht anwenden, nur weil irgendwann einmal der Bundesstaat zu Mexiko gehörte.

Auch ein „gelber Schein“ wird dich in der BRD nicht von Steuern oder den BRD-Gesetzen schützen. Sorry, es geht mir nur um die Realität, nicht um Wunschdenken. Damit laufen die Leute genauso gegen die Wand wie mit Reichsausweisen, Lebendmeldungen laut päpstlicher Bulle oder Selbstverwaltungen. Genauso wenig nützt es den deutschen Patrioten, einen Regentanz aufzuführen.

Wenn mich das unbeliebt macht, ist das halt so.

Die BRD genau an derjenigen Stelle anzugreifen, wo sie am stärksten aufgestellt ist, macht strategisch keinen Sinn. Das System hat hunderttausend Mal bessere Juristen als die Reichsbürgerszene, die selbst einfachste Zusammenhänge verpatzt. Die Besatzer hatten ihre Top-Juristen aufmarschieren lassen und im Laufe der Zeit wurde alles mögliche weiterentwickelt und verändert, die DDR wieder eingegliedert usw. Selbstverständlich wurde darauf genau geachtet, den Geltungsbereich rechtzeitig zu aktualisieren. Trotzdem kommen die peinlichen Reichsbürger-Amateure ständig mit neuen Irrtümern und wollen Patrioten dann sinnlose und gefährliche Handlungsanweisungen aufschwatzen.

Unser Problem ist nicht das Grundgesetz, sondern diejenigen in Berlin, die es missachten, sowie die Brüsseler Bürokraten, die die Bundesrepublik komplett auflösen. Wenn man das Grundgesetz ersetzen möchte durch etwas Neueres, dann muss das Neue immer noch die Kriterien einer freiheitlichen Republik erfüllen und es muss von einer deutlichen Mehrheit der Menschen angenommen werden. Die Chancen der Reichsbürger-Szene, eine Verfassung aus dem Deutschen Reich wieder aufleben zu lassen (mit Kaiser?) stehen bei einem Haarbreit über Null. Und je mehr Unfug und Querulantentum und Schießereien die Reichsbürger praktizieren, umso mehr verringern sich ihre Chancen weiter.

Es versuchen immer noch Typen, auf unhaltbarer Basis Ein-Mann-Staaten oder Staaten auf ihrem Grundstück zu gründen oder sich als außerhalb des geltenden nationalen Rechts zu bezeichnen. Das geht in der BRD genauso wenig wie in Russland, oder in Frankreich. Versuchen Sie mal, in Russland die territoriale Integrität der Staatsordnung öffentlich in Zweifel zu ziehen! Sie werden im Gefängnis landen und dort ihr blaues Wunder erleben.

Seltenst wird zugegeben, was für ein Mist in der Szene produziert wurde, mit dem Gutgläubige sich in unnötige Schwierigkeiten Gebracht haben. Überall Abzocke mit besonderen „Scheinen“, wertlosen Nummernschildern und Fantasie-Ausweisen. Die Clowns der Szene machen sich auf Youtube und in Dokus der Massenmedien hoffnungslos lächerlich, aber in ihrer Fantasiewelt, gestützt von unkritischen Fans, sind sie die großen Helden.

Wenn echte Verfassungsrechtler wie Schachtschneider oder von Arnim die Reichs-Mythen ablehnen und erklären, wo die BRD wirklich grauenvoll ist und wo man ansetzen kann, dann kommt nur Gemaule von den Reichsbürgern oder es heißt, die Verfassungsrechtler dürfen halt nicht die Wahrheit sagen. Damit wird das Reichsdenken zu einem geschlossenen Denksystem und die Realitätsverweigerung hat sich festgefressen.

AlexBenesch
AlexBenesch
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